Protokoll der Sitzung vom 31.03.2004

Eine verantwortliche Politik kümmert sich um alle gegenwärtigen und zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohner einer Stadt. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass natürlich Lebensqualität für die Stadt nicht überall dasselbe ist. Wir brauchen saubere Luft, sicheren Verkehr, Arbeits- und Krippenplätze und alle Bewohnerinnen in Hamburg brauchen ihre individuellen Entwicklungs- und Bildungschancen. Jeder Senat muss alle Gruppen gleichermaßen als Ziel seiner Politik erkennen. Wo es Konflikte gibt, ist es die ureigene Aufgabe des Senats, Konflikte zu lösen und auch einen gerechten Ausgleich zu schaffen.

Insofern brauchen wir auch ein Wachstum an Gerechtigkeit. Die haben Sie zwar in Ihrer Rede benannt, Herr Bürgermeister, aber ich muss sagen – und das zieht sich sowohl schriftlich als auch mündlich durch das ganze Programm –, was heikel ist, wird erst gar nicht angesprochen. Mit diesem Programm und dieser Rede wird die Lebensqualität vieler Menschen nicht wachsen.

Man muss als Opposition, Herr Reinert, die Lücken ansprechen. Es kann nicht angehen, dass ganze Bevölkerungs- und Interessengruppen gar nicht erst vorkommen.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Haben Sie Flüchtlinge gefunden? Fehlanzeige! Haben Sie Fußgänger oder Fußgängerinnen gefunden? Fehlanzeige! Haben Sie die Gleichstellung von Frauen gefunden? Fehlanzeige! Und was ebenso fehlt, das sind die Instrumente, mit denen Sie alle ihre schönen Ziele erreichen wollen. Das ist auch Fehlanzeige.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Das ist keine Politik für eine Metropole, denn die Aufgaben und die Menschen sind vorhanden, meine Damen und Herren von der CDU. Davor können Sie sich nicht herumdrücken, ob Sie es wollen oder nicht. Eine schöne, attraktive und lebendige Großstadt lebt von den Menschen und nicht nur vom Diktat der Wirtschaft.

(Beifall bei Antje Möller GAL)

Daher halte ich es für dringend nötig, dass wir die ernsten Lücken anführen und ich möchte einige exemplarisch aufzeigen.

Meine Damen und Herren, vor allen Dingen meine Herren, Sie vergessen in Ihrem Programm und, Herr von Beust, in Ihrer Rede zum Beispiel die Hälfte der Bevölkerung. Nur die Hälfte der Macht gehört den Männern, meine Herren.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Die Frauen kommen nicht vor. Sie stehen damit nicht auf dem Boden der Hamburger Verfassung, die vorschreibt – Zitat:

"Die tatsächliche und rechtliche Gleichstellung von Frauen zu fördern".

Wir Grüne wollen die EU-Richtlinie zur Gleichstellung umsetzen. Wir wollen "Gender Mainstreaming", wir wollen "Gender Budgeting". Das heißt, wir wollen, dass bei allen Maßnahmen und bei allen Entscheidungen über den Haushalt darauf geachtet wird, dass die Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern gefördert und nicht die bestehende Ungerechtigkeit verschärft wird. Aber von diesen modernen Instrumenten und dieser modernen Gleichstellungspolitik scheinen Sie noch nichts gehört zu haben. Manchmal hat man das Gefühl, dass Sie "Gender Mainstreaming" tatsächlich mit einem Softwareprogramm von Airbus verwechseln.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Wir wollen natürlich im Rahmen der Frauenpolitik auch den Kampf gegen häusliche Gewalt weiterführen und die Standards der Frauenhäuser erhalten. Ihr Programm hat mit der Realität in dem Punkt mit einer Großstadt nichts zu tun. Hier wächst nichts von und für Frauen.

(Beifall bei der GAL)

Im Bereich der Integration fehlen auch die Instrumente und auch die Taten. Herr Bürgermeister, Sie haben schöne Sonntagsreden zur Frage der Einwanderung gehalten, aber Herr Beckstein blockiert im Bundesrat die Einigung in der Zuwanderung. Sie haben am 01.03. in der "Hürriyet" gesagt – Zitat:

"Wenn ich Migrant in Hamburg wäre, würde ich mir von der Politik bessere Bedingungen für Integration wünschen".

Das ist wunderbar und darüber bin ich auch sehr froh. Und ich muss ganz positiv bemerken: Sie sind der erste Bürgermeister, der von Bürgern und Bürgerinnen in die

ser Stadt spricht und nicht von Mitbürgern und Mitbürgerinnen. Das ist schon mal ein Schritt weiter. Das kann ich nur unterstützen.

(Beifall bei der GAL)

Aber ich frage Sie, mit welchem Leitbild und welchem Konzept wollen Sie in den nächsten vier Jahren die Integration fördern? Die notwendige Sprachförderung ist zweifelsohne auch noch eine Worthülse. Dazu gibt es in der BBS kein Konzept. Ich frage Sie: Wie wollen Sie den Zugang zum Arbeitsmarkt, die Qualifizierung für den Arbeitsmarkt gestalten? Welche Maßnahmen ergreifen Sie für bessere Ausbildungschancen? Es ist immer zu lesen: Das machen wir, aber nicht wie.

(Bernd Reinert CDU: Wir machen es gut!)

Wie soll die rechtliche Gleichstellung, die interkulturelle Öffnung in den Ämtern geschehen? Welche Projekte haben Sie vor für die Rentnerinnen und Rentner der ersten Generation? Diesbezüglich bleiben Sie überall mehr als schwammig und Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass Sie das mit Ihrem Integrationsbeirat erreichen werden. Hier können wir Sie nicht aus der Pflicht lassen. Es besteht eher die Gefahr, dass die Angst vor den Kopftüchern und den Bau von Moscheen wächst, anstatt dass wirklich zusammenwächst, was zusammengehört.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Weiterhin muss ich Ihnen sagen: Flüchtlinge scheinen die Stadt alle verlassen zu haben, denn Sie kommen, wie gesagt, in Ihrer Rede kaum vor und in Ihrem Programm überhaupt nicht. In Ihrer Rede sagen Sie, dass Sie diese aus humanitären Gründen dann schon aufnehmen werden. Das will ich auch schwer hoffen, denn das ist Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention und die müssen wir ja mindestens einhalten.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Es leben hier 260 000 Hamburgerinnen und Hamburger mit Migrationshintergrund und deshalb müssen wir uns natürlich auch fragen, was wir eigentlich mit den besten Köpfen machen, die schon da sind und im Zweifelsfall nicht arbeiten dürfen. Auch diese Talente und Potenziale gilt es zu nutzen. Für uns als Grüne ist Integrationspolitik schon immer eine Sache von Eingewanderten und Deutschen. Der Senat muss eine Win-Win Situation gestalten und ich würde Sie auffordern, dass Sie sich doch die wachsende Stadt sichern, indem Sie die vorhandenen Wachstumspotenziale einfach nutzen. Das wäre eine vernünftige Herangehensweise.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Für eine Steuerung und um diese Querschnittsaufgabe wirklich zu bewältigen, brauchen Sie eine Leitstelle für Integration, möglichst angedockt an die Senatskanzlei. Sie brauchen für die Flüchtlinge und die Probleme eine Härtefallkommission und Sie brauchen zum Beispiel auch eine Akademie der Weltreligionen als innovative Exzellenz für den Wissenschafts- und Forschungsstandort Hamburg. Das alles gehört auch zu einer Weltstadt Hamburg.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Diese vollmundige Sache mit der Demokratie, um jetzt einmal auf diese Problematik sprechen zu kommen, fehlt mir gewaltig. Die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger bleibt für mich eine Worthülse, weil ich immer noch das

Gefühl habe, dass Sie Angst vor dem Volk haben. Das Stichwort LBK ist schon gefallen. Gut, Sie prüfen den Volksentscheid, aber ich habe das Gefühl, Herr Bürgermeister, dass bei Ihnen die Volksabstimmung anscheinend erst jetzt angekommen ist und Sie am liebsten gleich das Gesetz ändern wollen, weil Ihnen das Ergebnis nicht passt, wie Sie es auch zu dem Kita-Bereich gesagt haben. Abgesehen davon, dass Sie im letzten Oktober die Zeit gehabt hätten, das Gesetz beim Verfassungsgericht anfechten zu können.

Ich finde es Besorgnis erregend, dass offenbar Volksabstimmungen, die Ihnen nicht passen und die Sie nicht mögen, gleich überprüft und abgeschafft werden müssen. Das ist ein Affront gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, dass Sie die Bürgerbeteiligung bei Verkehrs- und anderen Bauvorhaben als Partikularinteresse abtun, anstatt Bürgerbegehren und die Bürgerinnen vor Ort ernst zu nehmen. Das ist eine ganz merkwürdige Haltung oder ein merkwürdiges Verhältnis zur Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Aus grüner Sicht: Wer Verantwortung für das Gemeinwesen will und wer Politik für die Quartiere machen will, muss die Menschen vor Ort einbinden, muss wirklich bürgernah sein und Demokratie zulassen. Dann müssen Volksentscheide auch akzeptiert werden.

Apropos Demokratie und Bürgernähe, die Bezirksverwaltungsreform, die Sie vorhaben, lässt uns Grüne eigentlich eher Schlimmes und nichts Gutes ahnen. Wir vermuten sehr stark, dass Sie lieber die Zentralisierung als die Bürgernähe planen. Diese Vermutung holen wir uns nicht einfach aus dem Bauch, sondern wenn Sie an die Liegenschaften und an den SOD denken, dann haben Sie uns das ja schon vorgemacht, was Sie unter Bürgernähe und Dezentralisierung verstehen. So kann das nicht gehen.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Wenn Sie wirklich eine Bezirksverwaltungsreform wollen, die alle tragen und die einen breiten gesellschaftlichen Konsens hinter sich bringen soll, glaube ich, dass Sie gut daran täten, doch einmal zu überlegen, ob wir nicht eine Enquete-Kommission einsetzen sollten, die wirklich alle mitnimmt.

Sie sprachen auch, um noch weiterzugehen, zum Thema Demokratie: Bürgerschaftliches und ehrenamtliches Engagement ist wichtig. Das unterstützen wir allemal. Aber ich finde im Regierungsprogramm auch nichts über die Frage der Instrumente, wie Aktivoli weiter gefördert wird, wie das auch im Kontext mit den Betrieben weiterentwickelt wird.

Wir Grünen wollen, dass Demokratie und Beteiligung wachsen. In diesem Zusammenhang komme ich auch gleich auf die Menschen ohne Chance, die Sie ansprechen, und in sozialen Fragen ist Ihr Programm wirklich ein Regierungsprogramm der Lücken.

(Beifall bei Till Steffen GAL)

Es kommen keine Menschen mit Behinderungen und keine Obdachlosen vor. Das Landesgleichstellungsgesetz ist von dem Kollegen Neumann schon genannt worden. Darauf warten wir seit Jahren. Wir wollen im Pflegebereich und im Bereich der Menschen mit Behinderungen schon längst das Prinzip ambulant vor stationär weiter

entwickeln und den Ausbau der Integrationsklassen. Aber alle diese Fragen von Gleichstellung, Partizipation, Integration sind Fehlanzeige in Ihrem Programm.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Auch die schon angesprochene soziale Stadtentwicklung und das Quartiersmanagement haben doch in vielen Stadtteilen zur Stabilisierung beigetragen, aber auch zur Beteiligung, zur Ausbildung, zu Existenzgründungen und zur Kriminalprävention. Diese soziale Stadtentwicklung finden wir nirgendwo mehr. Ist der Senat jetzt ganz aus dem Programm ausgestiegen? Es stellt sich die Frage, ob da nicht sozialer Zündstoff wächst und nicht etwas Positives. Das ist nicht unsere Vorstellung von der Gestaltung einer sozialen Stadt.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Dann komme ich zum Lieblingsthema von Herrn Reinert.