Protokoll der Sitzung vom 13.12.2004

Ihre Konsequenz aus dieser Analyse ist: In Hamburg machen zu viele Abitur, offensichtlich zu viele überhaupt einen Schulabschluss. Das zeigt sich auch an der Möglichkeit und der Abschaffung, dass man an der Volkshochschule keinen Hauptschulabschluss mehr nachholen kann, um damit – wie die bayerische Wirtschaft es nennt – berufsbildungsfähig zu werden.

Frau Dinges-Dierig geht sogar so weit, dass sie die Hauptschulabschlüsse für überflüssig hält, ohne ernsthafte Alternativen aufzuzeigen. Sie stellt sich damit außerhalb jeder ernst zu nehmenden Debatte, denn von den Hamburger Azubis, den Auszubildenden in dieser Stadt, haben nur 1 Prozent keinen Abschluss. Es ist also ohne

Abschluss in dieser Stadt fast unmöglich, sich durch eigenes Engagement eine gute Zukunft zu erarbeiten. Wer sich so wie Sie auf dieser rein formalen Ebene des Abschlusses mit dem Problem der Chancen- und Perspektivlosigkeit von Schulabbrechern auseinander setzt, der ist zynisch.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Zynisch und unverschämt ist das Verhalten der Schulsenatorin auch gegenüber den Schülern, den Eltern und Lehrern der von der Schließung bedrohten Schulen. Es war Frau Dinges-Dierig offensichtlich wichtiger, ein Fußballplakat zu präsentieren, als sich der Anhörung im Schulausschuss zu stellen.

(Dr. Andrea Hilgers und Petra Brinkmann, beide SPD: Hört, hört!)

Nun haben wir uns daran gewöhnt, dass auch Frau Schnieber-Jastram, so oft sie kann, die Ausschüsse der Bürgerschaft meidet. Dass aber auch vielen Eltern, Schülern und Lehrern, die um ihre Schulen und damit auch um ihre Zukunft kämpfen, so kalt die Schulter gezeigt wird, das ist neu in unserer Stadt.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Herr von Beust, Sie haben Frau Dinges-Dierig in Ihren Senat berufen. Sie wollten niemanden aus Ihrer eigenen Fraktion. Ich glaube, Ihre Worte waren damals: Sie wollten keine Abnicker und Jasager. Damit tragen Sie die Verantwortung für das Verhalten dieser Dame und Sie haben hier heute auch die Möglichkeit und die Chance, sich für dieses unerhörte, undemokratische und zum Teil vielleicht auch feige Verhalten Ihrer Schulsenatorin bei Eltern, Schülern und Lehrern zu entschuldigen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wenn ich über Bildung spreche, dann müssen wir gemeinsam feststellen, dass Bildung eine zentrale Ressource ist, mit der unsere Stadt die Herausforderung des 21. Jahrhunderts bestehen kann, nämlich den globalen Standortwettbewerb und auch die demographische Entwicklung. Nur mit einem leistungsfähigen Bildungssystem schaffen wir für alle Menschen die Herausforderung, ein eigenverantwortliches Leben zu führen sowie die eigenen Talente und Begabungen auszuschöpfen.

Unsere Konsequenz daraus ist unter anderem die Abschaffung der klassischen Hauptschule und den Ausbau der integrierten Haupt- und Realschulen. Unser Ziel ist der lebenslange Anspruch auf den Erwerb des Hauptschulabschlusses, denn Bildungsgerechtigkeit und Bildungsbeteiligung sind auch in unserer Gesellschaft der Schlüssel für die Integration von Zuwanderern.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Nun erheben ja viele die Forderung, dass die Zuwanderer ordentlich Deutsch lernen sollten. Ich habe das auch getan und wie ich in der Zeitung lesen konnte, hat die Hamburger CDU, namentlich Herr Ahlhaus, dem zugestimmt und gibt mir hier Recht. Der Senat und insbesondere Herr Peiner tun aber genau das Gegenteil. Reihenweise werden in unserer Stadt Deutschkurse geschlossen. Hierfür ein Beispiel: In Neuwiedenthal gibt es die Initiative "Frauen lernen im Stadtteil". Dort gibt es genau die Kurse, die wir alle für richtig halten und eine Kinderbetreuung, damit die Mütter am Vormittag die Deutschkurse besuchen können. Doch was geschieht und macht

dieser Senat? Was unterstützt diese CDU-Fraktion? Sie unterstützen auch heute, morgen und übermorgen mit ihrem Abstimmungsverhalten, dass dieses Angebot schlichtweg platt gemacht wird und dass das Geld gestrichen wird. Lassen Sie uns erst einmal über ausreichende Angebote sprechen, bevor wir über Sanktionen reden. Lassen Sie uns doch in Menschen investieren.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wir stellen in Hamburg auch fest, dass, wie in ganz Deutschland, der Bildungserfolg sehr stark vom sozialen Status der Eltern abhängt. Daher muss Bildung schon möglichst früh in der Kindertagesstätte beginnen, damit nicht schon am ersten Schultag klar ist, wer von diesen kleinen Kindern Abitur macht und wer ohne Schulabschluss und somit auch ohne Perspektive bleibt.

Ich spreche hier auch aus eigener Erfahrung. Für meine Eltern, die selbst auf der Volksschule waren, war es völlig klar, dass ich höchstens auf die Realschule gehen sollte. Mein damals bester Freund aus Sandkastenzeiten, Matthias, Sohn eines Arztes, –

(Frank-Thorsten Schira CDU: Petersen?)

nein, nicht Petersen – sollte natürlich, wie es sich gehört, als Sohn eines Arztes auf das Gymnasium gehen. Für mich war es also völlig klar, dass ich auch auf das Gymnasium will. Ich wusste zwar gar nicht, was ein Gymnasium ist, aber mir war klar, wenn mein bester Freund dorthin will, dann will ich das auch. Daher bin ich auch heute noch froh, dass meine Eltern die richtige Entscheidung getroffen haben. Ich habe dadurch am eigenen Leibe gelernt und realisiert, dass man nicht im Alter von neun über die Zukunft eines Menschen abschließend entscheiden kann. Wir müssen Chancen und Wege freimachen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Ich versuche es aber gern noch einmal, da Sie die menschlichen Schicksale wohl nicht so interessieren,

(Frank-Thorsten Schira CDU: Ihres nicht so!)

mit der bayerischen Wirtschaft. Dort ist das Zitat:

"Besonders gravierend ist die fehlende Bildungsgerechtigkeit sowohl für die Betroffenen als auch für die Gesellschaft als Ganzes. Diese Ungerechtigkeit entsteht dadurch, dass durch die Gebührenpflicht für Kindertagesstätten junge, schlechter gestellte Familien diese Angebote nicht wahrnehmen können und dadurch, dass durch zu späte Beschulung von Lernschwächeren fast ein Fünftel eines Altersjahrganges keine faire Berufschance besitzt."

Sie nehmen sich immer so gern an Bayern und an der Wirtschaft ein Beispiel. Warum nehmen der CDU-Senat und auch die Handelskammer nicht den Mut zusammen, um sich auch hier, wo es wirklich einmal Sinn macht, an Bayern ein Beispiel zu nehmen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Eines ist doch klar, dass wir es uns gar nicht leisten können, ein Fünftel der Begabungsreserven unserer Gesellschaft zu verschwenden. Während man anderswo in unserem Land über die Gestaltung der Zukunft durch mehr und bessere Bildung spricht, diskutiert und auch entscheidet, flüchten sich Senat und CDU größtenteils in die bildungspolitischen Schützengräben der Sechzigerjahre. Verengen Sie Ihren Investitionsbegriff nicht allein

darauf, dass Investitionen Ausgaben sind, für die sich der Haushalt verschulden kann. Davon abgesehen, dass auch die Sozialdemokraten keine Schulden für eine Elbphilharmonie machen oder eine viertel Milliarde Euro teure U-Bahn-Haltestelle in der HafenCity bauen wollen,

(Klaus-Peter Hesse CDU: Stimmt, bei Ihnen pas- siert gar nichts!)

ist es richtig, dass wir uns für Bildungsausgaben keine neuen Schulden leisten dürfen. Dennoch sind Ausgaben in Kinderbetreuung, in Bildung und damit auch in Weiterbildung Investitionen in das Potenzial der Menschen in unserer Stadt. Das sind Zukunftsinvestitionen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Investitionen in die Köpfe sichern unseren Wohlstand. Wir haben keine Rohstoffe. Wir werden nicht über die Löhne allein unsere Wettbewerbsfähigkeit sichern und wir werden unseren Lebensstandard nicht dadurch ausbauen oder sichern, dass wir uns gegenseitig die Haare schneiden oder Versicherungen verkaufen. Daher hat die IGMetall Recht: Unsere Chance besteht darin, besser und nicht nur billiger zu sein.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Wir brauchen in der Politik, genauso wie in der Ökonomie und in der Wirtschaft, Innovationen. Innovationen entstehen durch Spitzenleistungen. Das hat auch etwas mit Elite zu tun, zu deren Notwendigkeit ich mich ausdrücklich bekenne. Aber Elite definiert sich nicht durch Abstammung, Geburt, Vetternwirtschaft oder Parteibuch, sondern allein durch ständige Leistung.

(Frank-Thorsten Schira CDU: So ist es!)

Das bedeutet auch: Diejenigen, die keine Leistung bringen, gehören nicht dazu, Herr Schira.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Die Grundlage für unverzichtbare Spitzenleistungen, die wir stärker fördern müssen, ist ein breit angelegtes und hervorragendes Bildungsangebot. Unser Anspruch in dieser Stadt muss doch sein: Wir wollen in Hamburg nicht Deutschlands teuerste, sondern Deutschlands beste Bildung. Das ist der sozialdemokratische, der hamburgische Maßstab.

(Beifall bei der SPD)

Ihr Vergleichsmaßstab bei der Kinderbetreuung ist Uelzen. Ich dachte immer, die wachsende Stadt sollte sich international messen. Ich höre immer noch Vancouver, Sydney, Barcelona, aber bei der Kinderbetreuung Uelzen. Warum orientieren Sie sich nicht an Paris oder Helsinki? Warum darf Hamburg unter einem Bürgermeister von Beust nicht Spitze sein? Warum muss Hamburg auf den Durchschnitt zurückfallen? Ein sozialdemokratisches Hamburg war nie Durchschnitt

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

und Hamburg darf auch jetzt nicht Durchschnitt werden.

(Beifall bei der SPD – Zuruf CDU: Zugabe!)

Das ist bei einer Haushaltsdebatte auch etwas Spannendes, wenn man von beiden Seiten des Hauses Zuspruch erhält. Ich wiederhole das noch einmal

(Beifall und Heiterkeit bei der CDU)

und vor allen Dingen wiederhole ich das noch einmal in der Debatte, wenn wir über den Sozialetat sprechen und wenn wir über die Rede von Frau Schnieber-Jastram diskutieren, die immer davon spricht, dass Hamburg überdurchschnittliche Leistungen in der Sozialpolitik erreicht hat. Hamburg ist kein Durchschnitt und Hamburg wird das unter Sozialdemokraten nie werden.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Der wirtschaftliche Erfolg – und das ist auch der Hintergrund für unsere traditionell hohen Zahlungen in den Länderfinanzausgleich – beruht auf den weitsichtigen Weichenstellungen und der Innovationsfähigkeit unserer Stadt. Dazu gehören die vor Jahrzehnten gegen große Widerstände und auch gegen den Widerstand Ihrer Fraktion durchgesetzten Hafenerweiterungsgebiete