Das erste Missverständnis lautet: Die gesamte Justiz ist marode. Wenn ich mir Herrn Lüdemann anhöre,
dann bekommt man den Eindruck, wir würden hier in einem Unrechtsstaat leben, wo willkürlich Rechtsschutz verweigert würde. Diese These ist, glaube ich, in dieser Einfachheit nicht haltbar.
Pauschale Sprüche und Vorurteile mögen Ihnen vielleicht im Wahlkampf weitergeholfen haben, aber anscheinend sind Sie geistig noch nicht ganz in der Regierung angekommen. Das ist mein Eindruck.
Von einer Regierungsfraktion, denke ich, können die Bürgerinnen und Bürger jedenfalls eine differenziertere Betrachtung erwarten.
Wo also liegen die tatsächlichen Schwachstellen der Justiz? Wir haben in Hamburg, wie auch sonst überall in der Bundesrepublik, das Phänomen, dass Staatsanwälte und Gerichte sehr unterschiedlich in der Bearbeitungszeit der Fallbearbeitung liegen. Wer beim Amtsgericht eine Zivilklage einreicht, der bekommt nach wenigen Monaten ein Urteil, und zwar weil die meisten Hamburger Richter und Richterinnen einen wirklich guten Job machen
und weil sie es nicht verdient haben, hier diffamiert zu werden, weder von Herrn Kusch noch von Herrn Schill, wie es im Wahlkampf geschehen ist.
Es gibt natürlich auch Missstände. Wer das Pech hat, BAföG vor dem Verwaltungsgericht einklagen zu müssen, der kann zweieinhalb Jahre auf ein Urteil warten.
Ähnlich prohibitive Verfahrensdauern gibt es bei den Sozialgerichten und den Einigungsstellen im Insolvenzverfahren. Diese Missstände treffen vor allem die sozial Schwachen und müssen aus unserer Sicht deshalb dringend behoben werden, aber dies erachtet der Senat offenbar nicht als vordringlich; soviel zum Thema Problemwahrnehmung.
Das zweite Missverständnis der Regierungsfraktionen lautet, sämtliche Missstände durch beliebiges Zuschießen von Geld beheben zu können. Aber bekanntlich hat auch die Justizbehörde eine Sparquote zu erbringen und muss in den nächsten Jahren 6,5 Millionen DM an Personalausgaben einsparen; das hat der Finanzsenator noch einmal klargestellt.
Der Griff in die Schatulle ist also auch für Sie kein wirklicher Ausweg, auch wenn Sie uns das hier immer noch weismachen wollen. Die GAL ist daher für die Entlastung der Justiz und vor allem auch der Staatsanwaltschaften auf zwei Wegen. Erstens wollen wir eine Verbesserung des Gerichtsmanagements, denn wenn die vergleichbare Mittelausstattung bei Staatsanwaltschaften und Gerichten dazu führt,
dass in dem einen Gericht sehr kurze Verfahrensdauern zustande kommen und das andere Gericht sehr viel länger dafür braucht, dann ist der Schluss ganz eindeutig, dass Geld allein nicht der entscheidende Faktor dafür ist, wie schnell die Justiz arbeitet. Von daher greift der Schrei nach immer mehr Geld und Stellen schon allein aus betriebswirtschaftlicher Sicht einfach zu kurz.
Zweitens müssen die Aufgaben der Justiz auf das Wesentliche beschränkt werden. Der Senat sieht die Strafjustiz offenbar als einen Reparaturbetrieb für verschiedene
gesellschaftliche Versäumnisse. Wer allerdings glaubt, das Drogenproblem sei allein durch 15 zusätzliche Staatsanwälte in den Griff zu bekommen, der macht den Wählerinnen und Wählern etwas vor. Eine Entlastung würde es hingegen bringen, wenn sich Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte nicht ständig um die Verfolgung von Drogenkranken und Schwarzfahrern kümmern müssten, sondern sich auf die Verfolgung der wirklich dicken Fische konzentrieren könnten.
Das dritte Missverständnis ist das schwerwiegendste Missverständnis, dass sich eine starke Justiz namentlich dadurch auszeichnet, dass sie eine harte Justiz ist. Eine starke Justiz ist gerade keine sich rächende Justiz. Es ist kein Zeichen von Stärke der Justiz, wenn ein Richter unter Missachtung jeglicher Verhältnismäßigkeit meint, an einzelnen Personen ein politisches Exempel statuieren zu müssen, und sich dabei selbst an den Rand der Illegalität oder sogar darüber hinaus begibt.
Ein Wort an den anderen Senator – er ist gerade so tief im Gespräch vertieft: Es ist auch kein Zeichen von Stärke der Justiz, wenn man meint, der Strafvollzug würde seine Funktionen am besten erfüllen, wenn man die Gefangenen so schlecht behandelt, wie es gerade noch zulässig ist, also möglichst ohne Telefon und ohne Fernseher. Es gibt überhaupt keine fundierten Erkenntnisse, die die These erhärten könnten, dass harte Strafen besser abschrecken. Die Erfahrung zeigt im Gegenteil, dass vermeintlich weiche Maßnahmen wie beispielsweise Täter-Opfer-Ausgleich oftmals wirkungsvoller sind als harte.
ich komme zum Schluss – eine differenzierte Bestandsaufnahme, eine ehrliche Debatte über eine bessere Effektivität der Abläufe, eine Reduzierung der Aufgaben der Justiz und eine Ausrichtung der Justiz am Ziel der Resozialisierung – und das ohne ideologische Scheuklappen. Im Interesse der Hamburger Justiz wäre es wünschenswert, wenn
(Uwe Grund SPD: Er muss nicht stehen bleiben, weil Sie es wollen! Wir sind hier nicht auf dem Schulhof!)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Für meine Fraktion kann ich die rasche Maßnahme des Justizsenators, Stellen bei der Staatsanwaltschaft zu schaffen, begrüßen.
Es ist bundesweit schon ein einmaliger Vorgang, dass die dritte Gewalt im Staate sich hilfesuchend an ihren Souve
rän, nämlich die Öffentlichkeit, wenden muss und dabei beschreibt, dass es ihr zunehmend unmöglich gemacht wird, ihre Aufgaben zu erfüllen.
Innere Sicherheit, Polizei und Justiz sind Kernaufgaben des Staates, an denen er nicht sparen darf. Während der abgewählte Senat den Staat in vielen Bereichen überstrapaziert hat, war er nicht mehr in der Lage, hinreichende Kapazitäten in den zentralen Kernaufgaben, die dem Staat zukommen, vorzuhalten. Mit der Einstellung der neuen Staatsanwälte unternimmt der Senat einen ersten Schritt, diese Entwicklung umzukehren, so wie es alle ihn tragenden Parteien im Wahlkampf übrigens auch zugesagt haben. Dass man nun kritisiert, dass ein Wahlprogramm umgesetzt wird, kann ich überhaupt nicht verstehen.
Untersuchungshäftlinge freilassen zu müssen, weil eine rechtzeitige Terminierung nicht erfolgen kann, ist eine totale Kapitulation des Rechtsstaats einerseits.
Andererseits ist es aber auch ein nicht hinnehmbarer Eingriff in die Rechte von Menschen, die in Untersuchungshaft sitzen, wenn die Justiz gezwungen ist, diese Haftzeit bis zum Maximum auszudehnen, weil vorher nicht über diese Sache entschieden werden kann.
(Ekkehard Rumpf FDP: Richtig! und Beifall bei der FDP, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und vereinzelt bei der CDU)