Protokoll der Sitzung vom 09.05.2001

Die Hälfte dieser 165 000 erwerbstätigen Menschen leben also faktisch unter dem Niveau der Sozialhilfe. Es sind häufig Familien mit Kindern, wo die Mütter zu Hause bleiben, weil es mit dem Kindertagesheimplatz, den sie vorhin so groß tönend angeboten haben, der in Hamburg so wunderbar zur Verfügung gestellt werde und deren Zahlen in den letzten Jahren so toll angestiegen seien, nämlich nicht klappt und sie sich ihn finanziell nicht leisten können.

(Doris Mandel SPD: Aber viel weniger als in Baden- Württemberg!)

Es ist klar, daß Sie, wenn Sie an der Regierung sind, darüber nicht fröhlich sein können, wenn dies jemand sagt.

Jetzt zu unseren Forderungen. Wir wollen erstens in jedem Fall die Erwerbsbeteiligung der Frauen fördern. Das setzt

(Uwe Grund SPD)

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einerseits natürlich eine offensive Arbeitsmarktpolitik voraus, andererseits heißt dies aber für die CDU, den Ausbau von bezahlbaren Kinderbetreuungsplätzen

(Wolfgang Franz SPD: Deshalb habt ihr auch so viele Frauen in eurer Fraktion!)

mit flexiblen Öffnungszeiten zu intensivieren, die nämlich noch nicht vorhanden sind.

(Carmen Walther SPD: Warum haben Sie das denn nicht gemacht, als Sie an der Regierung waren?)

Wir wollen zweitens in jedem Fall die Erhöhung der staatlichen Transferleistungen –

(Petra Brinkmann SPD: Märchenstunde!)

die Erhöhung des Kindergeldes um 30 DM ist ja ganz nett, aber das kann doch nur ein Anfang sein –,

(Zurufe von der SPD)

des Erziehungsgeldes oder der steuerlichen Freibeträge.

Die Kindergelderhöhung ist für uns nur ein Anfang. Es gibt speziell im Steuerbereich noch wesentlich mehr zu tun.

(Zurufe von der SPD und von der GAL)

Ja, damit sie Vorteile haben.

Wir fordern drittens eine Beratungsstelle für die Erwerbstätigen im unteren Einkommensbereich. Denn laut Mannheimer Studie „Arbeit trotz Armut“ könnten 40 Prozent unserer 165 000 Hamburger Niedriglohnerwerbstätigen Wohngeld und ergänzende Sozialhilfe beantragen.

(Doris Mandel SPD: Richtig! 28 Sozialdienststellen beraten in dieser Stadt!)

Das tun sie nicht. Warum, Frau Roth, haben Sie für diese Menschen keine Angebote, warum gehen Sie nicht auf sie zu? Sie hoffen, daß sie das nutzen, was vielleicht irgendwo vorhanden ist.

Es hat genügend Modellversuche gegeben. Ich denke, wir müssen jetzt handeln. Wir wollen nicht, daß Menschen durch ihre Armut ausgegrenzt werden. – Danke schön.

(Beifall bei der CDU und REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Simon.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Röder, ich bin angesichts der Thematik Ihres Redebeitrages etwas erstaunt. Er ging in Richtung einer Aktuellen Stunde zur Familienarbeit und Berufstätigkeit. Sie plädieren für Beratungsstellen – die es im übrigen in der Stadt gibt –, um die Menschen vor der Armut zu bewahren und zu ergänzender Sozialhilfe zu ermuntern. Das habe ich so verstanden. Sie haben aber leider keine Lösungsansätze geboten, wie das zu finanzieren ist, beziehungsweise Sie haben wenig dazu gesagt, was den öffentlichen Dienst anbelangt.

Die Antworten des Senats auf die Große Anfrage haben mich tatsächlich in Erstaunen versetzt, weil nicht klar war, welches Ausmaß diese verdeckte Armut angenommen hat. Herr Grund hat schon gesagt: Wir wollen in Hamburg nicht dahin, daß wir uns alle von zwei, drei schlecht bezahlten Tätigkeiten ernähren müssen. Wir wollen das, was wir im Bündnis für Arbeit schon gut geschafft haben – auch mit Hilfe der Wirtschaft, die anfängt, mit uns auf die

sen Weg zu gehen –, nämlich die Arbeitslosigkeit zu senken und – das sage ich speziell für die GAL, was aber auch für die SPD gilt – existenzsichernde Einkommen zu erzielen. Wir setzen nicht auf Tätigkeiten, die von vornherein in die ergänzende Sozialhilfe treiben. Das kann nicht der Weg sein.

Mit Erstaunen habe ich bei den Antworten dieser Großen Anfrage natürlich auch wahrgenommen, daß wir uns tatsächlich ein Stück in die falsche Richtung bewegen. Wir sollten nach wie vor davon ausgehen, daß der öffentliche Dienst auch arbeitsmarktpolitisch für uns einen Vorbildcharakter hat. Darauf haben wir in Hamburg von seiten der Koalition und des Senats tatsächlich Einflußmöglichkeiten. Wir können nicht sagen, daß wir davon nichts wissen – das sagte auch schon Herr Grund –, aber der Wettbewerb und der Markt dies schon regeln würden.

Ihr Beitrag, Frau Röder, hat mich auch erstaunt. Denn eigentlich hat die CDU immer darauf gesetzt, möglichst alles zu privatisieren

(Zuruf von der CDU)

und dies durch die Kräfteverhältnisse des freien Wettbewerbs ausloten zu lassen. Wir sehen letztendlich, was dabei herauskommt.

Ich bin der Ansicht, daß auch im öffentlichen Dienst gewisse Einflußmöglichkeiten genutzt werden müssen, um zu verhindern, daß weiterhin die Lohngruppen abgesenkt werden und daß es intern zum Teil bis zu 25 Prozent Abschläge gibt. Das ist fatal. Wir werden – das hat auch Herr Grund gesagt – hier eingreifen, umsteuern und nach besseren Lösungen suchen müssen, denn Ausgründungen und Fremdvergabe können nicht die alleinseligmachende Lösung in Hamburg sein.

Ich bin auch der festen Überzeugung, daß die Verbraucherinnen und Konsumentinnen in der Stadt sehr wohl auch auf die Qualität der Dienstleistungen achten. Das gilt auch für den öffentlichen Dienst. Das heißt, nicht alles, was billig ist, dem Kostendruck unterliegt und sich auf dem Markt preiswert anbietet, wird tatsächlich auch goutiert. Da gibt es noch Unterschiede.

Die Antworten in der Großen Anfrage zeigen, daß wir auch berücksichtigen müssen, daß ein Einstiegsgehalt von rund 3000 DM brutto – das sagten Sie zu Recht, Frau Röder – bei vielen Frauentätigkeiten, die aufgelistet sind, nicht dazu dient, sich selbst, geschweige denn, unter Umständen eine Familie davon ernähren zu können. Das ist bei weitem nicht existenzsichernd. Wenn wir überlegen, daß in gewissen Bereichen weitere Abschläge bis zu 25 Prozent geplant sind, dann ist das fatal, und da hilft auch die Beratung zur ergänzenden Sozialhilfe wenig. Ich halte das finanzpolitisch und arbeitsmarktpolitisch für kontraproduktiv. Vor allen Dingen ist das finanzpolitisch eine Milchmädchenrechnung, denn wir als Stadt Hamburg müssen auch die ergänzende Sozialhilfe bezahlen. Bei allen Schwierigkeiten, die die Studie auch zeigt, wäre es sehr viel besser, ein existenzsicherndes Einkommen für eine vernünftige qualitätsbezogene Arbeit anbieten zu können.

Zur Kita-Card, die so oft genannt wird, will ich sagen – das steht auch deutlich in der Großen Anfrage, Frau Sudmann und Herr Hackbusch –, daß der Senat die Beratungen bezüglich der Pauschalierung des Leistungsentgelts noch nicht abgeschlossen hat. Das heißt, wir sind auf dem Wege, das vernünftig auszuloten; soviel dazu.

(Helga Christel Röder CDU)

(Zurufe von Heike Sudmann und Norbert Hack- busch, beide REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Wir sollten gemeinsam dafür sorgen, daß sich die Rahmenbedingungen im öffentlichen Dienst verändern. Statt einer Art von Niedriglohnsektor oder einer Tarifflucht müssen wir – davon bin ich überzeugt – arbeitsmarktpolitisch gegensteuern. Das ist unsere Aufgabe. Wir können nicht guten Gewissens sagen, der Wettbewerb werde es schon regeln, und zusehen, wie die meisten Menschen dann doch mit den niedrigen Einstufungen der Lohngruppen von vornherein auf die ergänzende Sozialhilfe angewiesen sind.

Es gibt eine Reihe von Daten und Fragen, die im Rahmen der Großen Anfrage nicht beantwortet werden können. Wir wissen eigentlich noch sehr wenig über die Menschen, die hier in der Stadt Sozialhilfe beziehen, und können die Zusammenhänge zwischen Arbeit, Einkommen und Armut noch nicht konkret benennen. Da gibt es keine Querverknüpfungen.

In Zukunft wird es aber den Armutsbericht geben. Dieser Bericht sollte – so haben wir es zumindest mit der Senatorin besprochen – eine qualitative Erhebung beinhalten. Seitens der GAL gibt es einen Antrag dazu. Eine qualitative Erhebung muß es deshalb sein, weil wir vom Sozialamt schlecht verlangen können, die einzelnen Antragsteller genau zu befragen, wo und wie viele Wochenstunden sie arbeiten und ob sie tariflich bezahlt werden. Das gibt dann wieder datenschutzrechtliche Probleme. Daher müßten wir eine qualitative Erhebung in der Stadt anstreben, die genau diese Zusammenhänge, Herr Hackbusch, die Sie auch in Ihrer Großen Anfrage deutlich abgefragt haben, herstellen, so daß wir dann hoffentlich exakter beantworten können, wo es in der Stadt hakt und was Armut trotz Arbeit und ergänzender Sozialhilfe tatsächlich bedeutet. Ich bin sicher, daß wir gemeinsam in der Koalition und mit der Senatorin einen Weg finden, ihn finden müssen, um umzusteuern.

(Beifall bei der GAL und bei Uwe Grund SPD)

Das Wort bekommt Senatorin Roth.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die statistischen und empirischen Grundlagen für die Beurteilung des Themas Armut in dieser Stadt und Erwerbstätigkeit sind in der Tat nicht sehr gut. Deshalb beabsichtigen wir, einen umfassenden Sozialbericht, sowohl quantitativ als auch qualitativ, vorzulegen. Wir bereiten ihn zur Zeit vor und beziehen die Wohlfahrtsverbände und andere Gruppierungen mit ein.

Sie haben in der Großen Anfrage gesehen, daß das Armutsrisiko weiblich ist und vor allem Familien mit Kindern trifft. Da schließe ich an die Debatte an, die wir heute schon hatten, nämlich die Familie durch Vergünstigungen und Möglichkeiten der Finanzierung und der Unterstützung herauszuheben. Es ist keine Frage, man kann es nachlesen, die alleinerziehenden Mütter und die Familien mit zwei und mehr Kindern sind auf ergänzende Sozialhilfe angewiesen. Die Frage ist aber, wie man aus dieser Situation herauskommt.

Diese Große Anfrage hat aber auch gezeigt – dies insbesondere an die Opposition gerichtet –, daß das Thema Lohnabstandsgebot zwar immer im Zusammenhang mit Sozialhilfe diskutiert wird, eigentlich aber ein ganz anderes

Thema ist. Denn das Lohnabstandsgebot, das wird allein durch diese Darstellung deutlich, wird erreicht. Allerdings in der Weise, daß viele Tarifverträge so niedrig sind, daß sie tatsächlich bewirken, daß Sozialhilfe gezahlt werden muß. Dies muß wiederum bei der Frage berücksichtigt werden, ob das, was Sie immer fordern – eine stärkere Lohnabstandsgebotsregelung –, tatsächlich notwendig ist. Ich schließe daraus, daß das nicht der Fall ist, sondern umgekehrt: Die Tarifvertragsparteien müßten an dieser Stelle – insbesondere im Bereich der sogenannten weiblichen Beschäftigungsbereiche – stärker auf die unteren Einkommen einwirken, um hier eine stärkere Lohnerhöhung zu erreichen.

(Beifall bei Andrea Franken und Heide Simon, beide GAL)

Das ist allerdings eine Sache der Tarifvertragsparteien, das können weder der Senat noch die Bundesregierung ändern. Es ist aber ein eindeutiges Indiz dafür, das ist auch in dieser Anfrage deutlich geworden, daß hier nicht etwa zu viel gezahlt wird, wie es oft behauptet wird, sondern in vielen Bereichen zu wenig. Hinzu kommen die Teilzeitarbeit oder Arbeitszeiten, die geringer als die sogenannten regulären Arbeitsverhältnisse sind.

Das führt uns zu dem Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie. In der Tat bedeutet Teilzeitarbeit – auch richtig bezahlt – trotzdem am Ende weniger und daß ergänzende Sozialhilfe, insbesondere für Frauen mit Kindern, bezahlt wird. Daraus zu schließen, daß die Löhne zu niedrig sind, wäre falsch. Denn wenn es eine Vollzeitarbeit wäre, wären die Löhne höher. Insofern kommt es darauf an, strukturell einzugreifen. Die Politik hat in diesem Zusammenhang schon eine ganze Menge getan, insbesondere die Bundesregierung. Die Bundesregierung hat mit ihrer Steuerpolitik genau richtig angesetzt, indem sie versucht, das Armutsrisiko, zum Beispiel durch Erhöhung des Grundsteuerfreibetrages, zu reduzieren. Das ist eine Sache, die sehr wichtig ist. Darüber hinaus denken Sie an die Erhöhung der Freibeträge im Zusammenhang mit der Kindererziehung. Dieses alles sind Maßnahmen, die dazu führen, daß Familien mit Kindern in Zukunft nicht auf Sozialhilfe angewiesen sind, wenn die Maßnahmen greifen. Hinzu kommt das Kindergeld, das voraussichtlich um 30 DM erhöht wird.

(Jürgen Mehlfeldt CDU: Das geht doch mit der Ökosteuer wieder weg!)