Ich hoffe sehr, daß die heutige parlamentarische Initiative eine Beschleunigung hervorruft. Auch wenn die betroffene Gruppe, bezogen auf alle Frauen, eine relativ kleine ist, so sind diese Frauen doch in einer extrem schwierigen Lage. Sie sind einem extremen Streß ausgesetzt, und ich finde es ein Gebot der Menschlichkeit, jetzt ganz schnell zu helfen. Ich bitte um Ihre Zustimmung.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auf meine Schriftliche Kleine Anfrage vom 19. Januar – Frau Kiausch erwähnte sie schon – bekam ich vom Senat eine sehr zurückhaltende Antwort. Man kann dort nachlesen, daß der Senat sich mit dem Thema noch nicht befaßt habe und daß auf Bundesebene noch darüber diskutiert werde.
Deshalb freue ich mich über den vorliegenden Antrag der SPD und GAL. Wir stimmen dem Ersuchen zu, daß Hamburg sich auf Bundesebene im Wege einer Bundesratsinitiative dafür einsetzt, die rechtlichen Rahmenbedingungen für ärztlich betreute anonyme Geburten in Notlage zu schaffen.
Zur Zeit berichtet die Presse fast täglich von Frauen in Notsituationen und dem Schicksal der betroffenen Kinder. Es gibt nun einmal Frauen, die durch eine ungewollte Schwangerschaft in Ausnahmesituationen geraten, in denen ihr Leben außer Kontrolle gerät. Es ist unsere soziale Pflicht als Menschen, diese Frauen aufzufangen und ihr Leben und das Leben der Kinder zu retten. Zur Durchführung der anonymen Geburt gibt es zur Zeit zwei unterschiedliche...
Frau Abgeordnete, ich muß Sie unterbrechen. Diese interessante Lautsprecheranlage scheint nur in Teilen den Ton zu verstärken, das wäre aber ihre eigentliche Aufgabe. Dort unten ist nichts zu verstehen.
Zur Durchführung der anonymen Geburten gibt es zur Zeit zwei unterschiedliche Modelle, erstens das Moses-Modell von Frau Geis-Wittmann in Amberg und zweitens die Vorschläge von Herrn Dr. Moysich vom SterniPark e.V. Hamburg. In der aktuellen Broschüre der SterniPark e.V. stellt Herr Dr. Moysich Überlegungen zu einer gesetzlichen Regelung der anonymen Geburt dar. Dort ist ausführlich juristisch dargestellt, auf welche Weise Gesetzestexte einzufügen beziehungsweise zu verändern sind, um eine vernünftige rechtliche Absicherung von anonym Gebärenden und anonym geborenen Kindern zu gewährleisten.
Ich neige den Vorschlägen von Herrn Dr. Moysich zu, weil mir hier ein Konzept vorzuliegen scheint, das fundiert die Rechte der Frauen und Kinder berücksichtigt. Für eine umfangreiche Vor- und Nachsorge der anonymen Mütter und ihrer Babys gibt es praktikable Vorschläge, und vor allem ist hier wirkliche Anonymität möglich. Die Anonymität beim Moses-Projekt dagegen besteht ausschließlich gegenüber der Entbindungsstation. Ansonsten muß die Frau in der Schwangeren-Beratungsstelle ihre Personalien offenlegen, sonst bekommt sie keine Hilfe. Das halte ich in manchen Fällen für eine unüberwindbare Hürde.
Deshalb möchte ich den Senat bitten, bei der Umsetzung des heutigen Antrags die Hamburger Variante zu favorisieren.
In Berlin wird am 30. Mai dieses Jahres eine Anhörung von Experten vor dem Bundestag stattfinden, die das Thema der anonymen Geburt von allen Seiten beleuchtet. Die Forderung nach einem Zwischenbericht bis zum 1. Juli auch über diese Anhörung vom 30. Mai findet unsere volle Unterstützung. – Danke.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Kindesaussetzungen gab es schon immer in der Geschichte der Menschheit, auch die Tötung Neugeborener durch die Mutter. Es sind schreckliche Verzweiflungstaten von Frauen, die keinen anderen Ausweg sehen, die keine Möglichkeit sehen, ihr Leben zusammen mit dem Kind zu bewältigen und für das Kind zu sorgen. Diese Taten, deren Dunkelziffer sicher sehr hoch ist, geschehen auch in unserem vermeintlich perfekten Sozialstaat, denn wir erreichen mit unseren Hilfsangeboten längst nicht alle Menschen. Daß dies so ist, belegt der Erfolg des Projekts „Findelbaby“ vom Verein SterniPark, dessen Mitglieder für ihre Initiative wirklich unsere Hochachtung verdienen. Der Verein SterniPark bietet verzweifelten Frauen und ihren neugeborenen Kindern Hilfe an, und zwar Frauen, die, aus welchen Gründen auch immer, anonym bleiben möchten.
Der Erfolg des Projekts „Findelbaby“ zeigt, welches Elend im Verborgenen in unserer Stadt herrscht. Innerhalb eines Jahres wurden dort acht Babys anonym abgegeben, und
ihr Leben konnte so gerettet werden. Das Nottelefon von SterniPark wird zunehmend stark in Anspruch genommen, und die Mitglieder des Vereins suchen nach Lösungen für die Notlagen, die an sie herangetragen werden. Der Verein hat nun auch Wohnungen angemietet, um Frauen aufzunehmen, die ihr Kind anonym gebären wollen und die unter Wahrung ihrer Anonymität vor und nach der Geburt so eine Bleibe finden können. Frauen, die die Geburt anonym halten wollen, bringen ihr Kind ohne professionelle Hilfe unter grauenhaften Bedingungen zur Welt, die ihre Gesundheit und die des Kindes gefährden; ihre Angst vor Registrierung zwingt sie dazu. Welche Katastrophen sich da abspielen, können wir uns vorstellen, wenn wir Berichte über Kinder lesen, die abgegeben werden und, wie es dann heißt, nicht fachgerecht abgenabelt waren, wie zum Beispiel das „Balkonkind“ im Eppendorfer Weg.
SPD und GAL wollen mit dem vorliegenden Antrag dafür sorgen, daß auch Frauen, die ihre Identität nicht preisgeben wollen, unter menschenwürdigen Bedingungen und medizinisch betreut ihr Kind zur Welt bringen können. Die hamburgischen Krankenhäuser haben ihre Bereitschaft zur Durchführung anonymer Entbindungen erklärt, was ihnen bisher aber wegen des Personenstandsgesetzes nicht möglich ist. Nach dem Personenstandsgesetz sind nämlich Hebammen und Ärzte, die bei einer Geburt zugegen sind, zur Anzeige der Geburt beim Standesamt verpflichtet. Wenn die Geburt in einem Krankenhaus stattfindet, ist die Klinikleitung verantwortlich für die ordnungsgemäße Anzeige, wobei auch der Name beider Eltern, ihr Beruf und ihr Wohnort angegeben und ins Geburtenbuch eingetragen werden müssen.
Unsere Aufgabe als Gesetzgeber ist es nun, Lösungen zu finden, die anonyme Geburten unter fachkundiger medizinischer Betreuung ermöglichen. Neben den Fragen des Personenstandsrechtes muß auch die Kostenerstattung geklärt werden. Priorität haben für uns dabei ganz klar Leben und Gesundheit der hilfesuchenden Frauen und ihrer Kinder. Wir müssen also Lösungen finden, die von den Frauen angenommen werden und die ihre Ängste vor staatlichem Zugriff berücksichtigen, wie auch immer diese Ängste begründet sein mögen. Im Interesse der Kinder sollte versucht werden, die Frauen zu ermutigen, ihren Namen und möglichst weitere Lebensdaten zu hinterlegen. Es ist wichtig, daß Kinder erfahren können, wer ihre Eltern sind. Die meisten Adoptivkinder suchen später einmal, wenn sie größer geworden sind, nach ihrer Herkunft. Es ist auch für die Mütter wichtig, erfahren zu können, wo ihre Kinder aufwachsen, vielleicht sogar auch für die Väter, über die wir hier mal wieder gar nicht sprechen.
Die Menschen, die diesen Frauen in ihrer Notlage helfen, sollten versuchen, den Namen und weitere Lebensdaten zu erfahren. Da die Frauen anonym bleiben möchten, muß aber zugesichert werden, daß staatlicherseits keinesfalls versucht wird, an diese Daten heranzukommen. Sonst kann es den Helfenden nicht gelingen, das Vertrauen dieser Frauen zu gewinnen, und das ist ja ihre erste Aufgabe. Daß es gelingt, Vertrauen zu gewinnen, zeigt der Erfolg der Arbeit des SterniParks zum Beispiel bei den Eltern, die ihr Kind wieder abgeholt haben und nun mit Hilfe der SterniPark-Helferinnen betreuen.
Bei der Lösung all dieser Probleme hilft uns mal wieder der Blick über die Landesgrenzen weiter. In Frankreich gibt es seit 1996 ein Gesetz, das Frauen die anonyme Entbindung in einer Klinik ermöglicht. Die Kosten der Entbindung werden dort von der Sozialhilfe übernommen. Die Mütter wer
Daß Frankreich schon vor fünf Jahren ein solches Gesetz erlassen hat, hängt vielleicht damit zusammen, daß sich französische Wissenschaftler besonders intensiv mit der nicht besonders rosigen Geschichte der Kindheit beschäftigen. Im Frankreich des neunzehnten Jahrhunderts war die Kindesaussetzung weit verbreitet und gesellschaftlich auch akzeptiert. Sonst hätte es sich der Philosoph und Pädagoge Jean-Jacques Rousseau auch nicht leisten können, seine fünf unehelichen Kinder im Findelhaus abzugeben. Zu seinen Lebzeiten wurden allein in Frankreich jährlich 130 000 Kinder in den sogenannten Drehläden der Findelhäuser, den Vorläufern unserer heutigen Babyklappe, abgelegt. Als diese Drehläden abgeschafft wurden und die Frauen statt dessen in Büros ihre Identität preisgeben mußten, wenn sie die Kinder abgeben wollten, nahmen Abtreibungen und Kindestötungen stark zu. Die Zunahme war so eklatant, daß man damals in Frankreich wieder auf die Anonymität zurückkam.
Wir wissen, daß das, was wir unter Mutterliebe verstehen, unter bestimmten Bedingungen nicht gelebt werden kann. Mit der Ermöglichung der anonymen Geburt werden wir die Bedingungen für einige Frauen und ihre Kinder an einem entscheidenden Punkt verbessern. – Danke.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich finde diese Debatte um anonyme Geburten nicht so einfach. Wir werden uns dazu erst einmal der Stimme enthalten. Ich erkläre das gleich.
Die Herleitung, wie die SPD und die GAL das in ihrem Antrag gemacht haben, ist natürlich irgendwie einleuchtend: Wir haben jetzt in Hamburg zwei Babyklappen, in die Kinder, die als Findelkinder registriert werden, anonym abgeben werden können. Aber eine ärztlich betreute Entbindung in einem Krankenhaus ist in Hamburg anonym nicht ausreichend möglich. Nur fünf konfessionell geführte Krankenhäuser führen sie durch, und eine bekannte Versicherung übernimmt sogar die Kosten. Vor diesem Hintergrund ist die Argumentation verständlich. Der Wunsch von SPD und GAL – die CDU hat sich dem angeschlossen – ist, daß die Möglichkeit einer anonymen Geburt ausgebaut beziehungsweise erleichtert werden soll.
Ich bin mir nicht so sicher, ob ich anonyme Geburten als eine Praxis beurteilen soll, die ich ausbauen möchte. Der eine Grund dazu ist benannt worden, das Interesse des Kindes. Bringt eine Frau ein Kind ohne Nennung ihres Namens zur Welt, ist natürlich die Möglichkeit einer Kontaktaufnahme durch das Kind für alle Zeit unterbunden. Natürlich muß es sich nicht gleich um eine Kontaktaufnahme handeln, die zustande kommen soll, aber die Suche nach der biologischen Herkunft und damit auch das Recht auf die eigene Geschichte wird dem Kind für immer unmöglich gemacht. Die Erfahrungen zeigen, daß die meisten Adoptivkinder irgendwann etwas über ihre leiblichen Eltern erfahren möchten.
Der wichtigere Punkt für mich, der mich in dieser Frage unsicher macht – wir haben einen Überweisungsantrag ge
stellt, weil mir die Debatte um dieses Thema am wichtigsten ist –, ist die Frau. Man müßte sich zuerst fragen: Warum gibt es eigentlich einen „Bedarf“ an anonymen Geburten? Klar: Für Frauen mit nicht legalem Aufenthaltsstatus ist das eine echte Hilfe. Es muß aber grundsätzlich vor allem gelten – auch für sogenannte Illegalisierte –, vorher zu helfen. Denn weder Babyklappen noch anonyme Geburten lösen die Probleme von Müttern in Not. Diese Probleme können ganz unterschiedlich sein. Zum Beispiel können sie in einer Gewaltbeziehung liegen, aufgrund von finanzieller Not entstanden sein oder sonst etwas. Aber anonyme Geburten sind keine Hilfe, weil diese Hilfe eigentlich viel zu spät greift. Frauen brauchen Hilfe in der Konfliktsituation der Schwangerschaft. Insofern brauchen wir vor allem ein flächendeckendes finanziell gestärktes Informations- und Beratungsangebot, bei dem natürlich die Anonymität gewahrt wird und das niedrigschwellig ist, sowie eine Vernetzung der Hilfsangebote im Bereich der Familien- und Schwangerschaftskonfliktberatung mit den Adoptions- und Pflegestellenberaterinnen.
Im übrigen wird natürlich durch die von SPD und GAL propagierte Maßnahme auch nicht die Zahl der Findelkinder abnehmen. In diesem Sinn – ein Blick in Richtung Pressetribüne – ist der Artikel in der gestrigen „Mopo“, in dem ausgeführt wurde, daß es ein Erfolg sei, daß bereits acht Kinder in die Obhut der SterniPark-Babyklappen gegeben wurden, schon eigenartig. Es ist doch die Frage, ob es ein Erfolg ist. Was ist der Bezugspunkt? Ist der Bezugspunkt, daß das Kind sonst in der Mülltonne gelandet wäre?
Das wäre eine Möglichkeit gewesen. Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, wenn man den Frauen ein frühzeitiges Hilfsangebot in der Schwangerschaft gemacht und finanzielle Hilfen gegeben hätte, dann hätten sie sich vielleicht anders entschieden. So aber hat man sie einfach allein gelassen.
Ich habe mit vielen Menschen über diesen Antrag gesprochen, weil ich unsicher bin. Ich bin vorläufig zu dem Schluß gekommen, daß ich Inkognitogeburten bevorzugen würde. Das ist das Modell, auf das Frau Freudenberg eben hingewiesen hat und so ähnlich in Frankreich funktioniert. Danach soll die Frau ihren Namen oder – wie in Frankreich –, noch niedrigschwelliger, zumindest nicht identifizierbare Angaben über ihre Person bei den örtlichen Adoptionsvermittlungsstellen hinterlegen. Das scheint mir im Moment eigentlich der beste Weg. Ich freue mich aber, daß es immerhin gelungen ist, diesen Antrag – zumindest nachträglich – an den Ausschuß zu überweisen. Ich finde es wichtig, hilfreich und notwendig. Ich freue mich auf eine intensivere Debatte mit Betroffenen und mit Fachleuten.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mir liegt viel daran, daß keine Mißverständnisse aufkommen. Frau Koppke, ein Teil dessen, was Sie gesagt haben, scheint mir auf Mißverständnissen zu beruhen.
Es ist nicht so, daß SPD und GAL die anonyme Geburt „propagieren“. Es ist auch nicht so, daß SPD und GAL die Praxis „ausbauen“ möchten. Das ist eine absolut falsche Wortwahl, die unsere Intentionen nicht trifft. Ich glaube, ich habe deutlich genug gesagt, daß dieses nur eine weitere Chance für Frauen, die sich sonst nicht zu helfen wissen, darstellt. So ist es auch zu verstehen. Kein Mensch wird propagieren, anonyme Geburten umfänglich durchführen zu lassen, es soll aber möglich sein. Unser Antrag besagt, daß die rechtliche Möglichkeit geschaffen werden muß, damit sich alle auf einem rechtlich sicheren Grund befinden. Das ist die Intention, nicht das „Propagieren“ oder das „Ausbauen“. In keiner Weise.
Wenn Sie darauf hinweisen, daß Sie in bezug auf die Herkunftsfrage Schwierigkeiten haben, so glaube ich durchaus, daß ich das mit angesprochen habe. Nur, die Frage ist: Was ist die Alternative? Wenn Sie von einer anonymen Geburt, die auch anonym gewünscht wird, ausgehen und die Alternative dazu wäre Töten oder Aussetzen – das ist durchaus möglich –, dann habe ich mich dafür ausgesprochen, das Recht des Kindes in dieser Frage hintanzustellen, weil ich das Recht des Kindes auf Leben höher einschätze. Das ist eine Abwägung.
Das von Ihnen aufgenommene Thema der Möglichkeiten, die man prüfen muß – Vorsorge, Beratung, Nachsorge –, habe ich auch aufgenommen. Natürlich sind wir dafür, Möglichkeiten zu finden. Das ist dann auch keine Bundesaufgabe mehr, sondern wird individuell in den Ländern zu diskutieren, zu beraten und zu entscheiden sein.
Es ist ein krasses Mißverständnis, wenn Sie annehmen, wir wären der Ansicht, acht abgegebene Kinder in der Babyklappe seien ein Erfolg. Das ist nur so zu verstehen, daß es natürlich ein Erfolg in der Richtung ist, daß es sich um acht Kinder handelt, die andernfalls ausgesetzt oder vielleicht getötet worden wären. Das ist also ein Erfolg im Sinne des Lebens des Kindes.