Der Druck, den die Szene auf Mitglieder und deren Familienangehörige ausübt, ist enorm. Menschen, die die Unsinnigkeit und Verlogenheit ihres Handelns sehen und umkehren wollen, haben Angst vor Verunglimpfung und Gewalt bis hin zum Fememord.
Sehr geehrte Damen und Herren, wir gehen davon aus, daß kein rechtsextremer Jugendlicher für die Gesellschaft verloren ist. Wenn fünfzehnjährige Kinder bei Neonazidemonstrationen in unserer Stadt auftreten, läßt das natürlich niemanden kalt. Wir müssen viel dafür tun, diese Kinder durch persönliche Ansprache, Vermittlung und persönliche Erfolgserlebnisse zurückzugewinnen, aber auch durch eine feste – wenn Sie so wollen – wehrhafte Position von uns allen, indem wir Intoleranz und Gewalt gegen Men
schen und Sachen nicht zulassen werden und gegen diejenigen, die diese Regeln des menschlichen Miteinanders bekämpfen, mit der nötigen Härte vorgehen. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin erstaunt über die Einigkeit und den Wohlklang der Sätze, die zu diesem Thema geäußert werden.
Diese wohlklingenden Sätze finden sich durchaus auch im Programm der Bundesregierung wieder, das die Bundesjugendministerin gestern vorgestellt hat. Darin kann man vom Bekenntnis lesen, daß der Kampf gegen den Rechtsextremismus das wichtigste Ziel der Bundesregierung sei, bis hin zu der Erkenntnis, daß es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem handele.
Was heißt das aber ganz konkret? Was heißt es, wenn man die wohlklingenden Sätze konkret umsetzt? Was der Wortlaut solcher Sätze konkret bedeuten muß, dazu möchte ich Ihnen ein paar Beispiele geben. Ein Zitat aus dem gestern von Frau Bergmann vorgestellten Programm lautet:
„Wir unterstützen Projekte, die vor Ort aktiv gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit vorgehen, im Betrieb oder an öffentlichen Orten.“
Nun erinnern wir uns alle, daß es in den vergangenen Wochen sehr viele Neonaziaufmärsche in dieser Stadt gab und daß die Demonstrationen und Straßenaktionen, die dagegen stattgefunden haben, keine besonders große Unterstützung – auch aus diesem Hause – erfahren haben. Statt die Unterstützung direkt auf der Straße zu zeigen, haben die einen zum Wegschauen aufgefordert. Die anderen haben faktisch weggeschaut, weil sie nicht vor Ort waren.
Das heißt, daß ein Teil der Umsetzung des Programms nun bedeutet, daß Sie alle künftig auf der Straße gegen diese Neonaziaufmärsche Flagge zeigen.
Auch in Hamburg gibt es viele konkrete Projekte, die tatsächlich gegen Ausgrenzung und Diskriminierung Position beziehen und unbequemen Widerstand und Widerspruch formulieren. Die Rote Flora gehört auch dazu, ein Projekt also ganz im Sinne von Frau Bergmann.
„Ziel des Programms ist es, ziviles Engagement bei Jugendlichen zu stärken, die sich gegen Fremdenfeindlichkeit wenden, und es zu unterstützen.“
Dazu gibt es aus den letzten Wochen ein Beispiel: Eine Jugendband aus Bönningstedt hatte im Rahmen eines Konzertes an der Schule eindeutig gegen Faschismus Position bezogen. Daraufhin wurden sie von rechtsradikalen Jugendlichen, die ebenfalls im Konzert anwesend waren, angegriffen und schlimm verprügelt. Die erste Reaktion der Schulleitung war, man dürfe das nicht so ernst nehmen. Die Eltern haben seither Angst, daß so etwas noch einmal passieren kann. Die Jugendband kann seither nicht mehr
auftreten. Auch das wäre beispielsweise eine Möglichkeit, ein Signal zu setzen, wenn wir hier mit dieser Jugendband ein Konzert zum Beispiel im Hof organisieren würden, um damit ein klares Bekenntnis zur Unterstützung gegen Neonazis deutlich zu machen.
Ich möchte aber noch zu einem zweiten Punkt kommen. Wir haben in den letzten Wochen ebenfalls in den Zeitungen unter der Überschrift „Man redet rechts“ etwas lesen können. Es war über eine Studie von zwei Kölner Professoren zu lesen, die festgestellt haben, daß rechte Diskurse zunehmend auch von der politischen Mitte aufgegriffen werden. Sie schreiben, so werde Denken hoffähig, das vorher eher verpönt gewesen sei. Das sei, so die Studie der Professoren, alles andere als ein gelungener Versuch, den Rechtsextremismus zurückzudrängen, das sei der Erfolg des Rechtsextremismus.
Eine Ahnung, was die Kölner Professoren damit meinen, hat man in den letzten Wochen bekommen, wenn man Äußerungen von Leuten aus Sinstorf und aus Rissen gelesen hat. Sie erinnern sich, daß Anwohnerinnen sich gegen Flüchtlinge und Migrantinnen in ihrer Nachbarschaft mit Sätzen wendeten wie, es sei für diese Leute unangemessen hochwertiger Wohnraum, oder sie befürchten einen rapiden Wertverlust ihrer Häuser.
Ich finde es unglaublich, wie hier Bilder von Flüchtlingen als Unmenschen transportiert werden. Diese und andere Sätze, wie sie in Sinstorf und in Rissen geäußert wurden, zeigen, daß Rechtsradikalismus nicht nur das Problem einer jugendlichen Subkultur ist. Derartige oder ähnliche Sätze von Politikern oder Gewerkschaftsvorsitzenden der Polizei beispielsweise geäußert, zeigen auch, wie dringlich ein Programm ist, das sich an Erwachsene richtet. Das könnte dann vielleicht demnächst hier unter dem Titel „Raus aus der rechten Mitte – endlich auf Respekt vor allen Menschen setzen“ debattiert werden. – Danke.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Rechtsextremismus und die Gefahr der Wiederkehr von Rechtsextremismus bringen uns alle auf. Rechtsextremismus ist eine Sache, die in sehr ausgeprägter Weise von Emotionen besetzt ist, und das, finde ich, ist auch gut so, denn viele Menschen fühlen sich hier in ihrem Gewissen angesprochen.
Gleichwohl gilt auch hier, daß wir bei Analysen und Maßnahmen sachlich und nüchtern bleiben müssen. Das Wunschdenken mancher, die glauben, man könne alles und jedes durch ein knackiges Verbot regeln, ist falsch. Darauf können wir uns nicht einlassen. Vielmehr ist es erforderlich, alle Kräfte der Gesellschaft zu mobilisieren, sie gegen rechtsextremistische Stimmungen immun zu machen, und noch viel wichtiger, sie zu demokratischem Widerstand zu aktivieren. Dabei sind wir, glaube ich, auf einem guten Wege.
Es zeigt sich doch, daß es vielfältige Initiativen gibt. Ich denke dabei nur einmal an den Hamburger Ratschlag des DGB oder an die Zivilcourage-Initiative des Präses der Handelskammer und das Engagement vieler Privater.
Natürlich ist in diesem Zusammenhang auch ein wehrhafter Staat gefordert. Im Bereich der Repression bieten wir die Leistungen auf, die erforderlich sind, mit Besonnenheit und Konsequenz. Ich darf dabei noch einmal – Frau Hilgers hat es auch gemacht – an das Verbot des „Hamburger Sturm“ erinnern, an Maßnahmen gegen die Skin-Konzerte oder aber auch an die durch Auflagen verbotene Demonstration der Neonazis am Holocaust-Tag, bei dem wir am Rande dessen gearbeitet haben, was wir selbst zunächst juristisch für vertretbar hielten, und dann doch dazu beigetragen haben, die Demonstrationsrechtsprechung fortzuentwickeln.
Auch im Bereich der Prävention sind wir mit unserer „AntiHate-Side“ initiativ und aktiv geworden, beispielsweise mit unserer Hotline gegen Rechtsextremismus im Landeskriminalamt oder mit der Präventionskampagne, die wir bundesweit fahren, die aber eine besondere Hamburger Prägung erhält in der Aktion „Wer nichts tut, macht mit“. In diesen gesamten Bereich gehört nun das Aussteigerprogramm mit den unterschiedlichen Elementen, die es in diesem Zusammenhang zu nennen gilt.
Zunächst gibt es die Initiative des Kollegen Schily, der in erster Linie versucht, den Verfassungsschutz einzusetzen, um über eine Ansprache Rechtsextremisten zum Aussteigen zu bewegen.
Zweitens verfolgen wir, die Länderinnenminister, die Linie, von der wir glauben, daß dieses sehr spezifische Verfassungsschutzprogramm durch ein polizeilich präventives Programm ergänzt werden muß, das aber seinerseits – da stimme ich Ihnen zu, Herr Mahr – aus der Sicht anderer Ressorts wiederum ergänzungsbedürftig ist. Wir müssen wirklich sehr hart arbeiten, um insbesondere Jugendliche aus den Fängen der Rattenfänger der Neuzeit zu lösen.
Hier geht es nun speziell um Gefährder- und Gefährdetenansprache, so wie wir es schon einige Zeit machen, genau so wie Baden-Württemberg. Es geht insbesondere um Hilfe und Aufklärung für die Eltern, die einer besonderen Betreuung bedürfen, weil sie zum Teil nicht wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Auch hier wollen wir zunächst einmal mit einer Hotline helfen, die wir einrichten wollen, um einen Ansprechpunkt zu bieten.
Wer die Aufmärsche der Neonazis gesehen hat, der weiß, wieviel junge Menschen dabei waren. Ich denke, wir sind uns alle darüber einig, daß der demokratische Staat junge Menschen niemals aufgeben darf. Das ist der Bereich des Staates. Aber dann gibt es auch noch den anderen, den Herr Mahr und Frau Hilgers angesprochen haben, nämlich den Bereich privater Initiative. Da beobachten auch wir sehr genau die Initiativen, die mit den EXIT-Initiativen in Schweden und jetzt auch in Berlin entwickelt worden sind. Es gibt natürlich auch entsprechend andere Initiativen. Hier geht es nun darum, juristische Beratung und tatsächliche Hilfestellungen zu geben. Natürlich sind Initiativen von Aussteigern selbst die besten, weil sie nämlich einen Attraktionspunkt bilden, weil man bei ihnen Verständnis erwarten kann.
EXIT hat hohes Ansehen und durchaus Erfolg, gerade auch, weil diese Organisation staatsfern ist. Wir sollten solche unabhängigen Initiativen wirklich unterstützen. Für mich ist das ein weiterer Beweis dafür, daß der Kampf gegen Rechtsextremismus eben nicht nur die Aufgabe des Staates ist, sondern der gesamten Gesellschaft. Wir müssen gemeinsam – wie Sie das gesagt haben, Frau Hilgers – den Einstieg verhindern, den Ausstieg ermöglichen und
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Uhl, ich glaube, daß es an der falschen Stelle ist, hier mit moralinsauren Aufrufen zu kommen und die Anwesenheitspflicht auf Demonstrationen einzuklagen, anstatt den interfraktionellen Wohlklang zu befürworten, der gesellschaftlich absolut notwendig ist. Solange wir in dieser Stadt Menschen haben, die zusammengeschlagen werden – Obdachlose, Behinderte –, die aufgrund ihrer Hautfarbe attackiert werden, ist es unsere gemeinsame gesellschaftliche Aufgabe, hier einen Wohlklang herbeizuführen und ihn nicht zu kritisieren.
Solche Aufrufe, die Stöckchen immer höher zu hängen, um dann mit Anwesenheitspflicht zu reagieren, werden mit Sicherheit nicht den Rechtsextremismus und die Rechtsradikalen stoppen, sondern es geht wirklich – wie schon von meinen Vorrednerinnen gesagt – um langfristige Konzepte. Es geht nicht um Worthülsen und Sonntagsreden.
Es geht um diverse gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die ressortübergreifend von der Polizei, in der Prävention, für die ich hier reden möchte, geleistet werden müssen. Da sind besonders die Schulen und pädagogischen Einrichtungen gefragt, weil Aussteigerprogramme natürlich nur gemeinsam zu leisten sind, und das hat Herr Maier deutlich gemacht.
Ich denke, wir müssen in dieser Stadt ein Klima schaffen, wie es Ralph Giordano sehr eindrucksvoll bei der Verleihung des Bertini-Preises sagte, ein Klima, wo die Ächtung von Rechtsextremismus im Vordergrund steht und Zivilcourage belohnt und hervorgehoben wird und alle anderen keine Chance haben. Daran müssen sich alle aktiv – Lehrer, Pädagogen – entsprechend ihren jeweiligen gesellschaftlichen Zusammenhängen beteiligen und nicht weggucken. Wir müssen das im Alltag praktizieren. Da geht es um handlungsorientierte Projekte. Da kann man nicht nur Schul- und Buchunterricht machen. Gerade in dem Zusammenhang die Aktion von Frau Bergmann anzugreifen, die den „Koffer voller Kinderrechte“ jetzt in die Öffentlichkeit gebracht hat, ist genau der Punkt, daß man anfangen muß, Demokratie zu trainieren. Das kommt nicht von alleine. Je früher, desto besser, vom Kindergarten über die Grundschule. Das sind alles Projekte, die wir unterstützen, ebenso wie die Fortbildung von Multiplikatoren. Ich sagte eben schon Ächtung, nicht wegsehen.
Wir müssen uns natürlich auch der Methoden bedienen, die dieser benutzt, nämlich das Internet, und etwas dagegensetzen. Gerade auf der Bildungsmesse in Hannover ist ein neues Projekt vorgestellt worden, das sich das Internet zunutze macht und „Erinnern für Gegenwart und Zukunft“ heißt, eine sehr spannende und wichtige Möglichkeit, über eine CD-ROM und über das Internet zu erinnern. Ich denke, es ist eine wichtige Aufgabe, das für die Zukunft so aufzubereiten und attraktiv zu machen, daß alle Jugendlichen gegen Rechtsradikalismus und Extremismus aufgeklärt und informiert sind, so wie es übrigens auch der JIP