Protokoll der Sitzung vom 02.02.2006

Wer wünscht das Wort? – Die Abgeordnete Blömeke hat es.

Herr Präsident, meine restlich verbliebenen Damen und Herren! Bei unserem Antrag, einen Kinder- und Jugendbericht zu fordern, könnte man fast schon von Tradition sprechen. Da gibt es auf der einen Seite unsere grüne Tradition, ein Berichtswesen zu fordern, das für gute Politik unerlässlich ist. Das trifft sowohl auf den in der letzten Sitzung geforderten Armutsbericht zu wie auf den Kinder- und Jugendbericht, den wir heute fordern.

Ohne Diagnose keine Therapie, hatte meine Kollegin Gregersen in der letzten Sitzung gesagt und Recht hat sie. Gerade im Bereich der Jugendhilfe sind in den letzten Jahren entscheidende Veränderungen geschehen. Wir haben ein neues Kita-Gesetz, eine Umsteuerung in der Jugendhilfe. Es gibt die geschlossene Unterbringung mit der Begründung, sie sei die einzige Möglichkeit, jugendpolitisch auf straffällige Jugendliche zu reagieren. Wir haben die Auswirkungen auf die Jugendhilfe durch die Ganztagsschulen und wir erleben Jugendliche, die mit den neuen Medien eine ganz andere Jugend haben, als es vor zehn Jahren der Fall war.

Geprägt durch gesellschaftliche Veränderungen haben Kinder und Jugendliche heute andere Lebensbedingungen, andere Erwartungen und andere Probleme als vor zehn Jahren. Die Jugendhilfe muss auf diese Veränderungen reagieren und benötigt dafür eine zusammenfassende Darstellung des Ist-Zustandes. Erst dann ist eine wegweisende Kinder- und Jugendpolitik möglich. Ein Kinder- und Jugendbericht liefert also sozusagen den roten Faden der Jugendhilfe. Ohne ihn läuft die Jugendhilfe Gefahr, orientierungslos zu werden und zu einem Flickwerk zu verkommen.

Meine Damen und Herren Abgeordneten der Bürgerschaft, einigen von Ihnen sind diese Ausführungen möglicherweise neu und damit meine ich all die, die vielleicht genauso lange in der Bürgerschaft sind wie ich. Darum habe ich mir auch noch einmal die Mühe gemacht, genau zu begründen, warum ein Kinder- und Jugendbericht für alle Beteiligten sinnvoll ist. Aber diejenigen von Ihnen, die bereits viele Jahre in der Bürgerschaft sind, wissen, dass ich mit diesem Antrag nicht nur grüner Tradition entspreche, sondern auch einer bewährten CDU-Tradition.

Die CDU-Fraktion war es nämlich, die zu den fleißigsten Forderern eines Kinder- und Jugendberichts gehörte.

(Rolf Harlinghausen CDU: Ja, wissen Sie auch, wie lange der ausstand?)

Darüber können wir gleich noch einmal reden.

Wissen Sie noch, Frau Senatorin? Damals war es, 1992 – man kommt ja immer schnell ins Schwärmen, wenn man ein bisschen die Jahre zurückgeht –, da hat Frau Senatorin, damals noch Abgeordnete Schnieber-Jastram, mit deutlichen Worten vom SPD-Senat eine umfassende Bestandsaufnahme aller jugendpolitischen Aktivitäten, also einen Kinder- und Jugendbericht, gefordert.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Hört, hört!)

Die Überschrift Ihres Antrags: Orientierungslosigkeit in der Jugendpolitik. Frau Schnieber-Jastram, das Wort "orientierungslos" gefiel mir so gut, darum habe ich es auch gleich in meine Rede eingebaut, denn wie ich bereits erwähnte, ohne einen Kinder- und Jugendbericht läuft die Jugendhilfe Gefahr, orientierungslos zu werden.

(Olaf Ohlsen CDU: Schon wieder abgeschrieben!)

Richtig, wir haben schon wieder abgeschrieben, warum soll man so gute Worte nicht aufgreifen?

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Einen Punkt will ich Ihnen aber aus dem Antrag von Frau Schnieber-Jastram nicht vorenthalten, denn der hat mich wirklich vom Hocker gehauen. Die damalige Abgeordnete forderte damals nicht nur einen Jugendbericht, sondern sie forderte darüber hinaus, diesen Jugendbericht – man höre und staune –, mit Jugendlichen und Jugendorganisationen in einem Jugendforum im Rathaus zu diskutieren. Wow!

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Frau Senatorin, wo sind bloß Ihre guten Ideen und Ihre Einsichten von gestern geblieben? – Schade.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Aber 1994 gleich der nächste Antrag. Herr Harlinghausen, Sie freuen sich schon, jetzt sind Sie dran. Können Sie sich noch erinnern? Gemeinsam mit Frau SchnieberJastram haben Sie betont, dass ein Kinder- und Jugendbericht notwendig sei, um die tatsächliche Situation zu erfassen und um damit eine zukunftsweisende Jugendpolitik zu gestalten. Unmissverständlich heißt es in dem Antrag – ich zitiere:

"Dies erfordert die sofortige und unverzögerte Vorlage eines Kinder- und Jugendberichts."

Recht hatten Sie.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Das war nicht die letzte Tat von Herrn Harlinghausen, er war wirklich sehr zäh und sehr hartnäckig.

(Rolf Harlinghausen CDU: Hat sich nicht geän- dert!)

Er hat drei Jahre später, 1997, noch einmal versucht, einen Kinder- und Jugendbericht einzufordern.

(Rolf Harlinghausen CDU: Da sehen Sie, die ha- ben nichts getan!)

Das war nicht so einfach, aber dieses Mal, Herr Harlinghausen, hatten Sie Erfolg, denn das war zurzeit der rotgrünen Regierung.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Für die GAL ist ein Kinder- und Jugendbericht keine unangenehme Pflichtübung und erst recht kein überflüssiges ausuferndes Berichtswesen, wie wir einmal hören durften, sondern es ist der richtige Weg der Bestandsaufnahme. Unter grüner Regierungsbeteiligung haben Sie endlich Ihren Kinder- und Jugendbericht bekommen – wunderbar.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Aber nun wurde mir signalisiert, dass Sie diesem Antrag heute nicht zustimmen können. Das ist aus Ihrer politischen Geschichte heraus unverständlich. Vielleicht fehlt der rote Faden. Zumindest Herrn Harlinghausen sollte es hier sehr, sehr schwer fallen – ich werde genau hingucken – den Finger zu einem Nein zu heben.

(Rolf Harlinghausen CDU: Wenn Sie Ihr Kostüm täglich tragen, dann ist es auch nicht mehr reiz- voll!)

Wenn man sich so vehement für die Forderung eines Kinder- und Jugendberichts eingesetzt hat, dann kann man seine Meinung dazu wirklich nicht ändern.

Es ist auch inhaltlich nicht zu begreifen, meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, warum Sie diesen Bericht nicht haben wollen. Wie wollen Sie bitte wissen, ob Sie mit Ihrer Jugendhilfepolitik auf dem richtigen Dampfer sind, wenn Sie keine Analyse der Situation betreiben? Das ist doch vor allen Dingen für die Haushaltspolitiker unter Ihnen sehr wichtig, denn für die Kinder- und Jugendhilfepolitik gibt die Stadt Hamburg den größten Teil des Haushalts aus. Ich sehe bei Ihnen im Moment keinen Haushaltspolitiker. Es ist selten, dass ich mich für die stark mache, aber ich denke, es ist sehr wichtig, dass ein so großer Teil des Geldes verantwortungsbewusst ausgegeben werden muss.

Erreichen Sie mit Ihren Maßnahmen in der Jugendpolitik wirklich die Jugendlichen, die Sie erreichen wollen? Investieren Sie womöglich in Maßnahmen, die nicht mehr zeitgemäß sind? Ein Kinder- und Jugendbericht ist daher noch mehr als nur eine Bestandsaufnahme, er ist auch eine jugendpolitische Marktanalyse. Das sollte das Herz eines jeden Haushaltspolitikers höher schlagen lassen.

Da dürfen Sie auch ruhig klatschen, liebe Haushaltspolitiker.

(Beifall bei Dr. Willfried Maier und Christian Maaß, beide GAL)

Beratung über den Antrag, das höre ich gerne, wenn Sie denn zustimmen.

Wir können gerne gemeinschaftlich noch einmal überlegen. Wir nehmen die CDU auch gerne mit auf unseren Antrag drauf und verabschieden heute gleich einen Interfraktionellen Antrag, bei der SPD gehe ich von einer Zustimmung aus. Wenn wir das so machen, dann kann die CDU heute guten Gewissens die alte CDU-Tradition der Forderung eines Kinder- und Jugendberichtes fortsetzen. Ich habe nichts gegen einen interfraktionellen Antrag.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Kausch.

(Erhard Pumm SPD: Sind Sie der Nachfolger von Herrn Harlinghausen?)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Blömeke, zum einen sage ich erst einmal herzlichen Dank, weil es nicht allzu häufig vorkommt, dass Sie uns loben. Ich höre es allerdings im Bereich der Jugendpolitik in den letzten Monaten immer wieder. Insofern freut es mich sehr und an der Stelle sei Ihnen herzlich Dank gesagt für die gute Arbeit, die Sie uns an der Stelle zollen.

(Beifall bei der CDU und Zurufe von der GAL)

Zunächst möchte ich Ihre unnötige Spannung nicht weiter aufrechterhalten.

(Unruhe im Hause – Glocke)

Ich wollte nur dafür Sorge tragen, dass sich die Freudensausbrüche in Maßen halten. Fahren Sie bitte fort.

Wir werden Ihren Antrag heute ablehnen. Dazu zwei, drei Punkte zur Begründung.

Zum einen haben Sie gesagt, wir bräuchten einen solchen Kinder- und Jugendbericht. Zu der Frage, wo eigentlich der Unterschied zu früher besteht, sei darauf hingewiesen, dass es zum einen so ist, dass Sie früher einen brauchten, weil die Jugendpolitik an der Stelle nicht stringent war und einen roten Faden hatte. Wir haben einen roten Faden. Wir haben die Prämisse. Insofern kann ich nur sagen, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt keinen Kinder- und Jugendbericht brauchen.