Protokoll der Sitzung vom 08.05.2002

(Dr. Wieland Schinnenburg FDP: In der Kürze liegt die Würze!)

Selbst die Beschreibung klein ist noch geschmeichelt, denn diese Antwort, Herr Senator Dr. Kusch, ist, das muss man so klar sagen, mickrig und kümmerlich.

(Beifall bei der SPD)

Man kann nur fassungslos den Kopf schütteln. Von zehn Fragen, die wir gestellt haben, hat der Senat neun mit dem Hinweis beantwortet, er habe sich noch nicht abschließend mit der Neukonzeption der JVA Billwerder befasst. Und das nach all den Wochen und Monaten, die seit der mit Pauken und Trompeten verbreiteten Behauptung einer Neugestaltung ins Land gegangen sind.

Was Sie mit Ihrer Antwort auf die SPD-Fraktion vorgelegt haben, Herr Justizsenator, ist eine Verhöhnung des Parlaments.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Es ist eine einzige Frechheit und ein Armutszeugnis für den Senat.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Dieser Befund ist auch gerade dann richtig, wenn Sie gleich ans Pult treten sollten und dem Parlament von taufrischen Beschlüssen des Senats und der Deputation berichten, die sie offenbar exklusiv einer Regionalzeitung mitgeteilt haben, aber eben nicht rechtzeitig dieser Bürgerschaft, die Anspruch auf umfassende Unterrichtung hat.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wir haben auch allen Grund zu bezweifeln, dass die Deputierten über alle Einzelheiten rechtzeitig und umfassend vor der Abstimmung informiert worden sind. Es gab noch nicht einmal eine schriftliche Vorlage. Selbst die Gegenstände der Beschlussfassung blieben zum Teil unklar.

Für die Bürgerschaft bleibt es dabei: Sie haben keinen Plan, kein Konzept und keine Idee für den Hamburger Strafvollzug.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, hätten wir in Hamburg gar keinen Strafvollzug mehr!)

Ich würde gern mit Ihnen eine sachliche Auseinandersetzung über das Thema Strafvollzug führen. Allein die Antworten des Senats auf unsere Anfragen und Ihre Informa

tionspolitik zeigen es, dass Sie die Diskussion nicht wollen. Sie sind nicht bereit, sich einer Debatte zu stellen. Sie kämpfen nicht mit offenem Visier.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Ich bringe in Erinnerung: In Ihren ersten Gedanken – von Planung will ich nicht sprechen – haben Sie 574 neue Haftplätze angedacht. Dann ist Ihnen aufgefallen, dass die Planung des alten Senats aber 732 neue Haftplätze vorsahen, und so sind Sie flugs auf die Idee einer neuen Mammuthaftanstalt in Billwerder mit 799 neuen Haftplätzen verfallen. Woher die zusätzlichen 43 Millionen Euro kommen werden, haben Sie allerdings immer noch nicht gesagt. Im Übrigen ist es mit lediglich einer baulichen Konzeption auch nicht getan.

Herr Senator, vor zwei Wochen haben Sie hier gesagt, Sie hätten gehofft, im Sinne einer sparsamen Haushaltsführung mit uns an einem Strang zu ziehen. Auch wenn ich Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieser Äußerung hege, möchte ich dennoch sagen: Ja, wir können und wollen mit Ihnen an einem Strang ziehen, soweit es zum Wohle dieser Stadt und ihrer Bürgerinnen und Bürger ist.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Hierzu bedarf es aber eines Zeichens seitens des Senats, nämlich dem Offenlegen der von ihm geplanten Maßnahmen.

Lassen Sie uns beim Beispiel Billwerder bleiben. Sie haben ausgeführt, durch Umplanungen werde ein Haftplatz nicht mehr mit 168 000 Euro zu Buche schlagen, sondern nur noch mit 115 000 Euro.

(Vizepräsidentin Rose-Felicitas Pauly übernimmt den Vorsitz.)

Zum Teil haben Sie versucht, den Eindruck zu erwecken, dies gelinge deshalb, weil Sie auf die Anlegung von Parkund Grünanlagen verzichten würden. Richtig ist aber doch vielmehr, dass Sie die Einsparungen dadurch erreichen wollen, dass Sie eine große einzelne Anstalt mit insgesamt 800 Haftplätzen bauen anstatt, wie ursprünglich geplant, zwei Anstalten. Gegen jeden Expertenrat und wider besseres Wissen wollen Sie dies nun in die Tat umsetzen.

(Burkhardt Müller-Sönksen FDP: Welche Experten eigentlich?)

Sie wollen in Hamburg eine Riesenhaftanstalt mit 800 Gefangenen bauen, die wegen der unterschiedlichsten Taten einsitzen: Ladendiebe neben Totschlägern, Kleinkriminelle neben Kapitalverbrechern, alle zusammen auf einem Haufen, ein krimineller Schmelztiegel, eine Schule des Verbrechens.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe Sie in meinem letzten Debattenbeitrag ausdrücklich auf die Gefahren hingewiesen, die von einer solchen überproportionierten Haftanstalt ausgehen, und zwar nicht nur für die Insassen und die Bediensteten, sondern auch für die Bevölkerung, denn ein solcher Gefängnismoloch wird weder zu einer Besserung noch zu einer Reifung der Insassen beitragen, sondern vielmehr dazu führen, dass kriminelle Neigungen und Veranlagungen verstärkt und gefestigt werden. Die Folgen wird die ganze Gesellschaft zu tragen haben, wenn diese Insassen dereinst wieder entlassen werden, und das wird bei der Mehrzahl der Insassen eher früher als später der Fall sein, denn den größten Anteil unter den Strafgefangenen haben die so genannten Kurzstrafler.

(Vizepräsident Farid Müller)

(Michael Neumann SPD: Genauso ist es!)

Strafvollzug ist einer der zentralen Aspekte, wenn es um Innere Sicherheit geht. Der Strafvollzug hat in zweifacher Weise zur Sicherheit der Gesellschaft beizutragen. Zum einen hat er straffällig gewordene Menschen in Verwahrung zu nehmen und so die Bevölkerung vor weiteren Straftaten zu schützen.

(Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Neue Erkenntnisse für Sie!)

Dies hat der Hamburger Strafvollzug zu jeder Zeit geleistet, das werden auch Sie nicht ernsthaft bestreiten können.

(Beifall bei der SPD)

Sie profitieren davon, wenn Sie Hafträume vorstellen können, die noch vom alten Senat in Auftrag gegeben worden sind. Zum anderen – das ist ein ebenso bedeutender Aspekt – hat der Strafvollzug dazu beizutragen, dass sich die Insassen nach der Entlassung in die Gesellschaft einfügen, ohne wieder straffällig zu werden. Dies ist das bekannte Gebot der Resozialisierung, wie es der Gesetzgeber im Strafvollzugsgesetz als oberste Maxime festgelegt hat. Herr Senator, es ist mehr als erstaunlich, dass ich diesen Begriff in Ihrer gesamten Rede zum Haushalt nicht einmal gehört habe.

(Beifall bei der SPD)

Dabei ist Resozialisierung der beste Opferschutz. Wir machen das um der Opfer willen, nicht wegen der Täter. Hier sollten Ihre Überlegungen ansetzen, insbesondere in Bezug auf Billwerder. Bis jetzt sind alle Fragen offen. Herr Senator, reden Sie mit uns über den Strafvollzug und auch über neue Formen der Strafe bei geringen Vergehen wie die elektronische Fußfessel oder den Führerscheinentzug. Hier kann ich Ihnen die Unterstützung der Hamburger Sozialdemokraten anbieten, und zwar im Interesse der Sicherheit dieser Stadt und ihrer Bürger.

(Beifall bei der SPD)

Wir können auch gern über originelle Vorschläge aus dem Regierungslager diskutieren, wonach Gefangene über das Internet studieren können. Die aktuellen Probleme sind allerdings andere. In den Haftanstalten Hamburgs hat es nicht Priorität, virtuelle Universitäten zu schaffen, sondern zum Beispiel den Hauptschulabschluss zu ermöglichen und durch Arbeit im Vollzug die Rückkehr in ein straffreies Leben zu erleichtern.

(Beifall bei der SPD)

Das ist unter anderem Prävention und Schutz potenzieller Opfer.

Ich muss an dieser Stelle noch einmal auf Ihre Rede in der Haushaltsdebatte zurückkommen. Sie, Herr Justizsenator, haben den Hamburger Sozialdemokraten unter anderem vorgeworfen, sie hätten für den Hamburger Strafvollzug nichts getan, der alte Senat habe Hamburg verkommen lassen, er habe gesetzliche Vorgaben nur dann ernst genommen, wenn es ihm ins politische Kalkül gepasst habe. Ich muss Ihnen ganz offen sagen, Herr Senator, ich habe selten erlebt, dass mit einer solchen Ruchlosigkeit die gemeinsten und bösartigsten Vorwürfe an den politischen Gegner gerichtet werden.

(Beifall bei der SPD – Berndt Röder CDU: Starkes Stück!)

Es ist schon mehr als bezeichnend, dass Sie sich in Ihrer Rede nur darauf konzentriert haben, den Vorgängersenat

zu beleidigen, anstatt dem Parlament und den Hamburger Bürgerinnen und Bürgern ihre eigene Politik zu erläutern und nahe zu bringen. Sie, wie der gesamte Senat mit dem Bürgermeister an der Spitze, hätten Gelegenheit gehabt, anlässlich der Großen Anfrage der SPD ein Konzept vorzustellen; die Chance haben Sie vertan.

(Beifall bei der SPD)

Ich würde mir gleichwohl wünschen, dass es gelingt, die weitere Debatte zum Strafvollzug in anständiger Weise zu führen; das Thema hat es verdient. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort hat der Abgeordnete Lüdemann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn die SPD eine Debatte „Konzeptlosigkeit im Strafvollzug“ anmeldet, dann hat das für mich schon irgendwie etwas Märtyrerhaftes.