Protocol of the Session on November 10, 2005

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Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, die Plätze einnehmen zu wollen.

Die Sitzung ist eröffnet.

Wir kommen gleich zur

Fragestunde

Die erste Frage stellt der Abgeordnete Müller.

In Hamburg sind die Infektionen vor allem von schwulen Männern mit dem Aidsvirus HIV und die Aidserkrankungen dramatisch gestiegen.

Erstens: Hat sich der Senat mit dieser dramatischen Situation befasst?

Zweitens: Mit welchen konkreten Maßnahmen will der Senat weiteren Neuinfektionen vorbeugen?

Herr Staatsrat Wersich.

Staatrat Dietrich Wersich: Herr Präsident, Herr Abgeordneter! Zunächst eine kurze Vorbemerkung. HIV und Aids ist weiterhin eine nicht heilbare Erkrankung, die zum Tode führt, und es ist richtig und wichtig, dass dieses immer wieder ins öffentliche Bewusstsein gebracht wird.

Zweitens: Jeder und jede Einzelne hat die Verantwortung für sich und die eigene Gesundheit. Für das individuelle Schutzverhalten müssen die Menschen selber Sorge tragen.

Drittens: Die Rolle von Staat und Politik besteht darin, diese Eigenverantwortung möglich zu machen, indem wir informieren, aufklären und Verhaltensempfehlungen geben. Diese Aufgabe nimmt Hamburg seit Anbeginn der Aidserkrankung sehr engagiert und mit sehr vielen Ressourcen wahr.

Dieses vorausgeschickt zu Ihren Fragen, Herr Abgeordneter.

Zu Erstens: Ein klares Ja und Nein. Ja insofern, als dass die zuständige Behörde sich tatsächlich ständig und der Senat anlassbezogen zum Beispiel im Rahmen der Beantwortung Kleiner Anfragen mit dem Thema befasst. Nein allerdings im Sinne des von Ihnen dargestellten Sachverhaltes, weil die Zahlen, die wir haben, die erstmalige Feststellung der Diagnose beinhaltet, aber nicht unbedingt gleichbedeutend ist mit einer erstmaligen Infektion in dem Jahr.

Es ist richtig, dass wir bundesweit 20 Prozent Zuwachszahlen im Halbjahresvergleich haben, auch in Hamburg, es ist allerdings auch richtig, dass in Hamburg die Quote der Ursachen derer, die durch Sex von Männern mit Männern Aids bekommen haben, rückläufig ist von 53 auf 43 Prozent. Dazu kommt, dass wir in diesem Jahr eine statistische Bereinigung und Umstellung haben, dass die Daten erst später erfasst werden und insofern noch nicht absehbar ist, ob das Ergebnis des ersten Halbjahres tatsächlich in einem längerfristigen Trend liegt.

Insofern sind wir der Auffassung, dass man diesen postulierten dramatischen Anstieg so nicht sehen kann. Auf der anderen Seite ist es aber und bleibt es wichtig, die Trends längerfristig zu beobachten, weiterführende Un

tersuchungen zu machen über die Ursachen und Kausalitäten und weiterhin zu betonen: Keine Entwarnung beim Thema HIV und Aids.

Zu Ihrer zweiten Frage verweise ich noch einmal auf die Rolle des Staates für Information, Aufklärung und Verhaltensempfehlung. Hier arbeiten wir zusammen mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Form von Kampagnen. In Hamburg sind wir intensiv tätig, angefangen bei den Schulen mit dem Bestandteil in den Lehrplänen zur Sexualerziehung und Aidsprävention. Wir haben im vergangenen Jahr auch mit dem Cinemaxx, den Jugendfilmtagen, und einem Theaterprojekt mehrere 1000 Schüler erreicht. Auch die allgemeine Sexualberatung, die die Behörde über verschiedene Träger anbietet, beinhaltet die Aidsprävention.

Darüber hinaus kümmern wir uns um besonders gefährdete Zielgruppen, so die Reisenden zum Beispiel, über das Bernhard-Nocht-Institut, über Messen wie "Du und Deine Welt" und die Reisemesse, die Migranten, die Drogensüchtigen mit Safer-use-Angeboten, die Prostituierten über die Zentrale Beratungsstelle, über BASIS e. V. und andere Freie Träger, im Bereich der schwulen Männer über Aidshilfe, "Hein & Fiete", HIDA und andere. Schließlich gibt es die Aidsberatung am BNI, den öffentlichen Gesundheitsdienst, und die Präventionsarbeit der Kirchen. Außerdem arbeiten wir zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendschutz, dem Arbeitsbereich Kinder und Aids.

In der Zukunft gilt es, die primärpräventiven Ansätze hier zu verstärken und passgenaue Lösungen zu entwickeln. Dazu gehört auch die Berücksichtigung ethnischer Unterschiede zum Beispiel bei Migranten durch mehrsprachige Informationen.

(Unruhe – Glocke)

Meine Damen und Herren, ich darf Sie herzlich bitten, die Wiedersehensfreude von gestern etwas zu dämpfen. – Fahren Sie bitte fort.

– Danke.

Dazu gehört aber auch weiterhin die Beachtung der ethnischen und kulturellen Unterschiede, was dazu führt, dass wir stärker auch Muttersprachler einsetzen müssen, um insbesondere Migrantenzielgruppen vor Ort zu erreichen. Die dazu notwendige Schulung von Multiplikatoren und Mediatoren läuft. Schließlich müssen wir das bestehende, eher traditionelle Aidshilfesystem mit der Arbeit für diese neuen Zielgruppen stärker verzahnen.

Dieses alles zusammen baut die staatliche Beratung "Prävention" aus. Ich möchte aber noch einmal betonen: Jeder Einzelne hat es selber in der Hand und ausschließlich er, durch sein Verhalten eine HIV-Infektion zu verhindern. Dieses kann der Staat direkt nicht tun.

(Bernd Reinert CDU: Stimmt!)

Herr Müller, Sie bekommen das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident.

Ich habe das jetzt so verstanden, dass der Senat die Zahlen für Hamburg relativieren möchte, was die Drama

tik betrifft, und möchte deswegen folgende Frage dazu stellen.

Wie erklärt der Senat sich, dass bei Neuinfektionen seit seinem Regierungsantritt eine Verdoppelung der Zahlen von 82 auf jetzt 166 in Hamburg zu vermelden ist und bei den Aidserkrankungen trotz der ganzen Therapieerfolge in Hamburg eine dramatische Steigerung von fast 70 Prozent von 92 auf – vom letzten Jahr – 138 zu vermelden ist? Wie erklärt sich der Senat vor diesem Hintergrund seine eigene Politik, die hier offensichtlich als gescheitert festgestellt werden muss, denn die Kürzungen liefen in diesem Zeitraum parallel?

Herr Staatsrat.

Zunächst habe ich die Zahlen nicht relativiert, sondern ich habe die Fakten in aller Nüchternheit dargestellt, weil das die Voraussetzung dafür ist, wirksame Hilfen zu geben.

Das Gleiche trifft auf die von Ihnen postulierten Behauptungen zu. Die Aidserkrankung als solche bricht in der Regel nach einer mehrjährigen HIV-Infektion aus. Dies ist ein medizinisch geprägter Verlauf, der nicht direkt von einem zum anderen Jahr geschieht und sozusagen durch staatliche Maßnahmen herbeigeführt wird.

Was die Einsparung angeht, sind Ihre Informationen oder der Zusammenhang aus meiner Sicht nicht belegbar, weil weder eine angekündigte Einsparung im Jahre 2006 rückwirkend in den vergangenen Jahren für eine Veränderung von HIV-Infektionen verantwortlich zu machen ist, noch ist es zutreffend, dass die Einsparung, von der Sie sprechen, dadurch umgesetzt worden ist, dass weniger Aidspräventionsarbeit in Hamburg gemacht wurde.

Eine Nachfrage der Abgeordneten Husen.

Herr Vorsitzender, Herr Senator, Entschuldigung, Herr Staatsrat! Herr Senator Dräger hatte aber in der Haushaltsdebatte – daher kommt auch der Versprecher, keine Angst, ich befördere normalerweise CDU-Abgeordnete nicht so schnell weiter – zur Gesundheit gesagt, dass er Schwerpunkte im Bereich HIV und Aids bei Frauen, Migrantinnen und Migranten setzen möchte.

Nun war von Ihnen gerade alleine die Aufzählung der Projekte, die es in dem Bereich schon lange gibt, zu hören. Mich würde interessieren, wie Sie die Kürzungen in dem Bereich mit den von Ihnen genannten Schwerpunktsetzungen tatsächlich realisieren wollen.

Herr Staatsrat.

In dem von Ihnen zitierten Bereich der Frauen und Migranten gibt es keine Kürzungen. Im Gegenteil. Dort gibt es bisher erst sehr wenig Ansätze der Arbeit. Ich habe dargestellt, dass es gerade die Herausforderung ist, das bestehende Hilfesystem auf diese neuen Zielgruppen auszurichten und die Arbeit von nebeneinanderher arbeitenden Organisationen hier besser zu verzahnen. Das ist Inhalt der Umstrukturierung in der Aidsarbeit, die wir bereits vornehmen.

Eine weitere Nachfrage der Abgeordneten Husen.

Habe ich es richtig verstanden, dass Sie über den Ausbau der Angebote, beispielsweise der Einrichtungen, die sich auf schwule Männer spezialisiert haben, in Zukunft vor allem Frauen und Migrantinnen mit erreichen wollen? Scheint Ihnen das sozusagen zielgruppensystematisch sinnvoll?

Herr Staatsrat.

Das haben Sie nicht richtig verstanden, nein.

(Beifall bei der CDU)

Eine Nachfrage der Abgeordneten Dr. Lappe.