Protokoll der Sitzung vom 24.05.2000

(Glocke)

Frau Abgeordnete, das Wort Quatsch wollen wir doch vermeiden.

(Mißfallensbekundungen aus dem ganzen Hause)

Herr Erdem, wir wollen dieses Asylrecht nicht abschaffen. Herr Schily, unser Bundesinnenminister,

(Barbara Duden SPD: Ihrer auch!)

hat dieses doch schon vor längerer Zeit angestoßen, daß man nämlich all diese Regelungen auf europäischer Ebene regeln muß, wie wir übrigens auch ein Einwanderungsgesetz mit unseren europäischen Kollegen absprechen müssen, denn auch da werden alle aufpassen, daß wir nicht irgend etwas machen, was unsere europäischen Nachbarn betrifft. Ich will es hier noch einmal sagen, weil es mich wirklich ärgert. Die Debatte mit der SPD ist im Moment wirklich besser zu führen, und ich habe fast den Eindruck, daß sie beide sich einmal in der Koalition damit auseinandersetzen sollten, damit wir wirklich zu Regelungen kommen, die auch den Namen verdienen. – Danke.

(Beifall bei der CDU – Peter Zamory GAL: Das ma- chen wir doch ständig!)

Dann bekommt das Wort die Abgeordnete Goetsch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe heute viel zur Integrationspolitik gehört, aber leider nur sehr wenig zur Arbeit. Herr Grund hat das dann zwar noch etwas relativiert, aber bei Ihnen, Frau Roth, finde ich viel zu große Ängstlichkeit vor. Es geht hier um Ausschluß von Arbeit.Wir haben über Zusammenleben geredet, und wer zusammenlebt, der muß für eine bestimmte Zeit, die er hier lebt, auch arbeiten dürfen. Es gibt diese Konkurrenz nicht, Herr Grund, das ist nicht richtig.

(Uwe Grund SPD: Natürlich gibt es die!)

Natürlich sind wir für eine gesteuerte Zuwanderung, und natürlich heißt Steuerung auch, daß es Regelungen geben muß.Aber wenn Sie einmal das Zitat von Herrn Rau hören, der sagt, daß 70 000 Experten viel zuwenig sind, und den Arbeitskräftemangel in diesem Land betont, dann ist es dringend nötig, Regelungen zu finden, dieses Arbeitsverbot aufzuheben, zu erleichtern für die Menschen – ich zitiere immer wieder Beispiele –, die hier teilweise acht, neun Jahre leben und immer noch nicht arbeiten dürfen. Sie wollen arbeiten und nicht von der Sozialhilfe leben, und dazu muß es Lösungen geben.

(Beifall bei der GAL)

Gott sei Dank ist die rotgrüne Regierung in Bonn dabei, Lösungen zu finden, daß dieser Blödsinn aufhört. Wir haben ein völlig unübersichtliches Arbeitsgenehmigungsrecht, das in diesem Zusammenhang dringend reformiert werden muß, und zwar mit Lösungen ohne Vorrangigkeitsprüfungen. Auch die Mitarbeiter des Arbeitsamtes sagen, daß es ein Wahnsinn sei, was da bürokratisch gemacht wird. Insofern mahne ich noch einmal diese Weltoffenheit an, daß entsprechend dem Fachkräftebedarf auch reagiert wird und dieses Arbeitsverbot geändert wird. – Danke.

(Beifall bei der GAL und bei Elisabeth Schilling SPD)

Weitere Wortmeldungen sehe ich zu diesem Thema nicht.Dann rufe ich nunmehr für noch acht Minuten das dritte, von der SPD-Fraktion angemeldete Thema auf:

Beratungsangebote für chronisch kranke Menschen in Hamburg

Wird dazu das Wort gewünscht? – Das ist der Fall. Der Abgeordnete Kretschmann hat das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen! Wie fühlen Sie sich? – Ich hoffe gut, aber ungefähr 16 Prozent aller Hamburger und Hamburgerinnen können dies leider nicht sagen. Sie leiden an chronischen Erkrankungen. Wer kennt ihn nicht, den Zuckerkranken, der sich Insulin spritzen muß, den Rheumakranken, der sich kaum bewegen kann, die gelähmte Schlaganfallpatientin oder einen HIV-positiven Menschen. Dies sind nur wenige Beispiele, was einen alles in unserer ach so modernen Gesellschaft plagen kann. Diese Menschen haben sich diese Krankheiten nicht ausgesucht und nicht gewünscht.

Die BAGS hat sich über die Lebensumstände der kranken Menschen eine Studie erstellen lassen. Es ist gut, daß Hamburg die chronisch kranken Menschen nicht alleine läßt und bei den Betroffenen direkt nachfragt. So unter anderem, in welchen Verhältnissen sie leben und welche Wünsche sie haben. Ohne hier auf die Einzelheiten einzugehen, zeigt sich, daß die Menschen trotz ihrer Erkrankung mit ihrem Leben zufrieden sind, auch wenn sie es oft um ein Vielfaches schwerer haben als die sogenannten gesunden Menschen.

So empfinden chronisch kranke Menschen Faktoren, die auch gesunde Menschen beeinträchtigen, oft als eine zusätzliche Last. So stören sie besonders Flug- und Verkehrslärm oder Luftverschmutzungen.Die Befragten leiden zudem besonders auch unter unfreundlichen Nachbarn. Unverständlich, wenn jemand schon krank ist, warum man

(Uwe Grund SPD)

dem auch noch einen Tritt geben muß. Das kann ich nicht nachvollziehen.

Überraschend gut schneiden die behandelnden Ärzte ab. Sie nehmen sich Zeit für ihre Patienten und Patientinnen. Dennoch wünschen sich die Diabetes-Patienten mehr spezialisierte Ärzte. Insgesamt aber läßt sich feststellen, daß die ambulante medizinische Versorgung in Hamburg für Menschen mit chronischen Erkrankungen ausreichend ist.

Nachdenklich stimmen muß hingegen, daß die Beratungsangebote nicht genügend bekannt sind. Dies ist erstaunlich, gibt es doch gerade in Hamburg eine Vielzahl von Beratungsstellen und telefonischen Beratungsangeboten. Als Anlaufstellen dienen die Beratungsstelle Gesundheit und die Gesundheitslotsen der BAGS sowie die Patientenberatung der Verbraucher-Zentrale, gefördert mit fast 500 000 DM. Die Mehrzahl der Befragten hatte keine Informationen über finanzielle Hilfen, über praktische Hilfen im Alltag oder über das Beratungsangebot der Stadt erhalten. Die Unkenntnis trifft offenbar selbst auf die Mitglieder von Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen zu. Hier muß verstärkt Öffentlichkeitsarbeit erfolgen. Gerade auch die neuen Medien können sehr zur Transparenz des Angebotes beitragen. So bietet die Homepage der BAGS alle Broschüren über chronische Erkrankungen zum Download an und ist damit sogar umfangreicher als das Angebot des Bundesgesundheitsministeriums. Multiplikatoren, Ärzte und Selbsthilfegruppen – hier vor allem die Kontakt- und Informationsstelle KISS, unterstützt durch die Freie und Hansestadt Hamburg mit über 1,1 Millionen DM – müssen besser und umfassender über das Beratungsangebot informiert sein und ihre Informationen auch weitergeben.

Die Informationen müssen Patienten und Patientinnen so früh wie möglich erreichen. Daß ein besonnener und informativer Umgang mit Krankheit möglich ist, zeigt sich immer wieder im Aidsbereich. Massive öffentliche Aufklärungsund Informationskampagnen haben den Umgang einer gesamten Generation mit dem Thema Aids geprägt.Die Aidsberatungsstellen haben hierbei eine große Kommunikationsleistung zu erbringen. In diesem Sinne ist die heutige Debatte ein Beitrag, das Thema chronische Erkrankung nicht immer nur zu verdrängen. Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, bleiben Sie gesund. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Das Wort erhält sodann die Abgeordnete Jürs.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die vorliegende Studie zur Lebenssituation von Menschen mit chronischen Krankheiten begrüße ich sehr. Die Ergebnisse haben gezeigt, daß es eine Notwendigkeit war, die Betroffenen nach ihrer Beurteilung der eigenen Situation zu befragen und dabei gleichzeitig abzurufen, wie die Angebote und die Möglichkeiten, die die Stadt Hamburg für chronisch kranke Menschen hat, die Betroffenen erreichen.

Es gibt in unserer Stadt sehr viele Hilfsmöglichkeiten, die chronisch Kranken das Leben erleichtern. Einerseits die spezielle ärztliche Versorgung – ich denke da besonders an die Schulungen für Diabetiker im AK Barmbek, die vielen an Diabetes erkrankten Menschen eine Teilnahme am normalen Leben ermöglichen –, andererseits die hervorragenden Rehabilitationseinrichtungen für Schlaganfallpatienten, die ausgereifte Rheumadiagnostik, die vielfältigen finanziellen Hilfen zu Wohnungsanpassungen oder

die Begleitung in Selbsthilfegruppen und deren finanzielle Unterstützung.

Die Studie ist sicherlich von Bedeutung und sollte aber bitte nicht, wie die meisten Gutachten, ein Schubladendokument werden. Ich hoffe und wünsche, daß diese Studie ein Beitrag dazu ist, die vielfältigen Hilfsmittel publik zu machen.Dennoch ist es – wie in anderen Lebensbereichen auch – die Massenträgheitskomponente, die überwunden werden muß, um die vielen Informations- und Hilfsangebote an die chronisch erkrankte Frau und den chronisch erkrankten Mann zu bringen.

Der seit einem Jahr aktive Arbeitskreis in Stellingen hat hier eine Barriere durchbrochen und gezeigt, daß mit Hilfe der Vernetzung aller Beteiligten, wie Ärzte, Krankenhäuser, Apotheken und so weiter, eine gezielte und umfangreiche Information über die Hilfsangebote erfolgen kann.

Weiter geht aus der Studie hervor, daß es erforderlich ist, in allen Hamburger Stadtteilen entsprechende Arbeitskreise einzurichten. Ich fordere daher die BAGS auf, ein Konzept zu erarbeiten, wie diese Idee aus Stellingen in den anderen Stadtteilen umgesetzt werden kann.

Was mich jedoch an der Studie betroffen macht, ist die Tatsache, daß die Kranken sich über die mangelnde Sicherheit in unserer Stadt beklagen. Diese Äußerung hat besonderes Gewicht und muß in der weiteren Planung Berücksichtigung finden. – Danke.

(Beifall bei der CDU)

Dann bekommt das Wort Frau Senatorin Roth.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist in der Tat so, daß diese Studie für uns ein wichtiger Hinweis dafür ist, wie sich die Menschen, die chronisch erkrankt sind, in unserer Stadt fühlen und was sie meinen, was noch fehlt und was ausreichend ist.

Ich fand sehr bemerkenswert, daß die chronisch kranken Menschen in unserer Stadt, obwohl es sehr unterschiedliche Personengruppen sind – Rheumakranke sind anders zu sehen als zum Beispiel Schlaganfallpatienten –, daß sie summa summarum sagen, ihre Lebenszufriedenheit sei gut, obwohl sie mit der Krankheit ein ganzes Leben leben müssen. Das heißt, sie haben die Verarbeitung ihres Schicksals geleistet.Dazu gehören aus meiner Sicht vor allen Dingen unser gutes infrastrukturelles Programm und die Selbsthilfegruppen, aber auch – das ist wichtig – die Unterstützung durch die Ärzte. Die Ärzte bekommen in dieser Studie ein sehr gutes Urteil von seiten der Patientinnen und Patienten. An der Stelle muß auch einmal gesagt werden, daß es nicht so ist, daß die Ärzte für diese Patienten keine Zeit haben. Sie nehmen sich für diese Patienten Zeit, und das ist gut so.

Die Lebenssituation ist also gut, die Wohnungssituation ist ebenfalls gut und auch die Situation der Versorgung, das heißt mit Hilfsmitteln. Ein Problem ist – das haben wir erkannt, und insofern, Frau Jürs, landet das nicht in der Schublade – das Thema der Information. Wir haben in Hamburg vieles, aber das eine oder andere ist eben nicht bekannt.Der Arbeitskreis und die Koordination in Stellingen sollen gerade dazu beitragen, stadtteilbezogen diese Informationen zu verbessern und auch eine Koordinierung zwischen den unterschiedlichen Akteuren zu erreichen.

(Lutz Kretschmann SPD)

A C

B D

Ich gehe davon aus, daß wir erstens eine zentrale Anlaufstelle haben, durch die man sich weiterverbinden läßt, damit auch die Unübersichtlichkeit nicht mehr vorhanden ist, und zweitens, daß diese positiven Ansätze in Stellingen auch auf andere Stadtteile übertragen werden. Es ist klar, daß es nicht nur darum geht, daß man viel vorhält, sondern es geht um die Frage, wie das bei den Menschen eigentlich ankommt. Es geht also nicht nur um Menge, sondern um Qualität und vor allen Dingen um die Frage, ob es so, wie wir es organisiert haben, richtig organisiert ist.

Wir erhoffen uns von diesem Projekt in Stellingen Hinweise für weitere Organisationsentwicklungen auf diesem Gebiet. Insofern kann ich Ihnen versprechen: Sollte dieses vernünftig weitergehen, werden wir prüfen, das auch in anderen Bereichen umzusetzen. Insofern gibt es in diesem Zusammenhang, was das Thema Organisationsveränderung angeht, auch keinen Dissens. Ich denke, wir sind es den Menschen schuldig, die chronisch krank sind, denn sie müssen mit dieser Krankheit leben. Deshalb sollten wir alles tun, ihre Befindlichkeit noch ein bißchen zu verbessern.

(Beifall bei der SPD, der GAL und der CDU)

Meine Damen und Herren! Wir sind in der Redezeit nach Paragraph 22 Absatz 3 der Geschäftsordnung. Das Wort bekommt der Abgeordnete Zamory.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Leider kann ich in die positive Grundstimmung meiner Vorredner und Vorrednerinnen in bezug auf diese Studie nicht so recht einstimmen. Wir wissen jetzt – damals schon erklärt in der Pressekonferenz der BAGS bei der Vorstellung dieser Studie und hier noch einmal wiederholt –, daß Rheumatiker, Diabetiker, Schlaganfallpatienten, auch Aphasiker eine hohe Lebenszufriedenheit mit der medizinischen Versorgung in dieser Stadt haben. Alles gut und schön, aber man muß einmal deutlich sagen, daß chronisch Kranke auch eine Hierarchie innerhalb ihrer Gruppe haben. Mir ist völlig unverständlich, warum die psychisch Kranken, die Tumorkranken, die Suchtkranken, die Aidskranken, die Multiple-Sklerose-Kranken, die Demenzkranken oder ihre Angehörigen, die Unfallopfer oder die Schmerzkranken, die nicht an Rheuma leiden, überhaupt nicht in diese Studie mit einbezogen wurden.

Es wurden – das möchte ich einmal polemisch sagen – die am besten versorgten und organisierten chronisch Kranken gefragt. Aber diejenigen, die am Rande der Gesellschaft stehen und zu ihren chronischen Erkrankungen zusätzlich erhebliche Probleme haben, wurden gar nicht erst in diese Studie einbezogen.Der Ansatz, chronisch Kranke direkt zu fragen, was sie von ihrer Wohn- und Lebenssituation sowie von ihren Ärzten halten, ist völlig richtig und unbestritten.

Mir ist aber völlig unklar, warum in der Auswahl der Befragten meiner Meinung nach nur die „Elite“ der chronisch Kranken befragt wurde. Auf die Aphasiker trifft dieser Vorwurf vielleicht nicht so zu, aber auf die Organisierten in der Rheumaliga und in den Diabetesgruppen sehr wohl.

Deswegen möchte ich wissen, wieviel Geld diese Studie gekostet hat und warum nicht einmal ansatzweise andere Patienten mit chronischen Erkrankungen einbezogen wurden und ob es nicht eigentlich eine zweite Studie geben müßte, die diese Gruppen befragt.

(Beifall bei der GAL, vereinzelt bei der SPD und bei Julia Koppke REGENBOGEN – für eine neue Linke)