Protokoll der Sitzung vom 02.02.2006

Dann verweise ich einmal darauf – das ist auch EUWunsch –, dass die Lebensmittelkontrolleure gehalten sind, auch Beratungsfunktionen auszuüben und nicht immer gleich zu strafen. Ich könnte diese Zahlen, die bei Ihnen zu einem logischen Schluss führen, noch weiter auseinander nehmen. In 2000 haben wir zum Beispiel 1418 Lebensmittelkontrolluntersuchungen gehabt, in

2005 nur 624. Sie gehen davon aus, dass dies daran liege, dass wir zu wenig Lebensmittelkontrolleure haben. Aus solchen Zahlen eine Logik abzuleiten, kann manchmal auch zu einem Trugschluss führen. Auch das würde ich gern im Ausschuss noch einmal erörtern.

Ich möchte mich hier beschränken

(Jürgen Schmidt SPD: Auf das Wesentliche!)

auf das, was ich zu Ihrer Großen Anfrage sagen möchte und abschließend nur noch einmal bemerken, dass für die CDU die Lebensmittelsicherheit immer oberste Priorität haben wird, dass der Verbraucherschutz unter bestimmten Voraussetzungen immer vor Firmenschutz geht.

(Lachen bei der SPD und der GAL)

Man kann nicht sofort Ross und Reiter nennen, wie Sie es fordern, sofort den Namen einer Firma nennen,

(Jenspeter Rosenfeldt SPD: Außer bei Pferde- fleisch!)

wenn noch nicht einmal geklärt ist, dass wir es hier mit einer Straftat zu tun haben. Zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten – Sie meinten, es müssten viel mehr Strafen ausgesprochen werden –, wenn es denn tatsächlich Straftaten sind, haben Sie nicht unterschieden.

Das müsste im Ausschuss noch einmal genauer erörtert werden und insofern lehnen wir den Antrag der SPD ab. Wir möchten die Große Anfrage an den Ausschuss überweisen und darüber dann noch einmal mit Ihnen diskutieren. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Herr Maaß hat jetzt das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Gienow, eine kurze Bemerkung zu Ihrer Bemerkung, Sie hätten Vertrauen in die Lebensmittelkontrolle und so schlimm könne das alles nicht sein, denn bevor es diese ganzen Vorschriften und Kontrollen gegeben habe, seien die Menschen auch nicht tot umgefallen oder vergiftet worden.

Nun ist diese Zeit, bevor es diese strenge Lebensmittelgesetzgebung und die strengen Kontrollen gab, sicherlich eine Weile her und es hat sich in den vergangenen Jahrzehnten tatsächlich einiges bei der Erzeugung und auch bei der Verarbeitung von Lebensmitteln geändert.

Ich kann es auch sein lassen, wenn Sie meinen, nicht zuhören zu müssen, Frau Gienow.

(Frank-Thorsten Schira CDU: Nun ist ja gut, Herr Maaß!)

Es hat sich schlicht ein bisschen was geändert. Wir haben diese bäuerliche Subsistenzwirtschaft nicht mehr, wo wir Lebensmittel untereinander getauscht haben, sondern wir haben schlicht eine agrochemische Industrie. Wir haben eine chemische Industrie, die ganz starke Umsätze auch im Bereich der Pflanzenschutzmittel macht, und wir haben ein knallhartes Geschäft – das haben Sie selber angesprochen – gerade im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels. Und dann einen Vergleich zu ziehen und zu sagen, früher seien wir auch nicht tot umgekippt,

obwohl wir keine solchen strengen Vorschriften hatten, ist ein wenig blauäugig.

Wir müssen eine etwas andere Brille aufsetzen, wenn wir heute über dieses knallharte Geschäft der Lebensmittelindustrie und die Skandale sprechen, die Frau Schaal und auch Sie, Frau Gienow, aufgezählt haben, und feststellen müssen, dass es hier nicht nur um Nachlässigkeit im Umgang mit Lebensmitteln geht, sondern teilweise und in vielen Fällen sogar um eine bestimmte Form von organisierter Kriminalität. Anders darf man das schlicht nicht mehr nennen, alles andere wäre tatsächlich Verharmlosung.

(Beifall bei der GAL und bei Dr. Monika Schaal SPD)

Wenn wir feststellen, dass systematisch Waren umetikettiert werden – aus Känguruh-Fleisch wird Hirschkeule, aus Rattenfleisch Kaninchenbraten und solche Geschichten –, wenn wir feststellen, dass längst abgelaufene Lebensmittel umdatiert werden, wenn verdorbenes Fleisch mit Aromastoffen aufgepeppt wird, damit man nicht mehr schmeckt, dass das Fleisch verdorben ist, wenn wissentlich verseuchte Futtermittel verfüttert werden, wenn Obst oder Gemüse mit einem Cocktail aus Pestiziden überhäuft sind und trotzdem in den Verkehr gebracht werden, dann ist das eine Form von Kriminalität, über die in diesem Land viel zu lange hinweggesehen wurde.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD – Dr. Willfried Maier GAL: Das sagen wir mit der CSU zusammen!)

Das ist der eine Aspekt.

Dann gibt es natürlich auch den Aspekt, der eher in den Bereich Nachlässigkeit fällt, wo es sich nicht um kriminelle Energie handelt, es aber um ganz böse Folgen geht. Wenn Produkte in Restaurants und Einzelhandelsbetrieben falsch gelagert werden, wenn gegen elementare Hygienevorschriften verstoßen wird, dann kann das schlicht erhebliche Gesundheitsgefahren auslösen und auch hier gibt es überhaupt keinen Grund, die Augen zuzudrücken, sondern hier muss ganz klar vorgegangen werden.

(Beifall bei Martina Gregersen GAL)

Frau Gienow, Sie hatten auch noch gesagt, dass wir, solange wir diese Geiz-ist-geil-Mentalität, immer billigere Lebensmittel zu kaufen, nicht wegbekommen, dieses ganze Problem nicht in den Griff bekommen. Da ist sicherlich etwas Wahres dran, aber man macht es sich mit dieser Erklärung ein bisschen zu leicht. Natürlich ist es richtig, dass wir in Deutschland für Lebensmittel nur noch einen Bruchteil des Einkommens ausgeben, den wir vor 30 oder 40 Jahren ausgegeben haben. Der Anteil, den wir für Lebensmittel ausgeben, ist stetig gesunken. Es stimmt auch, dass niemand bei einem Discounter die höchste Qualität an Lebensmitteln erwarten kann. Es stimmt auch, dass immer mehr solcher Lebensmittel, gerade bei den Discountern, verkauft werden. Aber es kann sich eben nicht jeder leisten, am Wochenende zum Biomarkt zu gehen und dort seine Lebensmittel einzukaufen. Auch derjenige, der sich das nicht leisten kann und beim Discounter einkauft, hat einen Anspruch darauf, dass seine Lebensmittel anständig kontrolliert werden und nicht mit einem Sud aus Chemikalien und Ekelfleisch überzogen sind, und das muss durchgesetzt werden.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Deswegen ist eben nicht der Einzelne schuld, wenn er sich letztlich nur marktkonform verhält – in der Marktwirtschaft ist irgendwie auch gewollt, dass man preisgünstige Produkte kauft –, sondern es ist eine Form von Staatsversagen, wenn wir es im Bereich der Lebensmittel als Staat nicht schaffen, ein Mindestmaß an Kontrolle zu organisieren, um ausreichende Sicherheit zu schaffen, sondern immer wieder diese verheerenden Skandale haben und damit letztlich auch erhebliche Unsicherheit auslösen.

Was ist zu tun, um diese Skandale in Zukunft zu vermeiden? Wir brauchen einen Dreiklang und dieser Dreiklang beginnt – hören Sie gut zu, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU – mit einem gesunden Maß an Repression. Zu diesem Dreiklang gehört zweitens natürlich die Prävention, insbesondere durch Kontrolle, und schließlich drittens Transparenz.

Lassen Sie mich zum ersten Punkt kommen, zur Repression. Wir haben in Hamburg – das ergibt sich aus der Großen Anfrage – knapp 23 000 Betriebe, die von den Lebensmittelkontrolleuren kontrolliert werden, knapp 41 000 Kontrollen und ungefähr 8000 Beanstandungen. Von diesen 8000 Beanstandungen – das hatten Sie bereits gesagt – sind 1530 Straftaten und Ordnungswidrigkeiten und von diesen münden nur 208 in Bußgeldbescheide. Das heißt, dass wirklich nur die schwersten Verstöße gegen Hygienevorschriften mit Bußgeldern bestraft werden. Diese schwersten Verstöße, die dann bestraft werden und wo der Rest unter den Tisch fällt, werden mit einem durchschnittlichen Bußgeld von 200 Euro belegt. Kurze Zwischenbemerkung: Es ist auch kein Verstoß gegen die Gewaltenteilung, auch nicht gegen das, was Frau Schaal gesagt hat, sondern es ist ganz normal, dass die Verwaltung Bußgeldbescheide ausstellt. Das macht die Polizei auch, wenn Sie falsch parken.

Deswegen die erste Feststellung: Die meisten Ordnungswidrigkeiten werden überhaupt nicht verfolgt.

(Glocke)

Entschuldigen Sie die Unterbrechung. Aber es ist wieder viel zu viel Gebrummel und Gebrabbel hier, viel zu viele Plaudertaschen sind unterwegs. Ich bitte, das einzustellen. Nur der Redner soll hier vorne gehört werden und alle anderen möchte ich bitte nicht bis hierher hören.

(Michael Neumann SPD: Aber der Redner trägt auch dafür Verantwortung!)

Erste Feststellung: Die meisten Ordnungswidrigkeiten werden überhaupt nicht verfolgt. Zweite Feststellung: Wenn sie verfolgt werden, dann kann derjenige, der bei einer Ordnungswidrigkeit erwischt worden ist, mit Milde rechnen, mit 200 Euro Bußgeld im Durchschnitt. Jeder Autofahrer, der falsch parkt und im Autoknast landet – wo sind Herr Dressel, Herr Lühmann –, muss erheblich tiefer in die Tasche greifen als derjenige, der bei einem offenbar schwerwiegenden Verstoß gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften erwischt worden ist. Da kann etwas nicht richtig sein.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Deswegen halte ich auch Ihren Hinweis, Frau Gienow, nicht für richtig, die Lebensmittelkontrolleure seien auch zur Beratung da. Was ist denn das eigentlich für ein Ansatz? Sollen denn die Kontrolleure auf einmal nur noch Beratungsgespräche führen und wie soll denn die Polizei in Zukunft tätig werden, wenn sie einen Falschparker entdeckt? Kommt denn der bürgernahe Polizeibeamte nach Ihrer Meinung demnächst auch zum Normen verdeutlichenden Gespräch mal nach Hause? Das ist doch wohl nicht Ihr Ansatz in anderen Bereichen und deswegen glaube ich, dass Sie hier mit zweierlei Maß messen.

Zum Thema Repression ein Punkt aus dem Zehn-PunktePlan von Seehofer, der sicherlich richtig ist. Seehofer hat gesagt, wir brauchen Schwerpunktstaatsanwaltschaften. Das ist eine richtige Forderung, denn organisierte Kriminalität fordert eine konsequente Antwort des Staates.

Wenn man nun sagt, die Forderung von Herrn Seehofer sei richtig, dann muss die Konsequenz sein, dass in dem Bundesland, über das am meisten Lebensmittel eingeführt werden, und zwar Hamburg – der Hamburger Hafen ist in Deutschland das Zentrum für die Lebensmittel verarbeitende Industrie –, diese Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft eingerichtet wird. Herr Dräger, ich bitte Sie, mit Ihrem Kollegen Herrn Kusch zu reden. Vielleicht kann er sich in diesem Punkt wirklich einmal nützlich machen.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Zum zweiten Punkt des geforderten Dreiklangs der Prävention durch Kontrolle: Natürlich ist es so, dass Repression allein nicht reicht und dass die Abschreckungswirkung natürlich auch in diesem Bereich durch das Strafrecht und durch die Ordnungswidrigkeitentatbestände begrenzt ist. Dazu sind die Gewinnmargen oder die entsprechenden Verlockungen für die Lebensmittelindustrie oder die entsprechenden -verarbeiter zu hoch. Deswegen brauchen wir ein gutes Maß an Prävention insbesondere durch umfassende Kontrollen.

Gerade in diesem Bereich müssen wir feststellen, dass der Staat relativ schlecht aussieht, zumindest im Vergleich zur Situation von vor einigen Jahren. Es gibt nicht mehr ausreichend Personal für Kontrollen. Das ist keine Feststellung von mir, sondern des Verbandes der Lebensmittelkontrolleure nicht nur in Hamburg – auch speziell in Hamburg –, aber auch des Bundesverbandes der Lebensmittelkontrolleure, die sagen, dass ein ausreichender Schutz der Bevölkerung eigentlich mit dem vorhandenen Personal nicht mehr gewährleistet sein kann.

Dieser Missstand hat sicherlich den Grund, dass wir in den letzten zehn Jahren einen rapiden Personalabbau zu verzeichnen hatten. In den meisten Bezirken wurde bei den Lebensmittelkontrolleuren in den letzten zehn Jahren deutlich Personal abgebaut, bis zu 30 Prozent. Das ergibt sich aus den Zahlen bei der Antwort auf die Anfrage.

Gleichzeitig hatten wir aber steigende Anforderungen an die Lebensmittelkontrolleure, weil mit dem Fortschritt in der Lebensmittelverarbeitung auch neue Probleme hinzugekommen sind.

Besonders unverständlich ist die drastische Reduzierung von 18,5 auf jetzt 11,5 Stellen – also sieben Stellen – beim Veterinäramt Fleischzentrum. Das müssten wir auch noch einmal im Ausschuss aufklären.

(Olaf Ohlsen CDU: Dann macht das doch im Aus- schuss!)

Wenn sich das, wie es in der Antwort auf die Anfrage steht, als richtig herausstellt, dann ist es aus meiner Sicht ein nicht haltbarer Zustand, dass, wenn wir über Gammelfleischskandale reden, ausgerechnet am Veterinäramt Fleischzentrum Stellen gekürzt werden sollen. Darüber muss man noch einmal ernsthaft reden.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)