Protocol of the Session on September 19, 2002

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schaft unserer Stadt und unseres Landes insgesamt dar. Wir begrüßen es daher ausdrücklich, dass nach den dunkelsten Zeiten unserer Geschichte das jüdische Leben in Hamburg wieder erwächst.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Natürlich geht es hier auch nicht nur um ein Anliegen der Jüdischen Gemeinde. Häufig haben wir schon über das Thema Integration gesprochen. Es sollte an dieser Stelle ausdrücklich unterstrichen werden, dass die Jüdischen Gemeinden in Hamburg mit erheblichem Einsatz an personellen und finanziellen Ressourcen und mit vorbildhaftem Engagement Hilfe und Unterstützung für die Zugewanderten, besonders aus den ehemaligen GUS-Staaten, organisiert haben. Die Schulexperten aller Parteien wissen, mit welchen Integrationsproblemen – trotz zum Teil hohen Bildungsniveaus – wir zu kämpfen haben. Dazu gehören Probleme in der Schule und Ausbildung mangels hinreichender Sprachkenntnisse. Damit einhergehen mangelnde berufliche und private Kontakte, Probleme bei der Anerkennung von Schul-, Ausbildungs- und Berufsabschlüssen, Verteilung der Zuwanderer in Regionen ohne Jüdische Gemeinde, hohe Arbeitslosigkeit quer durch alle Berufsgruppen. Daher haben den größten Anteil an einer erfolgreichen Integration der Neuankömmlinge die Jüdischen Gemeinden selbst. Es liegt daher sowohl im Interesse der jüdischen Gemeinschaft als auch der Aufnahmegesellschaft, die Voraussetzungen zu verbessern, unter denen die Jüdischen Gemeinden ihr Gemeindeleben und damit die Integration gestalten. Die Talmud-Tora-Schule ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Hamburg muss sich der Verantwortung bei der Förderung von Integration stellen. Dazu gehört auch die besondere Wachsamkeit und das entschiedene Eintreten gegen jegliche Form von Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Gestatten Sie mir bitte, an dieser Stelle noch eine persönliche Erinnerung wachzurufen. Ich habe selbst einige Jahre als Studentin für ein Programm des Hamburger Senats gearbeitet, mittels dessen ehemalige jüdische Hamburgerinnen und Hamburger, denen während der Kriegsjahre die Flucht gelungen war, wieder in ihre Stadt eingeladen werden. Sie kamen und kommen aus aller Welt, wohin es sie damals verschlagen hat. In diesen Gruppen befanden sich häufig ehemalige Schüler der Talmud-Tora-Schule. Wir haben diesen Ort mit jeder Gruppe aufgesucht und ich konnte erleben, wie plötzlich die Augen von Sechzig- und Siebzigjährigen glänzten, während sie uns von alten Schulerlebnissen berichteten.

Mir ist bei diesen Begegnungen immer wieder aufgefallen, wie hoffnungs- und vertrauensvoll wir miteinander umgegangen sind. Manchmal wurde ich allerdings von einigen Mitgliedern der Gruppe beiseite gezogen und gefragt, wie es mir hier und heute ginge als Türkin und Muslimin, eben auch als Mitglied einer Minderheitengruppe. Häufig habe ich damals erzählt, dass wir uns in Deutschland und hier in dieser Stadt dafür einsetzen, innergesellschaftlich den interreligiösen Dialog zu stärken und die Akzeptanz dafür zu steigern, dass mit der Zuwanderungswirklichkeit in unserem Lande auch eine religiöse Vielfalt in der Bevölkerung einhergeht.

(Präsidentin Dr. Dorothee Stapelfeldt übernimmt den Vorsitz.)

Dies gilt für die Akzeptanz von jüdischen Migranten, es gilt auch für moslemische und es gilt für alle andersgläubigen Zuwanderer, die in Hamburg ihren Lebensmittelpunkt haben. Wir wissen und sind dankbar dafür, dass die Jüdischen Gemeinden und mit ihnen lebendiges jüdisches Leben und jüdische Traditionen in Deutschland wieder wachsen. – Vielen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Das Wort hat jetzt Herr Pramann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, verehrte Gäste!

Wiedereröffnung der Talmud-Tora-Schule am 20. August 2002. 60 Jahre nach der Schließung durch die Nationalsozialisten hat die Talmud-Tora-Schule wieder ihre Tore geöffnet.

Für uns hat dieses Ereignis heute in verschiedener Hinsicht eine sehr große Bedeutung. Nach der leidvollen Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ist die Wiedereröffnung der Talmud-Tora-Schule ein Stück historische Gerechtigkeit. Seit ihrer Gründung im Jahre 1805 spannt die Geschichte der Talmud-Tora-Schule einen weiten Bogen über die wechselvolle Zeit der letzten beiden Jahrhunderte.

Die Talmud-Tora-Schule ist mehr als ein Schulgebäude aus Backstein im Jahre der Bauzeit. Im Jahre 1911 wurde sie fertig gestellt. Sie ist ein mahnendes Denkmal für alle entrechteten, ermordeten und vergessenen jüdischen Schüler in Hamburg.

Von den ehemaligen 28 jüdischen Lehrern, die im Oktober 1941 noch im Schuldienst standen, überlebten nur drei. Im Besonderen aber verbindet die Talmud-Tora-Schule Zukunft und Geschichte. Im Zeichen eines Neubeginns steht sie für ein lebendiges, emanzipiertes jüdisches Leben. Zugleich setzt sie die große Tradition der jüdischen Bildungsgeschichte fort. Die Talmud-Tora-Schule in Hamburg war eine der ersten Schulen der neo-orthodoxen Erziehung in Deutschland. In der jüdischen Kultur steht das Lernen als Existenzform im Mittelpunkt des Lebens. Wie weit sind wir jedoch alle vom Ideal dieses lebenslangen Lernens entfernt? Das muss jeder für sich selbst beantworten. In einer gemeinsamen Verantwortung für Schule und Bildung der zukünftigen Generation sind wir somit alle gefordert. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP und bei Tanja Bestmann SPD)

Das Wort hat Herr Dr. Maier.

Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren, liebe Gäste! Ich möchte mit einer persönlichen Bemerkung beginnen. Bislang war die Talmud-ToraSchule nur mein Wahllokal, das heißt, ich wohne in unmittelbarer Nachbarschaft. Es gab immer einen Stich, wenn ich oben am Gebäude zwar den alten Namen sah, aber wusste, dass sich darin inzwischen etwas ganz anderes abspielte und dass jüdisches Leben am Grindel nicht mehr existierte.

Jetzt schafft sich jüdisches Leben in Hamburg eine neue institutionelle Stätte, in der Kinder lernen, die ihren Beitrag

(Aydan Özoguz SPD)

zu unserem Gemeinwesen leisten werden und leisten wollen. Das verbinde ich mit einer sehr eigennützigen Hoffnung.

Seit den Tagen des alten Mendelssohn, seit der beginnenden Integration in die deutsche Gesellschaft, seit sich die deutsche Gesellschaft für eine Zeit lang dafür geöffnet hatte, haben Juden das Geistesleben Deutschlands – der deutschen Literatur, der deutschen Musik – in einer Weise bereichert, wie es keiner anderen deutschen Gruppe in den letzten 150 Jahren vor dem Nationalsozialismus gelungen ist.

Sie sind nach 1933 vertrieben, sie sind ermordet worden. Wenn diese Pflanze wieder zu keimen beginnt, glaube ich, dass das eine wichtige Grundsteinlegung zur Einflussnahme auf deutsche Kultur ist, auf die ich hoffe.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Das Wort hat Herr Woestmeyer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, verehrte hoch willkommene Gäste! Ich freue mich jedes Mal, wenn sich meine beiden Fachbereiche Schule und Kultur derart überschneiden. Ich denke, das ist hier der Fall.

Seit dem 20. August wird in der neu gegründeten, in der wieder begründeten Talmud-Tora-Schule unterrichtet. Ich kann für meine Fraktion und Partei nur sagen, dass wir uns darüber sehr freuen.

60 Jahre nach der Schließung der letzten jüdischen Schule geht in unserem Hamburg wieder eine jüdische Schule an den Start. Heute haben wir die Gelegenheit, für diese Schule auch endgültig die Raumfrage durch die vorliegende Vereinbarung auf solide Beine zu stellen, damit der Lehrbetrieb am Grindelhof beginnen kann, dort, wo einstmals das historische Zentrum jüdischen Lebens in Hamburg lag. Es ist für mich nicht einfach nur ein Rückblick, ein Erinnern, wie wir es in dieser Republik allzu häufig tun, wenn wir uns zu Jahrestagen vor Gedenksteine stellen, manchmal Reden reden, die in den vergangenen Jahren schon geredet worden sind, und sich diese Prozedur Jahr für Jahr wiederholt und immer etwas ein Stück Rückwärtsgewandtes hat. In diesem Erinnern liegt die Kraft für das, was ich in der Wiederbegründung der Talmud-ToraSchule sehe, nämlich dass dort etwas Neues wächst, dass da etwas blüht. Dafür stehen gerade Kinder, dafür stehen Schülerinnen und Schüler, dass dort eine zarte Pflanze ihren Neuanfang hat, dass dort etwas in die Gesellschaft hineinwächst, was dieser Gesellschaft fehlt, was wie eine schwarze Box immer in unserer Erinnerung bleiben wird, dort zu Recht auch bleibt, aber uns auch mahnen sollte, praktische Konsequenzen für die Zukunft zu ziehen.

Diese Wiedereröffnung ist Anlass und für mich auch ein guter Grund, denjenigen zu danken, die in den Verhandlungen zwischen dem Senat und der Jüdischen Gemeinde dieses Ergebnis erreicht haben. Ich freue mich, dass der Senat den Mut gehabt hat, auch in finanziell schwierigen Zeiten diese Unterstützung für die Jüdische Gemeinde möglich zu machen, mehr noch, dafür zu werben und damit auch ein Zeichen für Weltoffenheit und für Toleranz in dieser Stadt zu setzen, für die diese Stadt steht.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Gleichzeitig freue ich mich sehr über die Absicht, am Grindelhof auch ein jüdisches Bildungs- und Kulturzentrum entstehen zu lassen.

Wenn man in Berlin in der Oranienburger Straße spazieren geht, bekommt man eine Ahnung davon, welch kulturelle Vielfalt dort vor dem Regime des Nationalsozialismus lebendig war. Genau an der Stelle Hamburgs, über die wir uns jetzt unterhalten, ist das auch so gewesen. Und heute? Man kann erkennen, mit welchem Elan und Selbstbewusstsein junge Deutsche, ob jüdischen Glaubens oder anderer Wurzeln, dort nicht nur von Kultur reden, sondern einfach anpacken. Ich denke da zum Beispiel an Künstlergruppen, wie beispielsweise Meshulash, oder einfach an die koschere Bäckerei an der Ecke.

Hamburg steht es gut zu Gesicht, wenn wir unseren Beitrag leisten, damit sich Derartiges vielleicht auch in Hamburg, vielleicht wieder an dieser Stelle entwickelt. Das Engagement, mit dem die Schule unterstützt wird, zeigt die Bereitschaft der hier lebenden Bürger jüdischen Glaubens oder jüdischer Wurzeln, auch kulturell wieder Fuß zu fassen. Mich freut als Liberaler natürlich auch insbesondere, dass dort Public-private-partnership as it’s best – um in der Sprache zu bleiben – praktiziert wird. Es gibt beispielsweise einen Sponsor, dessen Hilfe wesentlich ist, um dieses Projekt überhaupt zu ermöglichen. Der Dank an diesen Sponsor ist von dieser Stelle aus sehr wichtig, um auch andere zu ermutigen, sich diesem guten Beispiel anzuschließen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal auf den Bildungsaspekt zurückkommen. Mich hat bei der Vorbereitung dieser kurzen Rede sehr beeindruckt, was der Landesrabbiner anlässlich des Unterrichtsbeginns im August gesagt hat, als er die Bedeutung des Lernens hervorhob. Ich zitiere:

„Es ist immer ,ein Lernen auf Vorrat‘, das Juden durch die Zeiten der Verfolgungen getragen und an der Schrift und Lehre hat festhalten lassen.“

Ich glaube, dem Landesrabbiner nicht Unrecht zu tun, wenn ich mir dieses Lernethos auch für alle Hamburger Schülerinnen, Schüler und Lehrer wünsche. – Vielen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Das Wort hat Herr Senator Lange.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Gäste! Vor vier Wochen konnte ich die ersten Schülerinnen und Schüler, Eltern, Lehrkräfte und Mitglieder der Jüdischen Gemeinde bei der Eröffnung der jüdischen Schule begrüßen. Wer, wie ich, am Grindel seine Kindheit verbracht hat, der kann sich vorstellen, wie wichtig mir persönlich dieses Projekt ist.

Die Jüdische Gemeinde konnte an dieser historischen Stelle einen Neubeginn unternehmen und eine eigene Grundschule gründen. Die Behörde für Bildung und Sport hat diese Schule als Ersatzschule selbstverständlich genehmigt und stellt zunächst zwei Lehrkräfte zur Verfügung. Die ersten zwölf Kinder, die ich bei der Einschulung erlebt habe, haben den Unterricht aufgenommen und, wie ich gehört habe, entfaltet sich schon ein sehr reges Leben, denn es geht dort nicht nur um die Unterrichtsvermittlung, sondern auch um die Vermittlung der jüdischen Kultur und Bräuche.

(Dr. Willfried Maier GAL)

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