Protokoll der Sitzung vom 21.04.2004

Machen wir uns doch einmal klar, dass zur Ausführung dieser Kita-Wunschliste mit den wesentlichen Schwerpunkten, die Hamburger Garantie der Betreuung von null bis 14 Jahren und die Ausweitung der Betreuungszeit von vier bis fünf auf fünf Stunden inklusive Mittagessen, nach Schätzung rund 70 bis 100 Millionen Euro nötig sind. Die Herkunft der Summe ist auch heute noch, bei Verabschiedung des Gesetzes, völlig unklar.

Dazu sollten wir auch erwähnen, dass dieses Gesetz nicht alle Kinder so mitnimmt, wie es für ein Bundesland mit Vorreiterrolle vernünftig und erforderlich wäre. Kinder von Arbeitslosen oder Sozialhilfeempfängern müssen bei den engen Kriterien der Kategorie „dringender sozialer und pädagogischer Bedarf“ um die Zuteilung eines Ganztagsplatzes fürchten. Schulkinder von nicht berufstätigen Eltern werden gar nur im Rahmen von verfügbaren Haushaltsmitteln Betreuung finden. Ob dieser Fall je eintritt, wage ich zu bezweifeln.

Aus diesem Grund ist es für Sie sicher verständlich, dass unsere Euphorie etwas gedämpft ist und nicht ganz so zum Vorschein kommt wie bei Ihnen. Unsere Euphorie wird auch dann erst so richtig zum Tragen kommen, wenn wir neben der Klärung der Detailfragen hier einen Finanzierungsplan vorliegen haben, der uns Einblick in die geplanten Einsparmaßnahmen gibt. Das ist nämlich das Entscheidende. Da stimme ich meinen Vorrednern zu. Die Art und Weise der Sparmaßnahmen wird nämlich zeigen, ob es der CDU wirklich ernst ist, nicht nur eine verlässliche Kinderbewahrungsanstalt zu schaffen, sondern die auch im Gesetz aufgeführten Qualitätsziele zu erreichen.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Die stehen da ja drin!)

Es steht alles drin, das ist richtig. Nur, wenn das Geld nicht da ist, hilft es uns auch nichts.

So würde beispielsweise eine Absenkung der Personalausstattung als Sparmaßnahme das neu geschaffene

Qualitätskuratorium von vornherein zum Scheitern verurteilen.

Meine Damen und Herren, noch ein Wort zur Krippenbetreuung: Der Senat hat seine Zusicherung gegeben, schnell und unbürokratisch ein Sofortprogramm für Härtefälle einzuleiten, bevor ab Januar 2006 die Krippenbetreuung durch dieses Gesetz einen Rechtsanspruch erhält. Das heißt, nach Verabschiedung dieses Gesetzes sollen den Eltern in Härtefällen Krippenplätze auch außerhalb des Gutscheinsystems zur Verfügung gestellt werden. Das ist erfreulich. Es zeigt, dass die CDU die Not der Eltern endlich erkannt hat. Nicht richtig ist es jedoch, wenn die Vergabe der Krippenplätze, wie es den Medien zu entnehmen war, bevorzugt bis ausschließlich an die Einrichtung der Vereinigung Hamburger Kindertagesstätten erfolgen soll. Ich sage dies extra an dieser Stelle ganz deutlich, denn es ist nicht nur eine Benachteiligung der anderen Kita-Träger, sondern es widerspricht ganz deutlich den im Gesetz festgesetzten Wahlmöglichkeiten.

Lassen Sie mich zusammenfassend feststellen: Das heute vorliegende Kinderbetreuungsgesetz ist ein erster Schritt in eine richtige Richtung, allerdings erst dann, wenn eine ausreichende und vor allen Dingen – und darauf liegt die Betonung – verträgliche Finanzierung vorliegt.

Die programmatische Arbeit, eine zukunftsfähige und finanziell tragbare Kinderbetreuung in Hamburg weiter zu entwickeln, ist damit jedoch bei weitem noch nicht vorbei. Dieser Aufgabe werden wir uns als GAL-Fraktion stellen und unter Einbeziehung des heute verabschiedeten Gesetzes einen Runden Tisch „Zukunft für Hamburgs Kinder“ ins Leben rufen.

Meine Damen und Herren der CDU! Es war einst zu hören, Sie wünschten sich, das Thema Kinderbetreuung vom Tisch zu bekommen. Jetzt habe ich von Ihnen gehört, Herr Weinberg, und da stimme ich Ihnen ganz exakt zu, das Thema werde noch nicht vom Tisch sein. Ich behaupte, dass wir jetzt erst recht und ganz tief in die Diskussion einsteigen werden und uns sicherlich an dieser Stelle zu diesem Thema hier noch öfter treffen werden.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort bekommt Senatorin Schnieber-Jastram.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Blömeke und Herr Böwer, nicht zwei Jahre und nicht fünf Jahre diskutieren wir das Thema Kindertagestätten in diesem Hause, sondern viel länger, mindestens 20 Jahre. Ich kann mich erinnern, schon als ich von 1986 bis 1994 Abgeordnete in diesem Hause war, war das gleiche Thema unter einer anderen Regierung eine Herzenssache von mir. Wenn wir ehrlich sind, ist es die ganze Zeit ein Thema, das vermutlich alle in unterschiedlichen Funktionen bedrückt hat, weil wir nie zu einem Ergebnis gekommen sind. Umso größer und um so schöner ist es, dass wir uns heute gemeinsam freuen können, weil wir wirklich einen entscheidenden Schritt vorangekommen sind. Die Neuregelung der Kindertagesbetreuung in Hamburg ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einer kinder- und familienfreundlichen Metropole. Wir schaffen

damit in der Tat, wie Herr Weinberg es gesagt hat, die Voraussetzung für die wachsende Stadt.

Hamburg setzt sich dazu mit diesem wirklich ehrgeizigen Vorhaben an die Spitze der deutschen Metropolen im Bereich der Kindertagesbetreuung. Wir werden das erste Bundesland mit einer derart umfassenden gesetzlichen Garantie auf Betreuung sein. Es ist eine wichtige Aussage für Eltern, dass Beruf und Kinderbetreuung vereinbar sind. Hamburg setzt also auf diesem Zukunftsfeld ganz neue Maßstäbe. Mehr als bisher werden Kinder im Mittelpunkt der Anstrengungen stehen. Es sollen mehr Kinder zu angemessenen Preisen betreut werden.

(Beifall bei der CDU)

Aber die Umsetzung der heute beschlossenen Verbesserungen wird nicht zum Nulltarif zu haben sein. Dessen sind wir uns bewusst, Sie sich alle offensichtlich auch – ich habe das ja mehrfach gehört –, es müssen alle Beteiligten ihren Teil zum Gelingen beitragen. Wenn ich sage „alle Beteiligten“, dann schließt das auch die Träger von Einrichtungen und die Eltern der Kinder, die schon betreut sind oder künftig betreut werden, ein.

In meiner Behörde habe ich den Auftrag erteilt, den KitaBereich gründlich auf Kostenstrukturen und deren Einflussgrößen zu durchleuchten, bevor dann die Verhandlungen mit den Trägern aufgenommen werden. Dabei gehe ich davon aus, dass im Mittelpunkt immer die bestmögliche Versorgung der Kinder stehen wird und stehen muss. Diese Versorgung wird zu angemessenen Preisen erfolgen. Erst nach den Verhandlungen können dann präzise Aussagen zum Umfang der Kosten gemacht werden. Meine Behörde wird auch dafür sorgen, dass ein funktionierendes Informationssystem eingerichtet wird, das mehr Transparenz in die Kindertagesbetreuung bringt. Wir werden unverzüglich damit beginnen, die Versorgungslage für die Hamburger Kinder zu verbessern. Seit dem 1. April dieses Jahres werden ja bereits KitaGutscheine für die drei- bis sechsjährigen Kinder berufstätiger Eltern ausgegeben. Für Schulkinder ist mit Beginn des neuen Schuljahres 2004/2005 bei Berufstätigkeit der Eltern eine Hortbetreuung sichergestellt. Meine Behörde wird ebenfalls dafür sorgen, dass schon vor dem In-KraftTreten des heute hier zur Diskussion stehenden Gesetzes für die Krippenkinder in den dringendsten Fällen so schnell wie möglich und so unbürokratisch wie möglich Abhilfe geschaffen wird, insbesondere dann, wenn Berufstätigkeit von Eltern bedroht ist, wenn eine Sozialhilfeempfängerin aus der Sozialhilfe endlich heraus kann oder wenn Berufstätigkeit in Gefahr ist, weil eben das Kind nicht betreut würde. Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist als vorrangiges Ziel des Senats definiert.

Vor dem Hintergrund der hohen Kosten, die mit dem Gutscheinsystem verbunden sind, kann zunächst nur eine vorläufige Regelung außerhalb des Gutscheinsystems erfolgen, die das Wahlrecht der Eltern berührt und eine besondere Kostentragungsregelung enthält. Ab August dieses Jahres werden berufstätige Eltern einen Betreuungsplatz für ihre Kinder erhalten. Diese Plätze werden nicht nur in Tagespflegestellen, sondern, wenn die Eltern dies wünschen, auch in Krippen bereitgestellt. Das soll unbürokratisch – ich betone das ausdrücklich – außerhalb des Gutscheinsystems geschehen.

Ab dem 1. Januar 2005 wird dann die Ausweitung der Kinderbetreuung auf fünf Stunden mit Mittagessen erfol

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gen. Das wird insbesondere den zunächst halbtags beschäftigten Kindern …

(Heiterkeit)

… den halbtags beschäftigten Eltern – noch sind die Kinder ja nicht beschäftigt – zugute kommen.

(Dr. Willfried Maier GAL: So weit ist die wirtschaft- liche Entwicklung noch nicht gekommen!)

Ab August 2006, also mit Beginn des Kindertagestättenjahres, wird dann allen Berufstätigen der Kindertagestättenplatz durch Rechtsanspruch garantiert. Wir werden dann sehr viel mehr Kinder betreuen müssen, als dies zurzeit der Fall ist. Das wird nicht ohne eine Veränderung der Rahmenbedingungen gehen, die sich auch in jeder einzelnen Kindertagesstätte bemerkbar macht. Wir können und wollen keinen Bereich ausnehmen, weil wir mehr Kinder betreuen wollen.

Lassen Sie mich noch einige kurze Worte zu den übrigen Veränderungen sagen, die dieses Gesetz mit sich bringt. Ich sage nur Stichworte: Ärztliche Vorsorgeuntersuchungen sind gesetzlich geregelt, Sprachförderung, Gesundheitsförderung, Qualifizierungskuratorium und schließlich die Mitwirkungsmöglichkeiten ähnlich wie an Schulen. Das sind Bereiche, die wichtig sind.

Um die Frage der Finanzierung präzise und auf Grundlage gesicherter Daten beantworten zu können, brauchen wir etwas Zeit. Ich habe meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gebeten, in den kommenden sechs Wochen alle Aspekte gründlich zu durchforsten, um anschließend in die Gespräche mit den Trägern zu gehen. Diese Zeit brauchen wir, um wirklich alle Stellschrauben in System beleuchtet zu haben und zu gesicherten Aussagen zu kommen. Die Aufgabe ist überaus anspruchsvoll, aber das Ziel ist klar: Die Hamburger Familien müssen künftig sicher sein können, dass Beruf und Kinderbetreuung – und noch einmal, ich bin froh, dass wir uns da einig sind – vereinbar sind. Dazu müssen alle ihren Teil beitragen. – Danke.

Das Wort bekommt der Abgeordnete Neumann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen, meine Herren! Die Volksinitiative hat es geschafft: Das Kita-Chaos ist hoffentlich beendet. Zumindest werden heute hier von uns die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen. Hamburgs Familien können aufleben. Es wird diesen Rechtsanspruch auf fünf Stunden und das Mittagessen endlich geben. Damit wird Hamburg, unsere Stadt, zum Vorreiter in Sachen Kinderbetreuung in unserem Land, in unserer Republik, in Deutschland. Vorbei sind damit die Zeiten, in denen sich Eltern eben zwischen Familie und Beruf entscheiden mussten, vorbei auch die Zeiten des Bangens, ob es einen Kita-Platz geben werde oder eben nicht. Dies ist ein großer Erfolg für Hamburgs Familien und damit auch für die Lebensqualität in unserer Stadt.

(Beifall bei der SPD)

Es ist aber neben dem sehr konkreten Thema der Kindertagesbetreuung auch ein fantastischer Sieg für die Demokratie und für das Modell der Volksgesetzgebung. Das Volk hat sich durchgesetzt.

(Beifall bei der SPD)

Noch bevor der Volksentscheid zur Abstimmung stand, hat sich ein Umdenken im Senat ereignet. Ich weiß nicht, wie ich es formulieren soll. Im Ergebnis ist es auf jeden Fall richtig gewesen. Es lohnt sich offensichtlich, in der Hauptstadt der Volksinitiativen und Bürgerbegehren – in Hamburg nämlich – für seine Anliegen offensiv zu streiten. Die Hamburger haben das Thema Kinderbetreuung vor über anderthalb Jahren auf die Tagesordnung gesetzt und sind jetzt endlich damit erfolgreich gewesen. Tausende freiwilliger Helfer – Thomas Böwer hat das angesprochen – warben in allen Stadtteilen für die Volksinitiative „Mehr Zeit für Kinder“. Jede einzelne Unterschrift, jeder Infostand und jede Veranstaltung hat zu diesem großartigen Erfolg heute beigetragen.

Wenn Bürger so deutlich ihre Meinung sagen, wenn 170 000 Menschen sagen, was sie wollen, dann sind wir Politiker in der Pflicht. Das hat auch der Bürgermeister – wenn auch spät – erkannt. Er hat dann in der Pressekonferenz schlicht gesagt, er wolle das Thema vom Tisch haben. Es ist mehr, als das Thema vom Tisch zu haben. Ich finde es auch schade, dass er heute keine Zeit findet, bei diesem vielleicht auch historischen Beschluss anwesend zu sein.

(Beifall bei der SPD)

Mit dem Ergebnis der Gespräche zwischen Initiatoren, zwischen Sozialdemokraten und dem Senat können wir gemeinsam zufrieden sein. Nun ist es Aufgabe des Senates, es auch wirklich umzusetzen. Ein Journalist der „Welt“ hat ja schon zu bedenken gegeben, ob das gelingen werde. Wird es gelingen, dieses Gesetz auch wirklich erfolgreich umzusetzen? Darauf kommt es jetzt an.

Vom Ziel einer besseren Kinderbetreuung hat es keine Abstriche gegeben. Heute steht ein Gesetz zur Entscheidung, das von einer breiten Mehrheit getragen wird. Trotz der Kritik, die zum Teil angesprochen worden ist – das ist auch richtig –, werden wir es heute einstimmig mit der Mehrheit der Hamburger und auch der Bürgerschaft beschließen. Auch ich als Vater eines Kindes im Krippenalter freue mich darüber – meine Frau zugegebenermaßen noch mehr als ich –, dass auch das Thema Krippenplätze sofort und unbürokratisch angegangen werden soll.

Ich denke aber, der Erfolg der Volksinitiative sollte dem Senat auch ein Warnsignal sein. Die Bürger werden sich weiter einmischen und den Willen der Bürger sollte der Senat ernst nehmen. Das gilt auch im Hinblick auf das bereits abgestimmte Volksbegehren, nämlich das zum Verkauf beziehungsweise Nicht-Verkauf unserer Hamburger Krankenhäuser. Es steht fest: Bürger werden sich diese Rechte nicht mehr nehmen lassen. Der Versuch, die Volksgesetzgebung zu verändern, sie einzuschränken, wird nicht erfolgreich sein. Deshalb appelliere ich an den Senat und auch an die Mehrheit des Hauses: Lassen Sie Ihre Finger von der Volksgesetzgebung. Es ist eine Hamburger Erfolgsgeschichte.

(Beifall bei der SPD und bei Farid Müller und Nebahat Güçlü, beide GAL)

Die heutige Entscheidung für eine bessere Kinderbetreuung wird Geld kosten. Das ist kein leichter Schritt. Dennoch ist er richtig, denn Kinder sind unsere Zukunft. Gerade deshalb müssen wir hier wesentlich stärker als bisher investieren. Wir Sozialdemokraten wollen Hamburg zur familien- und kinderfreundlichen Stadt machen. Die Hamburger Garantie auf einen Kindergartenplatz ist der erste und wohl wichtigste Schritt in diese Richtung. Es

müssen aber weitere folgen. Dafür werden wir als Sozialdemokraten in unserer Stadt mit den Menschen unserer Stadt auch sorgen, als konstruktive, aber eben auch als gestaltende Opposition. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Dr. Maier.

Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren! Diese Entscheidung heute hier ist eine Sieg des Volks von Hamburg. So hätte es unser Altabgeordneter Martin Schmidt genannt. Tatsächlich ist es ein Erfolg der Leute, die unterschrieben haben, die das Volksbegehren betrieben haben. In der Sache ist es richtig, die GAL-Fraktion stimmt zu.

Gleichzeitig ist völlig unklar, wie dieser Erfolg bezahlt werden soll. Deswegen haben wir Haushaltspolitiker in der Fraktion gesagt: Es verstößt gegen unsere Berufsehre, etwas zu beschließen, von dem wir nicht wissen, woher das Geld kommen soll. Darum stimmen wir zwar nicht dagegen, aber wir enthalten uns.

(Wolfhard Ploog CDU: Ganz klug!)

Ja. Ich will genau deswegen Handlungsfreiheit haben.

(Wolfhard Ploog CDU: Die kriegen Sie so nicht zu- rück!)