Protokoll der Sitzung vom 06.09.2000

(Dietrich Wersich CDU: Sie lernen dazu!)

Ihr solltet es euch noch einmal durchlesen, was wir damals gemeinsam gesagt haben.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Die größte Katastrophe für den Länderhaushalt ist in dem Entwurf des mittelfristigen Finanzplans 2000 bis 2004 noch

(Anja Hajduk GAL)

gar nicht enthalten, sondern die große Katastrophe der Ausfälle wird erst in den Jahren 2005 und 2006 kommen. Diese Versprechungen sind gegenwärtig von Herrn Schröder und der rotgrünen Regierung gegeben worden. Sie werden bereits materielle Wirklichkeit, die wir noch gar nicht ahnen.Jeweils noch einmal eine Absenkung von über 1 Milliarde DM ist wahrscheinlich. Wir kennen die Zahlen noch nicht genau. Das heißt, jedes Jahr müssen noch einmal 10 Prozent bei allen Ausgaben gekürzt werden.Wer will das eigentlich verantworten, und wer hat etwas ganz anderes versprochen?

(Dr. Michael Freytag CDU: Das kriegt der Senat schon hin!)

Das ist aber nur ein Teil, der die große Krise ausmacht. Ein anderer ist die wachsende Anzahl von Nebenhaushalten, die schon von Herrn Dr. Freytag angesprochen wurde. Ein Beispiel ist die Investition in Altenwerder, die gegenwärtig über die unerträgliche Belastung der Entwicklung der HafenCity finanziert wird. Das Geld wird schon ausgegeben, obwohl keiner weiß, wie es eigentlich hereinkommen soll. Alle Städtepolitiker und Wissenschaftler sagen uns, daß das ein Stadtteil gar nicht vertragen kann. Wir werden die nächste Katastrophe in Altenwerder erleben, wo Geld, das gegenwärtig verbuddelt wird, noch nicht gegenfinanziert worden ist. Das ist unerträglich.

Die gleiche Situation wird im Zusammenhang mit der DASA und dem Bau des A3XX entstehen. Wir werden darüber in der nächsten Sitzung noch genauer diskutieren. 1,1 Milliarden DM sind aber als Riesensumme schon einmal genannt worden.Wie wir die Entwicklung solcher Investitionen kennen, wird sie sicher noch größer werden. 600 Millionen DM werden im wesentlichen dafür ausgegeben, daß man ein ökologisch äußerst wertvolles Gebiet, das lediglich mit Sand aufgeschüttet wird, opfert. Das kann man natürlich nicht Investition nennen. Das sind unsinnige Geldausgaben, die sich im finanzpolitischen Sinne nicht refinanzieren lassen. Das Geld wird also rausgeschmissen.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Es gibt, wie wir alle wissen, ein völlig unsicheres Projekt. Keiner weiß, wie die Strukturen von Airbus sein werden. Keiner weiß, ob das Flugzeug überhaupt gebaut wird.Hamburg droht gegenwärtig zu bauen – das ist die Hauptgefahr –, ohne daß wir die Entscheidungsprozesse abwarten. Es gibt so viele Unsicherheitsmomente, daß nicht nur Altenwerder den Sozialdemokraten und Rotgrün auf die Füße fallen wird, sondern auch dieses Projekt. Da bin ich mir sicher.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Damit wird auch ein Weg in Gang gesetzt und wieder aktiviert, der die gleichen Voraussetzungen hat, die wir gesehen haben, als die Grüne Alternative Liste entstanden ist: Ein größenwahnsinniger Kern, der damals die riesigen Projekte wollte, der sagte, Altenwerder muß unbedingt kommen, wir brauchen den großen neuen Hafen. Genau dieselbe Situation haben wir augenblicklich: Größenwahnsinnige Großprojekte, und die gegenwärtigen vorhandenen Ressourcen werden nicht ausreichend beachtet. Damals war es Altenwerder, jetzt wird das nächste Dorf plattgemacht, und zwar Neuenfelde, wo mit ökologischem Landbau viel erreicht worden ist. Es ist unverantwortlich, was Rotgrün hier macht.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Es ist unverständlich, warum sich meine alte Partei gerade an so etwas beteiligt.

Ich will nicht alle Fragen, die hier angesprochen worden sind, in einer großen Rede behandeln. Ich merke, daß die Stimmung dafür nicht richtig ist, und nenne deshalb nur einige Schlagworte. Die Haushälter sollten sich nicht nur immer an den Zahlen, sondern an der Wirklichkeit in dieser Stadt orientieren. Da müssen wir vor allen Dingen feststellen, daß diese Stadt in weiten Bereichen kaputt gespart worden ist.

Ich möchte Ihnen einen Brief vorlesen, der mir in diesen Tagen vom Sozialamt, Ortsdienststelle St.Pauli, zugegangen ist. Vielleicht macht er Ihnen deutlich, welche augenblicklichen Zustände mittlerweile in solchen Dienststellen aufgrund der Sparvorgaben existieren. Es handelt sich um die Anfrage eines behinderten Sozialhilfeempfängers zu seinen Leistungen. Dazu schreibt die verantwortliche Sachbearbeiterin:

„Sehr geehrte Damen und Herren! Herr K. ist zur Zeit nicht hier. Da ich die letzten zwei Wochen ebenfalls nicht im Dienst war, kann ich Ihnen zu dem Fall keine sachdienlichen Hinweise geben. Auch ist die zuvor für den Fall zuständig gewesene Frau B. nicht mehr hier beschäftigt, so daß ich dort auch keine Informationen einholen kann. Leider ist auch die zuständige Abteilungsleiterin Frau R. seit drei Wochen nicht hier, so daß ich Ihnen derzeit nicht weiterhelfen kann. Da ich derzeit mit meinem eigenen Aufgabenbereich völlig überlastet bin, kann ich keine zusätzlichen Aufgaben übernehmen. Über welchen Sachverhalt benötigen Sie noch Informationen? Eine entsprechende Anfrage kann ich dann im Rahmen der noch zu klärenden Postvertretung für die unbesetzten Sachgebiete berücksichtigen.“

Das ist doch atemberaubend, da sind gewisse Strukturen zusammengebrochen, auf die die SPD einmal in irgendeiner Form stolz war.Es gibt keine Antworten mehr.So wird mit dem Bürger umgegangen. Das spürt er persönlich, und das spürt man auch in diesen Briefen.

Ein zweites Beispiel: Öffentliche Bücherhallen. Wir sitzen gegenwärtig in einer Bildungsoffensive. Die Öffentlichen Bücherhallen in Hamburg waren in den Sommerferien geschlossen.

(Barbara Duden SPD: Nicht alle!)

Das ist eine unvorstellbare Situation. Man spricht von Bildungsoffensive, und die eigenen Sachen rotten in den Händen zusammen.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke und der CDU – Zurufe von der CDU: Zugabe!)

Und noch eine Sache, die mir sehr wichtig ist: Herr Ehlers hat uns eine Statistik zu den bereinigten Gesamtausgaben gegeben, die wir uns sehr deutlich ansehen sollten. Diese Bilanz ist natürlich sehr wichtig für Rotgrün.Herr Ehlers hat, was auch sein Recht ist, im wesentlichen dargestellt, wofür mehr Geld ausgegeben wurde. Ich führe Ihnen vor, wofür vor allen Dingen weniger Geld ausgegeben worden ist.

(Anja Hajduk GAL: Und was heißt das?)

Es wurde ein überproportionaler Anteil – aufgeführt in dieser Statistik –, nämlich 270 Millionen DM, im Bereich Soziales eingespart. Des weiteren wurde im Umweltbereich gespart. Soweit zur rotgrünen Regierung und ihrer zentralen Sparpolitik.

(Glocke – Anja Hajduk GAL: Ich möchte gern eine Zwischenfrage stellen!)

Gern.

(Norbert Hackbusch REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Herr Hackbusch, ich habe eine Frage an Sie. Sind wir uns darin einig, daß die Tabelle, die wir wie eine Seminarunterlage für die heutige Debatte bekommen haben, nicht zwingend Einsparungen im Sinne von Kürzungen meint, sondern verringerte Ausgaben?

(Lachen bei REGENBOGEN – für eine neue Linke und bei der CDU)

Wie bewerten Sie, daß weniger Menschen in dieser Stadt Sozialhilfe brauchen?

Auf diese Frage will ich natürlich eingehen.

Die wesentliche Grundlage, auf die Sie und auch Herr Ehlers stolz hingewiesen haben – das ist ein wichtiger Posten in allen Haushaltsplänen der letzten Jahre gewesen –, ist, daß für die Jahre 2000 und 2001 zusätzlich 5000 beziehungsweise 3000 Menschen, die von der Sozialhilfe leben, in Arbeit gebracht werden.

Diese Aussage ist durch nichts belegt. Die Sozialbehörde und ihre Sozialhilfedienststellen haben keine Informationen darüber, ob diese Menschen arbeiten oder ob sie dort nicht erscheinen, um ihre Interessen und ihr Geld einzufordern.

(Dr. Martin Schmidt GAL: Aber du weißt es!)

Wir wissen das durch verschiedene Fragen, daß Sie dafür keine Grundlagen haben. Die BAGS weiß nur, daß diese 5000 Menschen keine Sozialhilfe mehr beantragen.Das ist das einzige, was sie weiß. Die Darstellung im Haushalt, diese Menschen würden jetzt arbeiten, ist unzulässig, nicht korrekt und ist dementsprechend nicht richtig.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Wenn Sie sich unsere Stadt betrachten, sehen Sie selbst – das können nicht nur sozialdemokratische Augen erkennen –, daß es hier mehr Verelendung gibt. Sehen Sie sich doch einmal das Elend vor dem Gebäude des DGB und die Verhältnisse an der Sternschanze an, wie es diesen Menschen geht.Man sieht dort Verelendung und weiß, daß diese Menschen nicht mehr zu den Sozialämtern gehen, um ihr Recht auf Sozialhilfe wahrzunehmen. Als Kriterium zu nehmen, diese Menschen würden auch arbeiten, ist zumindest naiv. Ich empfinde es aber noch als viel schlimmer: Es ist gelogen und falsch dargestellt.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Wir werden dieses Problem zu einem wichtigen Thema machen, wenn über die wesentlichen Sparvorgaben gesprochen wird, denn die Bilanz dieses Haushalts ist unsozial. Darüber werden wir in der Debatte noch weiter diskutieren.

Der Haushalt ist auch nicht in der Lage, die wichtigen existentiellen Fragen der Zukunft zu lösen.Das habe ich schon im Zusammenhang mit den riesigen Einnahmeausfällen gesagt, die in den Jahren 2005 und 2006 auf die Stadt zukommen werden. Der Senat ist dann – wie auch andere Kommunen – nicht in der Lage, gegen die Erpressungen, die Konzerne wie die DASA zuungunsten aller anderen Beschäftigten und Lebenden in dieser Stadt machen und aufgrund dessen sie ihre Riesenforderungen einlösen können, irgendein Argument oder eine Initiative zu finden.Nicht einmal die SPD wagt zu benennen, daß natürlich eine große Erpressung vorliegt, wenn 1,1 Milliarden DM für die DASA aufgebracht werden müssen, die durch nichts zu rechtfer

tigen sind, außer, daß sie in der Lage sind, uns zu erpressen.

Wir stellen fest, daß es Menschen in dieser Stadt katastrophal schlecht geht und daß die Verelendung zunimmt. Und zwar nicht nur dort, wo dies sichtbar ist, sondern auch durch die Existenz schlechter Arbeitsverhältnisse.Wir werden darüber diskutieren müssen, wie weit die öffentliche Hand mit den Sparvorgaben genau dies unterstützt, indem sie Aufträge an Leiharbeitsfirmen vergibt, die Mitarbeiter mit 10 oder 11 DM pro Stunde beschäftigen. Das darf nicht mehr geschehen, denn diese Praxis ist unsozial.

(Petra Brinkmann SPD: Was ist das denn? Belegen Sie das doch mal!)

Das belege ich. Ich weiß, daß Ihnen unter anderem ein ehemaliger Innensenator als Geschäftsführer eines Sicherheitsunternehmens diese Zahlen nennen kann. Er ist genau mit dieser Situation konfrontiert worden. Das wird Ihnen durch Ihre eigenen Parteimitglieder belegt werden, wenn wir in Kürze darüber diskutieren.

Es wird auch weitere Zuwanderung nach Hamburg geben. Weil wir in einer Zeit leben, in der man von Globalisierung spricht und in der die internationalen Finanzmärkte geöffnet werden, Deutschland vor allen Dingen von der Exportwirtschaft lebt und es internationale Warenströme gibt, kann man machen, was man will: Die Zuwanderung wird zunehmen. Jeder, der etwas anderes behauptet, ist fahrlässig und politisch naiv.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Für diese Zuwanderung und die damit verbundenen Probleme benötigen wir genügend Geld, um diese Menschen aufnehmen zu können.Wir sehen die Bereitstellung dieses Geldes gefährdet und halten zusätzliche Anstrengungen im Bereich der öffentlichen Ausbildung für notwendig. Gerade im Grundschulbereich wurden Differenzierungen aufgelöst; die Gruppen der Kindertagesstätten sind zwar nicht größer, aber durch die verlängerten Öffnungszeiten sind die Belastungen für das Personal angestiegen. Gegenwärtig sind Sie nicht in der Lage, diese Probleme zu lösen.