Protokoll der Sitzung vom 15.11.2000

(Heike Sudmann REGENBOGEN – für eine neue Linke: Selbst wenn die Angehörigen nachher Asyl beantragen?)

wobei wir wissen, daß viele, die abgeschoben werden sollen, durchaus einen legalen Aufenthaltsstatus haben. Ich unterstreiche deshalb die Sätze aus der Drucksache:

„Ausländerpolitik und Ausländerrecht setzen sich aus gewährenden und repressiven Elementen zusammen. Beide Elemente gehören zusammen, um einerseits völker- und verfassungsrechtliche Vorgaben sowie sonstige humanitäre Ansprüche zu erfüllen, andererseits die erforderliche Zuwanderungssteuerung zu gewährleisten.“

Von daher bin ich sehr froh, daß es nach einem langen und nicht ganz einfachen Diskussionsprozeß – es wäre völlig sinnlos, das zu leugnen – erfolgreich gelungen ist, beide Punkte, die die Opposition immer auseinandernimmt, zu vereinheitlichen. Der eine führt eine harte Linie – das werden wir gleich hören –, und der nächste fährt bei den Einzelfällen im Eingabenausschuß eine weiche Tour. Das können wir natürlich nicht machen.

Abschiebepolitik ist für uns ein Teil der Ausländerpolitik und somit den Maßstäben verpflichtet, die für die Ausländerpolitik insgesamt gelten, nämlich eine klare Rechtsstaatlichkeit, aber ebenso Respekt vor und Verantwortung für den einzelnen. Dieses gilt auch, wenn man sich immer wieder bewußt macht, daß die Spannbreite der Klientel natürlich beachtlich ist. Manche von Ihnen oder alle haben den Artikel im „Spiegel“ vom 6. November „Alias aus Angeblichstan“ gelesen. Es gibt viele Beispiele, die die unendliche menschliche Kreativität beleuchten, wenn es darum geht, sich einer Abschiebung zu entziehen und seine Herkunft zu verschleiern. Das kann man sich natürlich nicht gefallen lassen, denn ein Staat, der sich so etwas gefallen ließe und der nicht darauf achtet, an dieser Stelle nicht vorgeführt zu werden, leistet im Ergebnis auch einer tatkräftigen Ausländerpolitik keinen guten Dienst. Deshalb kritisieren wir ausdrücklich nicht Botschaftsanhörungen und Sammelinterviews – die gehören auch dazu –, wenn es möglich ist, damit Erkenntnisse zu gewinnen, um die Abschiebung durchzuführen.

Auf der anderen Seite erleben wir immer wieder Einzelfälle, die eine ganz besondere menschliche Dimension haben und die sehr leicht die Unterstützung in der Öffentlichkeit finden. Immer dann, wenn es um lange Aufenthalte geht, die vorangegangen sind, immer dann, wenn Integrationsansätze vorhanden sind, immer dann, wenn es um Familien und Kinder geht, dann sind besondere Gesichtspunkte und besondere Sensibilitäten zu beachten, ohne daß dabei – das ist häufig die Gefahr – die rechtliche Dimension vergessen wird.Wir sind uns darin einig – vielleicht bis auf die Gruppe REGENBOGEN –, daß wir nicht über das Ob der Abschiebung reden, wenn dies rechtlich geboten ist. Die Drucksache bemüht sich, das Wie in besonderer Weise zu regeln.

Wir sind deshalb sehr dafür, daß die Verfahrensabläufe den Erfordernissen von Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde entsprechen. Der Eingabenausschuß hat für das Parlament hier eine besondere Funktion.Politisch ist zu sagen, daß es in vielen Fällen nötig ist, Einzelfallprüfungen vorzunehmen, um sich die besonderen Konstellationen anzusehen.

Dies wird in der Drucksache umgesetzt. Die Drucksache bringt eine ganze Reihe von Verfahrensklarstellungen. Sie stellt sicher, daß diejenigen, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch abgeschoben werden können, soweit das unter den bekannten Schwierigkeiten möglich ist. Die Zahlen belegen dies im übrigen, und es ist richtig, so zu verfahren. Dies ist unter dem Aspekt geboten, daß Hamburg zweifellos eine flüchtlingsfreundliche Stadt ist. Wir haben in der Vergangenheit bei Konflikten häufig mehr Flüchtlinge auf

(Antje Möller GAL)

genommen als manche Länder in Europa. Darauf kann diese Stadt stolz sein.

(Beifall bei der SPD, vereinzelt bei der GAL und bei Carsten Lüdemann CDU)

Aber es kommt auch darauf an, diese positive Stimmung zu erhalten und die Hilfe auf diejenigen zu begrenzen, die sie wirklich benötigen, und diejenigen in ihre Heimat zurückzubringen, die diese Hilfe nicht mehr benötigen. Zugleich werden aber Elemente gestärkt, die es ermöglichen, dem Einzelfall – soweit Spielräume vorhanden sind – gerecht zu werden. So dient es mit Sicherheit der Gleichbehandlung, wenn die nach eigenen Angaben unter sechzehnjährigen Duldungsanstragsteller wie Asylbewerber behandelt werden. Es ist vernünftig, daß die Aussage aus der Koalitionsvereinbarung zur Abschiebehaft bekräftigt wird. Ich muß aber deutlich sagen, daß dadurch natürlich die frühzeitige behördliche Abholung eine größere Bedeutung findet.

Es ist sachgerecht und vernünftig, daß es ein zusätzliches Beratungsangebot geben wird, um dem einzelnen nicht unnötig Schwierigkeiten zu machen oder zu verhindern, ihn in sein Unglück rennen zu lassen.

Es ist aus der Praxis heraus sehr wichtig – das war der Ansatzpunkt, das so breit zu diskutieren –, daß wir jetzt sehr detailliert Klarheit in bezug auf die Atteste haben. Es ist ebenfalls wichtig, daß wir in den besonders sensiblen Fällen, die in der Öffentlichkeit in besonderer Weise in Erscheinung treten, Klarheit haben.Es geht um die Regelung zur Abschiebung von Familien. Die Familieneinheit muß gewahrt werden, Ausnahmen müssen unter bestimmten Bedingungen möglich sein.Dafür gibt es in der Drucksache ganz klare Kriterien.Das ist jetzt öffentlich, transparent und nachvollziehbar.

Die Hamburger Abschiebepraxis ist – wie die Abschiebepraxis in anderen Städten – traditionell für die unterschiedlichen Stammtischvariationen einer sehr unterschiedlichen Begutachtung zugeführt worden.Für die einen muß das alles viel schneller und konsequenter gehen, und es darf überhaupt kein Spielraum genutzt werden.Für die anderen – da haben Sie Bezug auf das genommen, was in den letzten Tagen in der Öffentlichkeit gewesen ist – ist die Durchsetzung des Rechts an dieser Stelle sofort ein inhumaner Gewaltakt. Beide Auffassungen sind falsch, und beide werden der Realität nicht gerecht, denn die Spielräume spielen sich in einem tatsächlichen Raum und nicht in einem gewünschten Raum ab. Sie spielen sich auch in einem bestimmten rechtlichen Rahmen ab. Wer in diesem Zusammenhang nur seine eigene, natürlich überlegene höhere Moral pflegt, der nützt den Flüchtlingen bestimmt am allerwenigsten.

Ich hoffe sehr, daß dieser lange Diskussionsprozeß ein fruchtbares und tragbares Ergebnis bringt. Ich hoffe sehr, daß mit dieser Drucksache Klarheit geschaffen wurde, sich aber auch das Gespür für den Einzelfall gut damit verbinden läßt. Ich hoffe weiterhin, daß damit eine Basis geschaffen wurde, die sich dann bewähren muß, wenn es wieder Probleme gibt, wenn es beispielsweise im Einzelfall schwierige Abläufe gibt oder wenn sogar Fehler passieren. Ich stimme mit Frau Möller überein, es wird eine schwierige politische Aufgabe bleiben. Wir werden den Senat bei dieser Aufgabe jedenfalls nicht im Stich lassen.Wir werden ihn unterstützen und betrachten dabei die Vereinbarung aus der Drucksache als eine für uns verbindliche Grundlage. – Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort hat Herr Vahldieck.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In der Drucksache, über die wir sprechen, werden sehr viele grundsätzliche Ausführungen gemacht über Abschiebungen, über Abschiebehaft, über medizinische Fragen, über die Frage, welchen Stellenwert Atteste haben und welchen Stellenwert familiäres Beisammensein hat. Das sind alles wichtige Punkte. Wie wichtig das ist – nicht nur den Koalitionsfraktionen, aber auch denen –, haben wir gesehen, indem Frau Möller und Herr Dr. Christier einen sehr tiefen Einblick in die rotgrüne Beziehungskiste gewährt haben. Das war interessant. Wir, die wir Hobbyehetherapeuten sind, haben das mit Interesse gehört. Da scheint ja einiges los zu sein.

(Dr.Holger Christier SPD:Wichtig ist das Ergebnis!)

Aber es geht auch um sehr grundsätzliche Fragen. Wenn Sie, Herr Dr. Christier, sagen, über das Ob – ob überhaupt Abschiebungen stattfinden sollen – braucht man gar nicht zu diskutieren, dann ist das offenbar Ihre Auffassung. Ich habe aber überhaupt nicht den Eindruck, daß das hier Allgemeingut hat.

(Dr. Holger Christier SPD: Natürlich!)

Ich habe eher den Eindruck, daß es in diesem Hause durchaus Kräfte gibt, die jeglicher Form von Abschiebung kritisch gegenüberstehen.

(Manfred Mahr GAL: Das kommt immer darauf an!)

Insofern muß man, bevor wir zu den einzelnen Punkten kommen – das wird Herr Klimke auch noch tun –, zunächst die Frage stellen, wie wir es mit den Menschen halten, die prinzipiell verpflichtet sind, Deutschland zu verlassen. Für die Union ist diese Antwort relativ einfach.Wir sind der Auffassung, daß es entscheidend ist, die Ausreisepflicht durchzusetzen, aber das Ganze muß mit Augenmaß und Konsequenz geschehen.

Diese Haltung ist nicht nur vernünftig, verantwortlich und wirtschaftlich klug, sie ist auch moralisch unangreifbar.

(Lachen bei Andrea Hilgers SPD)

Damit habe ich überhaupt keine Probleme, Frau Hilgers.

Wir haben in den letzten Wochen endlich eine Diskussion über Zuwanderung bekommen, die teilweise etwas irrational geführt wurde, teilweise aber auch in recht vernünftige Kanäle mündete.Nach meinem Eindruck wächst in der Bevölkerung die Einsicht, daß Deutschland ein Land ist, das eine bestimmte Art von Zuwanderung benötigt. Dieses Bewußtsein war sicherlich vor einem halben Jahr weniger verbreitet und vor fünf Jahren vielleicht noch weniger.

(Anja Hajduk GAL: Ja, das dauert manchmal län- ger! – Zurufe von der SPD: CDU-Anhänger!)

Nein, das geht nicht nur um CDU-Anhänger und -Wähler. Es geht um die Bevölkerung in diesem Lande, und die wählen leider nicht alle nur CDU, die wählen auch SPD und Grüne.Auch in dieser Bevölkerungsgruppe war das sicherlich nie unstreitig.

Jetzt wird aber immer mehr Menschen bewußt – dazu bedurfte es nicht erst der Green-Card-Debatte und der Frage, ob die Informationstechnologie-Branche dringend Personal benötigt –, daß wir eine bestimmte Art von Zuwanderung benötigen. Die Wirtschaft äußert sich völlig eindeutig. Das Handwerk sagt, wir brauchen auch mehr Personal aus dem

(Dr. Holger Christier SPD)

Ausland. Frau Pauly, Ihnen teilweise noch bekannt vom Gastronomieverband, sagt, wir brauchen Zuwanderung aus dem Ausland. Die Experten über Fragen der demographischen Entwicklung sagen uns, unsere Sozialkassen benötigen Zuwanderung aus dem Ausland. Das ist inzwischen, zumindest bei denjenigen, die sich etwas mehr mit dieser Thematik befaßt haben, weitgehend Allgemeingut. Die Frage ist allerdings, ob man so etwas gegen den Willen der Bevölkerung durchsetzen kann. In der Bevölkerung gibt es für diese Frage eine eher geringe Akzeptanz.

Ein Grund dafür, daß die Akzeptanz nicht so ist, wie sie sein sollte, liegt erstens daran, daß in der Bevölkerung der Eindruck vorherrscht, daß nach Deutschland in der Vergangenheit – teilweise auch jetzt noch – eine weitgehend ungesteuerte Zuwanderung stattgefunden hat.

(Dr. Martin Schmidt GAL: Meine Bevölkerung sieht das anders!)

Der zweite Grund ist, daß es in Deutschland offenbar möglich ist, sich auf Dauer hier festzukrallen, wenn man nur möglichst viele Tricks anwendet, wenn man nur skrupellos genug ist und wenn man nur alle Register zieht. Das ist der Eindruck, der in der Bevölkerung vorherrscht.Deshalb sind die politisch Verantwortlichen gefordert, der Bevölkerung durch die tatsächliche Politik zu verdeutlichen, daß Zuwanderung, wenn sie stattfindet, gezielt stattfinden muß. Sie muß zumindest nach den Interessen des Landes, in das zugewandert wird, nämlich Deutschland, stattfinden. Es darf nicht möglich sein, sich auf Dauer in Deutschland festzuhalten, wenn man nur alle möglichen Tricks anwendet.

Insofern ist die Debatte über Abschiebepraxis in die Zuwanderungsdebatte eingebettet. Das führt dazu, daß wir neben den menschlichen Aspekten, die hier völlig zu Recht aufgeführt wurden, eine große Verantwortung haben; insbesondere natürlich der Senat, der die Politik gestalten muß.Wir werden darauf achten, daß der Senat dieser Verantwortung gerecht wird.Wir werden sehen, ob diese Prinzipien, die in der Drucksache festgelegt sind, auch so angewandt werden.Wenn es so geschieht, soll es seine Richtigkeit haben. Wir werden kritisch darauf achten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Frau Uhl.

(Dr. Martin Schmidt GAL: Nimm dir mal ein Vorbild an Vahldieck!)

Meine Damen und Herren! Ich bin der Meinung, daß dieses Papier zu den schändlichsten gehört, die ein Senat verabschiedet hat. Ich bin der Meinung, daß es die Aufgabe einer an Menschenwürde orientierten Politik ist und, Herr Vahldieck, daß in diesem Papier das Augenmaß verlorengegangen ist, wie man mit Menschen umgehen kann.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Ich muß zugeben, daß ich vor anderthalb Jahren noch nicht geglaubt hätte, wenn mir jemand gesagt hätte, daß in dieser Stadt von Schwarz bis Grün irgendwann einmal die Mehrheit oder alle frühmorgendlichen Abholungen zustimmen würden. Nein, hätte ich gesagt, das kann ich mir nicht vorstellen, das glaube ich nicht. Heute steht das in diesem Papier und soll exzessivst genutzt werden. Was bedeutet

dieses Instrument? Das bedeutet, daß plötzlich frühmorgens Polizei und Ausländerbehörde bei den Menschen in der Tür stehen, diese mitnehmen und sie zum Flughafen und außer Landes schaffen. Das ist die konkrete Situation, mit der Menschen, Eltern und Kinder, konfrontiert werden. Daß man diese Maßnahmen überhaupt macht, ist schon ein Skandal, an diesem Beispiel zeigt sich aber auch, daß von einer Verengung durch Kriterien, unter denen eine Maßnahme nur stattfinden darf, keine Rede sein kann. Es wird im Zusammenhang mit der frühmorgendlichen Abholung – ich würde das einmal Abschleppung nennen – darauf verwiesen, daß dies Abschiebungshaft ersetzen soll.Es wird sozusagen als Kriterium auf einen Satz im Gesetz verwiesen, der heißt:

„Der Ausländer kann für die Dauer von längstens zwei Wochen in Sicherungshaft genommen werden, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist und feststeht, daß die Abschiebung durchgeführt werden kann.“

Das gilt für alle Menschen mit Duldungen. Das gilt für quasi alle Menschen, deren Fälle von der Zentralen Ausländerbehörde bearbeitet werden. Das gilt für Menschen, die seit Jahren in Hamburg leben.

(Erhard Pumm SPD: Frau Uhl, wie hätten Sie es denn gerne?)

Das ist eine Maßnahme, Herr Pumm, die mit Menschenwürde nichts mehr zu tun hat.