Protokoll der Sitzung vom 14.02.2001

ich habe persönlich überhaupt nichts gegen Herrn Wersich, ich habe nur etwas gegen seine Ausführungen, die an der Wirklichkeit vorbeigehen, und dagegen wehren wir uns –, daß er ausgerechnet bei der offenen Drogenszene das soziale Problem anspricht und wenn der Fraktionsvorsitzende Herr von Beust jede Hilfe für die Süchtigen anbietet. Ich kann mich sehr gut erinnern, wie es hier gewesen ist. Wer hat denn jahrelang das Methadon-Programm vor und zu Beginn der Einführung immer und immer wieder gegen die CDU, gegen Herrn Dr. Kampf, verteidigen müssen?

(Beifall bei der SPD – Heino Vahldieck CDU: Das ist Legendenbildung!)

Wie ist es denn mit dem Spritzentausch im Gefängnis? Sind das keine Leute, die einer Hilfe bedürfen, und was sagt dazu Ihr Berater, Herr Kusch? Wie ist es denn beim Heroinmodell, das wir einführen wollen? Da müssen wir um jeden einzelnen kämpfen, denn Herr Wersich schlägt einmal vor, 100 ins Programm zu nehmen, und das nächste Mal sagt er 200. Der Vorschlag im Modell von 250 wird von der CDU abgelehnt, aber auf der anderen Seite wollen Sie jede Hilfe für die Süchtigen; genau das haben Sie hier so zynisch dargestellt. Sie haben einen Vorschlag mit weniger als 100 vorgelegt, und das ist nicht akzeptabel,

(Antje Blumenthal CDU: Setzen Sie sich mal mit un- seren Anträgen auseinander!)

wenn man andererseits sagt, jede Hilfe für die Süchtigen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL – Glocke)

(Norbert Hackbusch REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Frau Brinkmann, akzeptieren Sie eine Zwischenfrage?

Nein. – Es gibt keine andere Großstadt in Deutschland, die ein so vielfältiges Hilfesystem aufgebaut hat wie Hamburg. Der einzige Punkt, der in unserem Hilfesystem noch fehlt und an dem wir arbeiten, ist das Crackproblem. Wenn die CDU weiß, wo es eine Therapiemöglichkeit, ein wirksames Hilfsangebot für Crackabhängige, gibt, dann soll sie sich hier hinstellen und das sagen, dann ist sie klüger als der Rest der Welt, nur bewiesen hat sie bisher in dem Punkt überhaupt nichts.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Hans-Peter de Lo- rent GAL)

Dann wird angeführt, Frankfurt wäre so toll. Frankfurt hat mit drei halben Stellen ein Modellprojekt mit aufsuchenden Sozialarbeitern gemacht. Wir haben ein Modellprojekt mit aufsuchenden Sozialarbeitern mit sechs vollen Stellen, und das greift. Wir sind dabei – das ist auch schon von einem Mitglied meiner Fraktion gesagt worden –, einen sogenannten Ruheraum einzurichten, wo wir Möglichkeiten für die Crackabhängigen schaffen werden. Das sind natürlich keine Therapieangebote, aber weltweit weiß man noch gar nicht, was man da machen soll.

Ich komme zum Punkt Akupunktur: Auch das, Herr Wersich, haben Sie offensichtlich noch nicht ganz verstanden. Wir alle sind für die Therapie mit Akupunktur, darum geht es nicht. Es geht um die Finanzierbarkeit dieses Projekts,

(Dietrich Wersich CDU: Aber 30 Millionen DM für Heroinvergabe haben Sie!)

und da möchte ich Sie noch einmal an die Finanzierung des Methadon-Projekts erinnern. Als wir darum gestritten haben, wie das finanziert werden sollte, haben Sie gar nicht hingehört, sondern waren immer nur dagegen; da hatten wir nämlich dieselbe Situation. Die Krankenkassen haben sich geweigert, diese Therapie zu finanzieren. Und wären wir in Hamburg damals nicht so hartnäckig geblieben und hätten gesagt, entweder wird es über das normale System finanziert oder gar nicht, dann hätten wir das vielleicht heute noch nicht; ähnlich ist es bei der Akupunktur.

Leider leuchtet hier schon die rote Lampe. Ich könnte Ihnen noch vieles entgegnen auf Ihre aufgestellten Behauptungen.

(Beifall bei der SPD)

Nunmehr liegen keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Thema vor.

Dann kommen wir zu dem von der GAL angemeldeten Thema

„Der perfekte Mensch um jeden Preis“

Das Wort erhält Frau Dr. Freudenberg.

Ich bitte zu berücksichtigen, daß die Aktuelle Stunde voraussichtlich nur bis 16.21 Uhr dauern wird, es sei denn, der Senat meldet sich noch zu Wort. – Danke.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Sie haben es gelesen: das menschliche Genom ist entschlüsselt. Unbestritten ist die Erstellung der Genkarte des Menschen eine große wissenschaftliche Leistung. Wir wissen nun, daß der Mensch viel weniger

Gene hat als angenommen, nämlich mit rund 40 000 nur knapp doppelt so viele wie die Fliege.

(Glocke)

Meine Damen und Herren! Ich bitte um etwas mehr Ruhe. – Danke schön.

Der Mensch ist eben viel mehr als die Summe seiner Gene. Wir kennen nun die Orte der einzelnen Gene und können ihnen bestimmte Funktionen zuordnen. Was wir aber bisher nicht wissen, ist, wie die Gene zusammenwirken und was unsere Individualität und das Menschsein überhaupt ausmachen.

Es ist kein Zufall, daß gleichzeitig mit dem erfolgreichen Abschluß des Genomprojekts der Druck auf die Politik zunimmt, gesetzliche Beschränkungen der Anwendung gentechnischer Methoden zu lockern. Im Zentrum der Diskussion stehen zwei Bereiche: die Forschung mit embryonalen Stammzellen, irreführend auch therapeutisches Klonen genannt, und die Präimplantationsdiagnostik. Beides ist in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz verboten.

Die neue Gesundheitsministerin im Bund, Ulla Schmidt, und diese Woche auch Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn haben sich nun für die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik in Einzelfällen ausgesprochen. Damit widersprechen sie der Position, die die Bundesregierung bis zum Rücktritt von Andrea Fischer vertreten hat. Der Vorsitzende der Hamburgischen Ärztekammer, Herr Dr. Montgomery, hat den sich abzeichnenden Kurswechsel kritisiert und vorgestern durch eine Pressemitteilung vor einem ethischen Dammbruch gewarnt.

Worum geht es nun bei der Diskussion um die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik? Das Embryonenschutzgesetz verbietet diese Methoden, also die Untersuchung von im Reagenzglas befruchteten Eizellen auf genetische Abweichungen vor ihrer Einpflanzung in die Gebärmutter. Diese Methode zur Selektion von Embryonen bei einer künstlichen Befruchtung ist in anderen europäischen Ländern zugelassen. Die Zulassung wird in Deutschland von einigen Zentren gefordert mit dem Hinweis auf einzelne Paare mit bekannten schweren Erbkrankheiten, die durch die PID eine Schwangerschaft mit einem erbkranken Kind ausschließen möchten; in Deutschland gibt es etwa 50 solcher Fälle. Befürworterinnen der Präimplantationsdiagnostik argumentieren, diese Methode erspare der Frau die Belastung durch einen späteren Schwangerschaftsabbruch, der nach der Diagnostik des genetischen Defekts auch zu einem späten Zeitpunkt der Schwangerschaft im Rahmen des Paragraphen 218 durchgeführt werden darf.

Für den Einzelfall ist diese Argumentation schlüssig, und eben da liegt der Kern des Problems. Die Befürworterinnen der PID betonen, diese Methode der positiven Embryonenselektion solle nur bei ganz besonders schweren Erbkrankheiten angewandt werden. Aber wie definieren wir diese und wie verhindern wir, daß die Methode, einmal etabliert, auch bei anderen genetischen Normabweichungen angewandt wird oder auch nur, um das gewünschte Geschlecht oder andere Merkmale des Wunschkindes bestimmen zu können? Ist es angesichts der rasanten technischen Entwicklung eine Illusion anzunehmen, daß es bald möglich sein wird, eine ganze Reihe von Merkmalen quasi aus dem Genkatalog aussuchen zu können, und wie

(Petra Brinkmann SPD)

wollen wir die Erfüllung solcher Elternwünsche verhindern?

Die Erfahrungen mit der Pränataldiagnostik haben gezeigt, daß es unmöglich ist, eine zugelassene Methode vorgeburtlicher Diagnostik auf definierte, schwere Einzelfälle zu beschränken. Längst ist die Untersuchung des Embryos Routine bei der Schwangerenvorsorge. Was dies für unsere Gesellschaft und für unser Menschenbild bedeutet, können wir noch nicht ermessen. Solange wir nicht wissen, wie wir die Anwendung von Forschungsergebnissen in der Gentechnik begrenzen können, sollten wir die Präimplantationsdiagnostik nicht zulassen. Wir sollten uns vielmehr Gedanken darüber machen, wie wir den Respekt vor der Unterschiedlichkeit der Menschen bewahren können. Es ist nötig, daß die Rechtsfragen der Genomforschung immer im Gesamtzusammenhang mit ethischen und sozialen Aspekten gesehen werden. Genomforschung muß interdisziplinär begleitet und aufgearbeitet werden; so haben wir es auch im Hamburger Koalitionsvertrag festgelegt. Der Bereich der Technikfolgenabschätzung ist auch an der Hamburger Universität fest etabliert.

Im Koalitionsvertrag haben wir auch vereinbart, daß die Entwicklung der Bio- und Gentechnologie in Hamburg durch einen offenen Diskurs transparent gemacht wird. Der Senat fördert die öffentliche Debatte unter anderem mit der Organisation von Diskussionsveranstaltungen.

(Glocke)

Frau Dr. Freudenberg, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Könnten Sie einen Abschluß finden.

Ich finde einen Abschluß. – Im letzten November hatten wir eine interessante Diskussionsveranstaltung, die sehr kritisch und sehr gut war, und ich hoffe, daß wir in dieser Form weiter die Diskussion führen, die noch längst nicht abgeschlossen ist.

(Beifall bei der GAL und bei Dr. Andrea Hilgers SPD)

Das Wort erhält Frau Senatorin Roth.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Senat und Bürgerschaft dieser Stadt haben immer wieder deutlich gemacht, daß der perfekte Mensch an keiner Stelle Zielsetzung der Politik ist oder auch nur wünschbar sein kann. Vielmehr gibt es in dieser Stadt einen großen gesellschaftlichen Konsens, Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit zu respektieren und ihnen Angebote für Schule, Ausbildung, Arbeit und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu machen, die eine optimale Entwicklung entsprechend ihren Fähigkeiten und Neigungen ermöglicht.

Es gibt in unserer Gesellschaft weiter einen großen gesellschaftlichen Konsens, daß Männer und Frauen gleichberechtigt und gleichwertig sind und auch sein sollen. Es gibt in unserer Gesellschaft eine mühevolle und intensiv diskutierte Mehrheitsauffassung, die es einer schwangeren Frau ermöglicht, sich im individuellen Konfliktfall für oder gegen die Weiterführung einer Schwangerschaft zu entscheiden. Diese über lange Jahre gewachsenen Diskussionsergebnisse unter Einbeziehung ethischer, religiöser und politischer Weltanschauungen werden derzeit durch die Entwicklung des medizinischen Fortschritts und durch die

Weiterentwicklung der Forschung dramatisch in Frage gestellt.

Mit Hilfe der Präimplantationsdiagnostik ist eine genetische Untersuchung von in vitro erzeugten Embryonen schon vor einer Implantation in den weiblichen Körper möglich. Das erste Kind, an dem im Embryonalstadium eine solche Diagnostik durchgeführt wurde, kam 1990 in den USA zur Welt. Inzwischen gibt es weltweit 200 Kinder nach einem solchen diagnostischen Eingriff. Die PID eröffnet also eine neue Dimension der Möglichkeiten menschlichen Handelns. In der gesellschaftlichen Diskussion darüber, was künftig zugelassen werden soll und was auch gesellschaftlich akzeptiert wird, dürfen dabei aus meiner Sicht nicht nur wirtschafts- oder forschungspolitische Gesichtspunkte im Vordergrund stehen. Bei der PID geht es darum, prinzipiell Embryonen mit unerwünschten Merkmalen zu selektieren. An erster Stelle steht hier der Wunsch, durch medizinischen Fortschritt dazu beizutragen, das individuelle Leid zu verhindern – medizinisch und menschlich nachvollziehbare Argumente. Doch die Frage ist, ob der Blick auf den Einzelfall ausreicht, um zu einer Antwort auf das Für und Wider zu kommen. Ist, was auf den Einzelfall bezogen anzuwenden ist, gesellschaftlich wünschenswert, wenn es zu Konsequenzen wie einem perfekten Menschen führen würde? Welche Krankheiten sollen überhaupt zu diesen Einzelfällen zählen, und wer wählt diese Krankheiten aus? Lassen sich diese Einzelfälle wirklich begrenzen, oder wird Tür und Tor geöffnet, um den Medizinern, aber auch den Eltern die Möglichkeit zu geben, über lebenswertes und nicht lebenswertes Menschenleben zu entscheiden? Wie weit sind wir dann entfernt von der Selektion eines Kindes nach Maß oder eines Menschen nach Maß? Wie würde die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik den Blick auf Krankheit und Behinderung verändern? Würden Krankheit und Behinderung auf einmal nicht mehr selbstverständlicher Teil des Lebens sein, sondern nur noch ein Makel für diejenigen, die es nicht getan haben, obwohl doch die medizinischen und technischen Voraussetzungen vorhanden waren? Wie ändert sich dadurch der Blick auf Menschen mit Behinderung, und wie kann das Selbstbestimmungsrecht der Menschen in diesen Fragen insbesondere den Frauen Rechnung tragen?

(Vizepräsident Berndt Röder übernimmt den Vor- sitz.)

Diese Fragen stellen sich vor allem vor dem Hintergrund der diese Woche vorgestellten Ergebnisse der Genomforschung noch nachdrücklicher als bisher. Also sehr viele Fragen, und wir brauchen auch Antworten darauf, wo wir Grenzen setzen und wo wir nicht wollen, daß diese Grenzen überschritten werden.

Der Senat hat in seiner Stellungnahme zum Ersuchen zu Bio- und Gentechnik am 18. Januar 2001 seine Position deutlich gemacht und die bisherige restriktive Linie bei PID weiterhin bekräftigt. Die Zulassung der PID würde eine Grenzüberschreitung bedeuten, deren Konsequenzen derzeit nicht übersehbar sind. Wir sollten uns auch nicht von denjenigen Ländern unter Druck setzen lassen, die bereit sind, hier offener vorzugehen und dies zuzulassen. Wir stehen erst am Beginn einer gesellschaftlichen Debatte darüber, was wir wollen und was wir nicht wollen. Auf jeden Fall gebietet es die Verantwortung von uns allen, daß wir uns Zeit nehmen, daß wir uns nicht unter Druck setzen lassen und daß wir mit allen Kräften in der Gesellschaft darüber diskutieren, daß das, was jetzt beginnt, wirklich ein

(Dr. Dorothee Freudenberg GAL)

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