Protokoll der Sitzung vom 10.05.2001

Das Wort hat Frau Steffen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lieber Herr Hesse, wenn hier etwas enttäuschend ist, dann ist es das, was Sie als Antrag vorgelegt haben. Sie haben es schon zweimal gesagt, es ist nämlich das reine Abschreiben

(Klaus-Peter Hesse CDU: Ist doch nicht falsch, oder?)

dessen, was im Bericht der Enquete-Kommission steht.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Insofern ist der von Ihnen vorgelegte Antrag in Wahrheit keine Glanzleistung. Sie brauchen auch nicht die Hoffnung zu haben, es handele sich bei dem Antrag um einen großen Wurf, der es verdient hätte, daß ihm zugestimmt würde. Wir haben uns entschlossen, ihn aus zwei Gründen an den Jugend- und Sportausschuß zu überweisen.

(Glocke)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hesse?

Ich gestatte gleich eine Zwischenfrage, wenn ich den Satz zu Ende bringen kann.

Wir haben uns entschlossen, den Antrag zu überweisen, weil große Teile der Enquete-Kommissions-Empfehlungen im Konsens mit allen Fraktionen erarbeitet wurden. Daher sind also weite Teile unstrittig. Im übrigen ist der größte Teil Ihres Antrags, den Sie abgeschrieben haben, durch Anträge erledigt, die von der SPD- und GAL-Fraktion bereits zu den Haushaltsberatungen gestellt worden sind.

(Karin Rogalski-Beeck SPD: Das hat er nur nicht gemerkt!)

Das wäre natürlich auch ein Grund, zu sagen, man kann das ablehnen. Dann gibt es einen gewissen Rest, der vielleicht noch einmal zu überlegen wäre. Da haben wir gesagt, darüber können wir auch im Jugend- und Sportausschuß noch einmal sprechen. Es stellt sich dann die Frage, in welcher Intensität man darüber diskutieren will. Das ist der Grund für eine Überweisung und nicht etwa, weil es sich um einen tollen Antrag handelt.

Jetzt die Zwischenfrage.

Herr Hesse, Sie haben das Wort.

Stimmen Sie mir zu, daß die Forderungen, die die CDU-Fraktion in einem ihrer beiden Anträge zum repressiven Bereich stellt, noch nicht alle erfüllt wurden?

Das sind für mich, ohne daß wir das im Jugend- und Sportausschuß diskutiert haben, Bereiche, über die wir uns schon mehrere Male unterhalten haben. Die halte ich für völligen Unsinn. Auch im Jugend- und Sportausschuß werde ich sagen, daß ich diese Meinung nicht teile. Das war im übrigen auch in der Enquete-Kommission schon so, Herr Hesse. Das ist kein neuer Sachstand.

Nichtsdestotrotz lohnt es sich, über einige Bereiche immer noch zu reden.

(Dr. Martin Schmidt GAL: Aus humanitären Grün- den!)

Aus Ihren Ausführungen wurde deutlich, daß Ihnen bestimmte Bereiche inhaltlich noch nicht ganz klar geworden sind. In Punkt 2 Ihres Antrags sprechen Sie von Erziehungskonferenz. Man muß natürlich wissen, was eine Erziehungskonferenz beinhaltet. Nun ist der gesamte Prozeß der Erziehungskonferenz natürlich noch einmal zu überprüfen. Das ist auch nicht kontrovers zu dem, was bisher schon von der BSJB gesagt worden ist. Es stellt sich natürlich die Frage, inwieweit im Rahmen des Ablaufes einer Erziehungskonferenz das, was auch zur Verwaltungsmodernisierung gehört, zum Beispiel die Umsetzung des AKVPrinzips – Aufgabe-Kompetenz-Verantwortung –, von den einzelnen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern gewährleistet werden kann. Es ist so, daß zur Zeit die Organisation hergibt, daß die Abteilungsleitungen dieses jeweils gegenzeichnen müssen. Die Änderung eines Zeichnungsrechts zum Beispiel würde erlauben, daß man nicht zu zweit oder zu dritt als AS-Mitarbeiterin oder -Mitarbeiter in einer Erziehungskonferenz sitzen muß. Das sind zum Beispiel Verfahrensabläufe, Herr Hesse, die man kennen muß. Wenn man die nicht kennt, dann kann man auch nicht qualifiziert darüber reden. Das haben Sie hier noch einmal zum besten gegeben.

(Beifall bei der GAL, der SPD und bei REGEN- BOGEN – für eine neue Linke)

Insofern läßt sich zu diesem Punkt durchaus noch einiges überprüfen und machen. Er ist keineswegs unnötig oder unsinnig oder schon von der BSJB abgelehnt worden.

Ein weiterer wichtiger Punkt war Betreuungskontinuität. Insgesamt ist dazu festgestellt worden, daß wir uns natürlich auch in der Enquete-Kommission darauf verständigt haben, daß wir es nicht zulassen können, daß Kinder und Jugendliche – gerade diejenigen, die viele Beziehungsabbrüche gehabt haben – von Trägern, wenn es nicht paßt, immer weiter verschoben werden. Dieser Punkt wird hier noch einmal ausgeprägt aufgenommen. Wir müssen mit den Trägern in ein Verfahren kommen, daß sie sagen, wir behalten diese Kinder und Jugendlichen auch dann, wenn sie in unserem Betreuungssetting vielleicht erst einmal schwierig sind. Dann ist es unsere Aufgabe, weil wir gefördert werden, dieses auch mit allen Mitteln zu versuchen. Der LEB hat dazu bereits Anstrengungen unternommen. Es werden Verhandlungen mit anderen Trägern im Bereich der Verbände und Vereine der freien Jugendhilfe folgen. Das wird in Punkt 5 ausgeführt. Es ist kein Widerspruch zu dem, was im Bericht der Enquete-Kommission steht. Es ist lediglich nicht so einfach geleistet wie von Ihnen, einfach nur einen Text abzuschreiben. Man muß sich auch überlegen, wohin es gehen soll. Dieses zu den beiden Punkten.

Auf den weitestgehenden Verzicht auf auswärtige Unterbringung gehe ich noch kurz ein. Sie haben auch die Anfrage meiner Kollegin Freudenberg erwähnt. Es ist unstrittig, daß es zu viele auswärtige Unterbringungen gibt,

(Klaus-Peter Hesse CDU: Seit Jahren!)

aber dazu gehört auch, daß ein entsprechendes Angebot gemacht wird. Um eine entsprechende Angebotspalette zu entwickeln, braucht man natürlich die Einbindung in die bezirkliche Jugendhilfeplanung – das fordert dieser Antrag – und damit die Entwicklung eines mileu- und wohnort

nahen Angebots der Unterbringung, um nicht außerhalb unterzubringen zu müssen. Das zur Erläuterung der Tatsachen.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Und bis wann soll das al- les kommen?)

Ja, Herr Hesse, das ist ein weiterer Punkt, Ihre Kritik, daß Sie sagen, wir geben dem Senat nicht auf, daß er das besonders beantworten sollte.

Nach vier Jahren im Parlament sollte man eigentlich wissen, daß der Senat in der Entscheidung, wann er gedenkt, das zu beantworten, frei ist.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Dann ist das Resigna- tion!)

Insofern ist also das Setzen eines Datums guter Wille, aber völlig unüblich.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort hat Herr Jobs.

Das war ein sehr resignierter Schluß.

(Helga Christel Röder CDU: Das ist wahr!)

Ich bin überrascht, daß die Resignation vor der Allmacht des Senats, die immer wieder präsentiert wird, so beklatscht wird.

Aber noch einmal zum Thema. Es steht in dem Antrag eigentlich nichts Falsches. Der Enquete-Bericht wird Seite um Seite und vor allem auch Säule um Säule der Jugendhilfe abgearbeitet. Dabei war es eigentlich Sinn, Ziel und Zweck des Berichts, darauf hinzuweisen, daß dieses versäulte System überwunden werden soll, daß Systeme entwickelt werden sollen, die Säulen aufgehoben werden sollen. Nun macht Rotgrün Entwicklungsvorschläge, die sich keinen Millimeter von der alten Systematik entfernen. Das ist schwach. Da hatte ich ein bißchen mehr erwartet.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Aber damit nicht genug. Die Antragsteller übersehen, daß durch Senatshandeln die Mißstände oft erst geschaffen werden, die zu heilen sie jetzt vorgeben. Drei Punkte, an denen das deutlich wird.

Erstens das Ziel gemeindenahe Erziehung. Das ist unbedingt wünschenswert, sagen alle, nur Rotgrün hat mit den Regelungen zur Steuerung der Fallzahlen im Bereich Hilfen zur Erziehung in den letzten Jahren alles dafür getan, gutfunktionierende Strukturen regional ausgerichteter Hilfen zur Erziehung zu zerschlagen: mit den Kontingentvereinbarungen des Amtes für Jugend, mit den Bezirken und den Freien Trägern, mit der Anordnung, vorrangig den LEB mit Hilfen zu beauftragen.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Stimmt nicht!)

Das waren die Brechstangen dafür, daß dieses System ausgehebelt wird. Ein Beispiel dafür. Wenn im Karo-Viertel ein Kind in eine Wohngruppe ziehen will und soll, dann gibt es dort einen regional arbeitenden Freien Träger, der auch fachlich zur Durchführung der Hilfe geeignet wäre. Aber der Allgemeine Soziale Dienst hat den Auftrag, zunächst den LEB zu belegen. Der hat möglicherweise freie Kapazitäten, aber keine freien Plätze im Stadtteil. Er wird aber natürlich trotzdem mit der Hilfe beauftragt, denn es soll den

Vorgaben des Senats Genüge getan werden. Der Freie Träger hat dadurch aber über kurz oder lang Druck, seine Plätze im Quartier zu belegen, und muß dann auch wieder Kinder aus anderen Regionen aufnehmen, womit der regionale Bezug durch die Maßnahmen des Senats erfolgreich ad absurdum geführt wurde. Das ist eine der Brechstangen, von denen ich gehofft habe, daß Sie die abschaffen wollen.

Das zweite Ziel, an dem das deutlich wird: Sie wollen neue Modelle der Kooperation entwickeln. Kooperation ist wichtig, in der Jugendhilfe ganz besonders. Das sagen auch hier immer alle, aber gelingende Kooperation braucht verläßliche Strukturen und reale gemeinsame Handlungsmöglichkeiten. Die Flut unterschiedlicher Kooperationen – Modellprojekten, wie sie immer gerne angeschoben werden, mit denen Rotgrün die Stadt beglückt – beschäftigt im Moment alle in der Jugendhilfe Tätigen mit Konzepteschreiben, mit dem Streit ums Geld, aber sie führen zu keiner langfristigen Veränderung der Zusammenarbeit. Das ist der zweite große Schwachpunkt in Ihrem Antrag.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke und bei Helga Christel Röder CDU)

Drittens: Das Ziel, die Fachkräfte im Umgang mit Konflikten und Gewalt zu qualifizieren, ist so etwas wie der Wahlkampf-Spiegelstrich für die Stammtische.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Quatsch!)

Wer hat eigentlich den zusätzlichen Bedarf festgestellt? Es ist interessant, welche Empfehlungen Sie aus dem Enquete-Bericht abschreiben, welche Eingang gefunden haben und welche Sie lieber fallenlassen. Vom Qualifizierungsbedarf im Umgang mit Gewalt, von einem zusätzlichen Bedarf, der über das hinausgeht, was sowieso angeboten und wahrgenommen wird, wird im Enquete-Bericht gar nichts erwähnt. Da wird vielmehr erwähnt, daß es die Notwendigkeit gibt, Angebote zu entwickeln, die Kindern und Jugendlichen nicht mehr zumuten, ihre Sorgen und Wünsche alle paar Monate mit einer anderen Bezugsperson besprechen zu müssen.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Ja, steht doch da!)