Protokoll der Sitzung vom 04.06.2003

Unter dem Deckmantel der Chancengleichheit hat der Vorgängersenat den Schritt zu mehr Leistungen und Effizienz im Schulsystem nicht vollzogen, mit dem Ergebnis, dass unsere Schulabgänger bei den Arbeitgebern nicht die gleichen Chancen haben wie ihre Mitstreiter aus anderen Bundesländern. Wir werden das Hamburger Bildungssystem wieder wettbewerbsfähig machen. Mit dieser Schulgesetznovelle stellen wir die Weichen für mehr Bildung und bekennen uns zum Leistungsprinzip. Bei der nächsten PISA-Erhebung werden die Hamburger Schüler weit positivere Ergebnisse erzielen und diesem Senat trotz aller Proteste dankbar für diesen mutigen Schritt sein.

Die Debatte um das Schulgesetz wurde bereits ausführlich in Diskussionsrunden und in etlichen Ausschusssitzungen geführt. Sogar in den lobenswerten Umfragen des "Hamburger Abendblatts" und des NDRSenders 90,3 wurden Ansichten geäußert und Meinungen kundgetan. Alle Argumente wurden ausgetauscht und neue Erkenntnisse berücksichtigt.

Um die dringende Notwendigkeit des neuen Schulgesetzes zu betonen, möchte ich noch einmal die wichtigsten Neuerungen erwähnen, wobei Herr Drews diesbezüglich schon eine ganze Menge dazu gesagt hat, sodass ich mich sehr kurz fassen kann.

Von Ihnen wurde zum Beispiel jahrzehntelang verschlafen, eine gezielte Sprachförderung für Kinder im Vorschulalter einzuführen. Aufgrund unserer Initiative ist hier ein sehr erfolgreiches Modellprojekt angelaufen, für dessen weiteren Ausbau wir uns einsetzen werden. Darauf aufbauend gibt es 18 Monate vor der Einschulung eine dem wissenschaftlichen Standard entsprechende Sprachstandserhebung, die frühzeitig ausweisen wird, welche Kinder Defizite aufweisen. Diese Kinder werden gezielt verbindlich gefördert und erst mit genügenden Sprachkenntnissen für schulreif erklärt. Selbst nach einer eventuellen Rückstellung von maximal einem Jahr haben die Kinder noch wesentlich bessere Chancen auf einen guten Abschluss, als wenn sie dem Unterricht nicht folgen könnten und erstens die Klasse bremsen und zweitens eventuell mehrere Schulklassen wiederholen müssten. Das ist unser Beitrag zur Chancengleichheit und zur Integration.

Wir geben den Schülern und den Eltern durch die Einführung von Notenzeugnissen in Kombination mit dem Berichtszeugnis ab Klasse 3 eine frühzeitige Orientierung über die Leistungen. Wir stärken die Lehrer durch die Reformierung des Paragraphen 49, indem wir ihnen schnellere Handlungsmöglichkeiten geben, wenn Schüler ihre Pflichten verletzen. Wie wir das erarbeitet haben, hatte ich bereits in der Schulschwänzerdiskussion gesagt. Nur wenn Verfahren so transparent und zügig umgesetzt werden, erkennen die Schüler den Zusammenhang ihres Handelns, so dass ein Lerneffekt erfolgt. Wir wollen nicht

zu einem autoritären Erziehungsstil zurück, aber wir möchten, dass Schule und Lernen wieder eine gewisse Verbindlichkeit erhalten und dass die Schüler sehen, dass nicht jedes Verhalten toleriert wird.

Nun noch der Hinweis: Dies sind mögliche Sanktionierungsmaßnahmen; die Handhabung liegt in der Weisheit der Lehrkräfte.

Wir stärken alle Schulformen, indem wir keine Abschlüsse ohne Prüfungen mehr vergeben. Die Stärkung des dreigliedrigen Schulsystems steht auch nicht im Widerspruch zu PISA. Hierzu gab es am 21. Mai einen interessanten Artikel von Herrn Professor Dr. Andreas Schleicher in der "Frankfurter Rundschau": Man sollte nicht zu viele Mischformen herbeiführen, sondern sich auch an eines der gewählten Systeme halten.

Falls Sie den Artikel nicht gelesen haben sollten, stelle ich Ihnen diesen gern zur Verfügung.

Wichtig ist, dass wir den Haupt- und Realschülern, die unter der rotgrünen Regierung vernachlässigt wurden, wieder eine Chance geben und sie nicht zu Verlierern des Bildungssystems machen. Sie sollen eine größere Chance auf Lehrstellen erhalten, und zwar auch im Ersten Arbeitsmarkt. Außerdem darf es nicht sein, dass die Abschlüsse an verschiedenen Schulen einen unterschiedlichen Wert haben, dass ein Abitur an einem Gymnasium mehr zählt als an einem anderen. Deshalb halten wir auch die zentralen Prüfungselemente, die ab dem Jahre 2005 in Mathematik, Deutsch und Englisch gelten und die später noch weiter ausgebaut werden, für dringend notwendig und für einen wesentlichen Fortschritt. Dieser Fortschritt gilt auch für das Abitur nach zwölf Jahren. Wenn ich an das Durchschnittsalter unserer Studenten denke, ist das mehr als überfällig. Aber wir sind uns wenigstens hier einig, dass dies notwendig ist.

Ich lehne allerdings die Beibehaltung der FOS 11/12 ab, die in Ihrem Entwurf gefordert wurde. Es geht in der Bildung um die Qualität und nicht um die Quantität. Wenn Schüler mit über 1000 Stunden weniger Unterricht einen vergleichbaren Abschluss erlangen können, ist das ungerecht. Ebenso lehnen wir die integrativen Regelklassen ab, in denen nicht diagnostizierte Kinder nach dem Zufallsprinzip eventuell ungezielt gefördert werden. Dafür haben wir aber im parlamentarischen Verfahren – Sie waren dabei – eine Änderung zur verbindlichen Einrichtung von Integrationsklassen erwirkt, wie zum Beispiel auch – um noch einen weiteren Punkt für dieses parlamentarische Verfahren zu nennen, das Sie uns nicht bescheinigen – die Beibehaltung der Lernmittelfreiheit. Das hat unsere Fraktion zwar maßgeblich vorangetrieben, aber alle Fraktionen sind damit einverstanden.

Das Sitzenbleiben – wie eben erwähnt – werden wir beibehalten, damit wir das Leistungsniveau nicht noch weiter senken. Diese Gleichmacherei hat ein Ende.

Insgesamt sind mit dem neuen Schulgesetz eine Reihe von sinnvollen und innovativen Neuerungen in kürzester Zeit auf den Weg gebracht worden. Ich bin stolz darauf, hieran mitgewirkt zu haben.

Sollten sich in Zukunft noch neue Erkenntnisse ergeben, vertraue ich auf die Weisheit des Senats und des Parlaments – dem auch Sie angehören –, diese in Zukunft ohne Zögern umzusetzen.

Zum Schluss ein kleiner Auszug aus Hermann Hesses "Stufen":

"Wie jede Blüte welkt und jede Jugend dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe, blüht jede Weisheit auch und jede Tugend zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern… Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, an keinem wie an einer Heimat hängen, der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten… Wohl an denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!"

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU, der FDP und bei Simone Kerlin SPD)

Frau Goetsch, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Freund, da haben wir zum Schluss Ihrer Rede tatsächlich noch Bildung mitbekommen; das war vorher nicht der Fall.

(Beifall bei der GAL und der SPD – Karl-Heinz Eh- lers CDU: Das ist das, was Ihnen abgeht!)

Der uns vorliegende Schulgesetzentwurf ist die vertane Bildungschance für die Schülerinnen und Schüler und für jedes einzelne Kind in Hamburg. Ich kann nur feststellen: Hier wird Ideologie statt Wissenschaft benutzt. Es werden Symbole anstatt Substanz und eine Baustelle statt Konzepten hinterlassen,

(Ekkehard Rumpf FDP: Ihnen wird gar nichts hin- terlassen, das dauert noch!)

es wird mit Tempo und nicht mit Argumenten agiert.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Herr Senator Lange, wenn Sie wenigstens die Chance genutzt hätten, an das anzuknüpfen, was begonnen wurde. Immerhin hat Hamburg durch die LAU-Untersuchung mit der empirischen Wende und der externen Evaluation begonnen – die absolut notwendig, sinnvoll und wichtig war –, um Standards zu setzen.

Wir hatten bis zu diesem Zeitpunkt noch nie die Chance, mit dem Rückenwind von PISA, IGLU und LAU eine wirkliche Schulentwicklung im Sinne der Kinder zu betreiben und eine Schulpolitik auf den Weg zu bringen. Wir haben Ergebnisse, die so verheerend sind, dass daraus nicht der Schluss gezogen werden kann, weiter zu sortieren, weiter zu selektieren und die Kinder in die nächste Klassenstufe oder Schulform weiter durchzureichen. Das können wir uns überhaupt nicht erlauben, weil wir dann eine geringere Bildungsbeteiligung haben, die nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Gesellschaft und für den berühmt zitierten Wirtschaftsstandort Hamburg verheerend ist.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Kommen wir noch zu etwas viel Ernsterem im Überbau des Gesetzes. Sie haben hier Begriffe gewählt, die meines Erachtens sehr problematisch sind. Sie gehen von einem statischen Begabungsbegriff aus. Was heißt das? Die Fähigkeiten und die Begabungen werden spätestens in der vierten Klasse festgelegt. Dort kann man aufgrund dieses statischen Begabungsbegriffes – weil man sich dann dafür autorisiert – in die verschiedenen Stufen selektieren. Das widerspricht sogar der UN

Kinderrechtskonvention, die von einem dynamischen Begabungsbegriff ausgeht.

Nehmen wir einmal ein praktisches Beispiel. Kinder sind unterschiedlich schnell, denn sie sind Individuen. Wenn zum Beispiel ein Kind mit elf Monaten beziehungsweise ein anderes mit 14 Monaten laufen lernt, müssen diese Kinder dann getrennt werden, dürfen sie dann nicht mehr zusammen spielen? Es ist doch ein ganz eng gefasster Begabungsbegriff.

Es ist sehr bezeichnend, dass die Nordelbische Kirche genau diesen statischen Begabungsbegriff in dem Gesetzentwurf kritisiert. Sie macht deutlich, dass auch der Bildungsbegriff, den Sie hier benutzen, viel zu eng ist und keiner modernen, demokratischen Gesellschaft entspricht, in der das Recht auf Bildung nicht nur in einem eng begrenzten Raum möglich gemacht werden muss. Insofern haben Sie hier Voraussetzungen geschaffen, um mit diesem Begabungsbegriff zu legitimieren, zu sortieren anstatt zu integrieren.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

In Paragraph 3 wird der Begriff Integration gestrichen. Das ist ein Rückschritt in die Mottenkiste und wider aller Erfahrungen und Rezeptionen aus PISA. Insofern – ich will im Einzelnen die Beispiele nennen – ist es auch für diejenigen bitter, deren Kinder integrative Klassen besuchen, weil sie nicht wissen, was passiert. Die IRKlassen werden de facto abgeschafft. Alles, was Sie jetzt versucht haben, um dies zu rechtfertigen, ist nicht wahr. Erst einmal wird dies im Gesetz abgeschafft. Es wird zwar eine Projektgruppe in der Behörde installiert, aber die Eltern werden daran nicht beteiligt, und in einem Jahr kommt vielleicht etwas ganz anderes dabei heraus. Dann können Sie das Gesetz wieder novellieren.

Herr Drews, eben wurde gesagt, dass Sie evaluieren wollen. Dann nehmen Sie wenigstens einmal die Ergebnisse ernst. Wir haben im integrierten Haupt- und Realschulbereich eine Evaluation, die eindeutig sagt, dass signifikant die schwächeren Hauptschüler besser gefördert werden. Trotzdem kommt die integrierte Haupt- und Realschule im Gesetz nicht vor. Ich frage mich: Was soll das? Nehmen Sie die Evaluation ernst? – Anscheinend nicht,

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

ganz zu schweigen davon, was am Rande passiert ist und keine große Öffentlichkeit bekommen hat. Es gab Modellversuche für eine sechsjährige Grundschule, die aber damit abgetan wurden, dass von der Amtsleiterin gesagt wurde, sie seien überflüssig wie ein Kropf und würden deshalb abgeschafft. Das ist für diesen Rechtssenat das Verhältnis zur Integration.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Auf den Gymnasien ist es vorgesehen, dass sie nach der fünften Klasse alle die Kinder – das sage ich einmal sehr deutlich – wieder rausschmeißen wollen, die nicht ins System passen. Sie setzen auf Homogenisierung und noch einmal auf Homogenisierung und meinen, mit dieser Restgruppe dann eine gewisse Spitze erreichen zu können; der Rest fällt dann durch.

Nach der fünften Klasse soll – also nach einer kurzen Probezeit – schon sortiert und selektiert werden. Sie haben eine ganze Reihe von Selektionsmechanismen – ob die Abschaffung der IR, der IHR und so weiter – vor

gesehen. Das heißt, Sie nehmen keine wissenschaftlichen Erkenntnisse an, sondern setzen Ideologie ein. Von Fachleuten aus dem Gymnasialbereich wird deutlich gesagt: Die Probleme, die aufgrund der Leistungen an den Hamburger Gymnasien bestehen, können Sie nicht damit lösen, indem Sie die Kinder nach der fünften Klasse rausschmeißen.

(Beifall bei der GAL und bei der SPD)

Ein weiterer Punkt: Integration von Kindern mit Migrationshintergrund. Das ist ein großes und genau das Thema – neben den Kindern, die eine schwierige soziale Herkunft haben –, das PISA aufgreift. Diesem Problem wird kein Bundesland in der Bundesrepublik gerecht; in Hamburg haben wir auch nur punktuell damit begonnen. Was machen Sie? Sprachförderung – das ist gut und schön – und auch Sprachstandserhebung. Das ist auch richtig, denn Sie haben dazugelernt, Frau Freund beziehungsweise Herr Drews. Sie sprechen nicht mehr von Sprachtests, Sie haben erkannt, dass man Kinder nicht punktuell mit vier Jahren testet, sondern dass man sie beobachten und dann Sprachförderkonzepte entwickeln muss. Diese sind aber leider bisher nicht vorhanden.

Herr Drews, Sie haben hier immer wieder betont, dass Sie die Zweisprachigkeit für richtig und gut halten. Was passiert? Die Förderung der Zweisprachigkeit wird aus dem Gesetz gestrichen, und zwar entgegen alle Erfahrung. Ich weiß nicht, wie Sie das den Grundschulen beibringen wollen, die die Zweisprachigkeit praktizieren und die Sie besonders fördern wollten? Wie wollen Sie der Chinesisch-Deutschen und der Französisch-Deutschen Grundschule sagen, warum Sie die Förderung der Zweisprachigkeit aus dem Gesetz gestrichen haben? Darüber habe ich keine Vorstellung. Sie verwickeln sich hier in Widersprüche.

Über die FOS ist schon viel gesagt worden. Hier wird deutlich, dass Sie Bildungschancen für Jugendliche verhindern und nicht eröffnen.

Ich will noch einmal zu der Baustelle kommen, die Sie hinterlassen. Sie hinterlassen im Schulgesetz an vielen Punkten eine Baustelle, aber kein Konzept. Das Abitur nach zwölf Jahren ist wunderbar. Sie wissen aber ganz genau, dass Sie weder die acht Jahre durchdidaktisiert, sondern nur zusätzlich ein paar Stunden hineingestopft haben, noch haben Sie nicht organisiert, wo die Kinder mittags bleiben. Glauben Sie nicht, dass Sie es – so wie Sie sich es vorstellen – organisiert bekommen, dass alle 68 Gymnasien zu Ganztagsschulen werden. Das ist unrealistisch, die Eltern werden verunsichert und wissen nicht, wohin sie mit ihren Kindern mittags sollen. Das Abitur nach zwölf Jahren ist richtig, aber bitte mit einem Stufenkonzept und nicht mit der Brechstange.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Die Lernmittelfreiheit wurde schon angesprochen. Ich kann dazu nur sagen: Wer es schafft, über ein Jahr die gesamte Elternschaft in dieser Stadt zu verunsichern, hat mit Sicherheit kein gutes Werk getan und die Eltern nicht vertrauensvoll auf seine Seite gezogen. Das war wirklich ein Kasperletheater: Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. Das war peinlich.

Ich möchte noch einmal zur Sprachförderung zurückkommen. Sie sprechen von Sprachförderung, aber keiner weiß, welches Konzept Sie haben. Sie machen Gesetze

und haben kein Konzept. Das ist handwerklich stümperhaft