Protokoll der Sitzung vom 07.12.2005

Wenn wir schon bei der Ehrlichkeit sind, können Sie heute auch mit noch so schönen Worten nicht vertuschen, dass Sie nur ein Ziel haben, nämlich einen wirklichen Konsens in der Frage der Hamburger Schulstruktur zu verhindern.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Quatsch!)

Sie wollen ihn aus zwei Gründen nicht und ich kann sie Ihnen ganz klar nennen. Zum einen gönnen Sie der CDURegierung natürlich einen solchen Erfolg nicht und zum anderen – und das ist Ihr Hauptproblem – wissen Sie, dass Ihre eigene Partei überhaupt nicht zu einem solchen Konsens fähig ist. Es gibt einige SPD-Abgeordnete, die die Einheitsschule wollen, und es gibt andere – das haben Sie auch ausgeführt –, die am gegliederten Schulsystem festhalten wollen. Irgendwo dazwischen pendeln ganz unverbindlich Sie, Frau Ernst, und versuchen, möglichst an keiner der beiden Ecken anzuschlagen. Auch das haben Sie heute wieder ganz toll unter Beweis gestellt.

(Michael Neumann SPD: Wenn Sie das nicht wol- len, dann hören Sie doch auf!)

Wie war es denn wirklich? Anfang November, die PISAErgebnisse lagen vor, haben die Bildungssenatorin und ich vorgeschlagen, die Struktur des Hamburger Schulsystems auf den Prüfstand zu stellen. Hintergrund ist in der Tat – das hat Frau Ernst gesagt –, dass wir ein Nebeneinander von verschiedenen Systemen haben. Als Konsequenz jahrzehntelanger ideologischer Grabenkriege, die wir darüber geführt haben, ob die Gesamtschule oder das dreigliedrige Schulsystem überlegen sei, haben wir mittlerweile alle festgestellt, dass dieses Nebeneinander zu massiven Nebenwirkungen geführt hat. Es ist unübersichtlich für Lehrer, Eltern, Schüler und manchmal auch für die Politik. Es führt zu Fehlsteuerungen und es führt dazu, dass man über pädagogische Maßnahmen nicht vor Ort entscheidet, sondern zentral, zum Beispiel, ob integriert wird oder nicht. Und PISA hat uns leider auch wieder bestätigt, dass das Nebeneinander von verschiedenen Systemen nicht so leistungsfähig ist wie ein klares System.

Die Senatorin und ich haben daher gemeinsam vorgeschlagen, nach einem Konsens zu suchen, um dieses Nebeneinander von Systemen zu beenden. Am ersten Tag waren die Reaktionen sehr positiv. Frau Goetsch hat gesagt, dies sei eine mutige Sache. Sie fände sie gut. Sie wollten mir sogar schreiben, das haben Sie bisher noch nicht gemacht. Ich vermute, dass die Politikerin Goetsch nach einem Tag Bedenkzeit gegen die Pädagogin Goetsch gesiegt hat. Die Pädagogin Goetsch hätte sich über einen Konsens gefreut, weil das in der Bildungspolitik ein Schritt nach vorne gewesen wäre. Sie hätte vielleicht sogar gedacht, das könnte ein Schritt zu einem noch weiteren Schritt in der Zukunft sein. Die Politikerin Goetsch hat aber natürlich gedacht, es ist für meine Klientel eigentlich viel besser, wenn sich erst einmal gar nichts ändert, denn für eine kleine Partei ist es wahltaktisch viel besser, pointierte Standpunkte zu vertreten, als sich auf irgendeinen Konsens einzulassen. Und Sie haben wahrscheinlich irgendwann sehr schnell bemerkt, dass es künftig nicht nur die Hauptschule nicht mehr geben würde, sondern auch die Gesamtschule nicht mehr, wenn wir den Weg in Richtung eines zweigliedrigen Schulsystems gehen würden.

Nun hatten die Senatorin und ich Ihnen nicht nur angeboten, generell über die Struktur zu reden und dort einen Konsens zu finden, sondern wir hatten Ihnen sogar angeboten zu sagen, wie wir gemeinsam und auf welchem Beratungswege wir zu diesem Konsens kommen. Jeder sollte sich bis zur Schulausschusssitzung am 29. November Gedanken machen und für sich die Karten legen und dann wollten wir gemeinsam besprechen, wie wir diesen Weg gehen wollen.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Parlamentarisch! Parla- mentarisch!)

Das ist ein faires und offenes Verfahren. Eine bessere Einbindung der Opposition kann man sich gar nicht mehr vorstellen. Wir haben Ihnen die Hand gereicht.

(Michael Neumann SPD: Lächerlich!)

Damit begannen für Sie die Probleme, denn Sie merkten schnell, dass unser Vorschlag gut ankam. Die TED-Umfrage nach der Sendung "Schalthoff live" ergab 92 Prozent Zustimmung. Von Professor Lehberger vom Landesschulbeirat gab es große Zustimmung und die Medien kommentierten unseren Vorschlag positiv. Sie konnten schlecht sagen, dass Sie gar keinen Konsens wollen. Was sollen wir also tun, fragten sich SPD und GAL.

(Wilfried Buss SPD: Sag' mal was zur Sache!)

Dann kam ein schlauer Mensch und sagte, wir machen eine Enquete-Kommission. Also, man nehme ein möglichst großes Bündel von Fragen, kombiniere es mit einer möglichst langen Zeitdauer, binde ja nicht die Gegenseite ein, um einen Konsens zu ermöglichen, und heraus kommt dann die perfekte Konsensverhinderungsmaschine. Sie haben wirklich ganze Arbeit geleistet. Neun verschiedene Themenfelder, einen Zeitraum bis Ende März 2007 und schon konnten Sie sicher sein, dass in dieser Legislaturperiode garantiert nichts mehr umgesetzt werden kann. Dazu, wie man die Themen bearbeiten und wen man dazu einladen will, haben Sie gesagt: Lieber gar keine großen Gedanken machen. Das wollten Sie lieber irgendwann noch einmal im Hinterzimmer besprechen,

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Im Parlament!)

aber nicht im Schulausschuss in offener und transparenter Debatte, denn dort würde man ja feststellen, dass Sie sich dazu noch keine Gedanken gemacht haben.

Ich will nicht missverstanden werden, ich habe überhaupt nichts gegen Enquete-Kommissionen. Eine EnqueteKommission ist dann sinnvoll, wenn grundsätzliche Fragen zu klären sind. Eine Enquete-Kommission zum Beispiel mit der Überschrift "Konsequenzen aus der PISAStudie" hätte in Hamburg vor vier Jahren Sinn gemacht. Ihre Abschlussbilanz nach 44 Jahren war so katastrophal,

(Michael Neumann SPD: Kalter Krieger!)

dass man das Hamburger Schulsystem komplett umkrempeln musste. Seit vier Jahren tun wir das und viele Punkte, die Sie nun in der Enquete-Kommission besprechen und klären wollen, sind längst erledigt oder erreichen in Kürze die Bürgerschaft. Ich nenne gern die Beispiele:

Verbesserung der berufsschulischen Angebote. Ihr Punkt 6 ist auf dem Wege.

(Michael Neumann SPD: Warum haben Sie vor vier Jahren nicht gesagt, dass Sie sich Verände- rungen vorstellen können?)

Die Verbesserung der Unterrichtsqualität und die selbstverantwortliche Schule: Ihr Punkt 7 ist auf dem Weg.

Das Gleiche betrifft die Sicherung der schulisch zu erwerbenden Kompetenzen, Ihr Punkt 8, Herr Neumann.

(Michael Neumann SPD: Sie haben nie Bereit- schaft gezeigt, über Strukturen zu reden!)

Wir haben vier Jahre daran gearbeitet.

Zu den Risikoschülern, Herr Neumann, die Sie in Ihrem Antrag immer hervorheben: Der Senat hat mit den Bildungsplänen für die Kitas und Vorschulen, die Einführung der Viereinhalbjährigenuntersuchung, die verpflichtende Sprachförderung, die Ganztagsschulen, die Praxistage, Hauptschulabschlussprüfungen – um nur einiges zu nennen – schon vieles umgesetzt und ein weiteres umfassendes Paket zu diesem Thema wird in Kürze vorgestellt.

Auch wenn es gelungen ist, mit all diesen Maßnahmen …

(Zuruf von Michael Neumann SPD)

Herr Neumann, reden Sie oder ich?

(Glocke)

Herr Neumann, halten Sie sich bitte zurück mit Ihren Äußerungen.

(Beifall bei der CDU)

Herr Heinemann hat jetzt das Wort und wenn Sie, Herr Neumann, das Wort wünschen, dann melden Sie sich bitte.

Es heißt ja Zwischenruf und nicht Zwischenrede.

(Zuruf von Michael Neumann SPD – Glocke)

Herr Neumann, das war deutlich mehr als ein Zwischenruf.

(Michael Neumann SPD: Was? – Gegenruf von Bernd Reinert CDU: Ihr Sauerkommentar zur Rede!)

Her Heinemann, bitte fahren Sie fort.

Uns ist es gelungen, mit diesen Maßnahmen, die ich gerade geschildert habe, die Abbrecherquote gerade bei den Hauptschülern deutlich zu senken. Trotzdem könnte ich mir angesichts der Bedeutung der Thematik Risikoschüler in der Tat vorstellen, dass wir genau dazu eine Enquete-Kommission einsetzen. Ja, das wäre richtig. Aber Rosemarie Raab, Ihre ehemalige Schulsenatorin, hat heute in der "taz" doch festgestellt, dass die Schulstruktur nur am Rande etwas mit dem Thema Risikoschüler zu tun hat.

Lassen Sie uns also von mir aus eine Enquete-Kommission zum Thema Risikoschüler einsetzen, aber bei der Schulstrukturdebatte brauchen wir einen runden Tisch der Betroffenen, denn die Argumente, Daten und Fakten – das haben Sie gerade selber wieder gesagt – liegen

schon seit langer Zeit auf dem Tisch. Jetzt geht es darum, Elternkammer, Lehrerkammer, Schülerkammer, Gewerkschaften, Landesschulbeirat, Fraktionen und auch die Bildungsbehörde an einen Tisch zu holen und dann zu gucken, ob wir den Kompromiss wollen oder nicht.

(Wilfried Buss SPD: Sind alles Lobbygruppen, aber keine Experten!)

Genau dieses kann die Enquete-Kommission nicht leisten. Sie ist kein runder Tisch der Betroffenen, sondern eine nach Parteienproporz zusammengesetzte Expertenrunde.

Ich zitiere dazu gern die ehemalige SPD-Abgeordnete Margret Schlankhardt. Sie hatte 1995 zum Abschluss der letzten Enquete-Kommission zum Thema Schulpolitik gesagt:

"Zu bedauern ist nur, dass eine solche Kommission nach Parteienproporz besetzt wird und damit die Gefahr besteht, nur die Debatten in den parlamentarischen Gremien zu verlängern …".

(Michael Neumann SPD: Sie können ja entspre- chende Experten berufen, Sie sind frei!)

Ihre Kollegin hat Recht und deshalb wollen wir einen anderen Weg gehen. Da Sie unser Gesprächsangebot über die Frage, wie wir diesen Konsens organisieren wollen, leider ausgeschlagen haben, hat die Senatorin jetzt die Betroffenen und die Fraktionen selber zu einer Gesprächsrunde eingeladen.

(Michael Neumann SPD: In den Parlamentsferien!)

Auch da beweisen Sie wieder einmal, dass es Ihnen überhaupt nicht um die Sache geht. Ich habe gesagt, ich halte von der Enquete-Kommission in dieser Form nichts, aber natürlich werden wir konstruktiv mitarbeiten.

(Michael Neumann SPD: Das ist gut!)