Protokoll der Sitzung vom 29.11.2000

Wir haben im Juli letzten Jahres einen hochinteressanten Kommissionsbericht vorgelegt bekommen, der vor zwei Jahren aufgrund unserer Initiative von der BSJB in Auftrag gegeben und unter der Leitung von Professor Klaus Klemm erstellt wurde. Dieser Kommissionsbericht schmort nun in der Schublade, und da bisher noch nichts umgesetzt wurde, haben wir diesen Antrag gestellt.Ich denke, daß alle Akteure in diesem Bereich deutlich gemacht haben, daß diese Umsetzung dringend nötig ist. Selbst die CDU – zumindest Herr Beuß, der heute nicht anwesend ist – hat gesagt, daß wir Präsenzmodelle brauchen. Nun plötzlich; ich mußte schmunzeln, als ich hörte, daß man auf unser Pferd aufspringt. Selbst die GEW hat in ihrer Gothaer Erklärung, besonders die junge GEW, neue Arbeitszeitmodelle und sogar Präsenzmodelle in der Schule gefordert, um entsprechend mehr Zeit für Schüler, Eltern, Teamarbeit und für Kooperation zu haben. Was spricht dagegen? Wir haben jetzt den Antrag gestellt, damit endlich etwas passiert.

An einem kleinen Beispiel möchte ich denjenigen, die nicht in der Schulmeisterei vertraut sind, erläutern, warum es der GAL so wichtig ist. Nehmen wir einfach die engagierte Kollegin an der Schule Hamburger Straße, die ihre Hausaufgaben macht, das heißt, neben ihrem Unterricht natürlich korrigiert und den Unterricht vorbereitet, die Eltern berät, gleichzeitig aber auch an der Schulprogrammentwicklung teilgenommen hat, den Schulgarten betreut und selbstverständlich auch noch regelmäßig an Fortbildungen im IfL teilnimmt. Diese Kollegin ist engagiert und das auf der Basis der Grundlage ihrer 26 Pflichtunterrichtsstunden. Das Beispiel zeigt aber auch, daß Schule mehr bedeutet als nur Unterricht. Das war auch das Motto dieses Kommissionsberichts, der unter anderem insofern als kleine Revolution bezeichnet wurde, weil diese Reformvorschläge die Lehrerarbeitszeit hier in Hamburg revolutionieren würden.

Wir Grüne wollen, daß die Arbeitszeit als Ganzes beschrieben und bewertet wird, und zwar sichtbar – da kommen wir zum Punkt der Transparenz – für Schülerinnen und Eltern, für die Öffentlichkeit und Politikerinnen, damit man weiß, was Lehrerinnen und Lehrer tatsächlich tun, und wir von allen Klischees wegkommen. Daher ist die Orientierung an dem Pflichtstundenmodell tatsächlich obsolet geworden, denn ein neues Arbeitszeitmodell schaut hin und bewertet das Unterrichten, die Beratungen und die Schulentwicklung; alles das schafft die bereits zitierte Transparenz.

Vor allem schafft es auch Gerechtigkeit nach innen. Wer sich an Schulen engagiert, fällt auf. Wer sich nicht engagiert, auch. Das Arbeitszeitmodell kann auch zeigen, daß die viel zitierten „faulen Säcke“, die tennisspielenden Lehrer eine ganze Menge leisten oder nicht.Manche von ihnen haben das Limit auch schon überschritten.Nur über dieses Arbeitszeitmodell ist auch die Gerechtigkeit nach innen, neben der Transparenz nach außen möglich.

Darum empfiehlt jetzt auch der neue Bericht zur Revision der Lehrerbildung – das ist das Spannende, was sich im letzten Jahr an Entwicklung getan hat – , dringend das beschriebene Arbeitszeitmodell umzusetzen. Der Bericht ist viel zitiert in der letzten Woche, in der Presse sehr intensiv

diskutiert worden. Im Bericht zur Revision der Lehrerbildung wird an mehreren Stellen immer wieder auf den Kommissionsbericht von Klemm verwiesen, in dem gesagt wird, daß ein neues Arbeitszeitmodell sogar Voraussetzung dafür ist, daß die Lehrerbildung revidiert wird, um den Einstieg in ein lebenslanges Lernen bei Lehrerinnen zu ermöglichen.

Gerade gestern haben wir das fünfundsiebzigjährige Jubiläum des Instituts für Lehrerbildung mit einem großen Feuerwerk gefeiert – das man vielleicht auch in Eimsbüttel gehört hat – , und es wurde noch einmal sehr deutlich gemacht, daß man den Herausforderungen in dieser Gesellschaft ohne lebenslanges Lernen nicht mehr gerecht werden kann. Wir kennen es auch von der andauernden Debatte um IuK und Medienkompetenz. Das sind alles gute Gründe, um in Hamburg endlich mit der Umsetzung, dem Einstieg ins lebenslange Lernen, zu beginnen. Es haben sich im letzten Jahr allerdings nur zwei Schulen zur Erprobung gemeldet, die dann aus verschiedenen Gründen leider nicht gestartet sind. Man muß sich fragen, warum viele Interesse gezeigt haben, aber sich keiner an die Umsetzung gewagt hat.

Dabei muß man aber auch die Sorgen der Kolleginnen ernst nehmen, denn bevor so ein Modell Ergebnisse bringt, macht es zunächst zusätzliche Arbeit, und es wird Reibungsverluste bei der Umsetzung geben. Eine Reform von diesem Umfang ist ein größeres Projekt, es sind aber Probleme, die lösbar sind. Die Schulen brauchen dafür Unterstützung und jemanden, der sie berät, der ein Coaching übernimmt, damit dieses Projekt auf den Weg gebracht werden kann.

Ferner gab es Sorgen um die Faktorisierung der Fächer, und gerade auch Sport spielte eine riesige Rolle. Es gibt aber die Möglichkeit, auch ohne die Faktorisierung dieses Modell, auf die Schule zugeschnitten, auszuprobieren und entsprechend umzusetzen.

Wir wollen die Schule nicht so erhalten, wie sie heute ist. Sie muß sich ändern, und das ist nur möglich, wenn andere Rahmen gegeben werden. Es geht nicht darum, nur aufzusatteln, wir wollen nicht, daß mehr gearbeitet wird, sondern daß anders gearbeitet und gelernt wird, so wie es den Anforderungen der heutigen Zeit entspricht. Das geht nur, wenn dieser Rahmen Gesetz wird.

Deshalb noch einmal zurück zu unserem Antrag. Die Ideen und Empfehlungen für neue Arbeitszeiten liegen auf dem Tisch, sie müssen nur umgesetzt werden. Der rechtliche Rahmen zur Einführung ist gegeben. Die Pflichtstundenverordnung ist im Sommer geändert und eine Experimentierklausel eingeführt worden. Der Kommissionsbericht belegt eindrucksvoll, daß der Einstieg in neue Arbeitszeitmodelle die einzige Möglichkeit ist, die Qualitätsentwicklung von Schule voranzutreiben und strukturell zu ermöglichen.

Es reicht nicht nur, sich zu bemühen, Kollegien zu gewinnen, wie manchmal zu lesen ist. Es muß beabsichtigt sein, viele Schulen mit der Erprobung im nächsten Schuljahr durchstarten zu lassen, ob als Jahreszeit- und/oder Präsenzmodell ausgelegt.Es müssen sich mindestens 10 Prozent der Schulen beteiligen und um eine Umsetzung bewerben können.Dazu brauchen die Schulen aber auch Anreize und Unterstützungen. Wir warten daher gespannt darauf, wie innovativ die BSJB die Umsetzung vorbereiten wird. Wir lehnen den Antrag der Gruppe REGENBOGEN ab, weil sich alle dort enthaltenen Punkte unter unseren Punkten subsumieren lassen; er ist deshalb unnötig, und

(Christa Goetsch GAL)

ich bitte Sie um Zustimmung, damit wir in der Schulpolitik wieder ein Stück vorankommen.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Rocksien.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ähnlich wie Frau Goetsch habe ich das Gefühl, daß die Schulthemen im Plenum immer sehr spät behandelt werden, so daß sich das Auditorium etwa im Zustand einer ermüdeten Lehrerschaft befindet.

(Andrea Franken GAL: Das stimmt aber nicht!)

Im Thema und in der Bewertung stimmen wir mit Ihnen überein, Frau Goetsch. In einem Punkt allerdings nicht so sehr, weil meine Fraktion und auch ich ihn nicht für bedeutend halten, es ist der Punkt der Präsenz in den Schulen selbst. Um das sicherzustellen, ist eine ganze Menge erforderlich.Ob das in der Gesamtheit notwendig ist, halte ich durchaus für fraglich.

Jedenfalls muß sich im System etwas bewegen. Alte Zöpfe müssen abgeschnitten werden, denn seit etwa 180 Jahren wird die Lehrerarbeitszeit über Unterrichtsverpflichtungen definiert, und das ist auch in der Höhe nahezu unverändert geblieben. So galt in Preußen damals für Gymnasiallehrer die gleiche Unterrichtsverpflichtung wie heute, 24 Stunden in der Woche.

Dabei hat sich doch alles sehr verändert. Der Schulmeister hielt damals Stunden, mehr nicht. Seine Tätigkeit war außerdem geprägt: von niedrigem Gehalt, hohem Respekt und Ansehen,

(Dr. Martin Schmidt GAL: Das ist heute genau um- gekehrt!)

mindestens zwei körperteilgerechten Stöcken, den jahreszeitlichen Erfordernissen der Landwirtschaft und Zuwendungen in Form von Kartoffeln, Mettwürsten und Schinken. So kann ich es jedenfalls der Chronik meiner Schule in Meiendorf entnehmen.

(Dr.Holger Christier SPD:Vorsicht, Zuwendungen!)

Das waren noch glückliche Zeiten, jedenfalls hinsichtlich der Arbeitszeit. Inzwischen hat sich viel geändert. Das Gehalt ist gut, Respekt und Ansehen sind aber ebenso weg wie die anderen erwähnten Arbeitserleichterungen und Vergünstigungen.

(Ole von Beust CDU: Mettwurst!)

Hinzugekommen ist jedenfalls eine Vielzahl von Aufgaben. Wenn man den unterschiedlichen Kommissionen – das ist in Hamburg ja nicht die einzige – Glauben schenken darf, und das tue ich, sind 40 Prozent der Arbeitszeit allein für den direkten Unterricht anzurechnen. Die Unterrichtsvorbereitungen, für Tätigkeiten, die außerhalb des direkten Unterrichts liegen, Klassenlehrertätigkeit, Schulentwicklung, Betreuung von Sammlungen und eine ganze Menge mehr, betragen etwa 30 Prozent.

Nach dem Leitbild von Gerechtigkeit, Transparenz und Flexibilität ist es aber notwendig, den veränderten Aufgaben Rechnung zu tragen und Lehrerarbeitszeit so zu definieren und zu bewerten, wie sie de facto vorkommt, und die Anteile in einem Jahresarbeitszeitmodell jeweils festzuschreiben. Das heißt, außerunterrichtliche Tätigkeiten müssen in Rechnung gestellt werden, und Lehrkräfte, die

derartige Aufgaben nicht wahrnehmen, müssen das durch erhöhte Unterrichtsverpflichtungen kompensieren. Das ist die Grundidee des Modells. Das Modell ist auf Hamburger Besonderheiten abgestimmt, und ich finde es besonders mißlich – darin teile ich Ihre Einschätzung –, daß wir es vor eineinhalb Jahren zur Kenntnis genommen haben, es bisher aber nicht erprobt worden ist.

Das ist einerseits unverständlich, denn in den Kollegien herrscht hohes Bewußtsein über die unterschiedlichen Arbeitsbelastungen. Arbeitsfrieden und Motivation sind wegen fehlender Gerechtigkeit erheblich gestört. Es besteht auch die Erwartung, daß freiwillige Mehrarbeit abgegolten wird in Anerkennung, Entlastung oder Geld. Das ist nach dem jetzigen Modell kaum möglich. Es ist deutlich festzustellen, daß sich bei steigender Belastung und zunehmendem Alter immer mehr Lehrkräfte zusätzlichen Aufgaben verschließen. Das ist auch menschlich verständlich und wäre in anderen Berufen auch nicht anders. Warum soll eine Lehrerin oder ein Lehrer eine Klasse führen, am Schulprogramm mitarbeiten, eine Sammlung betreuen und einem schulischen Gremium angehören, wenn Kollegen das alles ablehnen, dabei prima leben und vielleicht damit auch noch renommieren.

Irgendwann reichen Idealismus, Verantwortungsbereitschaft, Pflichtbewußtsein und Arbeitszufriedenheit dann auch nicht mehr aus.Wenn das so ist, warum hat sich dann von den circa 450 Schulen in Hamburg nicht eine bereit gefunden, das Modell wenigstens zu erproben? Aus meiner Sicht gibt es dafür folgende Gründe. Die Behörde hat nicht genug informiert, aufgeklärt und geworben; vor allem nicht auf der Ebene der Schulaufsicht und Schulleitung. Schulleitungen und Kollegien haben sich nicht intensiv mit dem Modell auseinandergesetzt. Schulleiter fürchten bei der Umsetzung Mehrarbeit, ohne zusätzliche Entlastung; das ist aus ihrer Erfahrung heraus eine verständliche Befürchtung. Lehrer sind konservativ,

(Dr. Hans-Peter de Lorent GAL: Ja!)

sie scheuen Neues ebenso wie Konflikte, die es bei einer Umverteilung mit Sicherheit geben wird. Sie haben Angst, dabei auf der Verliererseite zu landen, das heißt mehr unterrichten zu müssen als bisher, weil sie andere Tätigkeiten nicht ausführen. Die Lehrerverbände haben sich auf das Modell gar nicht eingelassen;

(Anja Hajduk REGENBOGEN – für eine neue Linke: Also wundert es uns nicht, daß es nicht pas- siert!)

das ist ein weiterer wichtiger Punkt. Desinformation, Ablehnung, Stellenforderungen, wie immer, waren die Reaktionen, und Bewertungen wie, es handele sich nur um kleinkarierte Rechnerei oder zu einer wirklich gerechteren Verteilung käme man sowieso nie, zeugen sicher nicht von Mitgestaltungswillen.

So hat die GEW 1995 – einer im Saal wird es noch besonders gut wissen – eine Neubewertung der Lehrerarbeitszeit in dem jetzt vorgelegten Sinn gefordert.Die Benennung der Tätigkeiten ist auch sehr begrüßt worden.Daraufhin gab es aber Stellenforderungen, die sich auf die Tatsache begründen, daß eine Lehrkraft mehr als 100 Stunden pro Jahr mehr als der öffentliche Dienst arbeitet, und es wurde flugs ausgerechnet, daß die Lehrer insgesamt eine eigene Sparleistung von 825 Stellen erbringen, die man jetzt wieder zurück haben möchte.

Wir halten diese Mehrarbeit für zumutbar und gerecht;darin unterscheiden wir uns auch in einem Punkt vom REGEN

(Christa Goetsch GAL)

BOGEN-Antrag. Denn Angehörige des höheren öffentlichen Dienstes können auch in anderen Bereichen nicht unbedingt auf eine 38,5-Stunden-Woche pochen.

(Beifall bei Wolf-Dieter Scheurell SPD)

Zeit, Souveränität und Gestaltungsfreiheit, wesentliche Punkte des Lehrerberufes, haben einen hohen Wert an sich. Es gibt für die Arbeitszeit auch Einsparmöglichkeiten, um die man sich zunächst bemühen sollte. Der Deutsche Lehrerverband ist, glaube ich, auch etwas, auf das man nicht bauen kann. Denn wenn man die Briefvorschläge des Verbandes liest, die an die Senatorin gehen, endet es praktisch in kollektiver Krankschreibung der gesamten Mitgliedschaft,

(Heiterkeit bei der GAL)

wenn sie von totaler Erschöpfung, zu wenig Zeit zur Regeneration und gesundheitlichen Dauerschäden sprechen und davon, daß sie ihren Aufgaben sowieso nicht mehr nachkommen können. Da sind andere Gewerkschaften, die keine Beamten vertreten, weiß Gott, mutiger und realistischer. Arbeits- und Zeiteinheiten und Zeitkontingente sind vielen Menschen aus ihrem Arbeitsleben bekannt. Auch Dienstleistungen sind meßbar, man braucht nur an die Entwicklung auf dem Gesundheitssektor denken, auch wenn manches nicht so gut ist.

Meine Damen und Herren, ich habe es bereits gesagt, wir stimmen dem Antrag der GAL vollinhaltlich zu. Die Arbeit der Kommission bietet gute Ansätze. Auf eine Faktorisierung kann man im ersten Schritt durchaus verzichten; das ist ja der strittigste Punkt. Es können selbstverständlich auch Varianten erprobt werden. Die wertvolle Arbeit der Kommission darf nicht umsonst gewesen sein. Das vorgelegte Modell muß in Schulen erprobt und implementiert werden.

Seit Vorlage des Berichtes sind eineinhalb Jahre vergangen, und auch eine zwischenzeitliche Anhörung im Schulausschuß hat die Notwendigkeit und Machbarkeit des Systemwechsels bestätigt. Die Schulen sind nach erfolgreicher Erarbeitung des Schulprogramms – das war auch ein Argument, es vielleicht zu lassen – jetzt auch dazu in der Lage. Nach der bisherigen langen Vorlaufzeit werden wir sehr darauf achten, daß der Senat den im Antrag genannten Termin einhält. Hier ist auch die Senatorin sehr deutlich gefordert.

Meine Damen und Herren, das neue Modell schafft nicht nur mehr Gerechtigkeit, sondern letztlich auch mehr Qualität. Das kann man nicht nur einseitig bei den Schülern abfordern, sondern das muß auch auf der anderen Seite geschehen. Es gehört in einen Zusammenhang mit dem neuen Personalentwicklungskonzept, wozu schulgenaue Einstellungen gehören, Mobilität und ein anderes Beurteilungswesen. Hinzu kommen wird auch, daß die Schulleiter über einen Stundenpool für besondere Aufgaben verfügen und daß es Leistungsanreize in Form von Prämien, schnellerem Durchlaufen der Dienstaltersstufen und so weiter geben wird. Das Prinzip Leistung, und damit Qualitätssteigerung, kann sich in Schulen nur durchsetzen, wenn mit der Gleichmacherei Schluß ist. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Engels.

(Dr.Hans-Peter de Lorent GAL: Ohne Manuskript?)