Protokoll der Sitzung vom 28.01.2004

Eigentlich dürfte ich hier nicht stehen. Durch die Ausschussberatungen hat uns sehr sachkundig, aber auch behutsam, was die verschiedenen Interessen der Fraktionen anbelangt, aber auch immer ein Stück vorwärts drängend, was dem Interesse des Gesamtparlaments diente, Herr Franz geleitet. Eigentlich wäre es nur fair, wenn er hier auch für die Fraktionen sprechen würde. Er hat mir aber, weil es meine letzte Rede ist, sein Rederecht abgetreten. Dafür danke ich ihm. Aber für seine Arbeit als Vorsitzender des Ausschusses könnten wir ihm vielleicht alle danken.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir auch in Zukunft keine Wahlkreise hätten, wenn es die Initiative, die das Verfahren zur Volksgesetzgebung in Gang gesetzt hat, nicht gäbe. Wir haben bei diesem Thema so lange herumlaboriert, dass ich Zweifel bekommen habe, ob das Parlament selber die Kraft hätte, einen solchen Schritt zu vollziehen. Das ist im Übrigen nicht verwunderlich, denn natürlich ist das für viele ein einschneidender Schritt, der schwer fällt, wenn man diese Veränderungen, die einen selber betreffen, herbeiführen soll. Oder wie man am besten sagen kann: Auch ein Vegetarier beißt nicht so gerne ins Gras.

(Beifall bei der SPD, bei Burkhardt Müller-Sönksen FDP und bei Wolfgang Barth-Völkel Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Ich folge jetzt dem Ratschlag von Tucholsky für einen ungeübten Redner:

„Hast du das Wort einmal bekommen, missbrauche es.“

Also werde ich nun ein paar Dinge zu dem Gesetz sagen und was mich daran bewegt oder uns daran bewegen könnte. Es ist so, dass die Initiatoren einem Irrtum unterliegen. In der „Welt am Sonntag“ – das war ja einmal unsere Leib- und Magenzeitung –

(Burkhardt Müller-Sönksen FDP: Erzählen Sie mehr von früher!)

steht die Formulierung:

„Manfred Randt, der Initiator, sagt: Die Parteien werfen mit ihrem Entwurf Nebelkerzen. Wenn unser Volksbe

gehren nicht erfolgreich ist, wird ihre Reform in den Schubladen verschwinden.“

In dem Punkt irrt er. Nicht nur, dass das Haus mit dem Arbeitsauftrag für den Verfassungsausschuss schon beschlossen hat, dass es völlig unabhängig von dem Ausgang des Volksentscheids eine Änderung des Wahlrechts weg vom reinen Verhältniswahlrecht hin zu Wahlkreisen geben wird. Ich denke auch, dass niemand sich aus diesem Entschluss davonstehlen kann, es sei denn, er würde in Kauf nehmen, ganz furchtbar abgestraft zu werden. Ich glaube, bei dieser Vorgeschichte, die sich so lange hingezogen hat, ist es jetzt wirklich unausweichlich, dass es zu einem Wahlrecht kommt, das den Bürgerinnen und Bürgern in dieser Stadt etwas mehr Rechte einräumt, als sie bisher haben, nämlich in der Form des Einflusses auf die Auswahl von Kandidatinnen und Kandidaten.

(Beifall bei der SPD, bei Karl-Heinz Warnholz und Dietrich Wersich, beide CDU)

Trotzdem beschränke ich mich darauf, ein Plädoyer für die Einfachheit des Wahlrechts – wegen der Gewohnheit – zu halten. Wenn man Ungewohntes veranstalten will, dann geht die Akzeptanz verloren. Auch die Demokratie braucht ihren profanen Kult und wir müssen uns darüber klar sein, was die Wahl bewirkt.

Ob wir wollen oder nicht, erfasst heutzutage das politische Leben alle Bereiche. Wenn man seine Mitwirkung darauf beschränken muss, alle vier Jahre ein kleines Kreuzchen zu machen, ist das erbärmlich wenig, was man als Bürger oder Bürgerin machen kann.

(Dietrich Wersich CDU: Muss man ja nicht!)

Man muss das noch nicht einmal. Manche haben sich auch davongemacht und sich nicht beteiligt, was dem Gemeinwesen aber auch nicht bekommt.

Drei oder fünf Stimmen machen die Sache aber auch nicht besser. Wir brauchen mehr Akzeptanz und das geht nur mit Einfachheit. Worum geht es?

Wir haben hier das Thema der Herrschaft von Menschen über Menschen berührt. Das ist immer delikat und wird nur deswegen abgemildert, weil wir uns in der Demokratie zur Möglichkeit des Wechsels bekannt haben, dass also die Herrschaft von Menschen über Menschen zeitlich begrenzt ist. Das Instrument, um das zu bewirken, ist die Wahl. Da haben wir das Grunddilemma, dass nicht alle jederzeit die Sachen selber entscheiden können und auch nicht jederzeit etwas Neues und anderes entscheiden, sondern dass man dieses Recht delegiert und dass man nur auf die Nominierung Einfluss hat.

Der Ort, an dem sich also die Gegensätze, die unser politisches Leben in Hamburg, in unserem Gemeinwesen, bestimmen, ausprägen, soll das Parlament sein. So ist auch unser Verständnis und deswegen sitzen wir hier. Im Parlament gibt es den Spannungsbogen zwischen Regierung und Opposition auf der einen Seite, aber es gibt noch einen, der quer dazu liegt, nämlich zwischen der Bürgerschaft als der Legislative und der Exekutive, dem Senat. Das überschneidet sich ein Stückchen, denn der größte Teil der Bürgerschaft ist ja eigentlich aufseiten der Regierung, aber es gibt naturgegebene Gegensätze, die auch ausgetragen werden müssen.

Nun gibt es mindestens zwei Sorten von Abgeordneten. Die einen folgen dem olympischen Prinzip „Dabei sein ist

alles“. Die erkennt man an den braunen Umschlägen, die die Bürgerschaftskanzlei versendet. Wenn die in der Ausschusssitzung gezückt und geöffnet werden, dann haben wir es mit solchen Abgeordneten zu tun.

(Beifall bei der SPD)

Andere reißen sich wirklich ein Bein aus, sind unheimlich fleißig, um tatsächlich Sachen zu durchdringen und zu verändern. Denen glaube ich auch, dass sie sich vorstellen, durch ihre Parlamentsarbeit etwas verändern zu können. Diesem Irrtum unterliegen insbesondere Mitglieder von Regierungsfraktionen. Es dauert eine gewisse Zeit, bis man das mitbekommt.

(Beifall bei Dr. Diethelm Stehr und Karen Koop, beide CDU, sowie Ekkehard Rumpf FDP – Karl- Heinz Warnholz CDU: Als ältester Abgeordneter müssen Sie das ja wissen!)

Ich bin gar nicht der Älteste.

Es ist aber in Wirklichkeit so, dass, obwohl die Dialogfähigkeit heute in der modernen Gesellschaft eine der Grundqualifikationen ist, hier überhaupt kein Dialog stattfindet.

(Zuruf von Elisabeth Kiausch SPD)

Da kommt die Bestätigung jedenfalls von der Abgeordneten, die in unserer Fraktion die Dienstälteste ist.

(Dr. Michael Freytag CDU: Trotzdem will sie im- mer wieder mitmachen!)

Das ist auch begründbar.

Wenn ich auf die drei vergangenen Jahrzehnte zurückblicke, gab es nur ein einziges Beispiel dafür, dass eine aktuelle Debatte in diesem Hause etwas geändert hat. Und das war die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 Stundenkilometer in der Stresemannstraße. Da waren sich zwei Senatoren nicht ganz einig, aber durch den Verlauf der Debatte schwenkte Senator Hackmann auf den Kurs von Frau Senatorin Müller ein. Das ist die einzige mir bekannte Veränderung, die unmittelbar durch eine Parlamentsdebatte hervorgerufen wurde. Alles andere konnte man vorher in der Zeitung lesen. Bei allem anderen weiß man genau, wie es laufen wird, und wenn es Störungen gibt, macht es uns alle sehr nervös. Beim Abstimmungsverhalten, das wir vorhin erlebt haben, war es – auch wegen der Seltenheit des Vorganges – ungeheuer interessant. Da bin ich bei dem Punkt, warum man in der Demokratie darauf achten muss, dass die Vorschriften, die etwas legitimieren sollen – und eine Wahl legitimiert die Herrschaft der Regierung –, nicht verwässert werden. Das muss sehr eindeutig sein. In Deutschland bedeutet seit inzwischen gut tausend Jahren das Aufheben der rechten Hand das Zeichen der Zustimmung. Sie haben eben ein schönes Beispiel dafür bekommen, wie wichtig es ist, dass es deutlich ist und dass es verstanden wird.

Bei der nächsten Parlamentsreform – dieses Mal hat es noch keine Rolle gespielt – wird es auch um das Thema Abstimmungsmaschinen gehen. Dann sieht man das nicht mehr, was wir vorhin gesehen haben. Wer sich im Zeichen von Effizienz und Modernität auf so etwas einlässt, der nimmt dem parlamentarischen Geschehen etwas von dem sinnlich Wahrnehmbaren und beraubt dieses Parlament auch der wichtigsten Aufgabe, nämlich Legitimität zu stiften.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Das ist genau der Punkt, warum man sich fragt, weshalb kommen wir alle 14 Tage hierher – und manche ja jahrelang. Einige wollen gar nicht aufhören. Warum geschieht das? Dieses Ritual, das hier stattfindet, bedeutet, dass in einer Demokratie innerhalb dieser vier Jahre, nachdem gewählt worden ist, die Regierung in jeder Parlamentssitzung wieder durch Zustimmung und Abstimmungssiege ihre Legitimität unter Beweis stellen muss. Das ist so wichtig, dass es sogar funktioniert, wenn der Senat gar nicht präsent ist. Ich meine nicht Sie persönlich, sondern den Gesamtsenat. Das trifft Sie auch nicht als Regierung, das war zu früheren Zeiten auch so, dass um diese Uhrzeit nur Staatsrat Behlmer auf der Senatsbank saß.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Zuruf: Da sieht man den Fortschritt!)

Meine Erkenntnis aus dem Ganzen ist, dass das Schlafbedürfnis der Senatsmitglieder sehr viel ausgeprägter ist als das der Abgeordneten. Die müssen viel früher zu Hause sein. Daran haben wir uns inzwischen gewöhnt.

Man könnte natürlich noch vieles zu dem Thema sagen. Aber das, was bei der Wahl wichtig ist, ist natürlich auch die Möglichkeit des Wechsels. Da sind wir bei den 44 Jahren. Das Wichtigste in der Demokratie ist ein Satz, den Oliver Cromwell im Parlament in Richtung auf die Regierung ausgerufen hat. Seine Worte lauteten:

„Ihr seid lange genug im Amt gewesen, um noch irgendjemand Gutes zu tun. Bitte geht.“

Das hat bei den Sozialdemokraten 44 Jahre gedauert und Sie schaffen das in zwei Jahren.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Dr. Michael Freytag CDU: Wir kommen wieder, Sie nicht!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wünsche Ihnen, die Sie weitermachen werden, oder denen, die noch dazukommen werden, viel Glück bei dieser Arbeit. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und bei allen Kolleginnen und Kollegen für die vielen Jahre parlamentarischer gemeinsamer Arbeit.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD, der GAL, der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Das Wort hat jetzt Herr Kruse.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist für mich immer ein bisschen schwierig, Jan Ehlers zuzustimmen. Das funktioniert auch dieses Mal nicht ganz, denn am Schluss ist er ein kleines bisschen eklig geworden, indem er 44 Jahre mit zwei Jahren zu vergleichen suchte, aber nicht aufgepasst hat, wie das Ergebnis ist. Aber lieber Kollege Ehlers, das werden Sie schon noch erfahren.

Lassen Sie mich trotzdem ein bisschen näher beim Thema neues Wahlrecht bleiben. Die Ausgangslage ist die Hamburgische Verfassung. Ich stimme Ihnen zu, wir haben schon vor über zehn Jahren über ein sehr ähnliches Wahlrecht gestritten, das jetzt über einen interfraktionellen Antrag durch eine Volksabstimmung in die Wirklichkeit gebracht werden soll. Ich glaube, insoweit hat die Initiative einen Verdienst. Sie hat nämlich jedenfalls die Mehrheit der Bürgerschaft gezwungen, Stellung

zu nehmen. Dieses allein ist schon ein Verdienst auch derer, die den neuen Artikel 50 vor siebeneinhalb Jahren gemeinsam in die Hamburgische Verfassung geschrieben haben. Deswegen sollten wir uns in der Bürgerschaft – mit Ausnahme der GAL-Fraktion – nicht beschweren, dass es Bürger gibt, die von ihrem unbestrittenen Verfassungsrecht Gebrauch machen. Das war gewollt. Nur habe ich manchmal das Gefühl, dass das so nicht angenehm ist. Dann darf man das nicht wollen und nicht in die Verfassung schreiben. Deswegen stellt sich für mich eine ganz andere Frage, nämlich ob der angebotene Entwurf der Initiative, der als Zweitüberschrift immer noch „Mehr Demokratie“ hat, richtig ist.

Deswegen ist im Umkehrschluss der Entwurf der vermutlichen Mehrheit der Hamburgischen Bürgerschaft etwas weniger demokratisch, obwohl – dies war die Vernunft des Artikel 50 – die Bürgerschaft das Recht hat – das war gewollt –, den Abstimmungsberechtigten einen Alternativentwurf vorzulegen. Und was ist in der Demokratie für Abstimmungsberechtigte eigentlich schöner, als über Alternativen zu entscheiden. Insoweit wende ich mich gegen Versuche, die ja auch nachzulesen waren, die Bürgerschaft versuche, die Initiative auszuhebeln. Nein, jeder nimmt sein Verfassungsrecht wahr. Und ein bisschen mehr oder weniger demokratisch, ich finde, demokratische Wahlen sind in Wahrheit dem Komparativ oder einer vergleichbaren Form nicht zugänglich.

Demokratie ist – jedenfalls nach dem Grundgesetz der Hamburgischen Verfassung und dem Staatsrechtsverständnis aller westlichen Demokratien –, wenn die Wahlen frei, geheim, gleich und direkt sind. Das sind die vier Kriterien. Die werden eingehalten. Der Streit geht in der Tat darum, wie ich diese demokratische Wahl organisiere, wobei wir alle wissen, dass in vielen und wahrscheinlich in den meisten Teilen der Welt diese vier Kriterien nicht eingehalten werden. Jedenfalls für Deutschland und Hamburg ist für mich klar: Seit mehr als 50 Jahren sind diese Kriterien nicht nur eingehalten worden, sondern auch von niemandem bestritten, dass sie eingehalten worden sind. Deswegen ist eine Positionierung einer Initiative, sie böte etwas Demokratischeres an, für mich als Demokraten eher eine Form von vorsichtiger Beleidigung. Das geht so auch wieder nicht, sosehr ich das Recht der Initiative verteidige, dies zu tun.