Das heißt, wenn wir Tatbestände, die von den Menschen als Probleme empfunden werden, tabuisieren, schaffen wir ein Pulverfaß, das irgendwann knallt, weil die Menschen das Gefühl haben, daß wir nicht mehr ihre Sprache sprechen.
Herr von Beust, Ihr Redebeitrag reizt in der Tat, darauf zu antworten. Deswegen will ich versuchen, für meine Fraktion darauf einzugehen.
Sie haben zunächst einmal davon gesprochen, daß die Autorität des Staates bedroht sei oder viele Menschen das als solches empfinden und daß es darum geht, die Autorität des Staates zu stärken. Darin besteht zwischen uns kein Unterschied. Es gibt Null-Toleranz gegen rechtsradikale Gewalt und gegen Ausländerfeindlichkeit. Es ist aber eine andere Frage, ob Demokraten der Meinung sind, daß sie mit den bestehenden Gesetzen ein Problem lösen können, oder ob sie glauben, für Neonazis Gesetze machen zu müssen, die auch alle anderen Bürger treffen.
Ich möchte ausdrücklich sagen, daß ich für meine Fraktion dafür plädiere und, ich denke, auch für viele andere in diesem Hause: Autorität des Staates und Repression gegen Gewalt ja, aber immer auch Liberalität und Toleranz.Das ist schwierig, das räume ich ein, besonders in einer solchen Debatte. Der Mühe einer solchen Debatte sollten sich aber die Parteien hier im Hause auch ernsthaft unterziehen.
Zweitens haben Sie darauf hingewiesen, daß Sie schnelle Reaktionen wollen. Wir alle wollen schnelle Reaktionen. Dieses Parlament hat eine lange Debatte über Jugendkriminalität und über Beschleunigung von Verfahren hinter sich.Wir müssen uns in diesem Fall wiederum einer langen Debatte über angemessene Reaktionen und Rechtsstaatlichkeit sowie über konsequentes Handeln stellen und hinnehmen, daß der Rechtsweg ausgeschöpft wird. Wir müssen versuchen, Liberalität, Toleranz und konsequentes Handeln zu verbinden, auch wenn es manchmal schwerfällt,
Ich gebe Ihnen recht, daß sich über manches noch diskutieren läßt, was man noch verbessern könnte.Der Ruf nach Gesetzesänderung als Antwort auf Rechtsradikalismus ist zu wenig, das war der wesentliche Punkt, den Sie bisher genannt haben.
Ich komme zu Ihrem dritten Punkt, den ich für viel problematischer halte; dabei unterscheiden wir uns möglicherweise viel weiter, als es offenbar bisher zutage getreten ist.
Seitens der REGENBOGEN-Gruppe wurde hier gesagt – und das weise ich von dieser Stelle zurück –, daß der Faschismus, der Rechtsradikalismus und die Neonazis ihren Ausgang aus der Mitte der Gesellschaft nehmen. Das ist Unsinn. Es gibt in jeder Gesellschaft ein Gewaltpotential, auch in unserer. Es gibt Dumpfheit, Ausländerfeindlichkeit und Rassismus. Es gibt jetzt in dieser Situation eine neue Gewalt, aber sie geht nicht von der Mitte der Gesellschaft aus, sondern sie reicht weit in die Gesellschaft hinein, das mag sein, aber nicht umgekehrt.
Es ist nicht so, daß Politiker – auch wenn ich ihre Äußerungen nicht teile –, ob in Hessen oder Bayern, den Rechtsradikalismus erzeugen, sie bedienen vielleicht Ressentiments, und das ist ein schwerer politischer Fehler, der bekämpft werden muß.
Aber wir müssen uns auch – das sage ich ausdrücklich, denn bis hierher sind wir uns einig – mit Ressentiments auseinandersetzen. Die Aufgabe der Politik ist es, Antworten auf die Probleme zu geben, die die Menschen in ihren Ressentiments sehen.
Es ist eine sehr interessante Frage, ob die richtige Antwort auf Ausländerfeindlichkeit vor Ort, Probleme in der Schule mit Ausländerkindern wegen mangelnder Sprachkenntnisse et cetera lautet: Mehr Deutsch, oder müßte nicht die richtige Antwort lauten:Wir alle in dieser Gesellschaft brauchen eine neue Debatte über die Ausländerintegration, die Zuwanderung und darüber, was wir als Anerkennung von Ausländern wollen. Ist nicht das der Weg der Integration, anstatt einfach zu sagen, zu wenig Deutsch ist eben zu wenig deutsch? Das geht zu leicht, um es mal klar zu sagen, in jene chauvinistische Ecke.
(Ole von Beust CDU: In Chinatown reden sie auch Englisch! Da müssen wir vorsichtig sein. Konzepte zur Lösung ja, aber keine einfachen Konzepte. Darüber hier zu streiten, lohnt sich. Als letzten Satz möchte ich dazu das Zitat eines bekannten Politikers nennen, dessen Geburtstag heute wäre und der Ihnen nahesteht: „Man sollte nie einfach reden, man sollte immer kompli- ziert denken.“ Das war Franz Josef Strauß. (Beifall bei der SPD und der GAL)
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir reden darüber, wie sich Rechtsstaat und Demokratie in der gegenwärtigen Situation verteidigen.Ich gebe zu, daß ich die Verteidigung des Rechtsstaates durch die Umwandlung der Untersuchungshaft in eine Strafhaft für Unsinn halte, Herr von Beust.
Ich bin aber auch der Meinung, daß wir über gesellschaftliche Dinge reden müssen, die in der Verteidigung der Demokratie stattfinden, die aber nicht geeignet sind, die Demokratie zu verteidigen. Ich halte zum Beispiel nichts von Steckbriefen gegen Rechtsradikale, wie sie neuerdings in einigen Zeitungen abgedruckt werden. Steckbriefe von Rechtsradikalen haben denselben Charakter wie Steckbriefe von Kinderschändern in Porthmouth oder denen von Sympathisanten der RAF in den siebziger Jahren; damals waren Heinrich Böll und Jürgen Habermas dran. Es hat in Deutschland schon ein Steckbriefopfer gegeben, Rudi Dutschke am Gründonnerstag 1968. Daher appelliere ich: Schluß mit den Steckbriefen.
Ich will auch noch einen etwas anderen Gedanken zu den Stichwortgebern äußern. Ich bin kein Feind politischer Debatten und auch nicht des Streitens um Worte und Begriffe. Man muß aber vorsichtig sein, das hat Herr Zuckerer eben auch schon gesagt. Ostern 1968 hat der damalige Justizminister Heinemann in seiner berühmten Fernsehansprache das schöne Beispiel genannt:Wer mit dem Zeigefinger auf jemanden zeigt, zeigt mit einigen Fingern auf sich zurück. Das gilt auch für das Zeigen auf Stichwortgeber.
Dabei wird eine sehr wichtige Differenz vergessen, die notwendig ist. Herr Salchow hat auf eine Umfrage hingewie
sen, die in der letzten Woche bekannt wurde. In dieser Umfrage haben tatsächlich die Hälfte der Bewohner der ExDDR gesagt, daß es zu viele Ausländer gibt. Aber 85 Prozent derselben Leute haben gesagt, daß schärfer gegen die rechtsextreme Gewalt vorgegangen werden müsse. Das heißt, daß sie etwas für uns Lebenswichtiges getan haben; sie haben zwischen ihrer Meinung und der Durchsetzung ihrer Meinung differenziert. Das ist das wichtigste an der Demokratie und dem Rechtsstaat.Man darf nämlich sagen, daß es zu viele Ausländer gibt, das ist eine erlaubte Meinung, aber man darf daraus nicht die Konsequenz ziehen, den nächsten Ausländer zu verprügeln. Das ist nicht erlaubt.
Deshalb muß man sehr darauf achten, daß diese Differenz in den Köpfen der Menschen erhalten bleibt, daß dieses Tabu der Gewaltanwendung für alle gilt.
Der nächste Punkt ist die Frage des Demonstrationsrechts. Das wird nun neuerdings offenbar von zwei Seiten angegriffen.Von der CDU wird gesagt, es müsse eingeschränkt werden, und von der Gruppe REGENBOGEN wird gesagt, es müsse dafür gesorgt werden, daß rechtsradikale Demonstrationen nicht stattfinden, sie behindern, auch wenn sie durch Gesetze und das Verfassungsgericht genehmigt sind.Auch das ist ein Angriff auf die Demonstrationsfreiheit.
Ich zitiere aus dem Beschluß des Verfassungsgerichts, weil das ein sehr wichtiger Satz ist. Das Verfassungsgericht hat den Hamburgern ins Stammbuch geschrieben, daß man mit dem Hinweis auf polizeilichen Notstand wegen drohender Gegengewalt nicht beliebig Demonstrationen verbieten darf, denn – und nun wörtlich –:
„Gewalt von ,links‘ ist keine verfassungsrechtlich hinnehmbare Antwort auf eine Bedrohung der rechtsstaatlichen Ordnung von ,rechts‘.“
Ich bin in der Tat dafür, daß das Demonstrations- und Meinungsfreiheitsrecht auch für Rechtsextreme in vollem Umfang gelten muß, sonst schädigen wir uns selbst. Ich habe oft genug in Demonstrationen für das Demonstrationsrecht gekämpft, und viele von uns haben wahrscheinlich 1985 auf dem Weg nach Brokdorf erfahren, daß das Verfassungsgericht unsere Demonstration genehmigt hat.Dieses ist die Magna Charta der deutschen Meinungsfreiheit bis heute, und das will ich auch nicht durch rechtsradikale Angriffe in der öffentlichen Meinung gefährden lassen. Deswegen kann ich zwar verstehen, wenn der Bürgermeister sagt, daß man den Beschluß des Verfassungsgerichts mit Ärger zur Kenntnis nehmen muß, ich finde aber, daß wir uns das vom Verfassungsgericht durchaus sagen lassen sollten.
Was zu tun ist, ist hier mehrfach gesagt worden. Gewalt kommt nicht automatisch aus einer sozialen Lage, sondern aus einem sozialen Autismus, und der muß behoben werden.
Das wichtigste ist, wie ich finde – was auch schon mehrfach gesagt worden ist und was ich Ihnen ins Gedächtnis rufen möchte –, der Symbolgehalt dessen, was der Bundeskanzler getan hat. Er ist zum Grab des ermordeten Afrikaners gegangen und hat dort einen Kranz niedergelegt. Wir sollten die Opfer, die es in Deutschland gibt, mehr ehren und achten. Es war ein Skandal, daß die Opfer des Lübecker Brandanschlages sehr lange darauf warten mußten, endlich als Gäste in diesem Land leben zu dürfen.