Protokoll der Sitzung vom 30.11.2000

Trotzdem: Die heute Engagierten sind anspruchsvoller geworden. Lebenslange Aufopferung, Bindung an einen großen Verband, unhinterfragtes, pflichtbewußtes Engagement nimmt ab. Wer sich heute engagiert, will Freude haben, will mitbestimmen, will aber auch konkrete Ergebnisse des eigenen Engagements sehen. Gerade jüngere Menschen engagieren sich eher in Projekten, die auf Zeit angelegt sind. Die Angebote, bei denen Menschen sich engagieren, müssen darauf ausgerichtet sein, die Rahmenbedingungen so auszugestalten, daß die Ehrenamtlichen ihre Bedürfnisse befriedigt sehen.

Eine Debatte über dieses Thema muß sich daher auch mit dem Freiwilligen Sozialen Jahr beschäftigen. Wir müssen uns in der Tat fragen, ob zusätzliche Angebote für ein Freiwilliges Soziales Jahr das Engagement fördern kann. Wie ist die Situation?

Zur Zeit nehmen jährlich circa 330 Menschen in Hamburg am Freiwilligen Sozialen Jahr teil. In Hamburg wird von den bekannten Trägern wie zum Beispiel vom Deutschen Roten Kreuz, vom Diakonischen Werk, vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband, von der Caritas, aber auch vom Umweltzentrum Karlshöhe und seit neuestem von der Arbeiterwohlfahrt ein breites Angebot für das Freiwillige Soziale Jahr angeboten.

Auch wir können uns vorstellen, daß eine Erweiterung insbesondere jüngere Menschen anspricht. Sie erhalten so ein Angebot, sich in der Gesellschaft zu orientieren, Lebensziele zu definieren, aber auch – das ist bei Jüngeren sehr wichtig – ein Angebot zur beruflichen Orientierung.

Nicht so überzeugend ist der Vorschlag, ein Freiwilliges Soziales Jahr bis zum Eintritt in das Rentenalter anzubieten. Menschen dieser Altersgruppe sind in der Regel berufstätig. Berufstätige engagieren sich am Wochenende oder in ihrer Freizeit am Abend. Ein Freiwilliges Soziales Jahr macht da eigentlich keinen Sinn. Arbeitslose suchen entweder den Einstieg in eine Arbeit, aber keinen freiwilligen Dienst. Auch hier macht die einjährige Verpflichtung aus unserer Sicht keinen Sinn.

Weiter möchten wir die Möglichkeit des Freiwilligen Ökologischen Jahres in Hamburg mit einbeziehen. Gerade den jüngeren Menschen ist das Engagement im ökologischen Bereich sehr wichtig. Ob die 19 Plätze, die Hamburg zu bieten hat, wirklich das letzte Wort sind, halten wir für diskussionswürdig. Bundesweit hat sich die Zahl der Teilnehmenden am Freiwilligen Ökologischen Jahr jedenfalls seit 1995 verdoppelt.

Wie bei allen Anliegen müssen wir auch über Geld sprechen. Die Ausweitung des Freiwilligen Sozialen Jahres kostet Geld entweder den Bund – es ist eine ausschließliche Bundesangelegenheit –, die Träger oder – wie Sie es vorschlagen – die Freie und Hansestadt Hamburg im Rahmen eines Modellversuchs. Auch hierüber müssen wir beraten.

Ein anderer Punkt ist problematisch. Sie sprechen in Ihrem Antrag die Probleme an, die durch den Rückgang der Zi

(Frank-Thorsten Schira CDU)

vildienstleistenden entstanden sind. Es ist falsch, diese Debatten zu vermengen. Freiwilligenarbeit, bürgerliches Engagement und auch das Freiwillige Soziale Jahr haben keine Lücken zu schließen. Sie sind wichtig, weil eine solidarische Gesellschaft auf Engagement angewiesen ist und weil Menschen Freude und Interesse an Tätigkeiten haben, die der Gemeinschaft zugute kommen, es dient aber nicht dazu, irgendeine nicht besetzte Stelle wieder zu besetzen.

Sie greifen in der Begründung Ihres Antrags die Debatte über den Freiwilligendienst auf. Auch der hessische Ministerpräsident Roland Koch hat die Forderung nach einer sozialen Dienstpflicht erwogen.

(Dr. Ulrich Karpen CDU: Da hat er recht!)

Hier ist Sensibilität geboten. Unser Grundsatz verbietet – vor dem Hintergrund der Erfahrungen im Faschismus – Zwangsarbeit jeder Art. Das Grundgesetz schreibt als Dienstverpflichtung den Dienst in den Streitkräften vor. Auch der soziale Zivildienst ist kein Arbeitsdienst im sozialen Bereich, sondern wird von Männern als Ersatzdienst geleistet, wenn sie ihrer Dienstpflicht an der Waffe aus Gewissensgründen nicht nachkommen können. Jede andere Form der Arbeitspflicht schrammt hart an der Verfassungsmäßigkeit vorbei.

Freiwilliges muß freiwillig bleiben und darf nicht zum Pflichtdienst werden; Engagement kann nicht erzwungen werden. Menschen sollen selbst entscheiden, ob und wo sie sich engagieren. Dazu müssen gute Rahmenbedingungen und interessante Angebote vorhanden sein. Solidarität kann vorgelebt und auch gelernt, aber nicht verordnet werden. Staatliche Verpflichtung zu sozialen Zwangsdiensten lehne ich daher ab.

Die Debatte zeigt, daß es Beratungsbedarf gibt. Daher plädieren wir für die Überweisung an den Sozialausschuß.

(Beifall bei der SPD – Dr. Ulrich Karpen CDU: Sehr vernünftig!)

Das Wort hat Frau Dr. Freudenberg.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich freue mich auf die Debatte über das Freiwillige Soziale Jahr und auf die Auswirkungen des Rückganges der Zivildienstleistenden im Sozialausschuß.

Das Wichtigste für mich ist, daß wir darüber nachdenken, welche Altersgruppen diese Freiwilligenarbeit leisten sollen oder wollen. Ich möchte eher Herrn Schira und der CDU zustimmen, daß alle Altersgruppen bis zum Rentenalter das Freiwillige Soziale Jahr leisten können.

Wir sollten uns darüber Gedanken machen, ob nicht gerade Menschen im Rentenalter ein besonderes Interesse daran haben, ein Freiwilliges Soziales Jahr abzuleisten. Es wäre eine logische Folge des demographischen Wandels, denn sehr viele Menschen sind mit 60 Jahren gesund und voller Tatendrang; sie haben den Wunsch, gebraucht zu werden und neue, soziale Kontakte einzugehen. Ich glaube, daß in dieser Altersgruppe eine große Bereitschaft besteht, sich da zu verpflichten.

Man könnte eventuell auch überlegen, ob man das Freiwillige Soziale Jahr als Teilzeitbeschäftigung anbietet und Möglichkeiten eines verpflichtenden Engagements in anderen Formen der ehrenamtlichen Arbeit findet, die freier

gestaltet werden können. Diese ungeheuer spannende Debatte wollen wir weiterführen.

Wir müssen uns auch darüber Gedanken machen, welche Anerkennung die Menschen für ihr Engagement brauchen. Ihre Vorschläge dafür sind unzureichend. Eine Karte, mit der man billiger Bahnfahren oder für die Hälfte des Eintrittspreises ein Museum besuchen kann, reicht nicht aus. Wir sollten mehr tun, indem wir überlegen, ob vielleicht die Rente aufgebessert werden könnte oder auch Steuerfreibeträge möglich sind.

(Dr. Ulrich Karpen CDU: Aber fangen wir erst ein- mal an!)

Wir müssen damit anfangen.

Uns liegt im Sozialausschuß – soweit ich mich erinnere – auch Ihre Große Anfrage über die Auswirkungen aufgrund des Rückganges der Zivildienstleistenden vor. Wir werden das mit aufgreifen, und ich glaube, wir haben damit ein gutes Thema, an dem wir gemeinsam arbeiten werden. – Danke.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Wird weiterhin das Wort gewünscht? – Das sehe ich nicht. Damit ist die Debatte abgeschlossen.

Wer einer Überweisung der Drucksache 16/4926 an den Sozialausschuß zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist die Überweisung einstimmig erfolgt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 70: Drucksache 16/5078: Antrag der SPD-Fraktion zum Erhalt der Abtreibungspille.

[Antrag der Fraktion der SPD: Erhalt der Abtreibungspille Mifegyne – Drucksache 16/5078 –]

Wer wünscht das Wort? – Frau Brinkmann, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wieder einmal müssen wir über den Paragraphen 218 diskutieren. Hierbei geht es nicht um das Ob, sondern wie ein Abbruch vonstatten gehen soll.

Jahrelang haben Frauen dafür gekämpft, daß ein medikamentöser Abbruch auch in Deutschland möglich wird, der in den europäischen Nachbarländern schon längst gang und gäbe ist. Ein Hauptargument der Kritiker lautete stets: Viele Frauen machen es sich zu einfach, wenn sie nur eine Pille nehmen, denn sie werden sich der Schwere dieses Vorgangs vielleicht nicht bewußt. Von daher sei es sinnvoller, anders vorzugehen.

Heute stehen wir vor der folgenden kuriosen Situation: Seit November 1999 ist die Abtreibungspille Mifegyne auch in Deutschland im Handel. Seitdem besteht für die Frauen die Alternative, sich zwischen zwei verschiedenen Schwangerschaftsabbruchmöglichkeiten – dem chirurgischen und dem medikamentösen – zu entscheiden. Viele Frauen haben Angst vor dem chirurgischen Eingriff. Ihnen muß die Möglichkeit gegeben werden, die andere Alternative zu wählen.

Leider ist diese positive Situation so gut wie vorbei, denn zum Ende dieses Jahres wird die Arzneimittelfirma die Lizenz, die sie für den Verkauf der Pille in Deutschland hat,

(Britta Ernst SPD)

aus Kostengründen zurückgeben. Sie hat Defizite erwirtschaftet, weil die Abtreibungspille zu selten verschrieben und angewandt wird.

In den letzten Tagen stand zwar in einer größeren Tageszeitung, daß eine andere Pharmafirma diese Lizenz übernehmen will, aber Roß und Reiter wurden noch nicht genannt. Diese Meldung überzeugt mich nicht. Denn wenn man in der Pharmazie keine Geschäfte machen kann, dann ist es nicht sicher, ob diese Pille bei der nächsten Firma nicht dasselbe Schicksal wie zuvor erleidet. Darum muß man das Übel an der Wurzel packen und die Bedingungen verändern.

Der Bewertungsausschuß der niedergelassenen Ärzte und der Krankenkassen muß eine Neubewertung vornehmen. Von den Kritikern wurde bemängelt, daß die Frauen nicht ausreichend beraten würden, so daß es zu keinem vernünftigen Umgang mit der Pille kommen kann. Das wird ihnen jetzt von der Kostenseite verweigert, denn die Vergütung für diesen Abbruch wird nicht entsprechend berücksichtigt.

Für einen chirurgischen Eingriff erhalten die Ärzte etwa das doppelte Honorar, und darum werden die Frauen häufig nicht richtig beraten. Man darf nicht davon ausgehen, daß ein medikamentöser Abbruch für die Frauen einfacher ist. Auch hierbei muß genau abgewogen werden, denn letztendlich ist es für die Frauen eine Gewissensfrage.

Es gibt drei Phasen, in denen die Frauen gut betreut werden müssen.

Zunächst müssen sie intensiv beraten und alle Vor- und Nachteile dargestellt werden. Dann sollte während des Abbruchs eine zweitägige Betreuung der Frauen erfolgen, damit die medizinische Versorgung gewährleistet ist. Sehr wichtig ist die psychologische Nachbetreuung, die aber derzeit von den Ärzten nicht berechnet werden kann und auch nicht anderweitig finanziert wird.

Das Entscheidungsrecht der Frauen, zwischen zwei verschiedenen Abbruchsmöglichkeiten zu wählen, ist uns wichtig. Von daher appellieren wir an den Senat, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, daß der Bewertungsausschuß eine Neubewertung vornimmt, daß die finanzielle Situation nicht ausschlaggebend ist und den Frauen weiterhin diese Wahlmöglichkeit erhalten bleibt. Dafür werden wir uns einsetzen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort hat Frau Koop.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Brinkmann, wir führen keine Debatte über die Abtreibung; das machen wir nicht mehr.

(Petra Brinkmann SPD: Das habe ich gesagt!)

Nein, Sie haben gesagt, daß wir wieder in eine Debatte einsteigen würden, aber genau diesen Einstieg wollen wir nicht. Wir wollen nur über die Wahl der Abbruchsmethode debattieren.