Protokoll der Sitzung vom 12.12.2000

Sie sagten gestern – an Herrn von Beust gewandt –, streiten wir um die besseren Argumente, aber machen wir den Menschen keine Angst.

(Dr. Holger Christier SPD: Richtig!)

Das haben Sie gesagt und ist auch völlig richtig. Nur, zu einer vernünftigen Streitkultur gehört auch Wahrheit und Wahrhaftigkeit,

(Beifall bei der CDU)

und es gehört dazu, daß man nicht den Versuch unternimmt, die Realität schönzureden, sondern man muß die Realität zur Kenntnis nehmen. Man darf auch nicht den Versuch unternehmen, die Menschen für dumm zu verkaufen,

(Dr. Holger Christier SPD: Das macht auch keiner!)

und bei ihnen den Eindruck erwecken, daß Realität und Propaganda auseinanderfallen, denn dieser Eindruck ist das, was Mißtrauen sät, das ist das, was das Geschäft der Populisten und Vereinfacher erleichtert. Das Gefühl der Unsicherheit entsteht auch durch eine gnadenlos zusammengesparte Polizei, meine Damen und Herren.

1994 hatten wir 8789 Polizeivollzugsbeamte und in diesem Jahr nur noch 7996, das heißt, in den letzten sechs Jahren sind circa 800 Stellen im Polizeivollzug eingespart worden. Das führt dazu, daß die Reviere, das Landeskriminalamt und die Bereitschaftspolizei personell geradezu ausbluten.

(Barbara Duden SPD: Die CDU wollte 20 000 Stel- len einsparen!)

Es gibt Reviere, die vor einigen Jahren noch fünf oder sechs Streifenwagen hatten, zum Beispiel in Billstedt, und jetzt nur noch zwei oder drei. Das ist die Realität, und das führt dazu, daß die Bürger, die die Polizei rufen, die Erfahrung machen, teilweise unangemessen lange auf die Polizei warten zu müssen. Diese Erfahrung hat auch jemand machen müssen, der hier im Raum ist, nämlich Herr Staatsrat Prill, und ich zitiere aus der „Morgenpost“ von vor einigen Wochen. Da heißt es:

„Der zweithöchste Beamte der Innenbehörde war Zeuge eines Unfalls geworden. Er rief die Polizei, weil sich der Unfallverursacher aus dem Staub machen wollte. Die Minuten vergingen – nichts geschah. Nach einer Viertelstunde rief Staatsrat Prill erneut 110. Deutlich ungehalten (Polizisten sprechen von einem Wutanfall)“

kann ich mir gar nicht vorstellen –

(Barbara Duden SPD: Das hätte ich auch gemacht!)

„erneuerte er seine Meldung. Dr. Susanne Fischer, Büroleiterin des Innensenators, bestätigte den Vorfall, dementierte aber den Wutausbruch. Die Regierungsdirektorin sagte aber: ,Es war zu der Zeit ziemlich frisch, man könnte auch sagen: saukalt.‘ Nach MOPO-Informationen soll der Innen-Staatsrat schließlich eine Stunde auf eine Funkstreife gewartet haben. Frau Dr. Fischer: ,Höchstens 30 Minuten.‘“

Lassen wir es 45 Minuten gewesen sein, in jedem Fall viel zuviel, und das ist das Schicksal, das nicht nur Sie, Herr Prill, sondern auch unsere Bürger erleben, wenn sie die Polizei rufen.

Wir haben gestern in der Zeitung lesen dürfen, daß bis Mitte des Jahres 800 000 Überstunden im Bereich der Polizei angefallen sind, allein beim LKA waren es 200 000. Überstunden sind dazu da, um konjunkturelle Spitzen abzufangen; man muß nicht Gewerkschafter sein, um das zu wissen. Sie sind aber nicht dazu da, eine dauernde Überlast zu fahren, und das ist derzeit die Realität bei der Polizei.

(Beifall bei der CDU – Erhard Pumm SPD: Bei der Polizei ist immer Hochkonjunktur!)

Der Senator und sein Staatsrat, der gerade diese Erfahrungen machen durfte, haben nicht nur die Verantwortung

(Heino Vahldieck CDU)

für die Sicherheit der Bürger, sondern auch eine Fürsorgepflicht für ihre Beamten. Und eine Behördenleitung, die dafür sorgt, daß bis Mitte des Jahres 800 000 Überstunden angefallen sind, nimmt ihre Fürsorgepflichten gegenüber den Polizistinnen und Polizisten nicht so ernst, wie sie es tun sollte.

(Beifall bei der CDU)

Die Personaldecke bei der Polizei – diese Erfahrung macht man immer, wenn man mit Beamtinnen und Beamten spricht – ist überall zu kurz. Die Polizei muß ständig sich neu ergebende Aufgaben oder in ihrer Bedeutung erschwerende Aufgaben wahrnehmen. Es gibt die immer mehr Metastasen bildende offene Drogenszene, es gibt Gewalt in und vor Diskos, es gibt eine Schwemme von Rauben, es gibt die Notwendigkeit, jüdische Einrichtungen zu schützen und DNA-Analysen zu machen. Das sind alles neue Aufgaben, für die immer wieder neue Projektgruppen, neue Einheiten geschaffen werden. Das ist auch richtig so, aber wo kommen die Männer und Frauen denn her. Die wachsen nicht auf den Bäumen, die kann man auch nicht sonstwo ernten, die muß man aus bestehenden Einheiten abziehen.

(Manfred Mahr GAL: Das war doch immer schon so!)

Das führt dazu, daß bestehende Einheiten immer mehr ausbluten, und vor diesem Problem stehen wir derzeit.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb kann es nur darum gehen, nicht immer neue Löcher zu reißen, sondern wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Es hat keinen Zweck, die zu kurze Decke ständig auf dem Körper hin- und herzuschieben nach dem Motto: Die Füße sind im Moment warm, dann kann ich jetzt versuchen, die Brust zu bedecken, aber dann hat man ganz schnell wieder kalte Knie. Das kann nicht die Politik sein, die wir wollen. Wir brauchen bei der Polizei – und das ist jetzt wirklich dringend – neue Stellen. Deshalb haben wir 428 neue Stellen beantragt

(Zurufe: Mehr nicht?)

nicht 2000, das war jemand anderes, dessen Namen ich hier nicht erwähne –, und Herr Dr. Freytag hat gestern belegt, wie wir das finanzieren. Damit hätten wir wenigstens den Stellenbestand von 1997. Das ist immer noch bitter wenig, aber schon erheblich besser als derzeit.

(Beifall bei der CDU)

Es wäre ein guter Anfang und würde dazu führen, daß jede Polizeirevierwache ein bis zwei Streifenwagen mehr zur Verfügung hätte. Wir könnten, was dringend notwendig ist, in den Stadtteilen Eidelstedt und Lurup eine zusätzliche neue Revierwache schaffen. Wir könnten die bestehende ehemalige Revierwache in der Straße Hohe Bleichen reaktivieren, derzeit ist sie keine Revierwache. Das wären sicherheitspolitische Fortschritte und Schritte hin zu mehr Sicherheit für den Bürger.

Herr Dr. Christier, wenn Sie gestern vorgetragen haben, unsere Anträge seien Indiz für einen Rechtsruck, dann hat das mit Rechts überhaupt nichts zu tun, es geht um die Sicherheit für die Bürger.

(Dr. Holger Christier SPD: Vergleichen Sie das ein- mal mit dem letzten Jahr!)

Das ist nicht rechts, das ist nicht links, das ist unser aller Verantwortung, und der müssen wir uns stellen.

(Beifall bei der CDU)

Die Polizei hat die Aufgabe, gerade die heute und gestern schon viel zitierten Armen und Schwachen zu schützen. Wenn sie personell nicht dazu in der Lage ist, kann sie das nicht. Und gerade diejenigen, die nicht die Möglichkeit haben, sich mit viel Geld Sicherheit zu kaufen, sind auf die Polizei angewiesen. Diesen Leuten und ihren Ansprüchen müssen wir gerecht werden, und darum bitte ich Sie, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Kleist.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Hamburg setzt nach wie vor klare Prioritäten. Die Wahrung der öffentlichen Sicherheit ist und bleibt unser Ziel. Diese Priorität kann an den Abschlußzahlen des Einzelplans der öffentlichen Sicherheit festgemacht werden.

Die Veränderungsraten sowohl bei den bereinigten Betriebsausgaben als auch bei den bereinigten Gesamtausgaben des Einzelplans der öffentlichen Sicherheit sind positiver als die Veränderungsraten im bereinigten Gesamthaushalt.

(Unruhe bei der CDU)

Wir reden hier über den Haushalt, falls Sie das noch nicht mitbekommen haben.

(Dr. Rolf Lange SPD: Dichter ran an das Mikrofon!)

Die bereinigten Betriebsausgaben betragen in Hamburg minus 0,5 Prozent.

(Glocke)

Herr Abgeordneter, Sie wären noch verständlicher, wenn Sie dichter an das Mikrofon herangehen würden. Die Abgeordneten versuchen dringlichst, Sie zu verstehen.

(Heiterkeit im ganzen Hause – Beifall bei der SPD und der CDU)

Vielen Dank, Herr Präsident, aber vielleicht liegt es auch ein bißchen an der Aussteuerung.

Im ersten Halbjahr hat die Polizei die Aufmärsche und Demonstrationen von Neonazis wachsam und konsequent gehandhabt, ein heißer Herbst ist auch deshalb ausgeblieben. Dafür gebührt den Männern und Frauen der Polizei herzlicher Dank.

(Beifall bei der SPD)