Protokoll der Sitzung vom 29.03.2006

Ich sage das, weil das auch auf Sie selbst zurückfällt. Wenn es bei Abgeordneten, bei Senatoren, bei Behördenmitarbeitern, bei Mitarbeitern von Fraktionen, bei Mitarbeitern des Arbeitsstabes Anhaltspunkte gibt, dass sie gegen Recht und Gesetz verstoßen haben, dann ist es richtig, dass die Frage öffentlich gestellt und dass ermittelt wird. Solange gilt natürlich die Unschuldsvermutung.

(Zurufe von der CDU: Ja!)

Aber natürlich ist es richtig, den Verdacht auszusprechen. Aber, wir sollten uns davor hüten, einzelne Abgeordnete – das gilt natürlich auch für den gesamten anderen Personenkreis, den ich eben genannt habe – mit Verdächtigungen zu überziehen.

(Zuruf von der CDU und Beifall bei der CDU)

Nein, das stimmt nicht.

(Bernd Reinert CDU: Haben Sie eine Bewusst- seinstrübung?)

Das sage ich im Sinne einer Zusammenarbeit, die wir in dem bestehenden und auch in einem neu einzusetzenden Untersuchungsausschuss leisten müssen. Wir sollten uns davor hüten, Verdächtigungen auszusprechen, ohne dass es einen Anhaltspunkt dafür gibt.

(Zuruf von Robert Heinemann CDU)

Herr Böttger hat eben den Verdacht ausgesprochen, Frau Blömeke habe Unterlagen an Dritte weitergegeben, ohne dass es dafür bisher irgendeinen Anhaltspunkt gegeben hat.

(Zurufe von der CDU)

Das können wir nachlesen. Ich habe es extra mitgeschrieben. Ich habe aus dem PUA Übung im genauen Mitschreiben.

(Olaf Böttger CDU: Zweierlei Maß! – Unruhe im Hause – Glocke)

Beruhigen Sie sich bitte wieder. – Herr Dr. Steffen hat das Wort.

Ich sage Ihnen das, weil Sie selber am Ende den Schaden mit davon tragen werden, wenn solche ehrenrührigen Behauptungen ohne jegliche Grundlage auch gegen Sie eingesetzt werden. Wir sollten uns alle zusammen davor hüten – ich sage das in alle Richtungen, aber auch in Ihre Richtung –, um eine vernünftige Aufklärungsarbeit in den Untersuchungsausschüssen leisten zu können.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit kommen wir zur Abstimmung.

Zunächst zum gemeinsamen Antrag der SPD- und der GAL-Fraktion aus der Drucksache 18/3910. Wer möchte diesen annehmen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist er mehrheitlich abgelehnt.

Wer möchte dem CDU-Antrag aus der Drucksache 18/3968 zustimmen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Der Antrag ist mehrheitlich angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 80 auf. Drucksache 18/3911 in der Neufassung, Antrag der GAL-Fraktion: Weiterentwicklung des Hamburger Modells "Religionsunterricht für alle".

[Antrag der Fraktion der GAL: Weiterentwicklung des Hamburger Modells "Religionsunterricht für alle" – Drucksache 18/3911 (Neufassung) –]

Diese Drucksache möchte die SPD-Fraktion federführend an den Schulausschuss und mitberatend an den Wissenschaftsausschuss überweisen. Wer wünscht das Wort? – Frau Goetsch, bitte.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ein kleiner Sprung, ein neues Thema. Die GAL-Bürgerschaftsfraktion will die Beibehaltung und die

Weiterentwicklung des Hamburger Modells "Religionsunterricht für alle" an den Hamburger Schulen – ohne Wenn und Aber.

Wir befürworten den "Religionsunterricht für alle", weil er die interreligiöse Verständigung fördert und vor allem in der Hamburger Schülerschaft Kenntnisse über die unterschiedlichen Religionen – wir haben in Hamburg weit über 100 verschiedene Religionsgemeinschaften – vermittelt. Eine Trennung nach Konfessionen schwächt unseres Erachtens den interreligiösen Dialog, der 1995 in Hamburg vorbildlich begonnen wurde. In den Schulen würden dadurch Abschottungstendenzen verstärkt werden und das wollen wir auf keinen Fall.

Schule darf auf keinen Fall die Aufgabe haben, bei weiterer kultureller Heterogenität der Schülerschaft – sie wird ja nicht weniger, sie ist in den letzten Jahren eher mehr geworden –, aber auch bei zunehmender sozialer Spaltung, die wir feststellen, noch weiter zu trennen oder diese Trennung zu vertiefen. Deshalb muss Schule den Dialog ermöglichen.

Ich will noch einen weiteren Aspekt nennen, warum der Weg Hamburgs für einen "Religionsunterricht für alle" der richtige ist. Wir erreichen damit in Hamburg – zum großen Teil gerade in der Grundschule, später dann eher im Ethikunterricht – 40 Prozent der Kinder, die gar keiner Konfession angehören. Auch sie haben ein Recht, etwas mehr übereinander zu erfahren und miteinander in diesem Unterricht zu sitzen.

Wir müssen einmal zurückblicken. 1995 wurde in Hamburg der Gesprächskreis Interreligiöser Religionsunterricht gegründet. Ich möchte alle aufzählen, die daran teilnehmen: die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche, die Reformierte Kirche, die Freikirchen, die Jüdische Gemeinde, die Konferenz der Muslime Hamburgs, das Alevitische Zentrum, das Islamische Zentrum, der Islamische Frauenverein, die Buddhistische Gesellschaft, das Tibetische Zentrum in Hamburg, das PädagogischTheologische Institut, das Institut für Missionsökumene und Religionswissenschaften, das Institut für Erziehungswissenschaften, die Islamwissenschaftliche Akademie, der Türkische Lehrerverein und auch der Verband der Freien Weltanschauungsgemeinschaften. Es gibt nirgendwo in der Republik einen solchen Zusammenschluss, der seit 1995 nicht nur gemeinsam berät, wie in Hamburg Religionsunterricht stattfindet, sondern der auch maßgeblich an der Erstellung der damaligen Lehrpläne, der jetzigen Bildungspläne, gerade in der Primarstufe, mitgewirkt hat. Es gibt den Landesschulbeirat, der zusammengesetzt ist von Handelskammer bis Gewerkschaften, von Eltern-Lehrer-Schülerkammer, bis hin zu den Kirchen und anderen verschiedenen gesellschaftlichen Kräften – wie es immer so schön heißt –, der eine einstimmige Stellungnahme abgegeben hat und diesen Weg betont. Es gibt den Religionslehrerverband und die SCHURA, den heutigen Dachverband der Muslime, der den dialogischen Religionsunterricht unterstützt.

Ich kann sehr gut verstehen, dass es in anderen Ländern – beispielsweise in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen – dringend Zeit wird, dass islamischer Religionsunterricht angeboten werden. Aber dahin müssen wir gar nicht schauen, denn dort haben bis vor kurzem die Schülerinnen und Schüler den üblichen katholischen und evangelischen Religionsunterricht erhalten, bis die Gerichte die Entscheidung getroffen haben, dass auch die muslimischen Schüler ein Recht auf Religionsunter

richt haben. Das ist natürlich ein Schritt weiter, wenn in diesen Ländern islamischer Religionsunterricht in deutscher Sprache erteilt wird. Wir sind in Hamburg aber schon seit Jahren wesentlich weiter. Das heißt nicht – darauf komme ich gleich noch zurück –, dass natürlich entsprechend ausgebildete Lehrer und Pädagogen außerhalb der christlichen Religionspädagogen unterrichten müssen.

Nun kommt Bürgermeister von Beust auf die Idee und wiederholt in den letzten Wochen immer wieder die Forderung nach Einführung islamischen Religionsunterrichts. Dies begründet er interessanterweise mit dem Ziel einer besseren Integration von Muslimen.

Entweder war es eine Bauchidee oder man hat ihn schlecht beraten oder er hat sich nicht ausgekannt. Ich weiß es nicht. Wir halten es für pädagogisch falsch. Wir finden es desintegrierend und es gefährdet letztlich den sozialen Frieden, wenn man das top down machen würde. Weiterhin kommt hinzu, dass es organisatorisch überhaupt nicht durchführbar wäre.

Das andere Argument, das auch immer wieder genannt wird, ist, die Koranschulen würden dadurch gemieden und man würde die Kinder aus den Koranschulen abziehen, die islamistische und eher extreme Positionen vertreten. Alle Untersuchungen haben leider bestätigt, dass die Kinder nicht aus den Koranschulen wegbleiben. Es gab in den Achtzigerjahren einen Versuch, Religionsunterricht von türkischen Lehrern erteilen zu lassen, in der Hoffnung, dass die Kinder nicht mehr in Koranschulen gehen. Dieser Versuch ist hoffnungslos gescheitert. Außerdem muss man wissen, dass nur 10 Prozent aller Kinder muslimischen Glaubens in Koranschulen gehen. Die Öffentlichkeit glaubt immer, die ganze Stadt sei moscheendominiert. Wir müssen auch daran denken, welche Rechte alle muslimischen und ebenso die alevitischen Kinder haben. Insofern zählen alle diese Argumente nicht.

Auch aus den christlichen Religionen ist bekannt, dass es ein Unterschied ist, ob Religionsunterricht in der Schule oder in der Gemeinde gegeben wird. Wir wollen die Kinder auch nicht davon abhalten, in den Kommunion- oder in den Konfirmationsunterricht zu gehen. Das heißt, man muss zwischen schulischem Religionsunterricht und dem Gemeindeunterricht trennen, denn der Gemeindeunterricht hat eine andere Aufgabe. Ich will jetzt nicht religionsphilosophisch argumentieren, sondern noch einmal deutlich dafür plädieren, dass die faktische Abschaffung des gemeinsamen Religionsunterrichts in Hamburg ein Weg wäre, der mit Volldampf in die falsche Richtung ginge. Alle, die diesen Weg des gemeinsamen Religionsunterrichts abschaffen wollen, machen einen kapitalen Fehler.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Wir wollen aber auch nicht da stehen bleiben, wo wir sind, denn es gibt noch eine ganze Menge zu tun, wir wollen die Weiterentwicklung des erfolgreichen Modells. Wichtig ist zum Beispiel, dass muslimische Lehrkräfte ausgebildet werden, die im Tandem mit christlichen Pädagogen eingesetzt werden. Die Universität Hamburg muss die Ausbildung in islamischer Theologie und Religionspädagogik anbieten. Wir befürworten schon seit Jahren die Gründung einer Akademie der Weltreligionen an der Universität.

Es ist phantastisch, dass in Hamburg durch ein EUProjekt ein erster Ansatz gelungen ist. Im Januar wurde das Interdisziplinäre Zentrum der Weltreligionen im Dialog gegründet. Wenn Sie daran denken, dass die EU in erster Linie Wirtschaftsprojekte, Verkehrsprojekte, Landwirtschaftsprojekte unterstützt und für dieses Interdisziplinäre Zentrum, dialogische Religionen zu entwickeln, 1,2 Millionen Euro gibt, dann ist das einmalig und zeigt, dass das der europäische Weg ist.

Ich möchte zum Schluss mit einem Zitat enden:

"Von daher wünsche ich mir eine weitere Öffnung hin zu den anderen Glaubensrichtungen. Ich bin für einen noch stärkeren interreligiösen Dialog. Der Religionsunterricht und die Ausbildung hier in Hamburg ist viel zu stark protestantisch geprägt. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir auch einen katholischen Glaubensanteil in der Stadt haben, den wir berücksichtigen müssen. Vor diesem Hintergrund macht es auch nicht viel Sinn, darüber zu diskutieren, ob in Hamburg möglicherweise auch ein getrennter konfessionell muslimisch geprägter Religionsunterricht angeboten werden soll. Aus meiner Sicht macht diese Diskussion, so wie wir in Hamburg stehen, keinen Sinn. Von daher will ich, Wolfgang Beuß, einen Religionsunterricht für alle, insbesondere auch unter dem ökumenischen Aspekt."

Das hat Wolfgang Beuß während einer Podiumsdiskussion im November 1999 schon gesagt.

Herr Beuß, ich unterstütze Ihre Richtung. Sie haben als Religionslehrer in Hamburg und Politiker in diesem Parlament den richtigen Satz gesagt. Ich hoffe, dass mit der Überweisung die fachliche Diskussion im Schulausschuss stattfindet und dass wir in Hamburg weiter auf dem Weg eines Religionsunterrichts für alle gehen, als Vorbild für alle anderen Bundesländer. – Danke.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Herr Beuß, Sie haben das Wort.

(Dr. Mathias Petersen SPD: Wolfgang, Du hättest ein bisschen klatschen können!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In der Tat habe ich es so gesagt, wie Sie es eben zitiert haben. Ich stehe nach wie vor dazu und halte die Entwicklung des "Religionsunterrichts für alle" für richtig. Das war auch der Grund dafür, in der Fraktion sehr darauf zu drängen, diesen Antrag zu überweisen und nicht abzulehnen, obwohl ich bei den Punkten zwei und drei, Frau Goetsch, erhebliche Bauchschmerzen habe. Aber vielleicht können wir im Ausschuss entsprechend darüber reden.

Sie haben aber in Ihrem Debattenbeitrag völlig außer Acht gelassen, dass wir eine neue Diskussion um den Religionsunterricht in dieser Stadt brauchen. Dieses hängt konsequent mit dem zusammen, was wir in den nächsten Wochen im Verfassungsausschuss besprechen werden.

(Christa Goetsch GAL: Ja!)

Das sind die beiden Kirchenstaatsverträge. In dem Kirchenstaatsvertrag mit dem Heiligen Stuhl ist das Recht eingefordert worden – das ist verfassungsrechtlich auch