Protokoll der Sitzung vom 19.01.2005

Beginn: 15.01 Uhr

Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.

Ich darf zunächst ein neues Mitglied in unserer Mitte begrüßen. Nach Mitteilung des Landeswahlleiters ist Herr Dietrich Hoth durch das Ausscheiden von Herrn Henning Tants auf der Liste der CDU nachgerückt. Herr Hoth, ich begrüße Sie in unserer Mitte und wünsche Ihnen viel Freude an der neuen Aufgabe.

(Beifall bei der CDU)

Abweichend von der Empfehlung des Ältestenrats haben die Fraktionen vereinbart, dass Punkt 40 der Tagesordnung nun doch nicht vertagt werden soll. Es handelt sich um die Drucksache 18/1546, Beschränkung der Maschinenschifffahrt auf der Alster. Hingegen soll Tagesordnungspunkt 2, die Wahl eines Mitglieds des Hamburgischen Verfassungsgerichts auf die nächste Sitzung am 2. Februar vertagt werden. Außerdem sind die Fraktionen übereingekommen, dass die Tagesordnung um zwei weitere Punkte ergänzt werden soll. Dabei handelt es sich zum einen um die Drucksache 18/1586, den SPDAntrag zur Überweisung der Drucksache 18/1110 mitberatend an den Rechtsausschuss, und zum anderen um die Drucksache 18/1587, Hamburg hilft den von der Flutkatastrophe betroffenen Ländern und Regionen. Diese Drucksachen wurden als Tagesordnungspunkte 46 und 47 nachträglich in die Tagesordnung aufgenommen.

Wir kommen sodann zur

Aktuellen Stunde

Dazu sind drei Themen angemeldet worden, und zwar von der CDU-Fraktion

Hamburg hilft

von der SPD-Fraktion

Senat spart sich Familienpolitik – Eltern zahlen drauf

und von der GAL-Fraktion

Volksverdummung statt Bildungsoffensive: Der Senat wickelt die Volkshochschule ab

Ich rufe zunächst das erste Thema auf. Das Wort hat der Abgeordnete Nieting.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vor erst 25 Tagen, am zweiten Weihnachtstag, ein Tag, den die meisten von Ihnen wahrscheinlich im Kreise ihrer Familie zugebracht haben, erreichten uns erste Fernsehbilder von den Überschwemmungen in Südasien. Zunächst einmal zerstörte Häuser, überschwemmte Gebiete und die Rede war von einigen Toten. Angesichts dieser Bilder war man schockiert und betroffen. Das wahre Ausmaß der Katastrophe aber wurde erst nach und nach deutlich.

Ich selbst war an diesem Tage in Phitsanulok in Zentralthailand und dort machten mich Freunde auf die Nachrichten im thailändischen Fernsehen aufmerksam. Auch hier sprach man zunächst von einigen überschwemmten Gebieten sowie wahrscheinlich mehreren Toten in Indien, Sri Lanka, Indonesien und Thailand. Der Schock der Wahrheit erreichte uns alle hier in Hamburg ebenso wie in Südasien, erst als man einige Stunden später erkann

te, wie groß das Unglück wirklich war. Ganze Ortschaften sind verschwunden, tausende Häuser vernichtet. Man spricht inzwischen von 175 000 Toten und wahrscheinlich sind mehr als die Hälfte Kinder. Als wenn das Ganze nicht schon schlimm genug wäre, was gibt es Wertvolleres als ein Menschenleben, aber ein Kind, eine so junge, so unschuldige Seele, fast 100 000 Kinder unter den Opfern, welche Worte kann man finden, den Schmerz zu beschreiben, den diese Katastrophe verursacht hat.

Ich gebe zu, dass die Reaktion vieler Asiaten vor Ort mich überrascht hat, denn äußerlich war den meisten ihre Trauer und Betroffenheit gar nicht unmittelbar anzumerken. Und doch war sie da. Nur, in Fernost zeigt man seine Gefühle nicht öffentlich – weder im Positiven noch im Negativen. Trotzdem, die Trauer war überall, sie hatte das ganze Land schlagartig verändert. Das Unglück ließ die Gesichter der Menschen im so genannten Land des Lächelns erstarren.

Seit gut zwei Wochen bin ich wieder zurück in Hamburg und es tut gut zu sehen, wie die Menschen in Deutschland und die Bürgerinnen und Bürger in unserer Stadt Anteil nehmen und auf das Leid der Bevölkerung in Südasien reagieren. Es tut gut zu erleben, wie die Hamburger für viele, viele Hilfsprojekte und Organisationen spenden, zunächst um die unmittelbare Gefahr für die Überlebenden zu bekämpfen, insbesondere aber auch seit der Initiative des Bürgermeisters "Hamburg hilft" zusammen mit Verbänden und den Hamburger Medien für eine längerfristige Patenschaft zum Wiederaufbau Sri Lankas.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Es tut gut, auch zu sehen, wie in diesem Hause die politisch Verantwortlichen den plötzlich so kleinkariert scheinenden täglichen Streit beiseite lassen: Frau Goetsch mit Herrn Heinemann, Herr Neumann mit Herrn Senator Peiner oder Herr Ahlhaus und Herr Dr. Dressel, um in Asien gemeinsam zu helfen.

Heute wollen wir einen Antrag beschließen, um unsere Hilfe für Sri Lanka weiter zu verstärken. Zukünftig soll es so sein, dass die Namen von Spendern – Unternehmen, aber auch von Privatpersonen – im Internet veröffentlicht werden. Natürlich muss es auch weiterhin möglich sein, anonym zu spenden, wenn man dieses will. Aber die Veröffentlichung motiviert vielleicht den einen oder anderen, selbst noch einmal zu spenden. Ich würde mich freuen, wenn der Antrag heute nicht nur einstimmig angenommen wird, sondern wenn im Internet dann später auch der eine oder andere Name aus diesem Hause auftauchen würde.

Wir wissen alle, dass Hilfe für den Wiederaufbau in Südasien noch intensiver und vor allem noch sehr viel länger erfolgen muss. Wir bitten deshalb die Hamburger: Helfen Sie weiter, damit wir in Sri Lanka, unserem Patenland, zusammen mit anderen Städten in Norddeutschland den Familien neue Häuser, den Dörfern eine neue Infrastruktur, den Waisenkindern ein neues Zuhause, dem Land eine neue Zukunft und den Menschen vielleicht sogar irgendwann einmal wieder ein kleines Lächeln ermöglichen können.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Frank.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese gewaltige Naturkatastrophe in Asien, bei der mehr als 150 000 Menschen ihr Leben verloren haben – darunter sehr viele Kinder –, bei der Millionen von Menschen obdachlos geworden sind und tausende von Kindern ihre Eltern verloren haben, diese apokalyptisch anmutende Tragödie hat uns Menschen am zweiten Weihnachtstag noch einmal in beängstigender Weise daran erinnert, wie zerbrechlich unsere Erde und damit auch unser Leben in Wahrheit ist. Wir neigen dazu, das zu verdrängen. Eine zweite Erde steht uns nicht zur Verfügung. Diese schreckliche Naturgewalt hat die Menschen auf unserem Planeten auch zutiefst verunsichert in der Frage, ob der Mensch im Kräftemessen mit der Natur am Ende wirklich die Oberhand behalten wird.

Es geht nicht darum, Ängste vor der Natur zu erzeugen, sondern um einen respektvollen und furchtsamen – das ist etwas anderes – furchtsamen Umgang mit der Natur. Es sei das Mindeste, schreibt Michael Naumann, was wir uns abverlangen können. Ich sage: uns abverlangen müssen, meine Damen und Herren. Das ist für mich eine Botschaft dieser schrecklichen Ereignisse. Und der frühere Kulturminister und jetzige Herausgeber der "Zeit" fügt eine weitere hinzu. Ich darf einmal zitieren:

"Die Flutwelle hat die kümmerlichen sozialen und hygienischen Strukturen aller betroffenen Länder bloßgelegt – und zugleich den 'Westen' daran erinnert, dass in der unterentwickelten Welt täglich Zehntausende an Malaria, Aids und Unterernähung sterben, während wir über eine Praxisgebühr von 10 Euro verzweifeln. Wenn Not schon nicht mehr beten lehrt, so sollte sie uns doch verstehen lassen, dass Entwicklungshilfe auch ein Gebot der Nächstenliebe ist – so, wie gerade die Ärmsten unter den Opfern bereit waren, ihren Gästen aus Europa in der ärgsten Not zu helfen."

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich denke, meine Damen und Herren, dass dem nichts hinzugefügt werden muss.

Dann erleben wir in aller Welt – in Europa, in Deutschland und auch in Hamburg – eine menschliche Betroffenheit und eine Hilfsbereitschaft, die weit über das hinausgeht, was wir bisher erlebt haben. Die Menschen in dieser Welt sind angesichts dieser Katastrophe zusammengerückt. Nicht jeder hätte ihnen das vielleicht zugetraut. Es gibt viele andere Tragödien, die noch mehr Menschenleben vernichten oder schon vernichtet haben: das Erdbeben 1976 in China, die Aids-Katastrophe oder auch die Völkermorde in Afrika. Warum auch immer – die Naturkatastrophe in Asien und diese gewaltigen Zerstörungen mit vielen Toten, diesem Elend und den vielen betroffenen Kindern haben die Augen und Herzen der Menschen geöffnet. Wenn ich jetzt nur einmal auf Hamburg schauen darf – das sagt sehr viel Gutes über die Menschen in unserer Stadt aus. Hamburg hilft und das zeichnet unsere Stadt aus.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte sehr bald eine klare Vorstellung, wie Europa, wie Deutschland den Wiederaufbau in diesen betroffenen Staaten unterstützen sollte: dauerhaft und nachhaltig und im Wesentlichen über koordinierte Partnerschaften. Hilfe kennt keine Parteien, Hilfe kennt nur Hilfsbereitschaft und wirksame Maßnahmen.

Es zeichnet die Hamburgische Bürgerschaft aus, dass sie das relativ schnell eingefordert hat und dass sie sich mit diesem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen beteiligt. Dem Ersten Bürgermeister und dem Senat sei gedankt für das beherzte Zupacken und für die tatkräftige Organisation unserer Hilfsprogramme in Hamburg.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Gedankt sei vor allem auch denen in dieser Stadt, die spenden und sich engagieren, den vielen Menschen, ob Jung oder Alt, den Schulen, den vielen Unternehmen und Betrieben, den Organisationen wie zum Beispiel dem ASB, den Medien, dem "Hamburger Abendblatt", dem NDR, "Hamburg 1" und den vielen anderen Medienvertretern, die in dieser Stadt dabei sind, in enger Partnerschaft insbesondere mit Sri Lanka und für Sri Lanka Alltagshilfe und Wiederaufbauprojekte zu organisieren – wirksam, nachhaltig und vor allem und hoffentlich dauerhaft.

(Glocke)

Ich komme zum Schluss.

Ich bekam vor kurzem von einem siebenjährigen Jungen 5 Euro mit der Bitte, das Geld für die Flutopfer zu spenden, um zu helfen. Er kannte das Thema aus der Sendung "Logo", einer Art Kindertagesschau, aber auch in der Schule war das ein Thema. Das hat mich sehr berührt, denn es war ehrlich gemeint und kam richtig vom Herzen. Und "Hamburg hilft" kommt auch aus dem Herzen, meine Damen und Herren, und das ist großartig. – Schönen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Dr. Maier.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Seit dem 11. September 2001 hat vermutlich kein anderes Ereignis die Weltöffentlichkeit so stark berührt und erschüttert, wie dieses große Seebeben im Indischen Ozean. Die Erfahrung war allerdings in beiden Fällen eine völlig andere. In einem Fall erlebte die ganze Welt per Fernsehen fast zur selben Zeit mit, wie die Flugzeuge in die beiden Tower flogen. Heute baut sich eine Erfahrung erst langsam auf. Wir leben weit weg und haben erst sehr allmählich die Dimension dieser Katastrophe um den Indischen Ozean herum erfahren.

Obwohl sich diese Erschütterung langsam aufbaute, ist es außerordentlich bemerkenswert, dass in Deutschland spontan ungefähr 350 Millionen Euro an Spenden gesammelt wurden. Diese Summe liegt sogar noch etwas höher, als sie angesichts der großen Elbflut in Deutschland zustande gekommen ist. Nach meiner Wahrnehmung ist es das erste Mal, dass ein uns in diesem Ausmaß nicht selber betreffendes Unglück, sondern Menschen an einer anderen Stelle des Globus, eine solche Bereitschaft zur Solidarität und zur Hilfe auslöste. Es ist ein ausgesprochen glückliches Zeichen, dass es nicht nur Nächstenliebe im eigenen Kreis, sondern auch so etwas wie "Fernstenliebe" wie in diesem Falle gibt.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Man wird allerdings zugeben müssen, dass die "Fernstenliebe" dadurch stark beflügelt wurde, dass die dort betroffenen Landesteile zu einem Teil westeuropäische Urlaubsgebiete sind. Viele Urlauber haben diese

Strände persönlich kennen gelernt und fühlen sich dadurch ein bisschen mit dem Land verbunden. Ein weiterer Grund für die hohe Spendenbereitschaft war sicher auch, dass eine hohe Anzahl deutscher Opfer zu beklagen ist.

Bemerkenswert bleibt es trotzdem. Uns erschüttern offenbar Morde wie in Ruanda deutlich weniger, wo im Zeichen eines Bürgerkriegs eine Million Menschen umgebracht wurden von Menschen, die andere Menschen in Stammeskriegen umgebracht haben. Wir sind dort weniger berührt als von einer solchen Naturkatastrophe, wie sie hier ihre Opfer gefordert hat.

Angemessen ist das nicht. Dahinter verbirgt sich sogar eine gewisse Gefahr. Heute gab es im "Hamburger Abendblatt" eine große Seite, auf der die TheodizeeFrage aufgeworfen wurde, also die Frage, wie angesichts solcher Ereignisse Gott zu rechtfertigen ist. Ich halte das angesichts des Unglücks für keine sinnvolle Fragestellung. Es wäre sehr viel vernünftiger zu sagen, die Erde ist noch in der Evolution, sie ist zerbrechlich, wir leben in riskanten Situationen. Denn wenn wir die TheodizeeFrage aufrufen – die Frage, es gibt doch den gerechten Gott, den Allmächtigen, und wieso passiert das –, dann ist die naheliegende Antwort: Weil die Menschen sündig sind. Dann kann das passieren, was im Anblick des portugiesischen großen Seebebens im Jahre 1755 geschehen ist und was Voltaire damals beklagt hat: Die Priester der Universität Cambrai und die Professoren hatten den Eindruck, man kann dieser Sünde nur begegnen, indem man Buße tut und die Sünder bestraft. Dann haben sie ein Autodafé eingerichtet und einige Sünder verbrannt. Das heißt, es besteht immer eine Gefahr, wenn man eine zu weit gespannte Legitimation sucht und nicht nüchtern bleibt und nicht sagt, es ist ein Bestandteil der Erdevolution. Wir reagieren nüchtern und aus vollem Herzen, indem wir gemeinsam helfen, und die Idee, dieses über eine Partnerschaft zu tun, ist vernünftig. Wir haben bei anderen Entwicklungshilfeprojekten Ähnliches erfahren. Bald wird sich die unmittelbare Erschütterung gelegt haben und auch die Spendenbereitschaft wird nicht mehr so groß sein. Es wird aber nötig sein, über Wiederaufbauprojekte, die wir uns konkret aussuchen müssen, konkret und ständig zu berichten und daran dann darzustellen, was wirklich hilft. Dabei wird sich die Wiederaufbauhilfe in allgemeine Entwicklungshilfe einfügen müssen. Das ist auch ein sinnvoller Schritt.

Wenn Hamburg sich daran beteiligt, ist das zu begrüßen. Dass wir diese Initiative übernehmen können, liegt auf der Hand. Wir haben ein paar Strukturen, die uns dabei helfen, sowohl in den Medien als auch in der öffentlichen Organisation.