Als im Juni dieses Jahres das Ergebnis einer Risikostudie vorlag, die die EU in Auftrag gegeben hatte, daß Deutschland ebenso wie Frankreich in die Risikogruppe 3 einzustufen sei, wurde dies von Deutschlands oberstem Veterinärbeamten, Dr. Werner Zwingmann, als rein spekulativ abgetan. Aber nicht nur im Bund, auch in Hamburg wurde die Gefahr weggeredet.
Als ich im Januar 2000 in die Bürgerschaft nachrückte, stand ich noch unter dem Schock, da ich 1995 eine Bekannte durch die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit verloren hatte. Außer ihr sollen damals in Hamburg noch weitere sechs CJK-Kranke verstorben sein.Eine meiner ersten Anfragen im Februar als Bürgerschaftsabgeordnete bezog sich darauf, wieviel CJK-Todesfälle in Hamburg in den vergangenen Jahren gemeldet wurden;CJK ist meldepflichtig. Die Antwort war erschütternd, weil schlicht unwahr.Im Zeitraum von 1994 bis 1999 gab es angeblich nur zehn Todesfälle, 1998 sollte an dieser Krankheit in Hamburg sogar niemand verstorben sein.Ich arbeite bei meinem Mann im Bestattungsinstitut;wir hatten 1998 drei Tote zu beerdigen, die an der CJK-Krankheit verstorben waren.Wie reimt sich das zusammen?
Nun kommt also die Wahrheit ans Licht, wie es schon der französische Premierminister Lionel Jospin vermutete. Wenn man in Deutschland die Schlachtrinder mit dem Schnelltest auf BSE untersuchte, würde man auch fündig werden.
Der Schock ist perfekt. Schon unter den ersten 2000 untersuchten Rindern gab es einen positiven Befund.Und der Bauer aus Schleswig-Holstein schwört natürlich Stein und Bein, er habe als Futter nur Gras und Silage und kein Tiermehl verfüttert.
Was seit 1986 nicht nur in Großbritannien schwelte und lokal vorhanden sein sollte, gibt es auch in Deutschland.
(Dr. Monika Schaal SPD: Wissen Sie denn, wer da an der Regierung war? – Gegenruf von Ole von Beust CDU: Das war vor 14 Jahren! Das hat sie doch gesagt!)
Wer war denn hier von 1988 bis 1993 Gesundheitssenator? Wer hat etwas für Hamburg getan? Wo ist Herr Runde? Das würde mich einmal interessieren?
Wieviel BSE-kranke Tiere in Deutschland unerkannt in die Nahrungskette gelangt sind, kann man sich gar nicht ausdenken. Schockierenderweise hat bereits 1992 die Amtstierärztin Margit Herbst am Schlachthof Bad Bramstedt bei 21 Rindern BSE diagnostiziert, was sie auch durch Aufnahmen belegen kann. Man möge sich das vorstellen. Die Veterinärin, die den Fall an die Öffentlichkeit bringen wollte und für die Verbraucher votierte, wurde vom Dienst suspendiert. Das Thema wurde totgeschwiegen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Jürs, Sie dürfen unserer Solidarität als einsame Ruferin und Vorkämpferin gegen BSE gewiß sein.Sie sagen, daß Sie 14 Jahre lang nicht gehört wurden. Zwei Jahre ist die rotgrüne Bundesregierung im Amt, zwölf Jahre dieser Zeit waren Ihre eigenen Parteigenossen an der Regierung. Wir haben Ihre Stimme da aber nicht so laut vernommen.
Es ist aber von Ihnen als parteipolitisches Thema hier erörtert worden, und das ist eine Unverschämtheit.
Ich möchte ein Beispiel anführen: In England hat vor zwei Wochen eine Kommission im Auftrag der Labourregierung
das Umgehen der Thatcher- und Major-Regierung mit BSE untersucht. Zu der Veröffentlichung dieses Kommissionsberichts sind eine Reihe von Angehörigen von Opfern der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit nach London gefahren, wo sie erfahren haben, daß sie entschädigt werden. Eine Entschuldigung gab es nicht. Aber die Kommission hat herausgefunden, daß verharmlost wurde, daß vertuscht wurde, daß Wissenschaftler, die beim englischen Landwirtschaftsministerium angestellt waren, unter Druck gesetzt wurden, ihre Erkenntnisse nicht der Öffentlichkeit mitzuteilen.
Wenn Sie so reden, Frau Jürs, dann wünsche ich mir auch für die Bundesrepublik eine solche Kommission, die genau untersucht, wie die Landwirtschaftsminister der CDU in den Ländern und auch im Bund mit dieser Problematik umgegangen sind.
Das Problem ist allerdings sehr ernst zu nehmen und besorgniserregend, weil in der Bundesrepublik bis 1996 800 000 Rinder in die Nahrungskette gelangt sind, an die Tiermehl verfüttert wurde, das nicht nach den strengen deutschen Kriterien mit 130 Grad erhitzt wurde. Es ist auf jeden Fall notwendig – und wir richten jetzt nicht um eine Woche –, daß Tiermehl in Zukunft als Futter für Tiere verboten bleibt, weil der Tierkannibalismus zu der Übertragung von BSE mit beigetragen, ihn möglicherweise sogar verursacht hat.
Das Problem ist, daß wir leider bilanzieren müssen, daß wir wenig bis nichts über die Übertragungswege auf den Menschen wissen und auch wenig Tests zur Verfügung haben, überhaupt an lebenden Kreaturen BSE oder auch die Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung nachzuweisen. Das ist das Problem, daß wir diese Unsicherheit im Moment mit der Bevölkerung teilen und aushalten müssen, von der Wissenschaftler sagen, daß wir erst an der Anfangsphase einer Epidemieverbreitung von Creutzfeldt-Jakob-Erkrankungen und BSE stehen.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu sagen, daß die rotgrüne Bundesregierung überhaupt erstmalig im Jahr 2000 8,3 Millionen DM für die BSE-Forschung zur Verfügung gestellt hat. Im Jahre 2001 werden es 8,5 Millionen DM sein. Die CDU-Regierung hatte überhaupt nichts eingestellt. Das sind die Fakten.
Aber, wenn wir eine Bilanz ziehen – Herr Schmidt von der SPD hat es schon gesagt, ich möchte das noch einmal wiederholen –, wir stehen im Moment vor dem GAU der industrialisierten Landwirtschaft.
Dieser größte anzunehmende Unfall führt dazu, daß wir auf einer tickenden Zeitbombe leben. Wir wissen nicht, wann, welche Menschen von der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit betroffen sein werden. Im Laufe der nächsten 20 bis 30 Jahre werden es vermutlich viel mehr als bisher sein. Das muß man jetzt erst einmal bilanzieren und kann nicht verharmlost werden.Das muß beforscht werden, weil wir wenig darüber wissen.
Es geht nicht nur um den Rindfleischkonsum, der durch die Tiermehlverfütterung billig gemacht wurde und damit sicherlich der Verbrauchernachfrage entgegengekommen
ist – den Preis dafür zahlen wir jetzt –, sondern es gibt auch noch andere Probleme, auf die ich hinweisen möchte: Wie sicher sind zum Beispiel unsere Bluttransfusionen? Bei Transfusionen gibt es nämlich keinen Test zur Erkennung der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung.
Die Maßnahme, Personen, die sich sechs Monate oder länger in Großbritannien aufgehalten haben, von den Blutspenden auszuschließen, ist nicht sehr beruhigend.
Es muß geforscht und so schnell es geht Klarheit geschaffen werden.Wir müssen sehr genau verfolgen, wie sich die Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung auch in Hamburg manifestiert.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es sind nicht die ekligen Würmer in den Fischen, das ätzende Dioxin in den Hähnchen oder die Östrogene in den Kälbern, sondern diesmal sind es die Rindviecher, bei denen es um eine für den Menschen tödliche Krankheit geht. Deshalb ist die allgemeine Aufregung nicht unberechtigt, aber ebensowenig überraschend.
Wer glaubte, daß BSE vor den deutschen Grenzen haltmacht, nur weil dort ein Schild steht, für den ist in Zeiten der Globalisierung der Vorwurf der politischen Naivität noch harmlos. Es war schlicht unverantwortlich, was alle Landwirtschaftsminister dieses Landes in den letzten Jahren gemacht haben.
Mit dem Slogan „Deutsches Fleisch ist sicher, es ist ein Stück Lebenskraft“ haben die fleischverarbeitende Industrie und die Politik bislang im Schulterschluß die Bundesrepublik zur BSE-freien Zone gemacht. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, wurden warnende Stimmen geflissentlich überhört. Und weil nicht sein muß, was die fleischverarbeitende Industrie und die Landwirtschaft finanziell belastet, wurden obligatorische BSE-Tests für unnötig erklärt und Tiermehlfütterungen nur bei Rindern untersagt, wohl wissend, wie schwierig die tatsächliche Abgrenzung ist.