Protokoll der Sitzung vom 09.04.2003

Aber wir wünschen uns dieses Europa als ein Europa der Bürgerrechte, als ein Europa der Nachhaltigkeit und ein Europa der sozialen Sicherheit. Dieses Europa braucht eine Verfassung. Es ist deswegen breiter Konsens in diesem Hause, dass Hamburg die Arbeit des Konvents begrüßt und mit seinem Antrag, wie auch schon erwähnt, entscheidend beeinflusst hat. Der Kollege Rumpf sieht das offensichtlich anders.

Wir haben, wie die Vorredner schon erwähnten, einen einstimmigen Antrag verabschiedet und, ich glaube, er war doch wichtig, weil wir auch im Konzert mit anderen Bundesländern gemerkt haben, dass es dort durchaus mehr Skepsis gab, wie sich jetzt auch im Föderalismuskonvent gezeigt hat.

Trotzdem glaube ich, dass dieser Antrag – gerade was die Europapolitik in diesem Parlament betrifft – sicherlich einer der Höhepunkte war.

Ein wenig Wasser muss ich allerdings in den Wein gießen, denn ich glaube, dass Hamburg zurzeit insgesamt zu wenig für Europa tut. Manchmal denke ich, es wäre gut, dass es nicht nur bei den Betrittsländern eine Reifeprüfung für Europa gibt, sondern auch bei den Bundesländern. Es

gab und es gibt in Hamburg viel zu viel Selbstgefälligkeit im Umgang mit der EU. Wir sind ein kleines Land und wir müssen für unseren Platz in Europa kämpfen. Wir müssen mit Ideen von uns reden machen und wir müssen versuchen, als Erste da zu sein. Das aber ist nicht der Fall und der Konvent ist dafür ein gutes Beispiel.

Wir reden in Hamburg nicht genug über den Konvent. Was mich wirklich ärgert – ich nehme an, alle Kollegen haben diese Einladung auch bekommen –, ist die grandiose Planung des Staatsrats Stuth für die Veranstaltungsreihe „Vaterland Europa“. Die soll offenbar frei von Abgeordneten gehalten werden. Nicht anders ist es zu erklären, dass morgen während der Bürgerschaftssitzung gerade diese Veranstaltung stattfinden soll.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Ich frage mich außerdem, was Staatsrat Stuth mit dieser Veranstaltung eigentlich erreichen will.

(Burkhardt Müller-Sönksen FDP: Die könnte Sie ja in Verlegenheit bringen! – Glocke)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage.

Nein, möchte ich nicht.

Die Marktfrau vom Fischmarkt wird damit bestimmt nicht erreicht. Das ist die große Achillesferse in der europäischen Einigung. Wir reden zu viel, obwohl, wie wir jetzt merken, genau das Gegenteil nötig wäre.

(Burkhardt Müller-Sönksen FDP: Sie hätten mal lie- ber beim Staatsrat nachfragen sollen!)

Der Krieg im Irak zeigt, wie dringend wir ein geeinigtes Europa, ein starkes Europa brauchen. Mit einem geeinigten Europa, für das der Konvent jetzt die Fundamente legen soll, hätten wir den Krieg möglicherweise verhindern können. Ein europäischer Außenminister Joschka Fischer

(Karl-Heinz Ehlers CDU: Ausgerechnet der!)

hätte viel weitergehende Einflussmöglichkeiten gehabt als der Hohe Beauftragte Solana – bei aller Wertschätzung für dessen Arbeit.

Das ist es, worüber wir mit den Menschen in Hamburg reden müssen. Warum brauchen wir Europa? Was bringt es uns und was kostet es und was werden wir dafür hier tun müssen? Ich appelliere an Sie, den Konvent zum Anlass zu nehmen, endlich in Hamburg – wie auch in unserem Antrag beschlossen – eine Informationsoffensive zu starten. Die Bürgerschaft hat es einstimmig eingefordert.

Meine Damen und Herren, wann, wenn nicht jetzt, müssen wir darüber reden, was die Menschen von Europa zu erwarten haben? Wann, wenn nicht jetzt, sind die Menschen dafür offen, gerade auch in Hamburg, was Europa einmal sein soll und wie sich Europa in der Welt demnächst stellen soll?

(Ekkehard Rumpf FDP: Die SPD-Fraktion sieht das anders!)

Insofern gibt es Kritik und ich hoffe, dass der Senat endlich eine Informationsoffensive starten wird, denn jetzt ist der richtige Zeitpunkt.

Meine Damen und Herren! Ich habe am Eingang meiner Rede einen Amerikaner zitiert und möchte zum Abschluss einen alten Europäer zu Wort kommen lassen, nämlich

(Gerd Hardenberg Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Sokrates. Der hat gesagt, wer die Welt bewegen will, sollte sich erst einmal selbst bewegen. In diesem Sinne vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Meine Damen und Herren! Das Wort hat jetzt der Erste Bürgermeister.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir sind auf der Zielgeraden zu einem Europa, das eine Seele bekommen und die Seele verändern wird. Europa wird durch eine europäische Verfassung eine Seele bekommen, in der – wir sind uns einig, dass das vernünftig ist – zum ersten Mal auf europäischer Ebene die uns verbindenden Grundwerte postuliert werden. Das wird deutlich machen, dass Europa mehr ist als Wirtschaft, mehr als Außenhandel, mehr als Kommerz. Europa ist eine uns verbindende gemeinsame Wertetradition mit Rechten der Bürgerinnen und Bürger, die in dieser Verfassung verankert werden.

Meine Damen und Herren! Wer hat zur Mitte, zum Anfang oder sogar noch zum Ende des letzten Jahrhunderts zu glauben gewagt, dass uns dieser historische Schritt gelingt und dass uns das kulturell und menschlich Verbindende und Rechte Gebende in einer gemeinsamen Verfassung niedergelegt wird?

(Michael Neumann SPD: Das ist ja toll, dass der Bürgermeister zu solchen Themen redet!)

Das ist ein großer Schritt für die Menschen in Europa und ein großer Schritt für dauerhaften wirklichen Frieden in Europa.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Die Zeitreihenfolge ist so, dass gegen Ende Mai der vorläufig abschließende Bericht des Konvents vorliegt und Ende Mai auch die deutschen Ministerpräsidenten zusammenkommen werden, um das weitere Vorgehen im Bundesrat zu besprechen. Da gibt es eine inhaltliche und eine formale Komponente, die aber miteinander verbunden sind.

Täuschen wir uns nicht, es kann dazu führen, dass eine europäische Verfassung weit über das hier hinaus Gesagte einen riesigen Einfluss auch auf das hat, wofür wir zuständig sind und was wir in den Bundesländern entscheiden können. Die Zuständigkeit der Parlamente der Länder und die Zuständigkeit der Regierung der Länder und damit auch die Möglichkeiten der Menschen, direkt vor Ort auf Politik einwirken zu können, diese Grundzüge können in einer solchen europäischen Verfassung gestaltet werden. Darum ist es dringend notwendig, gerade in der letzten Phase der Erarbeitung einer solchen Verfassung die Rechte der Länder mit Nachdruck anzumahnen, und das ist, lieber Herr Frank, alles andere als ein falscher Zeitpunkt. Es ist der letzte Zeitpunkt, wo dies gemacht werden kann, und ich bin sehr dankbar, dass es heute geschieht,

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

denn wir stehen vor der schwierigen Situation, dass leider auf europäischer Ebene, mit Ausnahme von Österreich, gerechte, föderative Institutionen, das, was wir Länder nennen, in den meisten anderen europäischen Nationen nur rudimentär, wenn überhaupt, bestehen.

(Christian Maaß GAL: Spanien!)

In Spanien ist es etwas anders, weil dort die Regionen keine gesetzgebenden Körperschaften sind.

Darum ist es entscheidend, dass wir der deutschen Tradition, dem Föderalismus, mit dem wir unter dem Strich gut gefahren sind, rechtlich die Chance geben, sich in einer europäischen Verfassung zu verankern, dass nicht eine europäische Verfassung langfristig den deutschen Föderalismus kaputtmacht.

Wir stehen da vor einer ganz entscheidenden Weichenstellung, die in zweierlei Hinsicht wiederum bedeutend ist, einmal bei der Frage, welche Kompetenzen in einer solchen europäischen Verfassung festgelegt werden. Ursprünglich gab es die Idee, überhaupt keine Kompetenzen festzulegen, sondern – etwas salopp gesagt – zu formulieren, dass, wenn sich Europa eines Themas annimmt, es automatisch eine europäische Angelegenheit ist. Wenn dieser Plan Wirklichkeit geworden wäre, hätte das letztlich die Entmachtung der deutschen Parlamente und der Regierungen der Länder bedeutet und wäre genau das Gegenteil von Subsidiarität gewesen, wie wir sie hier alle wollen und wollen müssen, auch aus gesunder Wahrnehmung unserer eigenen Rechte.

Nun geht es darum, ob entweder der Rechte-Katalog enumerativ formuliert wird; das ist die eine Möglichkeit, die im Moment in der Diskussion die maßgebende Möglichkeit ist. Die andere Möglichkeit ist, dass zumindest der Grundsatz der Subsidiarität in der Europäischen Verfassung verankert wird. Beides wäre ein großer Fortschritt gegenüber den ursprünglichen Plänen, die diese Regelung überhaupt nicht vorgesehen haben. Wünschenswert ist aber – das sollte unser gemeinsamer Anspruch und Wunsch sein –, die Kompetenzen der Europäischen Union abschließend in einer solchen europäischen Verfassung festzulegen, was dazu führt, dass bei allem Respekt vor Europa das Gute an Europa nicht dazu führt, dass es eine Art Zugriff auf die Kompetenzen der Länder im Kleinen wird. Das müssen wir in unserem eigenen Interesse verhindern.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Dazu ist es notwendig, entweder die Kompetenzen genau aufzunehmen oder, die zweite Möglichkeit, die Subsidiarität als Grundsatz zu verankern. Eine solche Verfassung darf aber keine Generalklauseln enthalten, die diesen Subsidiaritätsgrundsatz wieder aufweichen. Und wenn Sie sich den jetzigen Verfassungsentwurf angucken, dann werden Sie feststellen, dass eine solche Generalklausel immer noch im Entwurf enthalten ist nach dem Motto: Wir schreiben eventuell die Kompetenzen fest oder schreiben den Grundsatz der Subsidiarität fest. Diese Grundsätze werden aber durch eine Generalklausel wieder ad absurdum geführt, wenn europäische Institutionen sagen, das ist europäische Angelegenheit. Auch das müssen wir verhindern. Wir brauchen eine klare Kompetenzaufteilung, nur das schafft auf Dauer die Sicherung der Rechte der Bürgerinnen und Bürger.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Wenn es uns gelingt, das zu verankern – dieser Punkt ist heiß umstritten –, dann wird die Frage sein – ich glaube, der Weg geht in diese Richtung –, was geschieht, wenn sich Europa Kompetenzen nimmt, die nach der Verfassung vielleicht gar nicht seine Kompetenzen wären, die Europa aber

(Farid Müller GAL)

A C

B D

durch die normative Kraft des Faktischen einfach als europäische Kompetenz behandelt. Da ist es wichtig, dass die gesetzgebenden Körperschaften der Länder, wo es sie gibt, ein eigenständiges Klagerecht gegen einen solchen Kompetenzübergriff europäischer Institutionen haben, dass sie sich juristisch zur Wehr setzen können, denn alle Kompetenzverankerung und -aufteilung nützt nichts, wenn es kein Klagerecht bei vermuteter Kompetenzüberschreitung europäischer Institutionen geben würde. Das ist die entscheidende Frage, um die es im Moment geht.

Hier wird es darum gehen, entweder den gesetzgebenden Körperschaften der Länder ein eigenes Klagerecht pro gesetzgebender Körperschaft oder Land einzuräumen, also unseren Bundesländern, oder zumindest dort, wo gesetzgebende Körperschaften ein eigenes Gesetzgebungsverfahrensrecht auf nationaler Ebene haben, sprich in Deutschland dem Bundesrat, die Möglichkeit zu geben, Klagen bei vermuteter Kompetenzüberschreitung einreichen zu können. Diese Angelegenheit wird im Moment auch in Europa sehr kontrovers diskutiert.

(Uwe Grund SPD: Aber hier nicht!)

Wir müssen uns einig werden, dass wir dieser Forderung Nachdruck verleihen, diese Forderung unterstreichen. Meine herzliche Bitte an Sie, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten und auch von den Grünen,

(Uwe Grund SPD: Es ist alles gestrichen!)