Protokoll der Sitzung vom 31.03.2004

Dann komme ich zum Lieblingsthema von Herrn Reinert.

(Bernd Reinert CDU: U-Bahn?)

Das ist also wirklich eine der breitesten Lücken in Ihrem Programm. Man muss sich einmal vorstellen: Da vergisst ein Bürgermeister und ein Regierungsprogramm komplett die Menschen, die sich nicht motorisiert fortbewegen. In Ihrem Programm kommen Fußgänger, Fahrradfahrer, die von Abgasen und Lärm betroffen sind, nicht vor. Von wegen Mobilität für alle Hamburgerinnen. Nichts, die stadt- und umweltfreundlichste Verkehrsart wird im Regierungsprogramm vergessen. Ich frage mich, ob die CDU fußkrank ist oder nicht Fahrrad fahren kann, vielleicht nur mit Stützrädern. Das ist schon eine sehr bemerkenswerte Geschichte.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Herr Reinert, Sie sind gefordert. Dann muss ich noch ganz deutlich bemerken: Ob nun Hamburgs Straßen sicherer werden, wo wir sowieso schon die Hauptstadt der Kinderunfälle sind, wage ich sehr zu bezweifeln. Sie lassen noch nicht einmal den ÖPNV wachsen. Moderne innovative Verkehrspolitik, wie die Stadtbahn, ist für Sie Teufelszeug. Sie verschleudern Millionen für die teure U 4. Außerdem findet man in dem Regierungsprogramm noch folgenlose Versprechen für unbezahlbare Projekte, wie zum Beispiel diese Fehmarn-Belt-Querung. Dann haben wir erlebt, dass das Ganze noch von dieser wunderbaren Raserparty am gestrigen Tage getoppt wird und Ihre kritiklose Förderung durch diese PS-Fraktion.

(Beifall bei der GAL und bei Doris Mandel SPD – Bernd Reinert CDU: Ich kann Sie beruhigen; wir wollen die Cyclassics nicht verbieten!)

Wenn wir mal bei Wachstum bleiben: Es wächst eher die Angst vor der Zahl der Autos und den Abgasen. Wir Grüne wollen, dass nicht das Verkehrsmittel, sondern der Verkehrsteilnehmer im Mittelpunkt steht, egal wie er oder sie unterwegs ist.

Wenn wir schon bei der Sicherheit sind, dann möchte ich auf die Sicherheit für den Verbraucher und die Umwelt eingehen. Dass die Umwelt mehr oder weniger im Programm fehlt, ist auffällig. Zuerst haben wir den berühmten "Schwarzen Freytag" für die Umwelt gehabt. Man muss sich vorstellen, dass eine Flächen fressende Behörde Bau und Verkehr die Umweltbehörde frisst und kurzfristig wurde sogar unsere Sorge sofort prompt bestätigt. Sie verwechseln Umweltpolitik mit Sauberkeit.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Ja!)

Das war wirklich sehr spannend. Bei dem Aktionstag "Hamburg räumt auf" – tolle Sache und seit Jahren unterstützt von allen – präsentiert sich Herr Dr. Freytag, der gerade nicht mehr anwesend ist, ganz stolz mit einem Papierschnitzel in seiner Zange und spricht – Zitat:

"von einem tollen Tag der Umwelt".

Und jetzt hat er dann noch als gute Tat vorgestern die Alsterschwäne in die Freiheit entlassen, ein Jugendtraum Freytags, wie man lesen durfte. Dann "Gute Nacht Hamburg", wenn das die Umweltpolitik für Hamburg ist.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Nichts, aber auch nichts steht im Programm oder haben Sie, Herr von Beust, erwähnt, wie Lärm bekämpft, wie Emissionen verringert und was für den Klimaschutz im Einzelnen getan werden soll. Wie sollen hier denn Lebensqualität und Erholungsräume wachsen. Das ist mir schleierhaft. Eine Politik, die Themen wie den Verbraucherschutz in Zeiten von BSE und genmanipuliertem Essen nicht kennt, eine Politik, die zwar darauf besteht, den Ausschuss Gesundheit und Verbraucherschutz zu benennen, aber keinen Inhalt und kein Konzept hat, ist keine Politik für unsere Stadt.

(Beifall bei der GAL)

Dass wir Grünen ein umfangreiches, konzeptionell ausgereiftes Programm für Umwelt- und Naturschutz, für Lärmbekämpfung, für den Verbraucher dagegenstellen, wissen Sie und brauche ich hier nicht im Detail auszuführen. Deshalb lassen Sie mich noch zu dem zentralen Thema "Kinder und Bildung" kommen und auch mein Lächeln erklären, Herr Reinert. Ich musste eher schmunzeln als lächeln, weil Herr Bürgermeister die Notwendigkeit der Kita-Betreuung zumindest erkannt hat und einsieht, dass Nestwärme und Tagesmütter in einer Großstadt alleine nicht ausreichen. Ebenso ist begrüßenswert, dass Sie von vier auf fünf Betreuungsstunden gehen, mit einem Mittagessen. Zeigen Sie bitte in der nächsten Woche, dass Sie die kinderfreundliche Stadt ernst nehmen, und beschließen Sie im Haushalt die nötigen 1000 Krippenplätze. Dann muss man sich natürlich fragen, wie man die finanziert, ob Herr Nagel weiter Zuwachs bekommt oder etwas abgeben muss. Irgendwoher muss es ja kommen. Es reicht nicht nur, Tafelsilber zu verkaufen, da müssen Sie schon ganz andere Betriebsmittel einfordern und Schwerpunkte setzen. Ich bin gespannt, wie Sie das auf die Reihe bekommen wollen.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Auf den Anfang kommt es bekanntlich an. Sie wollen die Stadt für die Familien attraktiver machen. Sie sprechen von "attraktivem und bezahlbarem innerstädtischen Wohnraum". Das ist ganz wunderbar. Das stand übrigens auch bei uns Grünen im Wahlprogramm und können wir nur unterstützen. Interessant ist nur, wie Sie das schaffen wollen. Sie haben im letzten Jahr die Bodenpreissubventionen abgeschafft. Es ist die Frage, wie Sie in der HafenCity preiswerten Wohnraum in Aussicht stellen wollen. Das wäre höchst spannend, um die Verdichtung in der Innenstadt auch für Familien attraktiv zu machen.

Wenn es wohnungspolitisch nicht klappen sollte, dann klappt es vielleicht mit der Betreuung und Bildung der Kinder. Aber auch da gibt es unseres Erachtens ein Problem, weil der Ausbau der Tagespflege nicht reicht. Er trägt in einer Großstadt nicht zur Vereinbarkeit von Fami

lie und Beruf bei. Das kann nur bedingt eine Unterstützung sein, teils eine sinnvolle, aber die Krippe hat eine ganz andere Aufgabe. Sie ist für die Frühförderung zuständig. Dann kommt natürlich noch zusätzlich dazu, dass Sie durch den Abbau der Kita-Plätze viele Kitas in den Ruin treiben. Außerdem ist es nach PISA nicht gerade hitverdächtig, die Kitas aus der Bildungsbehörde wegzunehmen. Die Untersuchung hat uns gerade die wichtige Rolle der frühkindlichen Bildung klar gemacht. Da wird es Aufgabe von Frau Schnieber-Jastram sein, mit der Bildungsbehörde interdisziplinär Entsprechendes zu erreichen. Ich hoffe, dass der Vorschlag des Bürgermeisters, die vorschulische Bildung in den drei Institutionen zusammenzubekommen, gelingt. Dringend nötig wäre eine Qualifizierungsoffensive für Erzieherinnen, weil wir ohne qualifiziertes Personal gar nichts erreichen können. So können wir nicht die kinderfreundlichste Stadt werden. Sie haben eben viele Maßstäbe gesetzt, Herr Bürgermeister; ich würde fast salopp sagen, den Mund sehr, sehr voll genommen. Wir werden Sie daran messen müssen.

Bei der Schulpolitik fehlen die Bildungsziele, messen und testen alleine wird es nicht richten. So sieht – zumindest nach dem, was wir bisher lesen konnten – nach PISA kein Aufbruch aus. Die meisten Projekte sind vage formuliert. Konfliktthemen – Lehrerarbeitszeit, integrative Regelklassen und wie die Grundschule weiter organisiert werden soll – kommen erst gar nicht vor.

Einen kleinen Fehler haben Sie gemacht, Herr von Beust. Das Schulprogramm ist sehr wichtig,

(Beifall bei Hans-Christoff Dees SPD)

allerdings war Hamburg das erste Bundesland, das ein großes Schulprogramm aufgelegt hat. Alle Schulen Hamburgs mussten ein Schulprogramm ablegen, aber es ist jetzt dringend nötig, dass es evaluiert und geguckt wird, wie es weiterentwickelt wird. Aber es ist nicht so, dass wir es erst neu beginnen müssen.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Wir begrüßen natürlich die Autonomiebestrebungen, die im Programm stehen. Das ist absolut zu unterstützen, beispielsweise die Schulinspektion. Wir freuen uns über die nicht feindliche Übernahme des Bildungsjahres Fünf Plus, das da in anderen Worten steht, und wir sind natürlich sehr gespannt, welche Schoko-Eier die Schulsenatorin für uns nach Ostern bereithält. Ich wünsche mir von ihr mehr Mut, konsequent zu sein und die Durchlässigkeit der Bildungsgänge nicht nur auf dem Papier, sondern auch in Wirklichkeit zu ändern. Das scheint aber nicht der Fall zu sein, denn wenn man Hauptschule stärken will, dann macht man einen Rollback entgegen aller Untersuchungen. Man wird nicht durch mehr Attraktivität der Hauptschule die Abbrecherrate reduzieren. Da sind Sie ideologisch CDU-mäßig eingebunden. Das ist ein Beharrungsvermögen, wo alles dagegen spricht, unter anderem die Evaluation der integrierten Haupt- und Realschule.

Unser grünes Ziel, das wissen Sie, unser grüner Weg heißt "Neun macht klug". Es geht um Schule, die jedes Kind individuell und gemeinsam unterstützt, die nicht sortiert, sondern die optimale Leistung aus jedem Kind herauslockt. Der international erwiesene Vorteil leistungsheterogener Gruppen muss genutzt werden. Es wird sonst weiter zu viele Abbrecher und zu wenig Abiturienten geben. Aber ich bin skeptisch, die CDU wird schon

dafür sorgen, dass die heilige Kuh Gymnasium nicht angetastet wird.

Die Berufsschulen sind genannt worden. Es ist interessant, Herr Bürgermeister, dass Sie von lebensbegleitendem Lernen sprechen, innerhalb des Programms aber kein Satz zur Weiterbildung steht. Man muss sehen, was das für ein Widerspruch ist.

(Beifall bei der GAL und bei Gesine Dräger SPD)

Zum Schluss. Sie haben sich viel vorgenommen. Sie wollen, Herr Bürgermeister, eine wachsende Stadt gestalten. Wir sind der Meinung, dass vieles, was wachsen müsste, nicht oder viel zu kurz in Ihrer Rede vorkommt. Wir Grünen haben eine andere Vorstellung von Wachstum, das zusätzlich sein muss. Wir wollen ein Wachstum, eine Lebensqualität für alle Hamburger. Wir wollen ein Wachstum an Gerechtigkeit und vor allen Dingen ein Wachstum der Beteiligung, ein Wachstum der Demokratie. – Danke.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD – Dr. Willfried Maier GAL: Ich habe gehört, dass das Wachstum bei 1,85 Metern aufhört!)

Das Wort erhält Herr Egloff.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute vom Bürgermeister und auch von Herrn Reinert ausführlich gehört, dass der Senat das Leitbild "Metropole Hamburg – Wachsende Stadt" verwirklichen soll oder will.

Hamburg, so heißt es im Regierungsprogramm, soll eine wachsende und pulsierende Metropole mit internationaler Ausstrahlung werden, die Bekanntheit soll gesteigert werden, Unternehmen und qualifizierte Menschen sollen in die Stadt geholt werden.

Das, meine Damen und Herren, ist in Ordnung.

(Bernd Reinert CDU: Genau!)

Aber wir dürfen nicht die Menschen vergessen, die in dieser Stadt schon leben, und wir dürfen nicht nur auf Glanz und Glamour setzen. Wir haben die Befürchtung, dass dieser Senat das im Übermaß tut, wie wir das in den letzten zwei Jahren betrachten konnten. Aber wir müssen auch mit dem Problem dieser Stadt fertig werden, wenn wir eine Spaltung der Stadt verhindern wollen.

(Beifall bei der SPD und bei Nebahat Güçlü GAL)

Es genügt nicht, "Bambi" und World Award nach Hamburg zu holen, wenn wir gleichzeitig jede Menge Stadtteile mit 20 Prozent Arbeitslosigkeit haben und in denen Menschen in der dritten Generation von Sozialhilfe leben. Es darf nicht sein, meine Damen und Herren, dass die Probleme dieser Stadt in bestimmten Teilen abgeladen werden und der Rest der Stadt daneben steht und zuguckt.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Die bisherige Politik dieses Senats – der Bürgermeister hat ja nicht erst mit der Wahl am 29. Februar angefangen, sondern er hat bereits zweieinhalb Jahre Geschichte hinter sich –, was das Thema Stadtentwicklung angeht, gibt leider Anlass zur Sorge. Es gab unter der Regierung

von Herrn von Beust in den letzten zweieinhalb Jahren keine soziale Stadtentwicklungspolitik,

(Beifall bei der SPD)

weil sich niemand dafür verantwortlich fühlte.

(Petra Brinkmann SPD: So ist es!)

Herr Uldall hat gesagt, das sei nicht mehr sein Bereich, das über ABM zu finanzieren. Da hat er vielleicht sogar Recht. Aber Herr Mettbach hat gesagt, er habe kein Geld dafür, und das Ergebnis war, es ist nicht passiert und die Spaltung dieser Stadt ist vorangetrieben worden.

(Beifall bei der SPD)

Zum Thema Wohnungspolitik. Man liest, eine kinderfreundliche und familiengerechte Wohnungspolitik soll gemacht werden. Aber – das ist hier schon mehrfach gesagt worden – Sie treffen keine konkrete Aussage zum Beispiel zum sozialen Wohnungsbau. Wie viele Sozialwohnungen wollen Sie in dieser Stadt bauen? Das möchten wir wissen, meine Damen und Herren. Wollen Sie einen öffentlichen Sektor im Bereich der Wohnungsversorgung erhalten? Wollen Sie, dass dieser Bereich bei den Mieten preisregulierend wirkt, oder wollen Sie das dem freien Spiel der Kräfte überlassen? Wir Sozialdemokraten wollen dieses nicht.