Protokoll der Sitzung vom 11.05.2000

Wir haben – bezogen auf die ISB – konkrete Zahlen gefordert; diese Zahlen liegen noch nicht vor. Bei der Schwerstbehinderung wird im Einzelfall geprüft, bei den anderen Bereichen des Zivildienstes gibt es eine Verabredung mit dem Bundesamt. Hier sind also entsprechende Poolbildungen vorhanden, um die fehlenden Zivildienstleistenden auszugleichen. Es geht darum, die Verantwortlichkeit der Wohlfahrtsverbände auf der einen Seite und des Bundesamts für den Zivildienst auf der anderen Seite zu koordinieren. Wir als Hamburger übernehmen die Betreuungslücken für den Zeitraum zwischen den Kürzungen, aber nicht für die generelle Reduzierung des Zivildienstes.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Martin Schmidt GAL)

Nun sehe ich keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Thema. Wir kommen zur Abstimmung. Wer will beide Vorlagen an den Sozialausschuß überweisen? – Gegenprobe.– Enthaltungen? – Diesem Begehren wurde einstimmig nachgekommen.

Tagesordnungspunkt 15: Große Anfrage der SPD zur Geschichte der Verfolgung.

[Große Anfrage der Fraktion der SPD: Erinnern statt vergessen – Die Geschichte der Verfolgung vergessener Opfer des Nationalsozialismus in Hamburg von 1933 bis 1945 – Drucksache 16/3970 –]

Von wem wird das Wort gewünscht? – Das Wort erhält Herr Professor Dr. Kopitzsch.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Drucksache ist in dreifacher Hinsicht sehr erfreulich. Die Antwort ist erstens umfassend, wurde zweitens zügig gegeben und erfolgte drittens in gutem Zusammenwirken mehrerer Behörden und Ämter und ist damit vorbildlich für den Umgang, für die Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft.

Die Antwort ist auch inhaltlich erfreulich, zieht sie doch eine eindrucksvolle Bilanz zeitgeschichtlicher Forschung, historisch/politischer Bildung und vielfältiger Erinnerungskultur in unserer Stadt. Archive, Bibliotheken, Museen und Gedenkstätten, Stadtteilarchive, Forschungsinstitute, Hochschulen, Schulen, die Landeszentrale für politische Bildung, auch das kommunale Kino METROPOLIS und CineGraph haben zu dieser Bilanz beigetragen. Kulturbehörde, Wissenschaftsbehörde und Schulbehörde erfüllen ihre Aufgaben in diesem sensiblen Feld der Forschung und der Erinnerungsarbeit.Widerstand und Verfolgung gerade auch der lange Zeit vergessenen Opfer des Nationalsozialismus sind in Hamburg – dies zeigen die ausführlichen Informationen und Anlagen der Drucksache – zentrale Themen der Forschung wie der Vermittlung von Forschungsergebnissen. Auf den besonderen Aspekt der Erinnerungsarbeit bei den Lesben und Schwulen wird mein Kollege Lutz Kretschmann gleich noch eingehen.

Ergänzend zur Drucksache möchte ich nur erwähnen, daß auch die an der Universität entstandene Bibliothek zur Universitätsgeschichte in dieses Feld gehört und es eine ham

burgische Tradition zeitgeschichtlicher Forschung gibt, denn Hamburg war eines der ersten Länder der Bundesrepublik, das mit der Forschungsstelle für Zeitgeschichte aktiv geworden ist.

Neben den in den Hochschulen und Instituten professionell erbrachten Leistungen verdienen auch die Beiträge aus den Geschichtswerkstätten Anerkennung, und besonders eindrucksvoll sind in Forschung und Vermittlung die Aktivitäten der Gedenkstätte Neuengamme. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die derzeit im Museum für Hamburgische Geschichte gezeigte Wanderausstellung „Ein KZ wird geräumt“ hinweisen und ausdrücklich an dieser Stelle dem Freundeskreis der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius dafür danken, daß sie diese eindrucksvolle und eindringliche Ausstellung ermöglicht haben.

(Beifall bei der SPD, der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Der schon erfolgte Ausbau der Gedenkstätte am Bullenhuser Damm und die geplanten Erweiterungen der KZ-Gedenkstätte Neuengamme belegen, daß die angesprochene hamburgische Tradition fortgesetzt wird. Von großer Bedeutung – dies zeigt die Antwort auf die Große Anfrage sehr deutlich – für die Forschung und damit letztendlich auch wieder für die Vermittlung ist und bleibt das Staatsarchiv. Seine Bestände sind Grundlage für die wissenschaftliche Arbeit, für neue Erkenntnisse und Resultate. Das Staatsarchiv darf nicht zum Nadelöhr der Erschließung und Auswertung von Quellen werden, die über die Vergangenheit Hamburgs Auskunft geben können. Die Funktionsfähigkeit des Staatsarchivs zu erhalten und zu verbessern, bleibt eine Aufgabe des gesamten Senats. National wie international wird die Glaubwürdigkeit von Erinnern statt Vergessen auch daran gemessen, ob und wie das Archiv seine Aufgaben erfüllen kann.

(Beifall bei Julia Koppke REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Positives Beispiel in diesem Zusammenhang ist, daß die Baubehörde nicht nur ihr Lichtbildarchiv an das Staatsarchiv abgegeben hat, sondern auch den bislang dafür zuständigen Sachbearbeiter. Andere Behörden sollten sich bei dem, was sie dem Staatsarchiv anvertrauen, überlegen, ob nicht solche Möglichkeiten stärker genutzt werden können.Die Strecke der noch zu erschließenden Akten gerade auch zur Zeitgeschichte beträgt ein Vielfaches der Entfernung von hier zum neuen Staatsarchiv in Wandsbek. Es muß alles getan werden, diesen Stau rasch und zügig abzuarbeiten, damit die Akten der Forschung uneingeschränkt zur Verfügung stehen.

Schon jetzt erreichen das Staatsarchiv zahlreiche Nachfragen nach Zwangsarbeit vor allem aus dem Osten Europas, und es braucht dafür dringend die erforderlichen Mittel, um etwa studentische Hilfskräfte für die Beantwortung heranziehen zu können. Für die Studenten selbst ist dies eine ganz wichtige praktische Erfahrung, die sie sinnvoll mit dem Studium verbinden können.

Ich darf daran erinnern, daß die Forschungen zur Zwangsarbeit in Hamburg von Initiativen, von Bürgern in den Stadtteilen, von Schulen und den Geschichtswerkstätten ausgegangen sind – dies zeigt die umfangreiche Antwort auch – und sie jetzt in der Forschungsstelle für Zeitgeschichte vor allem von Frau Littmann betrieben werden.

Ich möchte das Stichwort Zwangsarbeit aber auch nutzen, um an dieser Stelle noch einmal einen eindringlichen Ap

(Senatorin Karin Roth)

pell an die hamburgische Wirtschaft zu richten, sich am Fonds für die Entschädigung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter stärker zu beteiligen, als es bisher schon geschehen ist.

(Beifall im ganzen Hause)

Die Handelskammer hat sich zunächst zögerlich, aber dann ganz entschieden und klar zu dieser Verpflichtung bekannt, und wir können die Handelskammer in diesem Kurs nur unterstützen. Dies ist nicht nur eine Frage, die mit Weltoffenheit zu tun hat, mit dem Bild nicht nur unserer Stadt, sondern unseres Landes in der Welt, sondern sollte auch eine Frage der Selbstachtung und der historischen Verpflichtung der Wirtschaft sein. Es wäre eine Blamage nicht nur für die Wirtschaft, sondern für das ganze Land, wenn dieser Ansatz, der auch nur eine Geste ist, scheitern würde.

Ein anderes positives Beispiel, wie Erinnerungskultur und Erinnerungsarbeit geschehen kann, wie eine Verknüpfung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hergestellt werden kann, ist der Bertini-Preis. Er ist ein sehr hoffnungsvoll stimmendes Beispiel für Initiative, und was dazu in der Drucksache gesagt wird, möchte ich besonderer Beachtung empfehlen. Eine der entscheidenden Lehren aus dem, was gewesen ist, bleibt die Erziehung zu Zivilcourage, zu Toleranz und Vernunft. Dazu gibt es keine Alternative, dies bleibt eine gemeinsame Verpflichtung.Dies ist im übrigen, wenn ich an so manche Turbulenzen hier denke, auch eine Anforderung an uns alle in der Politik.

Ich möchte abschließend der Präsidentin der Bürgerschaft sehr herzlich danken, daß sie in ihrer Rede zur Eröffnung der erwähnten Ausstellung „Ein KZ wird geräumt“ daran erinnert hat, daß sich die Hamburgische Bürgerschaft in vielfältigen Aktivitäten, Veranstaltungen, Foren und Publikationen mit der Vergangenheit unserer Stadt auseinandergesetzt hat und sie auch ganz persönlich dieses als eine gemeinsame Aufgabe aller Kräfte im Parlament ansieht; das ist ein wichtiges und gutes Wort gewesen. – Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)

Das Wort erhält Herr Schira.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Am 13. Dezember 1984 hat der damalige Erste Bürgermeister Dr.Klaus von Dohnanyi auf der Veranstaltung „Hamburg und das Erbe des Dritten Reiches“ in seiner Rede eine Reihe von Maßnahmen zur Aufarbeitung der braunen Vergangenheit unserer Stadt angekündigt. Fünfzehneinhalb Jahre nach dieser Initiative können wir feststellen, daß es eine Vielzahl von Aktivitäten in den Bereichen Forschung, Schule, Weiterbildung und Erinnerungskultur gibt, die sich mit der Geschichte und dem Erinnern an das dunkelste Kapitel Deutschlands und unserer Stadt Hamburg auseinandersetzen.

Wir lesen in der Antwort des Senats auf die Große Anfrage des Kollegen Kretschmann, in welchem Umfang sich zum Beispiel das Denkmalschutzamt im Rahmen des „Schwarzen Tafelprogramms“ um die Stätten des Widerstands in unserer Stadt bemüht oder wie die Hamburger Geschichtswerkstätten in den Stadtteilen Publikationen erstellen, Ausstellungen organisieren und Rundgänge veranstalten, um den Menschen vor Ort die Ereignisse, die vor über 50 Jahren in ihrem Stadtteil passiert sind, näherzubringen.

Zahlreiche regelmäßige Gedenkveranstaltungen finden statt. In den Institutionen wie der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, dem Institut für Geschichte der deutschen Juden, unseren Museen, der KZ-Gedenkstätte Neuengamme wird, wie in anderen Einrichtungen, eine engagierte Arbeit geleistet. Auch das private Engagement möchte ich erwähnen. Ohne den Einsatz von Privatpersonen oder Unternehmen wäre zum Beispiel der BertiniPreis, der an junge Menschen in Hamburg verliehen wird, die die Unmenschlichkeit in der Vergangenheit thematisieren oder in der Gegenwart couragiert gegen Gewalt an Menschen, gegen Unrecht oder Diskriminierung eintreten, nicht denkbar.

(Beifall bei der CDU, der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Wir haben allen Grund, den Menschen, die sich für die Auseinandersetzung mit den Jahren der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft einsetzen, zu danken. Hamburg als Ganzes verdrängt die zwölfjährige Diktatur der Nationalsozialisten nicht. Deutlich macht dies auch die Neueröffnung der erweiterten Gedenkstätte Bullenhuser Damm und das jährliche Erinnern an die Ermordung von 20 jüdischen Kindern, zwei französischen Ärzten, zwei niederländischen Pflegern sowie 24 sowjetischen Kriegsgefangenen im Keller der damaligen Schule in der Nacht vom 20. auf den 21. April 1945.

Bundespräsident Rau hat in seiner Ansprache vor der Knesset in Jerusalem im Februar diesen Jahres gesagt:

„Aus der Geschichte folgt Verantwortung.Sie beginnt mit der Erziehung in den Schulen und mit der Einrichtung und Pflege von Stätten des Gedenkens.“

Wer wollte gegen diese Aussage etwas sagen? Ich möchte meinen Kollegen Kretschmann unterstützen, daß den sogenannten vergessenen Opfern ein besonderer Akzent bei der Bestandsaufnahme zuteil werden soll.

Das Erinnern wider das Vergessen hier in Hamburg ist von großer Bedeutung. Aber auch das Herausgehen aus unseren Stadtmauern, Kontakte zwischen den Generationen, Begegnungen und Diskussionen sind mindestens genauso wichtig. Der Besuch unserer Fraktion in diesen Tagen in Israel sollte dazu dienen.

Im Rahmen dieses Besuches hatten wir die Gelegenheit, mit jüdischen ehemaligen Hamburgern zu sprechen. Es wurde bei diesen, für uns alle beeindruckenden Gesprächen von den jüdischen ehemaligen Hamburgern die Frage gestellt, ob das Besuchsprogramm für unsere ehemaligen Mitbürger ausgeweitet werden könnte. Circa 120 jüdische ehemalige Hamburger besuchen im Jahr auf Einladung des Senates unsere Stadt. Nach meinen Informationen stehen derzeit noch 380 Personen auf der Warteliste. Dieses Besuchsprogramm, das sehr liebevoll im Senatsprotokoll von Frau Meinhardt betreut wird, ist zu einer besonderen Institution geworden. Deshalb sollten wir uns aber heute schon die Frage stellen, was eigentlich passiert, wenn die letzten jüdischen ehemaligen Hamburger verstorben sind. Dürfen wir dann einfach das Besuchsprogramm für beendet erklären? Ich meine, dies sollten wir nicht tun. Die Kontinuität der Geschichte gebietet uns, schon heute über ein in Zukunft geändertes Programm nachzudenken. Dieses ist sicherlich nicht einfach, und es gibt dafür auch kein Patentrezept. Es beinhaltet aber auch die Chance, zwischen den Nachkommen der jüdischen ehemaligen Hamburger und den hier lebenden Hamburger Jugendlichen Kontakte entstehen zu lassen.

(Dr. Franklin Kopitzsch SPD)

Meine Damen und Herren! Der israelische Botschafter, Avi Primor, hat 1997 in einer Trauerrede anläßlich des Staatsaktes zum Tod des langjährigen CDU-Fraktionsvorsitzenden und CDU-Landesvorsitzenden Erik Blumenfeld, ein großer Freund Israels, folgendes gesagt:

„Wir haben vieles in uns aus unserer Geschichte gelernt. Der vielleicht größte Rabbiner, den wir in unserem Exil hatten, war ein sogenannter Laschentow im 16. Jahrhundert. In einer Predigt sagte er einmal: ,In der Erinnerung liegt die Erlösung.‘“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der GAL)

Das Wort erhält Herr Dr. Schmidt.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich glaube, ich werde diese getragene Stimmung jetzt etwas stören.Ich bin nämlich durchaus nicht der Meinung, die der Kollege Professor Kopitzsch als ersten Satz vorgetragen hat, daß es sich um eine vorbildliche Frage und Antwort handelt. Ich bin der Meinung, daß darin viele Probleme enthalten sind und viele Probleme nicht genannt worden sind, die in dem Kontext hätten genannt werden müssen.

(Beifall bei der GAL und bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Ich beginne mit dem ersten Satz der Frage:

„Im Dezember 1984 gab der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Dr. Klaus von Dohnanyi, mit der Initiative des Senats ,Hamburg und das Erbe des Dritten Reiches‘ wichtige ,Anstöße für einen kritischen und auch selbstkritischen Umgang mit diesem Thema‘. In der Folge fanden Ausstellungen und Veranstaltungen statt, wurden vermehrt zeitgeschichtliche Forschungen... vorgelegt.“

Ich zitiere dazu aus einem Aufsatz von Peter Reichel, der vor wenigen Jahren erschienen ist, folgenden Satz:

„Ein unmittelbares Ergebnis dieser Initiative ist nicht leicht auszumachen. Langfristig und mittelbar dürfte sie aber immerhin manche Anstoßwirkung gehabt haben.“

Vorher hat Herr Reichel auf etwas hingewiesen, was ich jetzt auch tun werde, nämlich auf eine gewisse Vorgeschichte dieser Veranstaltung des Senats vom Dezember 1984.