Protokoll der Sitzung vom 09.05.2001

(Karl-Heinz Ehlers CDU: Junge Erwachsene habe ich gesagt!)

Es ist vollkommen egal, ob die jung, mitteljung oder ganz jung sind. Diese Kinder und Jugendlichen sind Türken, die in Wilhelmsburg geboren wurden. Sie zeigen damit deutlich Ihr Gesicht, wie Sie demnächst das Einwanderungsgesetz umsetzen wollen. In Ihren Köpfen befinden sich nur ökonomische und demographische Gründe.

Diese jugendlichen Türken sind ein Bestandteil dieser Gesellschaft. Es ist gerade in den Schulen in Wilhelmsburg sowie in der gesamten Stadt ein Aufbruch zu bemerken. Ich kenne die Schulen sehr gut. Was Sie behauptet haben, ist eine – Lüge darf man hier wohl nicht sagen...

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Unwahrheit! – Karl-Heinz Ehlers CDU: Sie müssen mal häufiger nach Wil- helmsburg gehen!)

(Senator Dr. Willfried Maier)

In Städten wie Amsterdam, Rotterdam, London und Paris, wo ich gerade am vorletzten Wochenende war, und New York würde man über Ihren Monolinguismus und Ihren Ethnozentrismus lachen.

(Beifall bei der GAL)

Damit können Sie keinen Pfifferling in dieser Stadt gewinnen.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort hat Frau Dr. Hilgers.

Herr Ehlers und Herr Frommann, da Sie es offensichtlich nicht begriffen haben, hier noch einmal deutlich: Wie Sie heute hier mit der Kollegin Fiedler umgegangen sind, ist ein weiteres Beispiel für Ihre frauenfeindliche Haltung,

(Beifall bei der SPD und der GAL – Lachen bei der CDU)

die sich nicht zuletzt in Ihrer Liste deutlich zeigt. Wenn Sie es noch nicht begriffen haben – Ihre Beteiligung von Frauen deutet auch nicht darauf hin, daß Sie es in Zukunft begreifen werden –, daß Frauen nicht über ihre Männer, geschweige denn über ihre Ex-Männer definiert werden, kann ich Ihnen wirklich nicht helfen. Also: Sechs, setzen und noch mal üben.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Herr Ehlers, Sie haben das Wort.

Wieso darf man nicht daran erinnern,

(Dr. Hans-Peter de Lorent GAL: Das ist nicht das einzige, was Sie nicht begreifen!)

daß jemand eine Situation aus einem Stadtteil kennen müßte,

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Sie ist dort Lehrerin!)

aus einer Vergangenheit mit dem Bezirksamtsleiter von Harburg. Wo ist das Problem?

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Sie sind das Problem!)

Meine Damen und Herren, wird zu diesem ersten Thema der Aktuellen Stunde weiter das Wort gewünscht? Das ist nicht der Fall.

Dann rufe ich jetzt das zweite Thema der Aktuellen Stunde von der SPD auf

Zukunftsthema Familie: Eine neue Balance für Familie und Arbeitswelt

Das Wort hat Frau Ernst.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Vielleicht leitet das eine Thema auch zu dem anderen über.

Berufstätigkeit und Kindererziehung sind in der Bundesrepublik immer noch schwer zu vereinbaren, und dies führt zur Benachteiligung von Familien mit Kindern. Das ist kein

Naturgesetz, sondern das Ergebnis von jahrzehntelanger verfehlter Frauen- und Familienpolitik.

Internationale Vergleiche belegen einen direkten Zusammenhang zwischen der Höhe der Frauenerwerbstätigkeit und der Geburtenrate. Es ist genau anders herum, als es sich konservative Familienpolitik immer vorgestellt hat. Dort, wo Frauen berufstätig sind, bekommen sie viele Kinder und die Geburtenrate steigt. Dort, wo die Frauenerwerbstätigkeit gering ist, führt dies zu sinkenden Geburtenraten. Das heißt, es ist deutlich erkennbar, daß konservative Familienpolitik, die auf diesen Zusammenhang falsch gesetzt hat, gescheitert ist.

(Beifall bei der SPD)

Ein Ländervergleich belegt diesen Zusammenhang sehr deutlich. Schauen wir uns Spanien, Italien, Österreich, Deutschland und Japan an – im übrigen haben alle diese Länder eine faschistische Vergangenheit –, so finden wir eine typische Dreieinigkeit, nämlich eine niedrige Frauenerwerbstätigkeit, eine geringe Betreuung von Kindern bei Ganztagsangeboten und eine sinkende Geburtenrate. Bei den anderen Ländern stellt sich der Zusammenhang genau anders dar.

Die Debatte über Familie, die wir in den letzten Monaten verfolgen, zeigt, daß es eine große Unzufriedenheit gibt. Menschen wollen nicht länger vor die Alternative gestellt werden: Erwerbstätigkeit oder Kindererziehung. Junge Frauen sind heute die am besten ausgebildetste Generation, die wir je hatten. Diese Frauen lassen sich auch nicht durch Prämien an Haus und Herd fesseln und zum Kinderkriegen überzeugen. Im Gegenteil, sie erwarten von der Politik, daß die Rahmenbedingungen bereitgestellt werden, um Berufstätigkeit und Kindererziehung zu vereinbaren. Auch der Fachkräftemangel in diesem Land zeigt, daß wir es uns nicht leisten können, auf dieses Potential zu verzichten.

(Vizepräsident Berndt Röder übernimmt den Vor- sitz.)

Die neue Bundesregierung hat einen neuen, familienfreundlichen Kurs eingeschlagen.

(Rolf Kruse CDU: So neu ist der auch nicht mehr!)

Das Kindergeld wurde erhöht wie noch nie. Bis jetzt sind es 50 DM pro Kind, und nach der Einigung mit den Bundesländern wird es eine weitere Erhöhung geben, wenn die neue Steuerschätzung nicht völlig katastrophal ausfällt. Das heißt, es wird für jedes Kind in dieser Republik 300 DM geben. Das ist ein großer finanzieller Kraftakt. Im übrigen ist es für Familien, die wenig Geld haben, viel Geld.

(Beifall bei der SPD)

Wir sollten auch nicht vergessen, daß die Sozialdemokraten der alten Bundesregierung die Kindergelderhöhungen im Bundesrat noch als Gegenleistung abgetrotzt haben.

Die Familienpolitik der Bundesregierung kann sich auch auf anderen Feldern sehen lassen: Steuerliche Entlastungen von Familien, Verbesserung beim BAföG, beim Wohngeld und beim Erziehungsgeld.

Aber es geht hier nicht nur ums Geld. Die für Frauenförderung zuständige Abteilungsleiterin bei VW berichtet, daß es ihr trotz professioneller Dolmetschdienste nicht gelungen sei, ihren französischen Kolleginnen das Wort „Rabenmutter“ zu übersetzen. Daß Berufstätigkeit und Mutterschaft sich nicht ausschließen, müssen in der Bundesrepublik

(Christa Goetsch GAL)

noch viele lernen; auch das ist Bestandteil moderner Familienpolitik.

Die neue Bundesregierung hat dabei geholfen, daß Eltern ihre beruflichen Interessen mit Kindererziehungen verbessern können. Mit der Regelung der Elternzeit können Eltern in den ersten drei Jahren endlich gleichzeitig ihre Arbeitszeit reduzieren. Außerdem wurde die Elternzeit viel flexibler gestaltet, was auch den Anforderungen der modernen Arbeitswelt entspricht.

Es geht noch weiter. Über die Elternzeit hinaus gibt es einen Rechtsanspruch auf Teilzeit, auch das ist ein Angebot für mehr Flexibilität von Eltern. Was jetzt noch notwendig ist, ist natürlich auch Sache der Länder, darüber werden wir heute noch diskutieren: der weitere Ausbau von Ganztagsangeboten sowie von Kindertageseinrichtungen.

Was passiert jetzt? Nicht nur, daß die CDU in ihrer sechzehnjährigen Regierungszeit vieles versäumt hat, so viel, daß das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil nach dem anderen bescheinigt, daß ihre Familienpolitik nicht mehr verfassungsgemäß war. Die CDU ist auch in der Opposition nicht in der familienpolitischen Realität angekommen.

Der von Frau Merkel 1999 mühsam initiierte familienpolitische Kongreß ist im Spendensumpf untergegangen. Schade eigentlich, denn es war ihr Versuch, ihn einem modernen familienpolitischen Leitbild nahezubringen. Statt der Konzepte, die Frauen nicht zwischen Kind und Erwerbstätigkeit zu zerreißen, zeigt die CDU auch in der Opposition, daß sie die Wirklichkeiten des neuen Jahrtausends noch nicht erreicht haben.

Wir konnten in den letzten Wochen beobachten, wie sich die Mitglieder der CDU mit finanziellen Forderungen getoppt haben: 1000 DM Herr Stoiber, 1200 DM Frau Merkel. Aber Menschen können unterscheiden, was Sprüche sind und was konkrete Politik ist. Sie haben in den 16 Jahren etwas versäumt,

(Glocke)

und diese hohen finanziellen Forderungen sind unglaubwürdig. Vielleicht liegt bei der CDU mal die eine oder andere Million auf einem Konto; für den Bundeshaushalt gilt das jedoch nicht.