Protokoll der Sitzung vom 25.04.2001

(Glocke)

Meine Damen und Herren, Frau Dr. Freudenberg! Ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit im Plenarsaal und darum, die Gespräche nach draußen zu verlegen.

Bitte schön, Sie haben das Wort.

Ich hatte eigentlich erwartet, daß Sie das Thema interessiert.

Auch wenn wir die Tötung eines Patienten ablehnen, und das müssen wir, sind wir doch zur Hilfe beim Sterben verpflichtet. Dank der Erkenntnisse der Palliativmedizin können wir diese Hilfe auch effektiv leisten. Eine Medizin, die in erster Linie den Tod bekämpft, ist inhuman, denn sie bekämpft letztendlich den sterbenden Menschen. Nur wenn wir das Sterben zulassen, können wir dem Patienten beim Sterben helfen, seine Schmerzen und seine Angst lindern, seine Übelkeit und weitere Mißempfindungen beheben. Sterbehilfe heißt, dem Patienten zu helfen, den Tod anzunehmen, was nur gelingt, wenn der Sterbeprozeß nicht zu quälend ist.

Wir müssen dafür sorgen, daß die Palliativmedizin endlich aus ihrem Schattendasein herauskommt und die effektive Schmerztherapie, die heute schon möglich ist, endlich allen Schmerzpatienten zugute kommt

(Beifall bei der GAL, der SPD und der CDU)

und nicht nur den wenigen Patienten und Patientinnen, die das Glück haben, auf einer speziellen Palliativstation oder in einer Einrichtung des Hospizes sterben zu können. Alle sterbenden Menschen sollen endlich eine fachkundige und umfassende Betreuung erhalten können. Wir müssen dies endlich als zentrale Aufgabe unseres Gesundheitssystems anerkennen, und dies ist unsere Antwort auf die Forderung nach aktiver Sterbehilfe.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD und der CDU)

Wir müssen zu einer Neuorientierung in unserem Gesundheitssystem kommen, und dies bedeutet Umschichtungen. Das wird nicht leicht sein, denn es gibt natürlich Interessen, die dagegenstehen. Aber wir müssen die Indikationen zur langfristigen Anwendung der teuren Apparatemedizin überdenken und enger definieren und mehr Gewicht auf die personalintensive Betreuung sterbender Menschen legen.

Unser Gesundheitssystem muß sich endlich mehr an den Wünschen und Erwartungen der Patientinnen und Patienten orientieren. Im Februar hat sich auch die Bürgerschaft mit dem Thema Patientenverfügung befaßt. Wir haben einen Antrag vorgelegt und verabschiedet mit dem Ziel, die Respektierung der in den Patiententestamenten festgelegten Willensäußerungen zu verbessern.

(Glocke)

Ihre Redezeit ist abgelaufen, Frau Dr. Freudenberg. Sie müssen zum Schluß kommen.

Einen Satz noch. – Das neue Gesetz in den Niederlanden macht es nun möglich, daß Patienten verfügen, später getötet werden zu wollen, wenn sie ein bestimmtes Stadium erreicht haben, und das finden wir ganz besonders bedenklich. Vielleicht können wir darüber nachher noch sprechen. – Danke.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD und der CDU)

Das Wort hat Frau Brinkmann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Jede und jeder von uns hat den Wunsch, wenn es einmal so weit ist, menschenwürdig ohne langes Leiden zu sterben. Immer wieder gibt es Beispiele von Menschen, die monatelang im Wachkoma liegen, angeschlossen an die verschiedensten Apparate und nicht mehr ansprechbar, und es ist sehr fraglich, was diese Menschen überhaupt noch wahrnehmen. Bei unheilbaren Krankheiten ist es klar, daß die Menschen nicht wieder gesund werden. Nur, sterben dürfen sie auch nicht, weil ihr Herz und ihr Kreislauf stark sind und weil über den Tod in unserer Gesellschaft heute nur Ärzte, Pflegekräfte oder Juristen entscheiden. Wir alle hoffen, bloß nicht so zu sterben, und machen uns nicht klar, wie schwer es ist, unser eigenes Ende einflußreich zu gestalten.

Eine Diskussion über das Sterben ist in unserer Gesellschaft noch sehr am Beginn. Angestoßen wurde sie in den letzten Wochen durch die Verabschiedung des Gesetzes zur aktiven Sterbehilfe in Holland. Die Mehrheit der Bevölkerung reagiert so, wie ich es eingangs geschildert habe. Aber wird man konkret und sagt, was das heißt, so wird ein Gesetz zur aktiven Sterbehilfe abgelehnt.

Das zeigt deutlich, wie zwiespältig und schwierig diese Diskussion ist. Wir haben dieses Thema weder in unserer Fraktion noch in unserer Partei intensiv diskutiert und keinerlei Beschlüsse gefaßt. Die jetzige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin hat sich allerdings klar dazu geäußert. Sie ist der Meinung, daß die Leitentscheidungen des Bundesgerichtshofs gut und klar sind. Danach hat der Arzt selbstverständlich nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, durch eine wirksame Schmerztherapie den Patienten

(Dr. Dorothee Freudenberg GAL)

schmerzfrei zu stellen, auch wenn er weiß, daß dies das Leben verkürzt.

(Beifall bei Elke Thomas CDU)

Er hat aber nicht das Recht, eine Giftspritze zu geben und das Leben zu beenden. Sie fordert dazu auf, dafür zu sorgen, daß Schmerztherapie und Sterbebegleitung flächendeckend umgesetzt werden, und stellt fest, daß die Patienten ein Verfügungsrecht über die letzte Phase ihres Lebens haben. Das heißt, jeder kann selbst bestimmen, ob er an lebensverlängernde und damit sterbensverlängernde Maschinen angeschlossen werden will.

Das sind aus unserer Sicht klare Vorgaben, an die sich jeder halten muß. Leider sieht die Praxis ganz anders aus. Wie ich eingangs schon geschildert habe, ist passive Sterbehilfe nicht immer klar definiert, und die Gerichte sind unterschiedlicher Auffassung darüber, was ein Arzt darf und was nicht. Der Bundesgerichtshof hat klar gesagt, daß eine Behandlung abgebrochen werden darf unabhängig davon, ob der Sterbevorgang bereits eingesetzt hat oder nicht. Wichtig sei allein der Wille des Patienten, zu prüfen habe diesen Vorgang das Amtsgericht. Wir kennen aber heute nur eine einzige Gerichtsentscheidung, bei der der Abbruch einer künstlichen Ernährung gestattet wurde. Eine Rechtslücke meinen die einen, die Ministerin ist anderer Auffassung. Deshalb wird es, solange die Diskussion nicht abgeschlossen ist und Praxis und Vorgaben des Bundesgerichtshofs nicht übereinstimmen, unsere Aufgabe sein, dafür zu sorgen, eine menschenwürdige Sterbebegleitung aufzubauen.

(Beifall bei Elke Thomas CDU)

Dazu können und müssen wir in den einzelnen Bundesländern eine Menge beitragen. Zunächst müssen wir deutlich machen, daß eine gute Sterbebegleitung viel Zeit kostet und damit viel Geld, Zeit für Betreuung, für Hilfe, für Gesprächsbegleitung bis in den Tod. Da die meisten Menschen gern zu Hause sterben möchten, muß zunächst eine ambulante Sterbebegleitung aufgebaut werden. Es soll ermöglicht werden, in Frieden und Würde in vertrauter Umgebung bis zum Tod selbstbestimmt zu leben. Aber da das von den Krankenkassen nicht finanziert wird, scheitert eine gute Betreuung häufig an den Kosten. Wenn eine häusliche Pflege nicht erfolgen kann, haben die Bürger und Bürgerinnen in Hamburg die Möglichkeit, in ein Hospiz zu gehen. Wir haben zur Zeit zwei Hospize, das „Leuchtfeuer“ und das „Sinus“, und ab 1. Juli eröffnet ein drittes, das Hamburger Hospiz im Helenenstift. Wir haben dann etwa 60 Hospizbetten im Angebot, was den Bedarfsrechnungen für eine Großstadt wie Hamburg entspricht.

Aber auch für die Hospize ist die Finanzierung sehr schwierig und leider nicht immer gesichert. Um die Bevölkerung besser über bestehende Möglichkeiten zu informieren, hat der Senat im Herbst 2000 eine Projektentwicklung ausgelobt. Der Freie Träger, die Hamburger Gesundheitshilfe e.V., wurde beauftragt, in diesem Jahr ein Umsetzungskonzept zu erarbeiten.

(Glocke)

Sie müssen zum Schluß kommen, Frau Brinkmann.

Ein letzter Satz. – Holländische Verhältnisse in Deutschland halten viele für überflüssig. Die Palliativmedizin und das deutsche Recht bieten alle Möglichkeiten, ethisch vertretbare Lösungen zu fin

den. Nur wissen es die wenigsten Ärzte, Pfleger und Juristen, oder fehlt ihnen der Mut?

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort hat Frau Rudolph.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Mit dem niederländischen Gesetz wird erstmals die bisherige strikte Ächtung der Euthanasie durchbrochen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Es wird auch in der öffentlichen Diskussion von Tabubruch, von Dammbruch gesprochen. Dabei hat die parlamentarische Versammlung des Europarats erst im vergangenen Jahr mit überwältigender Mehrheit eine Erklärung gegen die Euthanasie verabschiedet. Schon 1950 hat der Europarat mit der Menschenrechtskonvention zugleich ein Verbot verabschiedet, was die direkte Beendigung menschlichen Lebens betraf.

Nun ist beinahe zu befürchten, daß die niederländische Entscheidung einen Stein ins Rollen bringt, der letztendlich zu einer allgemeinen Akzeptanz der Euthanasie führen könnte. Der Mensch kann sich seiner Würde und seines Lebensrechts am Anfang und am Ende seines Lebens nicht mehr sicher sein,

(Beifall bei Elke Thomas CDU und Dr. Martin Schmidt GAL)

und diesem Trend muß mit aller Kraft Einhalt geboten werden. Was gilt eigentlich noch der Eid des Hippokrates?

(Beifall bei Elke Thomas CDU)

Was gilt das Menschenbild der westeuropäischen Wertegemeinschaft, das auf griechischen Vorstellungen – siehe Hippokrates – und vor allem auf jüdisch-christlichen Traditionen basiert und in dieser Frage auf so etwas Schlichtes wie das Fünfte Gebot am Sinai zurückgeht und das, was man im Konfirmandenunterricht von den Erklärungen Luthers gelernt hat. Da heißt es:

„Daß wir unserem Nächsten an seinem Leibe keinen Schaden und Leid tun, sondern ihm helfen in Leibesnöten.“

Das steht zu „Du sollst nicht töten“.

Menschliches Leben muß unverfügbar bleiben, sonst könnte eines Tages die Alterung der westlichen Gesellschaften – 2050 werden nach heutigen Hochrechnungen circa 42 Prozent der Bevölkerung ältere Menschen sein – wegen des Kostendrucks im Renten- und Gesundheitssystem Anlaß sein, Alzheimerkranken und anderen unheilbar kranken Menschen die Sterbepille zu verabreichen,

(Beifall bei Elke Thomas CDU)

die die holländische Gesundheitsministerin für eine nachdenkenswerte Alternative hält, wie man kürzlich der Presse entnehmen konnte.

Die Umfrageergebnisse, Frau Freudenberg, sind aus meiner Sicht wertlos, da sie sehr durch einseitige Fragestellung provoziert sind. Eine Frage, die als Ergebnis 78 Prozent Zustimmung hatte, lautete:

„Es wird verstärkt darüber diskutiert, ob es erlaubt sein sollte, unheilbar Kranke von ihren Leiden zu erlösen, indem ihr Leben auf ausdrücklichen Wunsch beendet

(Petra Brinkmann SPD)