Protokoll der Sitzung vom 12.10.2000

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Das Wort hat Herr Tants.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Deuter, wenn ich Sie so höre, muß ich bei Ihnen etwas Abbitte tun, das hatte ich schon angekündigt. Wenn es denn alles so kommt, nehmen Sie bitte meine Abbitte an.

(Sonja Deuter GAL: Nehme ich an, danke!)

Frau Duden, Sie treten hier als Sprecherin der SPD auf, einer fortschrittlichen Partei,

(Beifall und Heiterkeit bei der SPD)

wie immer gesagt wird.

Wenn Sie Ihren heutigen Beitrag auf einer Familie aufbauen, die heißt: Mama, Papa und zwei Kinder, dann sind Sie so schrecklich altmodisch, wie ich es gerade bei Ihrer Partei nicht für möglich gehalten hätte. Dann bauen Sie alles auf vorgestern auf. Wir meinen natürlich auch die Patchworkfamilie;

(Beifall bei Heike Sudmann REGENBOGEN – für eine neue Linke)

das ist natürlich auch eine Mutter oder ein Vater, alleinerziehend mit zwei Kindern.

(Heike Sudmann REGENBOGEN – für eine neue Linke: Oder die beiden Männer!)

Das ist für uns genauso eine Familie. Wenn Sie mir einmal zugehört haben, wissen Sie auch, daß ich den Familienbegriff im Wohnungsbau für die CDU-Fraktion hier schon mehrfach so definiert habe.Vielleicht können wir es dieses Mal im Protokoll etwas fettgedruckt finden, dann haben auch Sie die Gelegenheit, es richtig zu lesen und nächstes Mal zu verwenden.

(Barbara Duden SPD: Das ist mir zu dürftig! Dafür gehe ich nicht noch einmal nach vorne!)

Das ist Ihnen zu dürftig. Sie können natürlich sagen: Bevor wir etwas machen, müssen wir das Rad neu erfinden und so ein Ding machen; kleine Brötchen backen wir nicht, auch wenn sie helfen. Wenn Sie diese Einstellung haben, dann kommen wir nicht weiter, was sich in den letzten 20 Jahren auch gezeigt hat, sonst hätten wir nicht so viele Familien, die nach außerhalb ziehen.

Und noch eins, das wollte ich an sich gar nicht sagen. Sie sagen, Sie wollen Familien fördern. Nehmen Sie doch einmal die Familie, die sich entschließt, hier in Hamburg zu bleiben, die Bau-Kindergeld bekommt, womit sich die SPD so rühmt. Jetzt plötzlich wird die Familie einem Sozialhilfeempfänger gleichgestellt und das Bau-Kindergeld bei der Berechnung des Entgeltes für einen Kindergartenplatz angerechnet.Das, meine Damen und Herren, ist nicht nur unsozial, das ist familienfeindlich.

(Sonja Deuter GAL: Das verstehen wir unter sozial gerecht!)

Das ist familienfeindlich. Was soll denn eine Mutter machen, wenn es doch vorher geprüft wird; wollen Sie die Frauen jetzt plötzlich wieder an den Herd schicken?

(Sonja Deuter GAL: Eben nicht!)

Nur wenn die Mutter am Herd steht, kann der Vater sich ein Eigenheim leisten? Irgendwo haben wir langsam eine verkehrte Welt.

(Beifall bei der CDU)

Weitere Wortmeldungen gibt es nicht. Wer stimmt einer Überweisung des Antrags 16/4814 an den Bau- und Verkehrsausschuß zu? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Dann ist die Überweisung damit einstimmig erfolgt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 63 auf, gemeinsamer Antrag der GAL- und der SPD-Fraktion zur Integrationsversorgung.

[Antrag der Fraktionen der GAL und der SPD: Integrationsversorgung – Drucksache 16/4838 –]

Wer meldet sich zu Wort? – Herr Zamory, bitte.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! 1955 erreichte der damalige Bundesärztekammerpräsident und Harburger Arzt und ehemaliges Mitglied der SS, Professor Ernst Fromm, vor dem Bundesverfassungsgericht, daß die niedergelassenen Ärzte das Monopol auf die ambulante Versorgung erhielten. Die Ausnahme waren bis heute, bis zum 1. Januar dieses Jahres, die Polikliniken in den Universitäten, die zu Ausbildungszwecken auch ambulant versorgen durften.

Dieser gesundheitspolitische Unsinn, der in erster Linie der Sicherung der Pfründe der niedergelassenen Ärzte diente, hatte gesundheitspolitisch schlimme Folgen, die bis heute angedauert haben. Doppeluntersuchungen und keine genügende gegenseitige Information der verschiedenen Leistungsanbieter im Gesundheitswesen kennzeichneten bis heute Defizite in unserem Gesundheitswesen.

In einer jüngsten Studie – von Bertelsmann in Auftrag gegeben –, die die bundesdeutsche Gesundheitsversorgung mit der anderer Länder verglichen hat, landet die Bundesrepublik gerade wegen mangelnder Koordinierung der Gesundheitsleistungen hinter Platz 20.

In Hamburg kennen wir Beispiele, bei denen die onkologische Ambulanz im AK Barmbek in Schwierigkeiten geriet, weil ihr Tätigkeitsfeld der ambulanten Versorgung zugeschlagen werden sollte. Die Diabetiker-Ambulanz und andere Einrichtungen hatten ähnliche Probleme.All das hängt mit diesem Versorgungsmonopol zusammen.

Seit Januar dieses Jahres hat die Gesundheitsstrukturreform mit dem Paragraph 140 damit Schluß gemacht. Das heißt, es gibt jetzt die Möglichkeit, daß Krankenhäuser mit ambulanten Leistungsanbietern ganz anders und neu zusammenarbeiten als bisher.

Ziel unseres Antrags soll sein, die Ideen dazu, aber vielleicht auch das, was schon in Arbeit und passiert ist, aufzulisten, damit wir es hier beurteilen und diskutieren können.

Ich möchte Ihnen dazu drei Beispiele erläutern, bei denen in Hamburg bereits von dieser Änderung profitiert wurde. Das eine ist die Erhaltung der Strahlentherapie am Krankenhaus St.Georg, wo in Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung dort tätige Krankenhausärzte Ermächtigungen erhielten, so daß die ambulante Versorgung von Strahlentherapiepatienten auch in St.Georg möglich ist.

Ein weiteres Beispiel ist das Sozial- und Gesundheitszentrum St. Pauli, wo ein Ärztenetz ambulanter Ärzte, Fachärzte und Allgemeinmediziner eine Patientenleitstelle gegründet haben. Hier werden Patienten mit ihren Informationen in Zusammenarbeit mit Pflegediensten und auch den möglichen teilstationären Aufenthalten in der Chirurgie dieser Einrichtung begleitet.

Das Albertinen-Krankenhaus hat jüngst die privilegierte Zusammenarbeit mit einer onkologischen Fachpraxis einer niedergelassenen Ärztin abgesprochen, so daß deren Krebspatienten im Krankenhaus und mit ihr zusammen be

handelt werden, ohne Informationsverluste zum Wohle der Patienten.

Am 2. November 2000 wird die Gesundheitsministerin das Rotkreuz-Krankenhaus in Rissen besuchen, und auch dort wird es um integrierte Versorgung gehen, denn dieses Krankenhaus liegt in einem Gebiet, wo viele Alten- und Pflegeheime und Senioreneinrichtungen existieren. Auch dort gibt es ganz besondere Formen der Zusammenarbeit, die durch diesen Besuch gewürdigt und diskutiert werden sollen.

Wir haben gestern über den Abbau von Krankenhausbetten diskutiert. Es wurde eine humane stationäre Versorgung in dieser Stadt eingeklagt. Wenn man uns nach unserer Vision fragt, wie ein Krankenhaus in Zukunft aussehen soll, ist es ein Gesundheitszentrum, in dem Patienten im Mittelpunkt stehen, in dem die Informationen und Voruntersuchungen mit dem Patienten in die stationäre Einrichtung mitwandern und wieder zurück, daß es im Krankenhaus Teams gibt, die nicht nur in den verschiedenen medizinischen Berufsgruppen untereinander gut zusammenarbeiten, sondern auch nach außen mit den Hausärzten, Pflegediensten und ambulanten Therapeuten.

Ein Beispiel dafür, wo das schon seit 20 Jahren praktiziert wird, ist die medizinisch-geriatrische Klinik des Albertinenhauses, die diese Tage ihr zwanzigjähriges Jubiläum feiert. Von dieser Stelle aus: Herzlichen Glückwunsch.

Dort war ich unter anderem medizinisch sozialisiert und habe gelernt, wie wichtig es ist, Entlassungen von Patienten, von alten Menschen vorzubereiten und nicht nur die Aufnahme mit Anamnese, Diagnostik und Therapie wichtig zu nehmen, sondern den Erfolg dieser Maßnahme dadurch zu sichern, daß die Entlassung eines Patienten mit dem Hausarzt und mit Pflegediensten vorbereitet wird. Dort fahren zum Beispiel Ergotherapeuten mit alten Menschen oder deren Angehörigen nach Hause, beseitigen Stolperfallen und organisieren Hilfsmittel, so daß die Patienten so selbständig wie möglich in ihrer vertrauten Umgebung weiterleben können.

Mir ist klar, daß das in der Akutklinik in der Form wahrscheinlich nicht möglich sein wird. Aber auch dort ist einzuklagen, die Entlassung mindestens so wichtig zu nehmen wie die Aufnahme. Die integrierte Versorgung leistet die Rahmenbedingungen, um das überall möglich zu machen.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort hat Herr Dr. Petersen.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte versuchen, an einem ganz konkreten Beispiel darzulegen, wie man sich eine integrative Versorgung vorstellen könnte.

Man stelle sich einen Patienten vor, der zum Hausarzt oder zur Hausärztin kommt, schwer erkrankt ist, Gewicht verloren hat, abgeschlagen ist und häufig Infekte hat. Der Hausarzt nimmt eine Blutuntersuchung vor und stellt eine schwerwiegende Erkrankung fest. Er hat dann die Möglichkeit, diesen Patienten zu Fachärzten zu schicken, mit denen er sehr eng zusammenarbeitet.Diese Fachärzte untersuchen nun den Patienten unter Berücksichtigung der Voruntersuchungen, nehmen spezielle Blutuntersuchungen vor und stellen fest, daß dieser Patient schwerst erkrankt ist; sie müssen ihn ins Krankenhaus einweisen.

(Präsidentin Dr. Dorothee Stapelfeldt)

Im Krankenhaus wird er von den gleichen Fachärzten weiterbehandelt, solange es ihm ganz schlecht geht. Er kann relativ früh wieder entlassen werden, weil diese Fachärzte eine Tagesklinik haben, in der er am Tage betreut wird und Infusionen bekommt und für die Nacht nach Hause gehen kann.Wenn es diesem Patienten wieder etwas besser geht, wird er wieder ganz nach Hause und in die hausärztliche Versorgung entlassen.Der Hausarzt steht sehr eng mit diesem Fachärztegremium in Verbindung, und der Patient fühlt sich bestens versorgt. Dieses ist ein Beispiel, aber kein fiktives für Hamburg.

Ab dem 1. Oktober gibt es dieses Beispiel konkret, und zwar die HIV-Praxis am AK St. Georg. Dort arbeiten niedergelassene Fachkollegen zusammen, die mit der Klinik St. Georg einen Vertrag haben und dort die Patienten versorgen können. Dieses ist ein Beispiel, wie es sein sollte, wie Patienten regelhaft versorgt werden. Es hat sehr lange gedauert, bis diese Praxis so entstanden ist. Es bedurfte der Gespräche mit der Kassenärztlichen Vereinigung, mit Krankenkassen, den Behörden und den Krankenhausträgern. Ich hoffe aber, es wird funktionieren. Ich hoffe ferner, daß es so eine Lösung noch häufiger geben wird.

Das Problem bei der integrativen Versorgung ist in der Regel, daß die verschiedenen Interessenvertreter verschiedene Ansätze haben. Die Krankenkassen möchten bei der integrativen Versorgung Geld sparen. Da muß man von vornherein sagen, daß es das in der Regel nicht geben wird. Denn auch die integrative Versorgung ist nicht billiger. Die integrative Versorgung bringt den Ärzten gewöhnlich eine Zeitersparnis, weil sie die Arbeit auf mehrere Schultern verteilen können, aber hauptsächlich bringt sie dem Patienten eine bessere qualitative Versorgung. Das wünschen wir allen Patienten, und deswegen fordern wir alle Leistungsträger auf, die ablaufoptimierte Zusammenarbeit weiter auszubauen.Wir werden alles dafür tun, daß sie regelhaft wird. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort hat Frau Jürs.