Protokoll der Sitzung vom 19.04.2000

Herr Frank, ich fand einige Ihrer Äußerungen im Zusammenhang mit dem Übergang von der Grundschule ins Gymnasien sehr interessant. Wir sind uns in den Inhalten sicherlich uneins, aber in der Zielsetzung habe ich das Gefühl, daß es möglicherweise – bei Herrn de Lorent ist das auch schon ähnlich gewesen – doch zu Veränderungen kommen wird, weil es so wie bisher in dieser Frage nicht mehr weitergehen kann.

Jetzt noch einmal zu Frau Goetsch und ihren 45 Prozent nach dem Motto „ich wolle denen das Abitur nicht gönnen“. Darum geht es nicht, es geht darum, daß wir durch diese jetzt bestehende Lösung Schulversager produzieren und gleichzeitig der Qualität der gymnasialen Bildung nicht Rechnung tragen können, wenn wirklich jeder Zweite auf das Gymnasium geht.Das kann so einfach nicht sein, denn wir haben nicht nur Einsteins in Hamburg. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU – Dr.Holger Christier SPD:Das merkt man an Ihnen!)

Das Wort erhält Herr de Lorent.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich will noch ein paar Bemerkungen zu dieser Diskussion machen. Eigentlich hatte ich gedacht, daß wir heute die Chance hätten, ein wenig differenzierter über tatsächlich vorhandene Probleme zu reden. Ich fand den Beitrag des Kollegen Frank in dieser Debatte positiv, da er ein paar differenzierte Positionen angebracht hat. Meine Kritik an der CDU ist, daß ihre Ausführungen im Antrag immer noch Züge von Schulformklassenkampf haben. Sie sprechen reale Probleme an, aber Ihre vorgeschlagene Lösung ist völlig untauglich. Dieser undifferenzierte Versuch, möglichst viele Gesamtschulstandorte kaputtzumachen oder zu schließen, kommt hier wieder durch.

Es gibt zwar Probleme mit zweizügigen Gesamtschulen, aber man muß genauer hinschauen, was an den Schulen los ist, welche alternativen Schulstandorte es in den Schulkreisen gibt. Da kann man nicht so einfach hingehen und sagen, wir fordern – und dann noch mit der Ergänzung, die Frau Goetsch schon karikiert hat, „wenn die Eltern das wollen“ –, diese Schulstandorte zuzumachen.

Mir wäre daran gelegen, hier eine Debatte zu führen, die nicht ein Kampf zwischen den Schulformen ist, sondern sich einiger realer Probleme annimmt. Ein reales Problem ist – das habe ich schon mal gesagt und bin zum Teil falsch, aber auch richtig verstanden worden –, daß von Grundschullehrerinnen und Gymnasiallehrern beobachtet wird, daß in Hamburg viele Schülerinnen und Schüler von ihren Eltern aus verständlichen Gründen an Gymnasien angemeldet werden, dort aber hoffnungslos überfordert sind.Ich kritisiere überhaupt nicht, daß Eltern den besten Abschluß wollen.Und wenn die Lernausgangslagenuntersuchung für die siebten Klassen zu dem Schluß kommt, daß schwächere Schüler an Gymnasien besser gefördert werden, dann ist es geradezu ein Impuls für Eltern zu sagen, dann melde ich mein Kind am Gymnasium an.Wenn aber bei den gleichen Kindern die Grundschulpädagogen sagen, es kann nicht wahr sein, daß diese Kinder am Gymnasium angemeldet werden, weil hier Existenzscheiterungen vorprogrammiert sind, muß man sich Gedanken machen, wie man damit umgeht.

(Beifall bei Wolfgang Beuß CDU)

Das ist notwendig und richtig, denn es gibt genug Rückläuferklassen von Gymnasien, in denen über Jahre versucht wird, Schülerinnen und Schüler psychisch zu stabilisieren, und das ist ein Problem.

Es gibt aber keine einfache Lösung, es ist zum Teil ein Beratungsproblem, weil Eltern schlecht und falsch beraten werden, und dieses liegt zum Teil daran, daß es sozusagen einen Schulstandortdarwinismus gibt.Ein Schulstandort ist gesichert, wenn genügend Schüler angemeldet werden. Also tun viele Schulen alles dafür, möglichst viele Schüler zu bekommen, und sie argumentieren zum Teil gegenüber den Eltern auch falsch. Gymnasien haben in der Vergangenheit auch falsch gegenüber den Eltern argumentiert. Sie haben ihnen alles mögliche versprochen, von allen möglichen Förderungen gesprochen, so daß Eltern ihre Kinder am Gymnasium angemeldet haben und erst später schmerzlich merken mußten, daß ihr Kind da nicht hinpaßt und es Schwierigkeiten gibt.Hier muß es also eine größere Ehrlichkeit geben.

Zweitens muß es eine bessere Beratung geben. Ich kann mir bei den jetzigen Empfehlungen, die gegeben werden, durchaus vorstellen, daß es noch einmal ein Beratungsgespräch über die pädagogischen Gründe gibt, wenn Grundschulpädagogen empfehlen, das Kind nicht auf das Gymnasium zu schicken, Eltern das aber wollen. Die Entscheidung muß zwar bei den Eltern liegen, aber es muß ein Beratungsgespräch geben.

(Hartmut Engels CDU: Ja!)

In der Praxis sind die Kolleginnen und Kollegen viel weiter als wir in der Politik. Ich finde diese Probewoche einen ziemlichen Unsinn, da das von der Tagesform abhängt, und eine diagnostische Fähigkeit, nach ein paar Tagen zu sagen, auf die oder die Seite, halte ich nicht für realistisch.

Aus dem Gymnasialbereich selbst wird vorgeschlagen, daß man in solchen Fällen, in denen es Beratungsgespräche gegeben hat, zum Beispiel im Konsens mit den Eltern zu dem Ergebnis kommen kann, ihr wollt das Kind auf das Gymnasium melden, laßt uns sehen, wie es läuft, und nach einem Jahr setzt man sich mit den Kolleginnen und Kollegen vom Gymnasium, den Grundschulpädagogen und den Eltern zusammen und führt dann ein weiteres Gespräch. Das ist etwas Vernünftiges, das in der bisherigen Debatte überhaupt noch nicht diskutiert worden ist. Aber in diese

(Wolfgang Beuß CDU)

Richtung müssen wir gehen, wir müssen differenzierter werden. Wir müssen von diesem alten Schulformklassenkampf wegkommen, das sind wir den Kindern in dieser Stadt schuldig.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, dann kommen wir zur Abstimmung. Wer will den Antrag annehmen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist der Antrag mit Mehrheit abgelehnt.

Ich rufe dann gemeinsam die Tagesordnungspunkte 10 und 38 auf: Große Anfrage der GAL und gemeinsamer Antrag der SPD- und der GAL-Fraktion zur Lehrerausbildung.

[Große Anfrage der Fraktion der GAL: Lehrerinnen- und Lehrerausbildung an der Universität Hamburg – Drucksache 16/3900 –]

[Antrag der Fraktionen der SPD und der GAL: Reform der Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer – Drucksache 16/4084 –]

Wer wünscht das Wort? – Herr Kollege de Lorent erhält das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn man schon so weite Wege in die Bürgerschaft geht, dann muß es sich auch lohnen. Und da der Arzt mir gesagt hat, es sei gut, das Bein zu bewegen, nutze ich die Gelegenheit

(Werner Dobritz SPD:... und schmeiße die Krük- ken weg!)

und sage Ihnen zu diesem Thema etwas.

Ich möchte drei Punkte ansprechen, einmal ein paar wesentliche Punkte in der Antwort des Senats auf die Große Anfrage nennen, dann kurz zitieren, was im KMK-Kommissionsbericht an positiven Argumenten steht, und zwei Konsequenzen für Hamburg nennen.

Erstens: Einige von Ihnen erinnern sich noch an den Beginn des heutigen Tages, als wir über die Altersstruktur an den Hochschulen geredet haben. Wenn Sie sich ansehen, wie die Altersstruktur in der Lehrerbildung ist, sehen Sie, daß hier Probleme auf uns zukommen. Der Altersdurchschnitt der Hochschullehrerinnen liegt bei 55,2 Jahren, der der wissenschaftlichen Assistenten schon bei 37,3 Jahren, und die haben ihre Qualifikationsphase noch nicht einmal abgeschlossen.Dieser Zustand ist ungesund und macht es notwendig, daß sich auf diesem Gebiet etwas ändert.

Zweitens: Selbstkritisch stellt der Senat dar, was der Fachbereich Erziehungswissenschaft selbst auch als Problem sieht: Der Praxisbezug von Lehrerinnen und Lehrern ist nicht ausreichend genug. Da hat sich schon etwas verbessert, es gibt integrierte Praktika, die in Zusammenarbeit mit Lehrerinnen und Lehrern der Schulen durchgeführt werden. Das ist schon ein wesentlicher Fortschritt im Vergleich zu vor zehn Jahren, aber hier muß noch weiter gearbeitet werden.

Drittens möchte ich die Befragung der Absolventen des Fachbereichs Erziehungswissenschaft nennen.Da wird gesagt, 20 bis 33 Prozent der Absolventen eines Lehrerstudiums sehen darin eine gute Grundlage für spätere Berufstätigkeit, 15 bis 29 Prozent halten das Erlernte für wenig nützlich und – bekanntermaßen ist es so, daß, je weiter

man sich vom Studium entfernt, desto kritischer wird die Einschätzung – in der zweiten Phase der Lehrerausbildung sagen bei Evaluationen 65 Prozent der Lehramtsanwärter, daß ihnen die Ausbildung in der ersten Phase für die konkrete Tätigkeit an der Schule nichts oder fast nichts gebracht habe. Das ist ein Alarmsignal, daß auf dem Gebiet des Praxisbezugs etwas gemacht werden muß. Es korrespondiert übrigens mit einer Aussage von Professor Jürgen Oelkers, der Vorsitzender der Lehrerbildungskommission in Hamburg ist. Er hat im Februar bei einer Tagung zur Lehrerausbildung in Hamburg Ergebnisse einer Befragung von Studierenden zu ihren Studienerfahrungen so zusammengefaßt – ich zitiere –:

die Lehramtsstudenten –

„bejahen die Frage, ob Zeit vertrödelt wurde, verneinen die Frage, ob die Ziele erreicht wurden, verneinen die Frage, ob die Ziele überhaupt klar waren, bejahen die Frage, ob die Ausbildung sie unterfordert habe.“

Desaströser kann das Ergebnis einer Befragung von Studierenden nicht sein, hier gibt es also Handlungsbedarf.

Viertens:Befremdlich finde ich eine Antwort des Senats auf die Frage, wie die Universität ihre Absolventen darauf vorbereite, als Lehramtsanwärter oder Referendare eigenverantwortlichen Unterricht leisten zu müssen. Da antwortet der Senat – Zitat –:

„Ob und inwieweit sich aus der Einführung bedarfsdeckenden Unterrichts... Konsequenzen für die erste Phase ergeben, muß im Rahmen einer Gesamtkonzeption der Lehrerbildungsreform beraten werden, wie sie derzeit in der Hamburger Kommission Lehrerbildung entwickelt wird.“

Das finde ich nun wirklich ziemlich schwach.Wenn die eine Behörde sagt, eigenverantwortlicher Unterricht werde für Referendare verbindlich – was ich übrigens für richtig und gut halte und was die Referendare selber auch gut finden –, dann müssen die Wissenschaftsbehörde und die Universität auch dafür sorgen, daß diese darauf vorbereitet werden und didaktisch und methodisch wissen, wie man Unterricht macht, damit sie am ersten Tag in der zweiten Phase ihrer Ausbildung auch unterrichten können. Das halte ich für eine Selbstverständlichkeit, da kann man nicht auf die Kommission warten.

Fünftens: Positiv finde ich wiederum die Aussagen des Fachbereichs Erziehungswissenschaft, der für sich selbst einige Reformschritte nennt, und zwar erstens die Einführung einer Zwischenprüfung verbunden mit der Entwicklung eines Kerncurriculums, zweitens die Verbesserung der Beratung und Einrichtung eines Studierendenzentrums und drittens die beabsichtigte Verbesserung der Theorie-Praxis-Vermittlung. Der Fachbereich Erziehungswissenschaft hat richtige Punkte genannt, und in diese Richtung wird sich etwas entwickeln müssen.

Meine Damen und Herren! Die festgestellten Schwachpunkte korrespondieren mit zentralen Erkenntnissen der KMK-Kommission, der Staatsrat Lange vorgesessen hat und die ein ausführliches Papier vorgelegt hat;das ist im Internet und somit auch der CDU zugänglich. Da sind einige wichtige Punkte festgestellt worden.

Erstens:Die universitäre Ausbildung muß das Ende der Beliebigkeit sein.Es gibt eine eindeutige Argumentation für die universitäre Lehrerausbildung – das finde ich sehr richtig –

(Dr. Hans-Peter de Lorent GAL)

und nicht Verlagerung der Lehrerausbildung an die Fachhochschulen, und es findet sich der bedeutende Satz in diesem Bericht:

„Sämtliche Studienelemente müssen stärker als bisher am späteren Berufsfeld ausgerichtet sein. Die Beliebigkeit des Studienangebots beziehungsweise des Studierens muß sowohl auf seiten der Lehrenden wie der Studierenden dringend überwunden werden.“

Das sehe ich in diesem Punkt ganz selbstkritisch. Ich habe mich selbst als Student in den siebziger Jahren massiv für die Beendigung der Verschulung des Studiums eingesetzt. Aber was dabei herausgekommen ist, kann nicht das Richtige sein.Es ist eine unglaubliche Beliebigkeit, was man als Lehramtsstudent an der Universität studiert.Ich sehe es bei meiner Tochter, die kurz vor dem Examen steht. Die hätte mit elf Semestern Freizeitpädagogik jetzt das Examen machen können. Wenn man da nicht selbst eine Orientierung hat, ist man nicht in der Lage, auf die Anforderungen, die Lehrern heute gestellt werden, richtig vorbereitet zu sein. Es muß ein Kerncurriculum geben, es muß etwas Verbindliches geben, das sozusagen das Unterrichtshandwerk ist, das die Basis für eine vernünftige Ausbildung ist, und ich glaube, daß es auch in diese Richtung gehen wird.

Zweitens: Natürlich muß es eine bessere Abstimmung der Phasen der Lehrerausbildung geben, insbesondere stärkeren Praxisbezug. Nehmen Sie das Beispiel eines KfzMechanikers. Den würde man auch nicht drei Jahre lang theoretisch ausbilden, dann unter ein Auto lassen, wobei er dann feststellt, daß es ihm nicht gefällt, sich schmutzig zu machen. Ähnlich ist es in der Lehrerausbildung. Es kann doch nicht angehen, daß Referendare mit 35 Jahren zum ersten Mal mit Schülerinnen und Schülern zu tun haben

(Beifall bei Elisabeth Schilling SPD)

und dann erst merken, daß sie mit Kindern nicht umgehen können oder nicht umgehen wollen. Von daher ist ein Praxissemester möglichst am Anfang des Studiums nach dem vierten Semester völlig richtig.

Drittens:Ein sehr richtiger Punkt, den die KMK-Kommission genannt hat, ist die Verabschiedung von der Illusion, daß alle Anforderungen an Lehrerinnen und Lehrer in den beiden Ausbildungsphasen vermittelt werden können. Das nimmt auch ein bißchen den Druck, denn bei allem Kerncurriculum gibt es eben Sachen, die man erst on the job trainieren und mit Berufserfahrung lernen kann. Darum hat die KMK-Kommission etwas vorgeschlagen, was die Hamburger Kommission sicherlich aufnehmen wird, daß es nämlich so etwas wie eine Berufseingangsphase gibt, man nach der Ausbildung weiter professionell begleitet wird und in den ersten zwei Berufsjahren mit Unterstützung und einer verbindlichen Fortbildung weiterarbeiten kann. So kann aus einer bisher bruchstückhaft guten Ausbildung eine gute Ausbildung werden.