Protokoll der Sitzung vom 25.04.2001

„für die Tolerierung von Straftaten und Rechtsbrüchen darf das kein Freibrief sein.“

Ich glaube, daß diese Einschätzung

(Ole von Beust CDU: Die habe ich immer noch!)

richtig ist, bedaure aber, daß Sie bei diesem Kurs, der einen langen Atem erfordert und bei dem man sich auch auf Rückschläge einstellen muß – das haben wir an anderen Stellen auch erlebt –, sehr bald wieder der Mut verlassen

(Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit)

hat und Sie dann leider nach den unentschuldbaren Vorkommnissen vom Mai letzten Jahres auf ein nach meiner Auffassung sehr phantasieloses Räumungskonzept gesetzt haben. Ich glaube, daß das falsch ist. Dazu zitiere ich das „Hamburger Abendblatt“ vom 27. Februar:

„Räumung wäre keine gute Lösung, weil sie abgesehen von rechtlichen Risiken neue Brennpunkte schaffen würde.“

So kann man es in der Tat sehen.

Jedenfalls müssen alle vermeintlichen Biedermänner dann bitte auch ein zu Ende gedachtes Konzept für dauerhafte Brandbeseitigung vorlegen. Das kann ich nicht erkennen, bei Ihnen schon gar nicht.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Hans-Peter de Lorent GAL)

Eine solche Grundsatzaussage darf mit zwei Dingen nicht verwechselt werden, nämlich etwa mit inhaltlicher Sympathie, mit manchem, was sich in der Flora-Szene tut, und erst recht nicht mit rechtsstaatlicher Beliebigkeit. Ein Stadtteilkulturzentrum zu betreiben kann nicht ernsthaft das Problem sein. Das meiste, was dort geschieht – niemand hat es bisher bestritten –, ist ganz zweifelsfrei Stadtteilkultur.

Was sich darüber hinaus an politischem Anspruch formuliert, dafür fehlt mir jede Sympathie. Ich halte es eher für ideologische Bestandsverwaltung aus den siebziger Jahren mit dem entscheidenden Schönheitsfehler, daß der Staat als Feindbild so gar nicht mehr existiert; der ist doch längst abhanden gekommen, nicht nur in Hamburg, sondern in der gesamten Bundesrepublik.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Deshalb muß man dieses Feindbild auch nicht mühsam, manchmal sehr krampfhaft, immer wieder pflegen, aber ich glaube, daß auch Politik hierzu keinen vorsätzlichen oder fahrlässigen Beitrag leisten darf.

Im Zusammenhang mit den Ereignissen von Montag ist es, wie ich glaube, aber gerade wichtig zu betonen, daß Rechtsbrüche und Gewalttaten in der großstädtischen Liberalität, für die ich hier plädiert habe, ausdrücklich nicht enthalten sind. Sie dürfen auch zukünftig keinesfalls geduldet werden. Ich erinnere daran: Die Durchsetzung von Bauauflagen, die Betretung des Hauses im Zusammenhang mit dem 1. Mai, der Umgang mit inakzeptablen Parolen und auch der Polizeieinsatz vom letzten Montag belegen, daß dies kein leeres Gerede ist, sondern daß auch an dieser Stelle der Rechtsstaat verwirklicht wird. Das halte ich für sehr wichtig.

(Beifall bei der SPD)

Die Drogenprobleme, die es dort gibt – es wäre unsinnig, das zu bestreiten –, zum Angelpunkt einer Entscheidung zu machen, die das ganze Viertel betrifft, ist, wie ich glaube, nicht richtig. Ich gehe davon aus, daß es hier keine schiefe Ebene, keine Zone ungleichen Rechtes und keinen Rückzug des Staates aus seiner rechtsstaatlichen Verantwortung gibt.

Richtig ist aber auch, daß dieser Stadtteil kompliziert ist. Teile der „Schanze“ machen es sich, aber auch anderen nicht leicht. Es gibt gesellschaftliche Konflikte, die man dort sehr gut besichtigen kann; manche werden aber auch deutlich überzogen. Dennoch hat sich der Senat in den vergangenen Monaten bemüht und den Versuch unternommen, mit den Nutzern der Flora eine Vertragslösung zu

erreichen. Dieser Versuch ist ganz schlicht gescheitert. Die Mehrheit der „Floristen“ – oder wie auch immer, jedenfalls öffentlich so wahrgenommen – war und ist offenbar nicht bereit, über den eigenen Schatten zu springen, und pflegt statt dessen, was ich sehr bedaure, offenbar eher überkommene Denkweisen, Phobien, wie ich hoffe, nicht auf Dauer, und Verhaltensweisen, die nicht akzeptabel sind. Da ist es nur konsequent, wenn gesagt wird: Niemandem wird hinterhergelaufen.

Dann liegt es aber in der Logik dieses Entschlusses, daß sich die Stadt als Eigentümerin der ihr möglicherweise oder auch tatsächlich zugedachten Rolle als „Watschenfrau“ verweigert. Auch darum ist es ein kluger Schritt, diese Immobilie einem privaten Grundeigentümer zu vertretbaren und in der Stadt vermittelbaren Konditionen zu übereignen.

Nachdem nun die erste Verblüffung über die Verkaufsabsicht verflogen ist – da war ja von einem genialen Schachzug die Rede,

(Ole von Beust CDU: So genial war es nun auch nicht!)

von brillant, aber mit Risiko –, hat es eine gewisse Diskussion über den Verkaufspreis gegeben. Nun war plötzlich vom Schnäppchenpreis die Rede. Ich glaube nicht, daß ein solcher Vorwurf einer näheren Betrachtung standhält. Es ist doch völlig klar, daß ein auch nur halbwegs wirtschaftlich denkender Mensch – wir gehören doch irgendwie alle dazu und können es nachvollziehen – angesichts dieser Immobilie in diesem Zustand, mit diesen Nutzern und diesem Nutzungskonzept auch nur bereit sein könnte, einen halben Euro auszugeben. Der Käufer, Herr Kretschmer, hat im „Abendblatt“-Interview George Bernard Shaw zitiert – deshalb darf ich das vielleicht auch tun, ohne ihm zu nahe zu treten – und sich als Verrückter bezeichnet.

Vielleicht brauchen wir diese Form bürgerlichen Engagements an manchen Stellen in der Stadt mit mäzenatenhaften Zügen von Menschen, die bereit sind und es sich auch leisten können – dazu gehört auch nicht jeder –, sich in dieser Weise zu engagieren. Sollte die Entwicklung aber zu irgendeinem Zeitpunkt – keiner kann ihn voraussehen – anders kommen, als ich sie eben beschrieben habe, und es kommt zu Nutzungsänderungen, Weiterverkauf, dann bedarf es der Zustimmung der Stadt; dann gibt es eine Nachleistungspflicht. Es ist also nichts mit Schnäppchen und Spekulation an dieser Stelle. Daraus leitet sich ein sehr wichtiger Punkt ab, von dem ich hoffe, daß er Akzeptanz findet. Es gibt keine Gerechtigkeitslücke und keinen Anlaß zu irgendwelchen Neiddiskussionen.

Ich hoffe, daß die Verkaufslösung eine befriedende Wirkung hat. Dagegen sprechen – zumal in Wahlkampfzeiten – martialische scharfmacherische Interessen verschiedener Seiten zum einen, mit Räumungsforderungen oder zum anderen mit Drohungen von denen, denen was auf die Füße fällt. Man kann ohne große Schwierigkeiten das Viertel auch in Brand stecken – das haben wir in der Vergangenheit erlebt –, um dann als erster nach der Feuerwehr zu rufen. Ihr Konfettiauftritt, Herr von Beust, hat dargelegt, wie dieser Mechanismus funktioniert. Da haftet dann aber bitte jeder für seine Wahlhelfer selbst.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Trotzdem glaube ich, daß die positiven Chancen überwiegen. Nach den Krawallen des 1. Mai im letzten Jahr hat die Handelskammer gefordert: Redet das Viertel nicht in

(Dr. Holger Christier SPD)

Brand. Jenseits allem, was wir hier diskutieren, gibt es sehr viele positive Ansätze, einen starken Drang, dieses Viertel weiter zu entwickeln. Vielfältige Formen der Mit- und Zusammenarbeit sind vorhanden. Deshalb kann diese Lösung Akzeptanz im Stadtteil finden. Dieser Stadtteil verdient es ganz eindeutig, nicht nur unter der Optik der Innen- und Sicherheitspolitik – das muß auch sein, darüber sind wir uns einig – betrachtet zu werden, sondern hier gehört in erster Linie die Stadtentwicklungspolitik in ihr Recht eingesetzt und in ihren Aktivitäten gestützt.

(Beifall bei der SPD und GAL)

Ich wiederhole: Hierzu kann der Verkauf ein Schritt sein. Ob außerhalb des Parlaments überall hinreichende Gelassenheit und Souveränität vorhanden ist, kann ich nicht beurteilen; man wird es sehen. Ich glaube aber, das Parlament sollte diesen Schritt jetzt tun. Ich erhoffe, daß es zu einer Entschärfung von Problemen und auch zu einer Reduzierung von Feindbildern kommt. Mit etwas längerem Atem, der sicherlich erforderlich ist, sollte das Thema endlich auf seine realen Dimensionen zurückgeführt werden; vor der Wahl wird das aber wohl kaum gelingen. Wenn dann am Ende ein Stück unnormale Normalität in dieser Großstadt herbeigeführt werden kann, hat es sich auf jeden Fall gerechnet. Wir sollten heute diesen Schritt des Verkaufs an Herrn Kretschmer tun. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Das Wort hat Herr von Beust.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Verehrter Herr Dr. Christier, Sie haben die Angelegenheit sehr moderat und sachlich vorgetragen, und es gibt bei vielen Dingen immer Argumente, die für oder gegen etwas sprechen, das ist klar. Aber lassen Sie uns in einem Punkt doch Tacheles reden. Daß Sie dies ein halbes Jahr vor der Wahl machen, hat doch nur den Grund, daß Sie glauben, sich heute, nach zehn Jahren Weggucken, Untätigkeit und Unfähigkeit, zu einem politischen Dumpingpreis freikaufen zu können. Das ist der eigentliche Hintergrund.

(Beifall bei der CDU – Antje Möller GAL: Uh, das kennen wir doch schon! – Uwe Grund SPD: Soweit zur Sachlichkeit!)

Ich sage Ihnen jetzt: Daraus wird nichts. Daß wir das nicht mitmachen, haben wir angekündigt, und ich will begründen, warum wir es nicht mitmachen. Ich halte die von Ihnen angestrebte Lösung zum einen für ungerecht, und zum anderen wird sie keines der von Ihnen geschilderten Probleme lösen. Sie ist deshalb ungerecht, weil ich im Gegensatz zu Ihnen der Auffassung bin, daß der Preis, der hier ausgehandelt wurde, kein Marktpreis ist, sondern ein politischer Dumpingpreis und nichts anderes.

(Beifall bei der CDU)

Die Schätzungen über den Wert dieses Objektes – darüber gibt es verschiedene Schätzungen – hinsichtlich des jetzt erzielten Preises liegen zumindest in einem Rahmen zwischen 630 000 DM und 1,1 bis 1,2 Millionen DM unter dem Marktwert. Wenn ich mir den Ist-Zustand ansehe – damit haben Sie natürlich recht –, ist der Kauf eines solchen Objektes, für wen auch immer, nur bedingt verlockend. Wenn ich aber ein langfristig denkender Kaufmann bin,

(Dr. Holger Christier SPD: Dann muß er drauflegen!)

erkenne ich in der Tat, daß das Schanzenviertel vermutlich ein Viertel ist – die Flora ausgeklammert und unabhängig von den Drogenproblemen –, das ein großes wirtschaftliches Wachstum in sich birgt. Es ist für einen Investor, der rechnen kann, durchaus berechtigt zu sagen: Ich gehe das Risiko eines für mich niedrigen Kaufpreises ein, weil ich weiß, daß dieses in nicht allzu ferner Zeit ein Viertel ist, in dem noch mit viel höheren Marktwerten gerechnet wird, als es jetzt der Fall ist. Vor dem Hintergrund ist es ein Dumpingpreis. Das können Sie nicht schönreden.

(Beifall bei der CDU)

Ich denke, daß gerade angesichts der Finanzsituation der Stadt – wo es doch in vielen anderen Bereichen kneift – ein solcher Dumpingpreis sozial ungerecht ist. Sie können doch nicht im Ernst bei vielen sozialen Problemen, die wir haben, von der Mittelstreichung bei Pädagogischen Mittagstischen, der Erhöhung von Kindergartengebühren oder der Streichung von Geldern bei den Bücherhallen auf der einen Seite gnadenlos handeln oder Gebühren erhöhen und auf der anderen Seite aus Gründen der Opportunität einen viel zu geringen Preis nehmen. Das ist ungerecht. Dabei bleibe ich.

(Beifall bei der CDU – Dr. Andrea Hilgers SPD: Was für ein Obstsalat!)

Es wäre genau so, als wenn Sie dem Mieter einer städtischen Wohnungsgesellschaft, der zehn Jahre weder Miete noch Nebenkosten bezahlt hat, zur Belohnung hinterher noch die Wohnung schenken würden. Das würden Sie auch nicht tun. Das zeigt, wie absurd es ist, was Sie machen.

(Beifall bei der CDU – Dr. Mathias Petersen SPD: Warum haben Sie es nicht gekauft?)

Man könnte noch sagen, ein solcher Preis wäre nicht aus Opportunität, sondern aus Zweckmäßigkeit gerechtfertigt, wenn er die gesicherte Erwartung in sich berge, daß die Probleme, die wir in den letzten zehn Jahren in der Roten Flora hatten, dadurch gelöst würden. Einige verwiesen in der Diskussion über diese Frage dabei auf das Beispiel Hafenstraße. Damals haben wir sehr engagiert gerungen, und auch innerhalb der SPD gab es sehr verschiedene Meinungen, wie wir auch anderer Meinung waren. Unter dem Strich konnte man aber zumindest feststellen – unabhängig von vielen unschönen Facetten –, daß das Problem der Kriminalität und Gewaltanwendung dort weitgehend aus der Welt geschafft worden ist.

Das muß man doch zugeben. Mir fällt es nicht so schwer wie Ihnen, etwas zuzugeben, wenn ich mich geirrt habe. Das haben wir vorhin gesehen.

(Beifall bei der CDU)

Es fällt einem doch kein Zacken aus der Krone, Entwicklungen zuzugestehen, die besser gelaufen sind, als man erwartet hat. Ich weiß gar nicht, was daran so außergewöhnlich ist. Wir können das zumindest, meine Damen und Herren.