Protokoll der Sitzung vom 05.03.2003

Wann wird in diesem Land auch der Letzte begreifen, Herr Nockemann,

(Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Ich hoffe, dass Sie nie in solch eine Situation kommen!)

dass jede Verwässerung des Folterverbotes das unsere Demokratie tragende Menschenbild infrage stellt. Der Sprecher des Weißen Rings, Helmut Rüster, hat die derzeitige Debatte gegenüber der ARD Tagesschau zu Recht kritisiert, wenn er formuliert, dass die Debatte im schlimmsten Fall das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Bürger und Polizei erschweren könne.

Je länger diese Debatte wird, meine Damen und Herren, umso stärker wird sich zumindest in Teilen der Bevölkerung eine Ja-Aber-Haltung manifestieren, denn es ist doch klar, die Emotionen müssen hochkochen, wenn jemand gefragt wird, ob er bereit sei, alles zu tun, Herr Nockemann, um das Leben eines Kindes zu retten. Nicht nur wer selber Kinder hat, wie ich, Herr Nockemann, wird dies menschlich nachvollziehen können,

(Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Versetzen Sie sich mal in die Lage!)

aber darf das bestimmend sein für rechtsstaatliches Handeln?

(Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Das hat niemand behauptet!)

Nein, meine Damen und Herren, wenn hier nicht dem Staat und seinen Vertretern klare Grenzen gezogen werden, dann geht unsere Demokratie und unsere Verfassung den Bach runter.

(Vereinzelter Beifall bei der GAL)

Unsere Verfassung kennt im Hinblick auf Artikel 1 Grundgesetz keinen Unterschied, Herr Nockemann, zwischen guten und schlechten Menschen. Die Menschenwürde ist und bleibt unantastbar, die des unschuldigen Kindes wie die des Rechtsbrechers. Und wer dies infrage stellt, der stellt letztlich unsere Verfassung infrage, Herr Nockemann.

(Vereinzelter Beifall bei der GAL und der SPD)

Dann droht – das sind Ihre Zwischenrufe gewesen, Herr Nockemann –, wie katholische Ethiker kürzlich in der „Welt“ zitiert wurden, in der Tat ein „ethischer Dammbruch“.

Meine Damen und Herren, deshalb wird es in der nächsten Zeit darauf ankommen, dass sich Regierungs- und Parlamentsvertreter einmütig gegen die Aufweichung des

Folterverbots wenden. Geschieht dies nicht, dann wird sich, so fürchte ich, diese Ja-Aber-Haltung, diese Haltung mit Hintertürchen, mittelfristig auch an unserem staatlichen Handeln ablesen lassen können und davor, hoffe ich, mögen wir alle bewahrt sein. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Der Abgeordnete Bauer erhält für noch zwei Minuten das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Anweisung des Frankfurter Polizeivizepräsidenten, den mutmaßlichen Entführer und, wie sich später herausstellte, Mörder von Jakob von Metzler nach vorheriger Androhung unter ärztlicher Aufsicht durch Zufügung von Schmerzen zu befragen, ist ein bislang einmaliger Fall. Nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik hat ein Polizeiführer die Androhung schwerer Schmerzen offiziell angeordnet und sich anschließend auch noch dazu bekannt.

Das Strafgesetzbuch wertet eine Aussageerpressung als Verbrechen mit einem Strafmaß von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verbunden mit dem Verlust des Amtes. In minderschweren Fällen werden fünf Monate bis sechs Jahre Haft angedroht. Ist das Verhalten des Frankfurter Polizeivizepräsidenten also strafbar? Ich gebe Reinhard Chedor, dem Chef unseres Landeskriminalamtes, Recht, der sagte, man könne Eltern, die um das Leben ihres Kindes bangen, schlecht erklären, der Täter mache von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Dennoch müssen wir es, so schwer es uns auch fallen mag.

Häufig wird in der öffentlichen Diskussion der Begriff des gerechtfertigten Notstandes gebraucht. Der rechtfertigende Notstand erlaubt es, Gesetze in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr zu überschreiten, wenn das geschützte Interesse des Beeinträchtigten wesentlich überwiegt, also zum Beispiel das Leben eines Kindes gegen die körperliche Unversehrtheit des Beschuldigten.

(Michael Neumann SPD: Wie, jetzt doch auf ein- mal?)

Hier, meine Damen und Herren, geht es aber nicht um die körperliche Unversehrtheit des mutmaßlichen Täters. Selbst das Recht auf Leben ist laut Grundgesetz einschränkbar. Hier geht es aber um die Menschenwürde. Staatliche Folter, sei es auch nur deren Androhung, ist eine Verletzung der Menschenwürde und nach unserer Verfassung ist die Menschenwürde unantastbar.

(Vereinzelter Beifall bei allen Fraktionen)

Es gibt also kein anderes Rechtsgut, das einer Abwägung standhalten kann. Deshalb kann und darf staatliche Folter niemals gerechtfertigt sein.

(Glocke)

Ich bin sofort fertig.

Auf den Frankfurter Fall bezogen, möchte ich meine Rede mit einem Zitat von Robert Leicht aus der „Zeit“ beenden:

„Ich halte mich an Recht und Gesetz, solange ich kann, und ich spekuliere nicht über den Grenzfall, um den Normalfall aus den Angeln zu heben. Und wenn dann der Grenzfall zu kommen scheint, dann handele ich,“

(Glocke)

„wie es mir meine Verantwortung gebietet, und nehme die Folgen für mich in Kauf...“

(Manfred Mahr GAL)

A C

B D

Herr Abgeordneter, das Zitat ist ein wenig lang.

Jawohl.

„... die das Gesetz für den Normalfall vorsieht. Hier stehe ich, ich konnte nicht anders.“

Zitat Ende. – Danke schön.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Aktuellen Stunde angekommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf, Drucksache 17/2267, Vorlage des Rechnungshofs: Jahresbericht 2003 des Rechnungshofs über die Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung der Freien und Hansestadt Hamburg mit Bemerkungen zur Haushaltsrechnung 2001.

[Vorlage des Rechnungshofs: Jahresbericht 2003 des Rechnungshofs über die Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung der Freien und Hansestadt Hamburg mit Bemerkungen zur Haushaltsrechnung 2001 – Drucksache 17/2267 –]

Die GAL-Fraktion beantragt eine Überweisung dieser Drucksache an den Haushaltsausschuss. Wird das Wort begehrt? – Das ist der Fall, der Abgeordnete Dobritz erhält es.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Rechnungshof hat seinen Jahresbericht für das Jahr 2002 vorgelegt. Neben der Vorlage dieses Berichts beziehe ich einmal die Ausführung des Rechnungshofspräsidenten selbst und seine Presseerklärung mit ein, denn sie sind ja gleichsam Bestandteil der Überlegungen und der Kritik, die dort enthalten sind. Was für Botschaften für mich haben nun dieser Rechnungshofsbericht und seine Ausführungen?

Wir werden diesen Rechnungshofsbericht in den verschiedenen Gremien ja sehr ausführlich beraten. Die erste Botschaft, so habe ich mir aufgeschrieben, ist: Es erwischt jede Regierung irgendwann einmal,

(Bernd Reinert CDU: Aber manche schlimmer als andere! – Burkhardt Müller-Sönksen FDP: Das mer- ken wir uns beim nächsten Mal!)

denn manche Gesichtspunkte betreffen auch diese Regierung. Es ist, wenn man so will, wie auch in den anderen Rechnungshofsberichten gegenüber den alten Regierungen: gut gemeinte Ziele, schlechte Operationalisierung der Ziele und fehlendes politisches und administratives Controlling und natürlich die Notwendigkeit, mit rund 60 000 Mitarbeitern zusammenarbeiten zu müssen, was ja nicht eben wenig ist. Ich will das einmal so zusammenfassen: Irgendwie habe ich das Gefühl, die Handelnden in der Politik sind alle vom selben Stern. Nun hat das ja auch etwas Tröstliches und Gutes.

Die zweite Botschaft, die ich entnommen habe, ist: Jenseits der Notwendigkeit, mit den knappen Finanzmitteln auch wirtschaftlich umzugehen, ist festzustellen, dass der demokratische Rechtsstaat nicht mehr in der Lage sein wird, seine Pflichten zu erfüllen, wenn er nicht einen angemessenen Anteil an der volkswirtschaftlichen Wertschöp

fung in diesem Land erhält. Dieser Grundgedanke der sozialen Marktwirtschaft muss uns auch heute wieder in Erinnerung gerufen werden. Für mich hat das an diesem Punkt vier Facetten.

Erst einmal, meine Damen und Herren, und darauf geht der Rechnungshof ja auch ein: Steuerbetrug darf in diesem Land kein Kavaliersdelikt mehr sein. Gleichsam Verständnis zeigen für derartige Steuerdelikte geht nicht mehr. Ich will das heftigste Beispiel nennen, das ist der Umsatzsteuerbetrug. Wir haben in einem Jahr einen Rückgang von Umsatzsteuereinnahmen von über 10 Milliarden Euro.

(Rose-Felicitas Pauly FDP: Das hat etwas mit Ihrer Konjunkturpolitik zu tun! – Gegenruf von Dr. Andrea Hilgers: Nein, das ist einfach Betrug!)

Herr Dr. Peiner und ich sind uns einig, das darf ich verraten, dass ein Betrag von 5 bis 6 Milliarden Euro ausschließlich auf Umsatzsteuerbetrug zurückzuführen ist. Sie kennen die berühmten Karussellgeschäfte. Sie führen zu Milliardenausfall in diesem Staat. Herr Dr. Peiner selbst hat eine Task-Force mit fünf Mitarbeitern für Hamburg eingerichtet. Ich finde das gut. Es ist nur verdammt zu wenig. Wir alle wissen, dass wir in dieser Bundesrepublik zum Thema Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung 16 Länder, 16 Ansätze und 16 Meinungen haben. Das geht so nicht. Herr Dr. Peiner, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie in diesem Punkt harmonisieren könnten und es zu einer gemeinsamen Schlachtordnung in der Bundesrepublik käme.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD – Bernd Reinert CDU: Immerhin kämpft er schon einmal mit, Sie haben es nicht!)