Protokoll der Sitzung vom 09.11.2005

(Klaus-Peter Hesse CDU: Da sind wir ja zusam- men!)

Auch hierzu wurden im Sonderausschuss konkrete Vorschläge gemacht, nur Frau Schnieber-Jastram scheint den Handlungsbedarf bisher nicht zu sehen.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Warten Sie ab, bis wir die Senatsanhörung haben!)

Wir fordern noch ein Weiteres, was Herr Kienscherf schon angesprochen hat. Wir sagen, die verbindlichen U-Untersuchungen sind eine wesentliche Möglichkeit, um zukünftig Merkmale von Vernachlässigung und Misshandlung zu erkennen. Deswegen wollen wir dieses Instrument gemeinsam mit Ihnen schaffen, auch wenn uns nicht klar ist, warum Sie das nicht wollen. Für uns Oppositionelle darf nach dem Erkennen nicht Schluss sein. Deswegen fordern wir in Hamburg außerdem die Anwendung eines Projekts wie "Fangnetz" in Amsterdam, das nach einer erfolgten oder auch nach einer nicht erfolgten Untersuchung, weil die Eltern mit den Kindern nicht gekommen sind, nachhakt und versucht, mit positiven Angeboten in die Familien zu gehen.

Nun können Sie sagen, das finde ich berechtigt, die GAL hat alles in allem praktikable Vorschläge gemacht, dem würde ich zustimmen. Ich möchte Sie aber in der Hoffnung, dass die Senatorin zu diesem Thema hier gleich reden wird, bitten, sich bei der Rede der Senatorin ein paar Fragen zu stellen. Ich möchte Sie bitten, sich zu fragen, was sagt Frau Schnieber-Jastram zu den wesent

lichen Aufgaben, die ich beschrieben habe, der Verbesserung der Vernetzung der Zusammenarbeit.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Haben Sie nicht zuge- hört? – Karl-Heinz Warnholz CDU: Wozu gibt es Kleine Anfragen?)

Was sagt Sie zur Verbindlichkeit im Umgang mit erkannten Vernachlässigungen und Misshandlungen und vor allem, welche Erkenntnisse zieht die Senatorin aus dem existierenden Stückwerk Kindeswohl? Welche strukturellen Änderungen will die Senatorin vornehmen, um der Lage endlich Herr zu werden?

Um meine Gedanken noch an ein paar Beispielen deutlich zu machen: Prüfen Sie einfach mal, ob Sie wirklich davon überzeugt sind, dass diese Frau die so drängenden Probleme angehen und lösen wird, wenn im Senatskonzept mit dem schönen Namen "Hamburg schützt seine Kinder" das so drängende Problem der Unterbesetzung der Allgemeinen Sozialen Dienste noch nicht einmal mit der Besetzung aller vorgesehenen Planstellen beantwortet wird,

(Beifall bei der GAL)

gleichzeitig aber dieser ASD nach Auskunft desselben Senats in dem eigenen Senatskonzept das Kernstück der zukünftigen Vernetzung aller Beteiligten darstellen soll. Ich halte das schlicht und einfach für fahrlässig, das so zu machen.

Die Frage ist aber auch: Glauben Sie, dass diese Frau die so drängenden Probleme angehen und lösen wird, wenn das Problem, dass die wichtigen Informationen innerhalb der Verwaltung unserer Stadt nicht von einem Amtszimmer ins nächste kommen, damit beantwortet wird, dass man, wie mit dem Konzept Elternakte vorgelegt, Akten länger aufbewahrt und sie nicht besser weitergibt? Die Frage, wie die Informationen, bei welcher Familie eigentlich Handlungsbedarf besteht, von einem Amtszimmer ins nächste kommen soll, ist von Ihnen nicht beantwortet worden und das ist wirklich fahrlässig. Das ist eine dringende Aufgabe, die sofort gelöst werden müsste.

Glauben Sie, dass diese Senatorin die Probleme lösen wird, wenn man den Senat auf Modellprojekte anspricht, wie zum Beispiel das bestehende Bundesmodellprojekt in Magdeburg, und der Senat dann darauf antwortet, das, was in anderen Städten passiere, sei grundsätzlich auch nicht besser als das, was in Hamburg passiere und deswegen auch nicht besonders interessant.

Ich möchte Sie bitten: Stellen Sie sich diese Fragen, wenn Frau Schnieber-Jastram gleich redet und prüfen Sie für sich, ob Sie glauben, dass sie in der Lage ist, diese Probleme zu lösen. – Danke sehr.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort erhält die Bürgermeisterin Schnieber-Jastram.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Sarrazin, einfach zuhören oder manchmal lesen, denn in der vorliegenden Senatsdrucksache "Hamburg schützt seine Kinder" hat der Senat die Maßnahmen zusammengestellt, die er nach dem Tod der kleinen Jessica beschlossen hat, im Grunde natürlich auch nach den langen Anhörungen, nach den langen Diskussionen im zuständi

gen Sonderausschuss, eine Gefährdung des Kindeswohls so frühzeitig zu erkennen wie irgend möglich, so frühzeitig notwendige Hilfen bereitzustellen wie irgend möglich und solche Vernachlässigung wie wir sie in Wilhelmsburg erlebt haben, möglichst zu vermeiden. Das ist unser aller und eine gemeinsame Aufgabe.

(Beifall bei der CDU)

Dass dieses Thema so breit wahrgenommen wird in der Stadt, dass es inzwischen die Bürger in der Stadt umtreibt, wird, glaube ich, zumindest daran sehr, sehr deutlich, dass die Zahl der Hinweise steigt. Wir haben es schon nach dem Fall von Jessica sehr deutlich gemerkt. Es bleibt nicht aus, dass mehr Fälle bekannt werden und dass die Behörden dann dadurch auch in die Lage kommen, zu intervenieren. So unerfreulich diese Fälle jeweils sind, so gut ist es doch, dass sie erkannt werden, und zwar möglichst frühzeitig.

Bei allen Diskussionen um die jüngsten Fälle lassen Sie mich noch einmal darauf hinweisen, dass es ein Irrglaube wäre zu meinen, der Staat sei in der Lage, jede Vernachlässigung von Kindern zu verhindern. Das wissen Sie auch ganz genau. Sie kennen die Verhältnisse doch auch. Dem ist nicht so. Dem ist auch nicht so, wenn Sie ständig den Eindruck erwecken wollen. Es wird dadurch nicht anders. Das Erziehungsrecht der Eltern genießt verfassungsrechtlichen Schutz und in dieses Recht – ich wiederhole es noch einmal – kann der Staat nur eingreifen, wenn er sicher ist und wenn er auch beweisen kann, dass die Eltern ihre Pflichten verletzen.

(Zurufe von der GAL – Doris Mandel SPD: Dann muss mal einer gucken gehen!)

Ich sage das vor dem Hintergrund, dass die Opposition dem Senat und auch mir persönlich vorgeworfen hat, wir seien bei Kindeswohlgefährdung nur reaktiv tätig und würden den Gedanken der Prävention vernachlässigen.

(Dirk Kienscherf SPD: Ist ja auch so!)

Noch einmal: Die geschlossene Tür einer Familie dürfen wir nicht aufbrechen, es sei denn, es liegt ein großer Verdacht vor.

(Dirk Kienscherf SPD: Aber wenn schon zwei Kin- der herausgenommen worden sind?)

Ich finde es wirklich maßlos, dass Sie glauben, Sie würden schon im Vorfeld immer genau wissen, was los ist. Dann empfehle ich Ihnen: Gehen Sie durch die Stadt und kleben Sie den Leuten etwas auf die Stirn, damit wir es auch erkennen.

(Beifall bei der CDU)

Unser Kinder- und Jugendhilferecht ist bezogen auf die Tätigkeit der Jugendämter in geradezu klassischer Weise reaktiv gestaltet.

Erstens: Erst wenn eine Rechtsgutverletzung vorliegt oder eine ganz konkrete Gefahr für die Rechtsgutverletzung besteht, ist das Jugendamt befugt, zu intervenieren, dann ist das Jugendamt befugt, hoheitlich zu handeln.

Zweitens: Es wird immer übersehen, welche Anstrengungen gerade dieser Senat unternommen hat und noch unternimmt, um die Erziehungskraft der Eltern zu stärken.

(Beifall bei der CDU)

A C

B D

Wir setzen hier wirklich ganz früh an, ob es HIPPYProjekte in Billstedt sind, ob es Wellcome-Projekte über die ganze Stadt verteilt sind, ob es Hebammen-Projekte im ganzen Stadtgebiet sind, die niedrig schwelligen präventiven Hilfen sind in einer Art und Weise ausgebaut, dass wir damit viele erreichen, nicht alle und das ist unser Problem.

Im Übrigen erlaube ich mir noch einmal den Hinweis, dass wir mit dem Modellversuch "Baby im Bezirk" eine Maßnahme ergreifen, die auch präventive Hilfe entfaltet. Im Bezirk Altona wird, sobald diese technischen Voraussetzungen geschaffen sind, im kommenden Jahr probehalber jede Geburt und jeder Zuzug eines kleinen Kindes an das Jugendamt übermittelt. Herr Sarrazin, Sie können dann gerne mal ein Praktikum im Bezirk machen. Dann werden Sie wissen, wie die Arbeit dort funktioniert und die Akten hin und her transportiert werden.

(Beifall bei der CDU)

Solch ein Verfahren gibt es übrigens bei keinem deutschen Jugendamt. Wir sind an dieser Stelle vorbildlich und das ist gut und wichtig.

Der zweite wichtige Punkt ist, dass jeder, der sich in Verwaltung etwas auskennt, weiß, dass die Aufbewahrungsfristen für bestimmte Jugendakten auf zehn Jahre verlängert werden. Auf diese Weise entsteht das, was man eine elektronische Elternakte nennt. Das heißt, die Informationen über Eltern, die schon einmal auffällig geworden sind, gehen nicht mehr verloren. Eine entsprechende Regelung in den Dienstvorschriften der Jugendämter ist jetzt ausgearbeitet. Sie geht in das formale Verfahren zur Inkraftsetzung.

Jetzt noch ein Wort zum ASD. Da gibt es immer wieder die Mär von dieser ganz schlechten Stellenausstattung. Ich weiß nicht, ob das in den letzten Legislaturperioden auch solch eine Rolle gespielt hat.

(Dirk Kienscherf SPD: Heute, heute!)

Aber ich darf Ihnen nur eine Zahl sagen: Im Jahre 2000: ASD-Stellenausstattung 213,58, im Jahre 2005: 250,38. Das ist die Situation und das ist der ASD heute.

(Beifall bei der CDU – Klaus-Peter Hesse CDU: Aber damals war ja alles besser!)

Wie kein Vorgängersenat hat dieser Senat Entlastungen für die Allgemeinen Sozialen Dienste geschaffen. Durch das FIT 25 Stellen, 20 weitere Stellen in 2004, 10 weitere Stellen in 2005. Da können Sie getrost aufhören, sich zu beklagen. So etwas haben Sie nicht zustande bekommen.

(Beifall bei der CDU)

In diesem Zusammenhang noch etwas Wichtiges, was es früher auch nie gegeben hat: Unsere Behörde hat eine exzellente Zusammenarbeit mit der hamburgischen Polizei. Ich glaube, ich kann mir zu Recht etwas darauf einbilden, dass ich die erste Sozialsenatorin in dieser Stadt war, die jemals ein Gespräch mit dem Polizeipräsidenten dieser Stadt hatte.

(Erhard Pumm SPD: Wie bitte? – Dr. Willfried Maier GAL: Mit diesem?)

Das klassisch schlechte Verhältnis zwischen Jugendbehörde und Innenbehörde ist aufgelöst. Es ist daraus ein konstruktiver, guter Dialog entstanden,

(Beifall bei der CDU)

der auch in diesem Fall wichtig ist, denn etliche nicht erkannte Fälle von Kindesvernachlässigung sind nur gemeinsam mit der Polizei zu bewältigen. Wir sind auf diese gute Kooperation angewiesen.

Ich finde es schon interessant, dass die SPD nicht möchte, dass die Bürger hier mitarbeiten.