„Froh sind wir auf jeden Fall darüber, dass die noch vom alten Senat geplanten justizpolitischen Schwerpunkte größtenteils übernommen werden. So setzt sich auch unter dem neuen Senat sozialdemokratische Justizpolitik fort.“
Ein geneigter Leser kann sich nur verwundert die Augen reiben. Da ist von einem Schwerpunkt des rotgrünen Senats in der Justizpolitik die Rede. In Wahrheit hätte es demnach in Hamburg gar keine Krise in der Innen- und Rechtspolitik gegeben. Nein, alles wäre in bester Ordnung gewesen. Sozialdemokratische Justizpolitik war möglicherweise die luxuriös geplante Justizvollzugsanstalt in Billwerder. Aber das ist auch alles.
Sie scheinen vergessen zu haben, dass Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, im letzten Sommer die Hamburger Richterschaft aufs Dach gestiegen ist.
In einem bis dahin unvorstellbaren Akt des Protestes haben im Juni 200 der 207 Richter des Landgerichts auf die katastrophalen Zustände der Justiz aufmerksam gemacht. Untersuchungshäftlinge kamen vor ihrem Prozesstermin frei, Straftaten verjährten und so weiter. Es wurde sogar der Vorwurf erhoben, Sie hätten gegen Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen, der die Beschleunigung von Strafverfahren gebietet. Was machte damals die Justizsenatorin? Sie zeigte sich betroffen.
Sie scheinen vergessen zu haben, dass Sie diverse Stellenkürzungen bei den Richtern und Staatsanwälten vorgenommen haben. Die Liste wäre beliebig lang. Sie scheinen auch vergessen zu haben, dass sich die Amtsrichter, die Richter am Hanseatischen Oberlandesgericht und 150 Staatsanwälte mit dem Bemerken an die Presse gewandt haben, die Justiz stehe vor einem Kollaps. Von Kriminalitätsverwaltung statt Strafverfolgung war die Rede.
In den Justizvollzugsanstalten haben Sie Stellen abgebaut. Sie wollten nicht zur Kenntnis nehmen, dass der zunehmenden Gewalt auch unter den Strafgefangenen nicht mit einem Personalabbau in diesem Bereich begegnet werden kann.
Wie haben Sie auf all die Kritik reagiert? Sie wehrten alles gleichsam reflexartig ab. Den Richtern ginge es viel besser, hieß es da von den Kollegen Zuckerer und Ehlers, sie holten eine Bundesstatistik hervor, die sich auf die Rechtsmittelinstanz bezog. Doch die Proteste der Richter und Staatsanwälte verstummten nicht. Selbst die hartnäckigsten Verfechter im Senat, die die Augen-zu-und-durch-Strategie verfolgten, gaben irgendwann auf und merkten den Wechsel der Stimmung. So wurde hastig eine Marscherleichterung für die Justiz beschlossen. Der Senat bewilligte 22 zusätzliche Stellen für die ordentlichen Gerichte und Staatsanwaltschaften. Doch die Freude hierüber hielt sich in Grenzen.
Machen wir uns nichts vor. Die hastig nachgeschobene Finanzhilfe für die Justiz von Frau Peschel-Gutzeit war seinerzeit genauso glaubwürdig wie die wundersame Wandlung des Herrn Scholz vom Saulus zum Paulus in der Hamburger Innenpolitik.
Die Tatsache, dass Sie jahrelang jugendliche Straftäter lieber auf Reisen geschickt haben, statt ihnen frühzeitig klare Grenzen zu setzen, ist das beste Beispiel dafür. Dass schwere Straftaten wie Raub- und Körperverletzungsdelikte von den Staatsanwaltschaften eingestellt oder lediglich Ermahnungen ausgesprochen wurden, verhöhnt die Opfer jugendlicher Gewalttaten.
Aber auch jugendliche Straftäter haben ein Recht auf Zukunft, ein Recht, frühzeitig vom Rechtsstaat Sanktionen zu spüren und auf diese Weise eine verlässliche Reaktion auf bestimmtes Fehlverhalten zu erfahren, wenn diese im Elternhaus ausbleibt.
Ich bin davon überzeugt, dass ein junger Mensch, der sich zum ersten Mal ungesetzlich verhält und eine schnelle und
angemessene Rechtsfolge spürt – das kann unter Umständen auch eine richterliche Ermahnung, verbunden mit einer sozialen Auflage sein –, weitaus bessere Chancen hat, sich wieder in die Gesellschaft einzufügen und einen Ausbildungs- und Arbeitsplatz zu erhalten, als Jugendliche, die merken, wie sie den Rechtsstaat hinters Licht führen und ihm auf der Nase herumtanzen können.
Das geht nur mit einer funktionierenden Justiz. Falsch verstandene Liberalität spielt insofern mit den Zukunftschancen der jungen Generation. Deshalb müssen Sie sich von der Opposition auch die Frage nach Ihrer Verantwortung für zerstörte Chancen und Brüche in den Lebensläufen junger Menschen stellen.
Doch mit dieser Entwicklung ist jetzt Schluss. Um die Strafverfolgung auch und gerade bei jugendlichen Tatverdächtigen wieder zu gewährleisten, schaffen wir die dringend benötigten zusätzlichen Stellen für die Staatsanwaltschaft. Wir errichten zusätzliche Haftplätze in Billwerder. Das wurde bereits angesprochen. Die neue Justizvollzugsanstalt wird noch erweitert und dadurch weniger luxuriös werden.
Auch die personelle Situation an den Gerichten werden wir weiter im Auge haben. Wenn bei den Richtern zunächst keine Aufstockung der Stellen erfolgt, ist Ihre Kritik auch nur vordergründig, weil Sie natürlich jetzt alles fordern, was Sie in Ihrer Regierungszeit nicht bereit waren, auch nur im Ansatz zu verwirklichen.
(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP – Michael Neumann SPD: Was Sie versprochen haben, dass fordern wir!)
Letztendlich beschränkt sich Ihre Kritik auf die Frage der Gefangenenentlohnung, die im Wesentlichen auf einem Rückgang der Arbeitsaufträge beruht, und auf die Abschaffung des Notruftelefons, das von den Gefangenen kaum genutzt wurde. Sie haben diesem Haushalt in Wirklichkeit nichts entgegenzusetzen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn man sich die beiden letzten Reden angehört hat, dann bekommt man den Eindruck, der Justizhaushalt und die Justizpolitik würden nur noch aus Strafvollzug und aus Strafjustiz bestehen. Das ist aus meiner Sicht aber etwas verkürzt gesehen. Denn der Justizhaushalt und die Justizbehörde haben im Wesentlichen drei Aufgaben. Eine dieser Aufgaben – aus meiner Sicht die erste dieser Aufgaben – besteht darin, die Grundrechte der Bürger gegenüber dem Staat zu schützen,
zweitens für Gerechtigkeit beim Streit zwischen einzelnen Bürgern zu sorgen und drittens strafbares Verhalten zu sanktionieren und die Opfer von Straftaten auch zu schützen. Und wenn es diesem Senat in Zukunft gelingt, diese
drei Aufgaben – ich betone, diese drei und nicht nur eine – wahrzunehmen, dann macht er eine gute Rechtspolitik.
Dieser Senat legt hier einen Haushalt vor, der zahlenmäßig – wir haben es gehört – etwas größer ist als der von Rotgrün zu verantwortende. Wenn wir allein nach den Zahlen urteilen könnten, dann wären in Hamburg in Zukunft die Grundrechte besser geschützt, es gäbe mehr Gerechtigkeit, für die Opfer von Straftaten würde mehr getan werden und Straftaten gäbe es womöglich auch bald überhaupt nicht mehr. Ich bezweifele jedoch, dass auch nur eine einzige dieser drei Aufgaben durch diesen Haushalt sichergestellt ist.
Zum Schutz der Grundrechte unter dem neuen Justizsenator: Die Justizministerinnen und -senatoren des Bundes und der Länder haben eigentlich traditionell die Rolle, so etwas wie ein rechtsstaatliches Korrektiv gegenüber den Innenministern und Innensenatorinnen darzustellen. Es waren bisher immer die Justizsenatorinnen und -minister, die ein besonders wachsames Auge für den Schutz der Bürgerrechte hatten und die ihre Stimme, wenn nötig, erhoben haben, um die verfassungsrechtlich garantierten Freiheiten zu schützen. Zu Zeiten, als es in der FDP noch Liberale gab und nicht nur Marktradikale, waren es des öfteren Leute aus der FDP, die diese Stimme wahrgenommen haben.
Weder in diesem Senat noch in den Regierungsfraktionen sehe ich irgendjemanden, der ernsthaft willens ist, diese für unsere Demokratie wirklich wichtige Rolle eines Anwalts der Grundrechte zu übernehmen. Der Justizsenator sieht sich offensichtlich als allerletzter dazu berufen, diese Rolle anzunehmen.
Herr Senator Kusch, wo sind die nachdenklichen Stimmen, wenn der Polizeipräsident eine weitgehende Videoüberwachung der Straßen in dieser Stadt fordert? Wo ist das Innehalten, auch nur das Nachdenken, wenn durch eine Maßnahme der Justiz ein Mensch stirbt? Wo ist der Einspruch, wenn Innenpolitiker der Koalition fordern, das Alter für die Strafmündigkeit zu senken und Kinder in den Knast zu sperren?
Es erhebt sich zu keiner dieser Fragen die Stimme des Justizsenators, die auch einer konservativen Regierung gut zu Gesicht stehen würde.
Anstelle dessen haben wir bisher vorwiegend Parolen aus der Mottenkiste der harten Repressionen gehört. Dieses für einen Justizsenator ungewöhnliche Verhalten, das aus meiner Sicht langfristig dieser Demokratie nicht gut tut, hat einen einfachen, parteitaktischen Grund: Ganz offenbar möchte die Union sich in Sachen Innenpolitik von Herrn Schill nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Sie braucht auch einen „tough guy“ im Senat;
diese Rolle hat Herr Kusch bereits im Wahlkampf als Angestellter der CDU-Fraktion ausgeübt. Es scheint, als verstünde er seine Rolle so, dass er sie auch in den nächsten Jahren als Justizsenator weiterzuspielen hätte.
Meine Damen und Herren! Ein Justizsenator, der im Herzen eigentlich lieber Innensenator wäre, für den die Grundrechte bei der Strafverfolgung eher ein lästiges Hindernis sind als die Grundpfeiler unserer Verfassung und unserer Freiheiten, der hat nach meiner Ansicht seine Rolle als Justizsenator nicht verstanden.
Herr Senator Kusch, Sie sind jetzt nicht mehr sicherheitspolitischer Angestellter der CDU-Fraktion, Sie sind Justizsenator der Freien und Hansestadt Hamburg, seien Sie auch der Anwalt der Bürgerrechte, anstatt hier permanent zu versuchen, der bessere Schill zu sein.