Protokoll der Sitzung vom 15.02.2001

Von wem wird das Wort gewünscht? – Herr Grund, bitte schön.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zunächst bitte ich das Haus um Entschuldigung dafür, daß ich durch meine verspätete Anreise aus München hier tagesordnungsmäßige Verwirrung verursacht habe. Ich bitte um Nachsicht.

(Carsten Lüdemann CDU: Das berührt uns über- haupt nicht!)

Dann ist es in Ordnung.

Regelmäßige Normalarbeitsverhältnisse, wie wir es früher genannt haben, heißt, die Arbeit beginnt am Montagmorgen um acht Uhr und endet am Freitagnachmittag, vollzeitbeschäftigt. Solche Arbeitsverhältnisse machen in dieser Republik aber nur noch weniger als ein Viertel aller Arbeitsverhältnisse aus. Dies ist ein Beispiel dafür, wieviel sich in dieser Republik in den letzten zwanzig Jahren im Bereich der Arbeit verändert hat.

Es ist notwendig, daß dies im Bereich der Arbeitsmarktpolitik berücksichtigt wird und daß sich die Politik auf diese Veränderungen einstellt.

Die CDU hat in der Anhörung des Sozialausschusses, als es um die Frage der Leitlinien der hamburgischen Arbeitsmarktpolitik ging, von einem Paradigmenwechsel gespro

(Dr. Martin Schmidt GAL)

chen. Ich möchte das unterstreichen und zunächst aber einmal darauf schauen, was sich in der Arbeitsmarktpolitik grundsätzlich verändert hat.

Ich will nicht weiter darauf eingehen, denn Sie alle wissen es, daß die Arbeitslosigkeit deutlich gesunken ist. Darüber sind offensichtlich alle froh und dankbar. Wir haben im Arbeitsmarkt eine grundlegende Änderung in der Form, daß es nicht mehr die Arbeitsuchenden sind und die mangelnde Nachfrage, die das überwiegende Problem stellen, sondern wir befinden uns inzwischen auf der Schwelle, daß umgekehrt die nicht befriedigte Nachfrage ein zunehmend wachsendes Problem der Arbeitsmarktpolitik ist.

Das ist allerdings ein so grundlegender Wandel in Hamburg, daß sich Arbeitsmarktpolitik komplett überprüfen muß. Die bisherigen Instrumente waren, wie Sie wissen, aus Mangel an Arbeitsplätzen sehr viel auf Beschäftigung von Arbeitslosen ausgerichtet, die keinen Arbeitsplatz finden konnten. Sie muß sich neu orientieren und sortieren. Nichts anderes wollen die Leitlinien zur Arbeitmarktpolitik sagen.

Was ist das Besondere an diesen Leitlinien, warum haben wir sie diskutiert und wollen sie auch heute mit Ihnen diskutieren?

Ich will auf die Kernsätze eingehen, aber zunächst bemerken, das Entscheidende ist, daß es nicht nur von Fachleuten aus dem Bereich der Arbeitsmarktpolitik und dem Senat formuliert wurde, sondern daß sie von allen relevanten Kräften in diesem Bereich getragen werden, nicht nur von den Trägern der Arbeitsmarktpolitik, den Verbänden, Einrichtungen, Beschäftigungsträgern und so weiter, sondern insbesondere auch von den Kammern, den Arbeitgeberverbänden, den Gewerkschaften und den Sozialverbänden und -institutionen dieser Stadt. Das scheint eine wichtige Voraussetzung dafür zu sein – das hoffe ich jedenfalls –, daß es uns gemeinsam gelingen kann, in der Zukunft arbeitsmarktpolitisch nach und nach umzusteuern, und zwar noch stärker als bisher in Richtung Vermittlung auf den Ersten Arbeitsmarkt.

Um aber Mißverständnissen und Einwänden, die gleich kommen werden, schon vorzugreifen, sei an der Stelle gesagt: Es wird ohne beschäftigungspolitische Maßnahmen nicht gehen. Ich halte die HAB in dieser Stadt für ein unverzichtbares Modell. Ich bin auch der Auffassung, daß ABM nicht ersatzlos zu streichen ist. Eine Metropole wie Hamburg braucht ein breites Angebot an arbeitsmarktpolitischen Instrumenten, um allen Zielgruppen gerecht zu werden. Es kann nicht sein, daß wir uns in der gegenwärtigen Situation allein darauf konzentrieren, die schnell vermittelbaren Arbeitslosen sofort in den Ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Nach Meinung der SPD-Fraktion ist es gerade jetzt notwendig, noch mehr Augenmerk auf jene zu richten, die sich aus unterschiedlichsten Gründen schwertun, einen Arbeitsplatz zu finden.

Welches sind die Kernpositionen? Wir brauchen noch bessere Informationen über die Qualifikationsanforderungen der Wirtschaft und entsprechend paßgenaue Qualifikationen seitens der Arbeitslosen. Der Informationsaustausch über diese Qualifikationsanforderungen und -angebote muß deutlich verbessert werden. Wir können das auch erreichen, dafür sind Modelle entwickelt.

Wir wollen aber auch ungenutzte Beschäftigungspotentiale für niedrig qualifizierte Arbeitnehmer lokalisieren. Wir glauben, daß es in vielen Bereichen der Wirtschaft verschüttete Beschäftigungsmöglichkeiten gibt, die man mo

bilisieren kann, wenn wir uns darum mit besonderen Angeboten bemühen.

Es gibt gerade auch im Bereich der Dienstleistungsarbeitsplätze, also in den sogenannten unternehmens- und personenbezogenen Dienstleistungen, viele Arbeitsplätze, die nicht nur hochqualifiziert wie etwa die IT-Berufe sind, über die in diesem Hause schon viel gesprochen wurde.

Wir glauben – und sind uns dann ja wohl auch mit der CDU wieder einig –, daß wir in Hamburg Modelle erproben sollten, wie sie in Skandinavien etwa im Bereich Jobrotation ausprobiert worden sind. Was ist damit gemeint? Es geht darum, daß wir wissen, daß in vielen Unternehmen Arbeitnehmer über längere Zeiträume, oft Monate, manchmal sogar über ein Jahr hinaus, für besondere Aufgaben qualifiziert werden. Wir wollen versuchen, durch Programme, die auch von der Bundesanstalt für Arbeit unterstützt werden, zu erreichen, daß die für diese Zeit freien Arbeitsplätze befristet mit Arbeitslosen besetzt werden können, in der Hoffnung – und diese Hoffnung ist nicht unberechtigt, wie andere Erfahrungen etwa in Skandinavien zeigen –, daß diese Arbeitnehmer nach der Zeit des Einsatzes auf diesen konkreten befristeten Arbeitsplätzen in unbefristete Arbeit übernommen werden können. Das ist ein weiteres wichtiges, und wie wir finden, hervorragendes Beispiel erfolgreicher Arbeitsmarktpolitik.

Meine Damen und Herren, wir wollen ein besonderes Augenmerk auf unsere Jugendlichen richten. Wir alle haben in diesem Haus mehrfach über das Thema Jugendsofortprogramme diskutiert, über den Versuch Hamburgs, festzustellen, was unsere jungen Leute können, die bisher vielleicht ohne Berufsabschluß und Chancen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsplatzmarkt gewesen sind. Diese Trainee-Programme müssen aber in der Praxis weiter umgesetzt werden, im Sinne von noch stärkerer und besserer Integration in praktische Arbeit und Ausbildung. Es ist festgestellt worden – was viele vielleicht nicht überrascht hat –, daß insbesondere die Sprachbarrieren bei Migrantinnen und Migranten, die einen nicht kleinen Teil dieser Jugendlichen ausmachen, in diesen Sofortprogrammen eines der größten Probleme sind. Wir wollen gemeinsam dafür sorgen, daß die Qualifizierung auf der sprachlichen Ebene vorangebracht wird.

Wir glauben weiter – auch das ist ein Thema, das dazu paßt –, daß die Potentiale in sogenannten ausländischen Betrieben noch nicht im ausreichenden Umfang mobilisiert worden sind. Die Zahl der Unternehmen in Hamburg, überwiegend mittelständische Unternehmen, die von nichtdeutschen Hamburgerinnen und Hamburgern – wenn ich es einmal so formulieren darf – verantwortlich betrieben werden, wächst jährlich. Wir glauben, daß nicht nur das Beschäftigungspotential, sondern auch das Ausbildungspotential in diesen Betrieben genutzt werden muß. Die Handelskammer hat auf diesem Sektor Vorbildliches geleistet. Ich glaube, daß das für die Handwerkskammer genauso gilt. Das soll und wird ausgebaut werden. Wir wollen die Dinge gemeinsam voranbringen.

Die Chancen für ältere Langzeitarbeitslose und selbst für behinderte Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt sind besser geworden. Wir müssen diese Chancen konzentriert nutzen. Das wollen wir gemeinsam tun. Wir wollen auch eine Erfolgsgeschichte in Hamburg noch weiter nach vorne bringen, die heißt: Eigenständigkeit aus Arbeitslosigkeit. Es ist für mich immer erstaunlich gewesen – ich weiß nicht, wie es Ihnen ergeht, wenn Sie seitens des Arbeitsamtes diese Zahlen vernehmen –, wie es gelungen ist, so viele

(Uwe Grund SPD)

Arbeitslose direkt in selbständige Tätigkeit hineinzufördern, indem man sie unterstützt und ihnen bei der Existenzgründung hilft. Am Ende wurde damit zunächst nicht nur die Arbeitslosigkeit für die Betroffenen unmittelbar beseitigt, sondern wir wissen aus der praktischen Erfahrung, daß, wenn diese Unternehmen erfolgreich arbeiten, sie einige Jahre später zunächst ein, zwei und dann drei Arbeitnehmer beschäftigen werden. Das sagen jedenfalls die Erfahrungen der Vergangenheit. Insofern ist diese Existenzgründung aus der Arbeitslosigkeit heraus auch ein Modell, das wir fördern wollen.

Damit bin ich am Schluß meiner kurzen Ansprache angekommen. Wir meinen, Fördern und Fordern ist das, worum es geht. Wir wollen Arbeitnehmer fördern, damit sie Arbeit finden, und wollen sie da fordern, wo der Eindruck entsteht, daß sie sich nicht bewegen und selbst bemühen. Das ist notwendig, und wir glauben, es wird gelingen, am Ende dieser Legislaturperiode das Ziel zu erreichen, ein Drittel weniger Arbeitslosigkeit zu haben. Das wollen wir gemeinsam schaffen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort hat Herr Mehlfeldt.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir freuen uns immer, wenn der rotgrüne Senat versucht, CDU-Politik umzusetzen.

(Oh-Rufe und Heiterkeit bei der SPD und der GAL)

So sind die Leitlinien der Hamburger Arbeitsmarktpolitik ein guter Schritt in die richtige Richtung. Er kommt zwar reichlich spät, ist aber dennoch sehr zu begrüßen.

Besonders positiv bewerten wir, daß der Erste Arbeitsmarkt wieder höchste Priorität genießen soll. Bedauerlich ist jedoch, daß Sie zunächst nicht den Weg einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit im Interesse unserer Stadt gesucht haben. Vielmehr lehnen Sie unsere Anträge immer wieder mit fadenscheinigen Argumenten ab, um dann bei nächster Gelegenheit den abgelehnten CDU-Antrag als neuen Geistesblitz des Senates zu verkaufen.

(Beifall bei der CDU – Petra Brinkmann SPD: Das ist eine Platte, die lief gestern schon!)

In diesem Zusammenhang möchte ich nur beispielhaft unseren Antrag vom 6. August 1997, Durchführung des Projektes „Jobrotation“, nennen.

(Zuruf: Jobrotation?)

Ja, wir nennen es inzwischen auch in der Kammer so.

Wir begrüßen aber ausdrücklich, daß Sie im zweiten Anlauf nun doch das Gespräch gesucht haben und zur Erarbeitung der Leitlinien einen Dialog mit den Kammern, Gewerkschaften, Arbeitgebern, Verbänden, Trägern und dem Arbeitsamt geführt haben.

Im November letzten Jahres haben die Mitglieder des Dialogs für Arbeit und Soziales die Leitlinien der Hamburger Arbeitsmarktpolitik einstimmig verabschiedet. Für die geleistete Arbeit gebührt allen Beteiligten unser ausdrücklicher Dank.

(Beifall bei der CDU und bei Uwe Grund SPD)

Kommen wir aber auf die Leitlinien zurück. Im einleitenden Teil werden zunächst die Tendenzen des Hamburger Arbeitsmarktes reflektiert und einige allgemeine Leitziele dar

gelegt. Dieses ist grundsätzlich richtig und durchaus sinnvoll. Berücksichtigen müssen wir natürlich, daß ein Teil des Rückganges der Arbeitslosigkeit demographisch bedingt ist. Zum Beispiel scheiden im Hamburger Handwerk zur Zeit etwa 4500 bis 5000 Personen aus Altersgründen aus. Am anderen Ende kommen nur 2000 junge Menschen neu in das Handwerk hinein.

In der Statistik für Arbeitslose sind natürlich auch die circa 11000 Menschen nicht mitgezählt, die in Umschulungs-, Qualifizierungs- oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beschäftigt sind. Das zentrale Problem ist allerdings, daß jährlich rund 15 Prozent der Schulabgänger aufgrund ihrer extremen Leistungsschwäche keine berufliche Ausbildung durchlaufen und insofern das Heer der Langzeitarbeitslosen laufend durch diese jugendlichen Problemgruppen wieder aufgefüllt wird.

(Uwe Grund SPD: So viele sind es nicht ganz!)

Von den 15 Prozent der Schulabgänger können im Höchstfall etwa ein Drittel noch durch Förder- oder Vorbereitungsmaßnahmen zu einer beruflichen Ausbildung geführt werden. Der verbleibende Anteil, 10 Prozent aller jährlichen Schulabgängerzahlen, ist weiterhin deutlich wachsend. Wenn dieser Personenkreis nicht dauerhaft ausgegrenzt werden soll, muß für diese Jugendlichen eine angepaßte Ausbildung mit Abschlüssen auch unterhalb der Gesellenebene gefunden werden. Dieses Thema ist Ihnen aus der Diskussion mit den Hamburger Kammern bekannt, und es ist wichtig, dort jetzt etwas zu tun.

Aufgrund der nach wie vor massiven Widerstände der Gewerkschaften ist diese brisante Frage in den Leitlinien der Hamburger Arbeitsmarktpolitik weitgehend ausgeklammert worden. Die Initiative für Arbeit und Ausbildung unter der Leitung des Ersten Bürgermeisters Runde hat nun beschlossen, daß im Sommer 2001 modellhafte Erprobungen erfolgen sollen. Ich bezweifle jedoch sehr, daß dieses tatsächlich geschieht. Darum bleibt von den in den Leitlinien festgelegten Zielsetzungen bis zur Verwirklichung noch einiges zu tun. Damit die versprochene klare Strategie kein leeres Versprechen wird, ist jetzt eine zügige Umsetzung dringend geboten. Hier sind Sie gefordert, sehr geehrte Frau Senatorin Roth.

Bei näherer Betrachtung der Leitlinien wird dieses deutlich: Ihr oberstes Ziel, die schnelle und zielgenaue Integration von Arbeitslosen in den Ersten Arbeitsmarkt, ist leider noch weit von der Umsetzung entfernt. Wer die Leitlinien genau liest, wird ein Wort finden, das nach allen wichtigen Gesichtspunkten auftaucht: Es wird entwickelt.

(Dr. Hans-Peter de Lorent GAL: Na, immerhin!)

Mir fällt in diesem Zusammenhang auch auf, daß der Senat bisher folgende Fragen offen gelassen hat: Wann wird wer mit der Entwicklung der Maßnahmen und Verfahren beauftragt? Wie zeichnet sich die erwähnte verstärkte Entwicklung der Maßnahmen aus? Wann kann mit dem Ende der Entwicklungsphasen der jeweiligen Maßnahmen gerechnet werden? Wie soll die Organisation der Jobrotationprogramme erfolgen? Was ist konkret mit dem Aufbau von Modellen zur Existenzgründung für Arbeitslose gemeint? Es gibt leider noch viele weitere offene Fragen, die dringend der Klärung bedürfen.

Der Zweite Arbeitsmarkt darf kein eigenständiger Arbeitsmarkt sein, sondern muß immer auf konkrete Vermittlung ausgerichtet sein. Denn es gibt in Hamburg eine große Fülle von Gesellschaften, die davon leben, daß Langzeit