Protokoll der Sitzung vom 08.09.2004

Deutschland ist unverändert Schlusslicht bei der konjunkturellen Entwicklung der Europäischen Union. Dagegen wissen wir von einem starken Wirtschaftswachstum sowohl in Asien wie auch in den USA. Die ökonomischen Ergebnisse der Wiedervereinigung sind insgesamt noch unbefriedigend. Es wird deutlich länger dauern, bis wir gleichwertige Lebensverhältnisse auch in den neuen Bundesländern haben. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung belegt, dass Deutschland immer noch Schlusslicht unter den dort ausgewählten 20 Industriestaaten ist. Verantwortlich sind vor allen Dingen zwei Faktoren: das geringe Wirtschaftswachstum und der überregulierte Arbeitsmarkt.

Eine Zahl sollte uns nachdenklich machen. Die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Deutschland ist in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken und beträgt heute nur noch 26,4 Millionen Beschäftigte. Das ist annähernd die Zahl wie vor der Wiedervereinigung für die alte Bundesrepublik alleine. Das ist für ein Volk von 82 Millionen Menschen schlicht zu wenig.

Dagegen erleben wir eine positive Entwicklung in Hamburg. Hamburg koppelt sich von der gesamtdeutschen Konjunktur ab. Dies zeigt sich besonders am Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenquote sinkt. Sie sank im Juli, sie sank auch im August, und zwar entgegen dem Bundestrend.

(Beifall und Bravo-Rufe bei der CDU)

Während sie in Hamburg sinkt, ist sie im Bund auf den höchsten Juli-Stand seit 1990 angewachsen.

Hamburg profitiert von der EU-Osterweiterung und der deutschen Wiedervereinigung. Die Unternehmer nutzen diese Chancen. Der Hafen boomt. Im ersten Halbjahr 2004 stieg der Container-Umschlag im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 16 Prozent. Aber es gilt hier weiterhin die Erfahrung: Der Handel folgt der Flagge. Das heißt, neben dem Hafen profitieren Logistik, Dienstleistung und Handel von dieser Entwicklung.

Was nicht wächst, sind die Steuereinnahmen. Sie verharren unverändert auf niedrigem Niveau. Sie liegen unverändert unter dem Niveau des Jahres 2000. Die Steuerquote ist in Deutschland mit 20,3 Prozent auf einem historisch niedrigen Stand angekommen. Wir werden dabei in Europa nur noch von der Slowakei unterboten.

Seit der Mai-Steuerschätzung 2001 brachte jede Steuerschätzung neue Hiobsbotschaften. Wir können im Moment sagen, dass wir gegenüber früheren Schätzungen von vor drei Jahren strukturell 1,3 Milliarden Euro pro Jahr weniger in Hamburg an Steuereinnahmen zur Verfügung haben. Das ist eine Dimension, die von uns eine neue Qualität bei den Maßnahmen zur Gegensteuerung erfordert.

Zugleich werden die in Hamburg verbleibenden Einnahmen durch steigende Zahlungen in den Länderfinanzausgleich geschmälert. Wir zahlen pro Kopf am meisten in den Länderfinanzausgleich, weil sich Hamburg mit seiner Wirtschaftskraft und damit auch seiner Finanzkraft im Gegensatz zu den anderen Bundesländern relativ besser entwickelt. Wir zahlen im Moment für die Schwächen von Berlin und wir zahlen insbesondere für die Schwächen in Nordrhein-Westfalen.

Hamburg ist durch die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs, und dies im Gegensatz zu allem, was früher erzählt wurde, nachteilig betroffen, denn es wird die Gemeindefinanzkraft stärker einbezogen als bisher. Ab 2005 wird die Gewerbesteuer mit jetzt 64 Prozent und nicht wie bisher mit 50 Prozent einbezogen. Da gerade Hamburg sehr gewerbesteuerstark ist, trifft uns dies vergleichsweise stärker als andere Länder.

Dagegen steigen wesentliche Ausgaben fast zwangsläufig. Allein in den Jahren 2000 bis 2006 werden die gesetzlich oder vertraglich gebundenen Ausgaben in etwa um 9 Prozent steigen. Das heißt, während die erwarteten Steuereinnahmen um 15 Prozent zurückgehen, steigen die gesetzlich verpflichtenden Ausgaben um 9 Prozent. Die Schere zwischen zurückgehenden Steuereinnahmen und durch uns nicht zu beeinflussende Ausgaben vergrößert sich. Diese Kluft ist nicht einmalig, sondern sie ist dauerhaft.

Nun zu den Dingen, die nicht beeinflussbar sind. Das sind einmal die Personalausgaben, insoweit die Tarifvertragsparteien diese mitbestimmen. Dazu zählen sowohl die laufenden Vergütungen als auch die Versorgungsausgaben.

Im Doppelhaushalt 2005/2006 gehen wir im öffentlichen Dienst von einer Nullrunde aus. Nullrunde bedeutet nicht zwangsläufig einen Verzicht auf Tarifsteigerungen, wohl aber die volle Kompensation von Tarifsteigerungen durch strukturell wirkende Anpassungen der Tarifstruktur. Im Ergebnis erwarten wir also keine steigenden Personalausgaben aus diesen Effekten.

Auch der öffentliche Dienst im Bereich der Angestellten wird sich auf die 40-Stunden-Woche einstellen müssen, wie wir sie auch bei den Beamten bereits realisiert haben.

(Uwe Grund SPD: Da werden Sie sich aber täu- schen, Herr Senator!)

Die Zinsausgaben, die mit einer Milliarde Euro über ein Zehntel im Bereich der Ausgaben ausmachen, sind natürlich nur insoweit beeinflussbar, als wir die Zunahme der Verschuldung begrenzen. Der Zinssatz hängt insbesondere von der wirtschaftlichen Lage in Deutschland ab. Konsistent mit der Erwartung steigender Steuereinnahmen aufgrund einer besser werdenden wirtschaftlichen Entwicklung haben wir auch steigende Zinsen unterstellt.

A C

B D

Die Ausgaben für gesetzliche Leistungen sind nur bedingt beherrschbar, weil die Zahl der Empfänger steigt und die Leistungsgesetze Bundesgesetze sind.

Hartz IV soll zwar Entlastung für die Kommunen bringen, aber nicht so viel, wie manche sich vielleicht vorstellen. Wir haben im Doppelhaushalt bisher 58 Millionen Euro für 2005 und 100 Millionen Euro für 2006 vorgesehen. Risiken bestehen dabei bei den Kosten der Unterbringung und aufgrund der Entwicklung der Arbeitslosigkeit im Bund.

Diese Ausführungen machen deutlich, dass Reformen in Deutschland notwendig sind. Das Land muss wieder zukunftsfähig gemacht werden. Die Sozialsysteme müssen reformiert werden. Das Wirtschaftswachstum muss beschleunigt, der Arbeitsmarkt von Überregulierung entschlackt und Eigenverantwortung wieder gefördert werden. Nur dann können wir auf Dauer die Ausgaben des Staates für die wirklich Bedürftigen finanzieren.

Wir befinden uns in einem finanzpolitischen Ungleichgewicht und überfordern den Sozialstaat, weil wir die Finanzkraft des Staates nicht mehr haben, um seine Ausgaben zu finanzieren. Nur ein wirtschaftlich starker Staat ist auch ein sozial starker Staat.

Weil wir die Reformbedürfnisse erkennen, unterstützen wir die rotgrüne Bundesregierung bei der Umsetzung der Agenda 2010 und auch von Hartz IV, allerdings muss dies noch zusätzlich eingebettet werden in eine umfassende Wachstumsstrategie, denn nur Wachstum schafft zusätzliche Beschäftigung.

(Beifall bei der CDU)

Ich bin gelegentlich sehr beeindruckt von dem, was der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD in der Bundestagsfraktion, Herr Stiegler – der Mann mit dem roten Pullover –, sagt. Vor drei Tagen bemerkte er im Fernsehen, seit drei Jahren stünden wir in einem völlig veränderten Umfeld und müssten daraus die Konsequenzen ziehen. Deutschland brauche dringend Veränderung und die Sozialdemokratische Bundestagsfraktion würde diese Veränderungen auch umsetzen. Nur, ich frage mich, meine Damen und Herren, wann erkennt die Hamburger SPD, dass auch in Hamburg schmerzliche Veränderungs- und Anpassungsprozesse erforderlich sind und auch hier eine Umsteuerung in Richtung Wachstum zwingend erforderlich ist.

(Beifall bei der CDU)

Gerade vorhin wurde in den Debatten wieder deutlich, dass die Sozialdemokraten in Hamburg weder veränderungswillig noch veränderungsfähig sind.

(Beifall bei der CDU)

Ein Weiter-so darf und kann es nicht geben. Der Wohlfahrtsstaat heutiger Prägung ist nicht mehr finanzierbar. Deswegen müssen wir umsteuern, und zwar sofort und ohne Wenn und Aber, im Interesse der Menschen, die hier leben und arbeiten, und unserer Kinder, die wir nicht weiter mit Hypotheken belasten wollen.

Hiermit komme ich zu den Hypotheken. Was ist die Situation? Bis 2001 hat Hamburg auf Kosten der Zukunft gelebt. Der Rechnungshof hat es Ihnen oft genug in die Bücher geschrieben. Gestört hat es Sie offenbar nicht. Das Gebot der Nachhaltigkeit wurde vorsätzlich vernachlässigt.

Hamburg hat Substanz verbraucht, ohne neu zu investieren. In nahezu allen Bereichen wird der Investitionsstau bei öffentlichen Gebäuden, bei Schulen, Universitäten, bei Straßen und im Hafen beklagt. Der Befund ist eindeutig. Über Jahre wurde zu wenig investiert und zu viel konsumiert. Dazu kam aber auch der Mangel an privaten Investitionen durch den Entscheidungsstillstand in vielen Bereichen, der private Investoren abschreckte. Gleichzeitig stieg die Verschuldung in atemberaubende Höhe. Von 1990 bis 2001 hat sie sich nahezu verdoppelt und als Ausgleich wurden noch zusätzlich öffentliche Unternehmen und Entscheidungszentren im Wert von 5 Milliarden verkauft.

Was Sie damals nicht getan haben – ich wende mich ausdrücklich an die Sozialdemokraten –, Sie haben bewusst auf notwendige Leistungseinschränkungen und Standardabsenkungen verzichtet. Sie haben ein Klienteldenken gepflegt.

(Dr. Monika Schaal SPD: Das war ja wohl ein Witz!)

Sie wollten Ihre Interessengruppen begünstigen. Sie haben Einzelinteressen über das Gesamtinteresse des Staates gestellt.

(Beifall bei der CDU)

Herr Neumann, Herr Zuckerer, meine Damen und Herren! Die SPD hat in den Neunzigerjahren lieber den finanziellen Kollaps unseres Haushalts in Kauf genommen, als sich von Leistungen zu trennen, die wir uns seit langem nicht mehr leisten und die in anderen Ländern und beim Bund schon lange nicht mehr finanziert werden konnten.

(Beifall bei der CDU)

Aber auch die Grünen waren nicht Teil der Lösung, sind ein Teil des Problems, und wir haben das heute wieder gehört. Magergras auf Brachflächen ist ihnen wichtiger als Wohnungen für Familien und Betriebe auf diesen Flächen.

(Beifall bei der CDU – Zuruf von Dr. Willfried Maier GAL)

Wir wissen doch, Herr Maier, die Vivo-Investitionsruine war ihnen wichtiger als Investitionen in Airbus.

(Beifall bei der CDU – Ingo Egloff SPD: Sie bauen doch gar keine Wohnungen!)

Und meine Damen und Herren von den Grünen, Radwege sind Ihnen wichtiger als Investitionen in den Hafen. Das ist genau das Problem.

(Uwe Grund SPD: Sie bauen doch gar nicht in die- ser Stadt!)

Der Chefredakteur des "Hamburger Abendblattes", Menso Heyl, hat in seinem Vorwort zum Hamburger Jahrbuch die Kluft zwischen Individualinteresse und gesamtstädtischen Interessen beklagt. Der Mann hat Recht. Es ist Aufgabe der Politik, Interessengegensätze zu überwinden, aber nicht, sie zu fördern, wie Sie es jahrelang gemacht haben.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD und der GAL)

Damit nicht genug. LBK und pflegen & wohnen sind seit ihrer Gründung unsolide finanziert. Die Verpflichtungen für die Altersversorgung wurden nicht ausfinanziert, In

vestitionen wurden nicht gesichert und betriebliche Verluste wurden durch ständig steigende Kassenkredite gedeckt. Wir sprechen allein beim LBK von einer aufgewachsenen Schuldenlast von 1 Milliarde Euro.

Ich habe von Anfang an erhebliche Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit der Finanzierungspraxis seit 1996 mit dem Haushaltsrecht gehabt, allerdings war es auch meine Meinung, dieses Problem müsste vor allen Dingen materiell gelöst werden. Deswegen hat der Senat bereits im Februar 2002 die Teilprivatisierung des LBK und im Juli 2003 auch die Sanierung des Altenpflegebereichs pflegen & wohnen beschlossen. Dieses betraf die materielle Seite. Aber auch bei der Lösung dieses Problems hat sich wegen des Klienteldenkens die Opposition verweigert.

(Uwe Grund SPD: Wo ist das Konzept?)

Zur haushaltrechtlichen Seite wurde in einem Gespräch von mir mit dem Präsidenten des Rechnungshofs im November 2003 vereinbart, dass der Rechnungshof dieses Thema von sich aus prüft. Ich sehe dem Ergebnis mit großer Erwartung entgegen. Beides muss gelöst werden, materiell, aber auch formell müssen wir die Altlasten pflegen & wohnen und LBK lösen und beiden Aufgaben haben wir uns gestellt.

(Beifall bei der CDU)