Protokoll der Sitzung vom 04.06.2003

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Das Wort hat Herr Senator Lange.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Bildung ist das höchste Gut. Das gilt weltweit.

(Dr. Willfried Maier GAL: Jawoll!)

Für Personal und Strukturen, die in Hamburg Bildung vermitteln, hat die Hansestadt in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten sehr viele Mittel aufgebracht und wird es auch weiter tun. Die Ergebnisse dieses Aufwands waren, wie Sie alle feststellen konnten, jedoch unbefriedigend. Hamburgs Schüler liegen bei PISA bisher bestenfalls im Mittelfeld – das ist noch gelinde ausgedrückt –, wenn wir uns überhaupt beteiligt haben. Nebenbei gesagt: Die Boykottierung von PISA hat ein Ende. Die jetzt gerade abgeschlossene Erhebung PISA 2003 hat in allen beteiligten Schulen und Schulformen die notwendige Marke von 85 Prozent überschritten.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Der Ruf der Hamburger Bildungsabschlüsse ist in Bildungsspitzenländern, wie wir seit PISA spätestens dokumentiert haben – beispielsweise Bayern und BadenWürttemberg –, nicht besonders hoch. Die Unzufriedenheit der Eltern mit der Überbetonung des Förderns und der Vernachlässigung des Forderns in den Hamburger Schulen ist groß. Deswegen hat sich dieser Senat vorgenommen, grundlegend umzusteuern, weg von verfehlten Politikansätzen rotgrüner Gleichmacherei, hin zu einer grundlegend neuen bildungspolitischen Orientierung. Mit der heute zur Verabschiedung anstehenden Schulgesetznovelle werden wir die notwendigen gesetzlichen Grundlagen schaffen, durch die Lernen und Leisten wieder in den Mittelpunkt schulischer Aufgaben gestellt werden.

Unsere bildungspolitischen Ziele haben wir im Koalitionsvertrag vom Oktober 2001 festgelegt. Seit anderthalb Jahren wird in dieser Stadt darüber diskutiert und deswegen sage ich gleich zu Beginn: In keinem anderen Bundesland gibt es eine derart breite gesetzlich abgesicherte Beteiligung aller Betroffenen. Wir haben unsere Absichten auf allen Ebenen immer wieder dargelegt und konnten konstruktive Anregungen in den Gesetzesentwurf aufnehmen. Für diese Anregungen möchte ich mich insbesondere bei der Elternkammer sehr bedanken.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Der heute zu beschließende Gesetzestext zeigt klar erkennbar unsere bildungspolitische Überzeugung auf.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Das ist nicht gut!)

Viele Punkte werden heute in gleicher Weise von allen Parteien – das haben wir gerade eben gehört – vertreten. Das wird ein bisschen verklausuliert, aber letztendlich sind sie auf derselben Rille. Manche Reaktion hat mir sehr deutlich gezeigt, dass man nur noch mit Unterstellungen arbeiten kann, weil man in der Sache keine Kritik mehr üben konnte.

Bevor ich unsere Änderungsvorschläge kurz darlege, möchte ich noch einmal begründen, warum wir keine Veränderungen der Hamburger Schulstruktur vorgenommen haben. Die Ansätze auf dem Parteitag der SPD waren nicht zu übersehen, auch wenn Sie das jetzt am liebsten vertuschen möchten.

Hamburger Eltern sollen auch in Zukunft zwischen einem integrierten Schulsystem, nämlich den integrierten und den kooperativen Gesamtschulen, und einem gegliederten Schulsystem, den Haupt-, Realschulen und Gymnasien, wählen können. Es ist kein Geheimnis, dass die gegliederten Schulformen, obwohl sie von rund 70 Prozent der Eltern gewählt werden, in der Vergangenheit vorsätzlich von Rotgrün benachteiligt wurden, ob das die Schulgebäude oder die Ausstattung mit Lehrern oder anderen Mitteln sind. Diese Ungerechtigkeit werden wir beseitigen.

Eine neue Strukturdebatte ist im Übrigen nicht das, was unsere Schulen brauchen. Sie kann erst dann wieder sinnvoll werden – wenn überhaupt –, wenn die bundesweit inzwischen von den Regierungen der unionsgeführten Länder entfachte Debatte um Standards und Kompetenzen zu vergleichbaren Ergebnissen in der ganzen Republik geführt hat.

Lassen Sie mich nun die wichtigsten Änderungen in unserer Schulgesetznovelle kurz begründen.

Erstens die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur um ein Jahr. Diese Entscheidung, für die wir im Herbst 2001 massiv gescholten wurden, ist heute eine Forderung aller Parteien und wird in allen Bundesländern vorangetrieben. Wir sind dieses Ziel konsequent, aber zugleich behutsam angegangen. Seit letztem Schuljahrsbeginn wird der erste Jahrgang Klasse 5 mit 30 Wochenstunden auf das Abitur nach acht Jahren im Jahre 2010 vorbereitet.

Ich bin sicher, dass unsere gut begabten Schülerinnen und Schüler nach acht Jahren ein qualitativ hochwertiges Abitur ablegen können, dass sie dann im Wettbewerb mit Schülern aus anderen Ländern bestehen werden und dass sie die für die Ausbildung und das Studium gewonnene Zeit als einen Gewinn betrachten werden.

Die zweite wichtige Neuerung ist die Einführung von Abschlussprüfungen mit zentralen Elementen für alle Schulabschlüsse. Die weit auseinander fallenden Ergebnisse der Untersuchungen LAU und PISA haben uns sehr deutlich gezeigt, dass nicht alle Zeugnisse und Berechtigungen, die in Hamburger Schulen vergeben werden, den Leistungen entsprechen, die danach eigentlich erwartet werden können. Das muss und wird Konsequenzen haben.

Wir haben durch neue Bildungs- und Rahmenpläne eindeutige Leistungsstandards gesetzt und werden die Schülerinnen und Schüler für den Hauptschulabschluss, für den Realschulabschluss wie für das Abitur sorgfältig auf einheitliche Prüfungsanforderungen vorbereiten.

Auch diese getroffene Entscheidung – weil immer von der Brechstange und über dem Knie brechen gesprochen wurde –, ist keine Schnellschussangelegenheit. Die ersten Prüfungen mit zentralen Elementen werden 2005 durchgeführt.

Drittens: Die sprachliche Förderung der Kinder vor der Einschulung ist ein weiterer Schwerpunkt der Novelle. Dieser wird vielfältig und auch kontrovers interpretiert. In

A C

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einem Punkt gibt es jedoch keinen Streit. Wir müssen mit der Bildung unserer Kinder früher als bisher anfangen und sie an schulisches Lernen heranführen. Dabei kommt der Sprachförderung sowohl der Kinder von Migranten als auch der deutschsprachig aufwachsenden Kindern eine besondere Bedeutung zu. In den Kindertagesheimen und in den Vorschulklassen werden wir nach entsprechender Feststellung gezielte Fördermaßnahmen einsetzen.

Ziel ist es, dass alle Kinder bei der Einschulung dem Unterricht in einer deutschen Grundschule folgen können. Deshalb liegt unser Augenmerk in Zukunft zuallererst bei der Verbesserung der deutschen Sprachkenntnisse.

Viertens: Die verbesserten Informationsrechte für die Eltern sind weiter ein Kernpunkt dieser Novelle. Obwohl die Eltern in Hamburg auch nach dem geltenden Schulgesetz viele Rechte und Mitwirkungsmöglichkeiten haben, können diese häufig nicht intensiv genug wahrgenommen werden, weil es an Informationen seitens der Behörde gefehlt hat. Deshalb verpflichten wir in Zukunft die Schulleitungen und die Lehrkräfte, den Eltern alle notwendigen Informationen zum Unterricht und zur Schulorganisation zu geben.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Diese im Gesetzentwurf vorgesehenen Präzisierungen sollen die bisher vorhandene Beliebigkeit auch in diesem Bereich beenden.

Fünftens: Die Schaffung besserer Voraussetzungen für die Integration von Kindern mit Behinderungen ist sogar ein zentraler Inhalt der Schulgesetznovelle. Das können Sie deuten, wie Sie wollen, es ist so. Richtig ist, dass Hamburg in der integrativen Erziehung einmal führend war. Richtig ist aber auch, dass es aus rotgrünem ideologischen Übereifer heraus dazu gekommen ist, dass Inhalte und Kosten der Maßnahmen nicht mehr den Ansprüchen angepasst werden konnten. Sie wissen das selber ganz genau.

Die Förderung von Behinderten im Grundschulalter werden wir in einem Fördermodell so umgestalten, dass die Förderung des einzelnen Kindes und nicht die Förderung einer Einrichtung, nämlich einzelner Schulen, im Mittelpunkt steht. Das Schulgesetz schafft in Paragraph 12 dafür die Voraussetzungen.

Sechstens: Einheitliche Regelungen für die Erteilung von Notenzeugnissen. Das Thema ist ausreichend angesprochen worden. Es gibt keine bessere Gelegenheit, die Kinder langsam auf das hinzuführen, was sie ab der fünften Klasse erwartet. Es gibt natürlich auch keinen besseren Ort und auch keine besseren Personen, die dazu geeignet sind, als die Grundschullehrer, die zwei Jahre lang vorher die Lernentwicklungsberichte geschrieben und mit Eltern und Kindern gesprochen haben, die nun in den Klassen 3 und 4 die Kinder in das Notensystem einführen.

Siebtens: Die Verbesserung der erzieherischen Handlungsmöglichkeiten der Lehrer. Die erzieherische Arbeit der Lehrer in unseren Schulen ist von Jahr zu Jahr schwerer geworden. Wir machen uns keine Illusionen. Die Ursachen dafür sind vielfältig und wir sind alle gemeinsam verpflichtet, diese schwierige Aufgabe der Lehrerinnen und Lehrer zu unterstützen. Daher wollen wir den Lehrkräften die Möglichkeit geben, schnell und kon

kret im Unterricht reagieren zu können. Das werden wir mit dem geänderten Paragraphen 49 erreichen.

Als letzten Punkt spreche ich die Lernmittel für unsere Schülerinnen und Schüler an. Durch die intensiven Bemühungen um ein tragbares Modell zur Finanzierung moderner Schulbücher sind wir unserem Ziel schon ein gutes Stück näher gekommen, nämlich den Missstand, dass die Bücher in Hamburg veraltet und zerfleddert sind, zu beenden. Bessere, neuere und zeitgemäßere Bücher für alle Hamburger Schülerinnen und Schüler sind das Ziel. Sie können sich über die Diskussionen der letzten Zeit amüsieren. Ich habe seinerzeit gesagt – ich stehe auch dazu und das Gesetz macht es möglich –, dass eine Elternbeteiligung sinnvoll ist. Ich halte auch 60 Euro nach wie vor für einen angemessenen Beitrag mit einer großzügigen sozialen Abfederung. Ihre Kollegen in Berlin haben gerade beschlossen, dass 100 Euro pro Eltern der angemessene Betrag ist. Dagegen nehmen wir uns noch relativ bescheiden aus.

Im kommenden Schuljahr werden wir bei der bestehenden Finanzierungsform bleiben, allerdings wird diese Finanzierung deutlich besser sein als bisher und wir werden die notwendigen Mittel dafür einstellen.

Die Novelle zum Schulgesetz, über die Sie heute abstimmen sollen, schafft mehr Rechtssicherheit. Das ist auch von allen Sachverständigen so bestätigt worden. Damit ist der rechtliche Rahmen für die Arbeit in unseren Schulen vorgegeben. Er muss nun von den Lehrerinnen und Lehrern in Zusammenarbeit mit den Eltern ausgefüllt werden. Ich weiß, dass wir den Schulen mit diesem Gesetz und den nachfolgenden Rechtsverordnungen und anderen Maßnahmen sehr viel zusätzliche Arbeit machen. Ich bin mir jedoch sicher, dass diese Arbeit zu einer Wende in der Schulpolitik führen wird,

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Vorwärts oder rück- wärts?)

mit der schon bald eine bessere Leistungsbilanz, als wir sie übernommen haben, und damit mehr Zufriedenheit bei Schülern und Eltern erreicht werden kann. Wir werden Hamburg damit auf einen Weg führen, der uns in absehbarer Zeit unter die Bildungsspitzenländer dieses Landes bringt, und dafür bitte ich um Ihre Zustimmung.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Meine Damen und Herren, bevor ich Herrn Buss das Wort erteile, möchte ich Sie bitten, die diversen Gesprächskreise, die sich hier gebildet haben, nach draußen zu verlagern.

Herr Buss, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist in der Tat bezeichnend, dass ich in den knapp zwei Jahren, die ich diesem Hause angehören darf, selten eine Senatorenrede mit so geringer Aufmerksamkeitsquote gehört habe.

(Beifall bei der SPD)

Das sagt im Grunde genommen schon fast alles aus über die Aufbruchstimmung, Herr Senator, die Sie mit diesem Gesetzentwurf in den eigenen Reihen erzeugt haben.

(Burkhardt Müller-Sönksen FDP: Das zeigt höchs- tens, wie Sie uns langweilen!)

Ansonsten, Herr Müller-Sönksen, haben wir wieder einmal erlebt, wie Sie mit Ihren Leuten versuchen, hier Legendenbildung aufzubauen, angefangen damit, es würde kein Durchpeitschen dieses Gesetzentwurfs durch das Parlament geben. Als beispielsweise das jetzige Schulgesetz, das noch gilt, eingeführt worden ist, betrug die Beratungszeit zwei Jahre.

(Dr. Wieland Schinnenburg FDP: Das war für die SPD ja noch sehr schnell!)

Für dieses Gesetz betrug die Beratungszeit zwei Monate. Das sagt im Grunde genommen alles aus über die relative Schnelligkeit, mit der Sie das hier machen wollen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Der zweite Punkt betrifft die angebliche Verzögerung.