Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Zamory, Sie haben recht.Ich habe gerade überlegt, ob ich mich überhaupt noch zu Wort melden sollte.
Es ist deutlich geworden, woran diese Untersuchung krankt. Tatsächlich wurde nur eine Minderheit befragt, deren interessante Auskünfte auch zu Protokoll genommen wurden; darauf komme ich noch zurück. Sie haben aber aus meiner Sicht die Ergebnisse dieser Studie in einer völlig unzulässigen Art und Weise verallgemeinert.
Aufgrund der Aussagen der Untersuchungsgruppe, die darauf hingewiesen hat, daß daraus Ableitungen nur schwer möglich seien, haben Sie auf Ihrer Pressekonferenz verkündet, chronisch kranke Menschen hätten in Hamburg eine hohe Lebenszufriedenheit. Das ist völlig unzulässig. Über die Lebenssituation aller anderen chronisch kranken Menschen, über die Herr Zamory gerade gesprochen hat, wird nichts gesagt. Diese Menschen haben nämlich nicht wie die Befragten die Möglichkeit, am gesellschaftlichen Leben so teilzunehmen, weil sie nur eingeschränkte Möglichkeiten haben. Von ihnen ist eine derartig hohe Lebenszufriedenheit sicherlich nicht zu erwarten. Deshalb haben Sie mit dieser unzulässigen Verallgemeinerung diesen Menschen einen unerhörten Schlag ins Gesicht verpaßt. Diese sollten Sie zurücknehmen und noch einmal relativieren.
Ich möchte auf einen vorherigen Einwand zurückkommen. Ein Untersuchungsergebnis ist wirklich interessant. Herr Zamory hat einen Teil der chronisch kranken Menschen als Elite bezeichnet. Ich weiß nicht, ob man in diesem Zusammenhang von Elite sprechen sollte. Aber selbst diesen Menschen, die ein hohes Maß an sozialer Kompetenz und Organisiertheit besitzen, sind Beratungsangebote in dieser Stadt nicht oder nicht in ausreichendem Maß geläufig.
Dieses Ergebnis, Frau Roth, ist doch durchaus blamabel. Es zeigt, wie Sie gerade mit dieser Personengruppe in Hamburg umgehen, wenn diese Menschen, die gut organisiert sind, die Beratungsangebote immer noch nicht kennen.
Die Studie ist deshalb auch nicht zu verallgemeinern, weil sie zwei ganz wichtige Aspekte mißachtet; darauf haben die Mitarbeiter auch schon hingewiesen. Sie mißachtet nämlich die schwindenden Einkünfte. Chronische Erkrankungen führen oft zu Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit und oft sogar zum Ausschluß aus dem Arbeitsleben. Das zieht neben allen sozialen und psychosozialen Folgen Kämpfe mit Krankenversicherungen, Rentenversicherungen, Gesundheitsämtern und Sozialämtern nach sich. Diese Kämpfe sind für gesunde Menschen – das haben wir immer wieder gehört – oft nicht ganz einfach; für kranke Menschen bedeuten diese Kämpfe oft unüberwindbare Hürden in dieser Stadt.
Chronisch krank sein heißt deshalb viel zu oft immer noch Verarmung, Isolation und Ausgrenzung aus dem gesellschaftlichen Leben. Und zwar nicht nur, weil diese Kämpfe mit den Ämtern so hart, sondern weil auch die Rahmenbedingungen für diese Menschen mies sind.
Noch immer sind nicht alle Krankheiten von den Rentenversicherungsträgern anerkannt, noch immer sind Ärzte
und Gesundheitsämter nicht in der Lage und nicht bereit, individuelle Situationen angemessen zu würdigen. Und noch immer gibt es für viele Menschen nur ein begrenztes Krankengeld und sind zu viele Menschen auch in Hamburg aufgrund ihrer Erkrankung auf Sozialhilfe angewiesen.
Diese Aspekte sind Grundlage für weitere individuelle Probleme; und das im 21. Jahrhundert in einer der reichsten Städte Europas. Das ist ein gesellschaftliches Armutszeugnis für diese Stadt.
Ich habe mich schon nach der Pressekonferenz über die Aussagen dieser Untersuchung sehr geärgert und daraufhin mit anderen Betroffenen geredet und sie gefragt, wie sie diese Ergebnisse sehen und was ihre Lebenszufriedenheit in dieser Stadt tatsächlich beeinträchtigt.
Diese Ergebnisse sind genauso wenig repräsentativ wie die Untersuchung. Aber sie läßt sich auf einen schlichten Nenner bringen:Die Beratungs- und Informationsangebote in der Stadt sind unbefriedigend. Das wird auch hier bestätigt. Der Umgang mit den Betroffenen durch die Krankenkassen, Ämter und Behörden in dieser Stadt ist eine Katastrophe. Wenn der Senat an der Lebenssituation chronisch Kranker interessiert ist, dann befragen Sie die Betroffenen doch einmal über den Umgang der Sozial- und Arbeitsämter mit ihnen.
Sie werden merken, daß es in diesen Bereichen viel zu tun gibt, damit alle chronisch Kranken mit ihrer Lebenssituation zufriedener sein können als bisher.– Vielen Dank.
Ich rufe nunmehr auf den Tagesordnungspunkt 4: Drucksache 16/4110: Große Anfrage der SPD über Prostitution.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Schätzungen gehen davon aus, daß sich in Deutschland zwischen 250 000 und 400 000 Frauen prostituieren. Täglich nehmen circa eine Million Freier die Dienste von Prostituierten in Anspruch. Freier sind fast ausschließlich Männer, während sich in der großen Mehrzahl Frauen prostituieren.
Prostitution ist nichts Neues, sondern begleitet die Geschichte der Menschheit schon lange. Der Umgang mit Prostituierten ist jedoch immer noch von einer tiefen Doppelmoral geprägt.Prostitution an sich ist nicht strafbar, aber der Vertrag zwischen einer Prostituierten und einem Freier gilt als sittenwidrig. Daher kann eine Prostituierte ihren Lohn nicht einklagen. Das hat zur Folge, daß Frauen sich auf anderen Wegen organisieren, um nicht um diesen Lohn geprellt zu werden.Dadurch wird die Zuhälterei begünstigt, die wiederum auch gesetzlich verboten ist.
Verboten ist auch die Förderung der Prostitution. Dieses Verbot hat zur Folge, daß in den Bordellen, in denen die Prostituierten gute Arbeitsbedingungen vorfinden, wo die
Sicherheit der Frauen gewährleistet und hygienische Bedingungen vorhanden sind, gegen Gesetze verstoßen wird. Die schmuddeligen Löcher hingegen, in denen niemand auf die Belange der Frauen acht gibt, fallen nicht unter das Verbot. Die Folgen dieses Verbotes waren gerade bei einem konkreten Fall in Berlin zu verfolgen.
Vor dem Verwaltungsgericht wurde die vom Ordnungsamt Wilmersdorf verfügte Schließung einer Bar verhandelt, da die Betreiberin im Hinterhaus Zimmer vermietet. Die Betreiberin verfolgt ausdrücklich das Ziel, daß Prostituierte ohne Zuhälter arbeiten können;sie stellt außerdem gute Arbeitsbedingungen her.Nach Auffassung des Wilmersdorfer Ordnungsamtes würde so der Unsittlichkeit Vorschub geleistet und die Prostitution gefördert. Daher wurde eine Schließung verfügt, gegen die sich die Betreiberin bis jetzt noch erfolgreich gewehrt hat.
Prostituierte können sich nicht wie andere gegen Krankheit und auch nicht gegen Arbeitslosigkeit versichern. Sie zahlen keine Beiträge zur Rentenversicherung und sind daher im Alter häufig auf Sozialhilfe angewiesen. Steuern zahlen müssen sie allerdings. Prostituierte haben Pflichten, aber keine Rechte; und das muß sich ändern.
Der unter der früheren CDU-/F.D.P-Koalition angewachsene Reformstau von 16 Jahren bedeutet auch 16 Jahre Untätigkeit gegenüber dieser Gruppe.Bereits zu Zeiten der früheren Bundesregierung hat es von der SPD und den Grünen Vorstöße gegeben, um die gesetzlichen Regelungen der Prostitution zu verändern. Dafür fand sich jedoch keine Mehrheit.
Die Frage der Anerkennung und Gleichstellung von Prostituierten wird auch im europäischen Ausland kontrovers diskutiert.
Holland ist bisher bei der Legalisierung der Prostitution am weitesten gegangen.Das Bordellverbot wurde aufgehoben und die freiwillige Prostitution legalisiert. Es ist das Hauptziel des holländischen Gesetzes, Prostitution wie jedes andere Gewerbe unter kommunaler Kontrolle zu reglementieren und der Stigmatisierung der Prostitution ein Ende zu bereiten. In Amsterdam wurde inzwischen einigen Unternehmen die Anerkennung als Gewerbebetrieb gewährt.
Den entgegengesetzten Weg geht Schweden. In Schweden ist die Ausübung der Prostitution legal, der Kauf von sexuellen Handlungen steht dagegen unter Strafe. Der schwedische Gesetzgeber ist der Auffassung, daß Prostitution gegen die Menschenwürde verstößt und daß man die Ausübung der Prostitution am besten dadurch unterbindet, wenn man die Freier mit Strafe bedroht.
Das hat zur Folge, daß die Anzahl der bekannten Prostituierten im Land gesunken ist. Dafür soll es inzwischen vor den Küsten Schwedens – außerhalb des Landes – Bordellschiffe geben, auf denen die Schweden ohne Androhung von Strafe die sexuellen Dienste von Prostituierten kaufen können.
Ich kann die Motive des schwedischen Gesetzgebers nachvollziehen, halte dies aber nicht für den richtigen Weg.
In der Illegalität sind die Prostituierten am wenigsten geschützt, denn sie haben keine Rechte. Gerade das muß geändert werden.
Prostitution ist kein Beruf wie jeder andere. Es ist nicht erstrebenswert, daß Menschen ihren Körper verkaufen und sexuelle Dienstleistungen anbieten.Viele von ihnen werden physisch und psychisch zerstört. Es ist kein Zufall, daß viele Prostituierte drogenabhängig sind.
Aber auch auf die Freier hat der Kauf von sexuellen Handlungen Auswirkungen.Die Männer, die zu Prostituierten gehen, sind deutsche Durchschnittsmänner. Sie haben häufig einen Ehering am Finger und einen Kindersitz im Auto.
Prostitution ist Ausdruck der Ungleichheit der Geschlechter und der Machtverteilung in dieser Gesellschaft. Männer sind das kaufende, Frauen, Kinder und Jugendliche sind das sich verkaufende Geschlecht.
Hamburg hat mit seiner über Jahrhunderte währenden Tradition als Hafenstadt schon immer mit der Ausübung der Prostitution zu tun gehabt. Hier wird versucht, durch eine Sperrgebietsverordnung die Ausübung der Prostitution auf bestimmte Stadtgebiete zu begrenzen.
Prostitution in Hamburg – das belegt auch die Antwort des Senats auf unsere Große Anfrage – findet in verschiedenen Formen und in einem erheblichen Ausmaß statt. Der Senat hat Zahlen genannt; er geht von 3700 weiblichen und 220 männlichen Prostituierten in Hamburg aus. Ich schließe nicht aus, daß es darüber hinaus noch mehr Frauen und Männer gibt, die sich illegal prostituieren, weil sie entweder minderjährig sind oder sich illegal in Deutschland aufhalten.
Über die Bekämpfung des Frauenhandels, der sich überwiegend in den sogenannten Modellwohnungen abspielt, haben wir im Parlament und in den Ausschüssen intensiv beraten.Dank der erfolgreichen Bekämpfung durch die Polizei und der Beratungsangebote hat der Frauenhandel abgenommen. Aber ausländische Prostituierte werden weiterhin zwangsweise verschleppt und sind damit gegen ihren Willen hier.Die jeweiligen Grenzen zwischen der Bundesrepublik und Polen sowie zwischen den USA und Mexiko stellen mit einem Verhältnis von eins zu zehn die weltweit größten Einkommensgefälle für die Menschen dar. Das heißt, das deutsche Durchschnittseinkommen ist zehnmal höher als das polnische; das gilt ebenso für die USA gegenüber Mexiko.Armut ist ein Motiv, in Deutschland als Prostituierte Geld zu verdienen.
Hamburg hat schon 1987 vorausschauende Zwangsuntersuchungen von Prostituierten abgeschafft. Diese entwürdigende Prozedur taugte nichts; die Gruppe der illegal arbeitenden Prostituierten wurde nicht erfaßt. Ohnehin erscheinen viele Prostituierte freiwillig bei den Ärzten, weil sie ein Interesse an ihrer Gesundheit haben. Ein gesunder Körper ist ihr höchstes Gut. Seit 1987 muß ein konkreter Verdacht vorliegen, um zur Untersuchung vorgeladen zu werden.Die neue Bundesregierung folgt diesem Weg.