Protokoll der Sitzung vom 12.04.2006

Die Neuausrichtung der Berufsfachschule hat nicht nur einen inhaltlichen Punkt. Für mich stehen zunächst einmal die Abbrecher im Vordergrund, die wir Jahr und Jahr

haben, die mit Frust und Enttäuschung von der Schule gehen.

(Dr. Mathias Petersen SPD: Das liegt an den Schülern, nicht?)

Sie gehen von der Schule ab und wenn sie 18 Jahre alt sind – die meisten haben den achtzehnten Geburtstag hinter sich und sind nicht mehr schulpflichtig –, verabschieden sie sich aus dem Schulsystem. Sie tauchen unter, sie tauchen nicht mehr auf.

(Aydan Özoguz SPD: So einfach kann man es sich nicht machen! – Dr. Mathias Petersen SPD: Weil sie keine Chancen haben!)

Das heißt, der Weg in die Arbeitswelt und in die Gesellschaft ist nicht mehr da. Das dürfen wir nicht zulassen. Deshalb dürfen wir nicht so viele Abbrecher haben.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD)

Außerdem haben sich in den vergangenen Jahren die Wirtschaft und die Arbeitsmarktchancen für bestimmte Tätigkeiten verändert. Wir müssen also die Berufsfachschule inhaltlich neu ausrichten. Damit decken sich auch viele neue inhaltliche Ausrichtungen mit den Interessen der Jugendlichen. Wenn wir die Interessen der Jugendlichen treffen – zum Beispiel im Bereich der Mediengestaltung –, dann bedeutet das auch eine Motivation der Jugendlichen. Deshalb ist es notwendig, die Fachrichtungen der teilqualifizierenden Berufsfachschulen so auszurichten, dass sie einerseits auf die neuen Berufsfelder ausgerichtet sind und andererseits auf die Interessen der Jugendlichen. Wir können die Jugendlichen nur über ihre Stärken und nicht über ihre Schwächen fördern.

(Doris Mandel SPD: Aber die Langzeitarbeitslosen wollt ihr fördern, die Alten, aber nicht die über Zwanzigjährigen!)

Wir haben aus anderen Ländern Erfahrungen, wie wir die Chancen erhöhen können, um den Abschluss zu erreichen, und wir wissen auch aus Hamburg, dass die Leistungsschwächsten abbrechen. Das sind nun einmal die, die in den Kernfächer mit den schwierigsten Eingangsvoraussetzungen in diese Schulform hineintreten. Deshalb ist es notwendig – das ist auch eine Aufgabe des Staates –, diese Schülerinnen und Schüler zu schützen, ihnen nicht etwas vorzugaukeln, was es gar nicht gibt.

(Aydan Özoguz SPD: Sagen Sie mal was Kon- kretes! Deshalb ist es notwendig, dass bestimmte Kompetenzen in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch vor- handen sein müssen, damit sie eine realistische Chance haben, den Abschluss zu erreichen. (Beifall bei der CDU)

Die Voraussetzung dazu war natürlich, dass wir den Hauptschulabschluss erst einmal verlässlich gemacht haben. Die Orientierung an den überregionalen Bildungsstandards und die Einführung der zentralen Abschlussprüfungen geben eine verlässliche Basis, um zu sagen, wenn ihr in diesen drei Kernfächern mindestens die Noten drei, drei, vier habt, dann habt ihr reelle Chancen, auch den Abschluss zum mittleren Bildungsabschluss zu erreichen.

Deshalb vertraue ich fest darauf, dass die Kombination aus zentraler Abschlussprüfung – orientiert an den überregionalen Bildungsstandards –, der Notenschwelle, der Neuausrichtung inhaltlicher Art, dazu führen werden, dass die Schülerinnen und Schüler nicht mehr in hohem Maße abbrechen wie bisher.

Ein weiteres Element, das hier leider noch nicht zur Sprache kam, ist aber für mich bei der Umgestaltung der teilqualifizierenden Berufsfachschulen das Entscheidende: Wir können nur dann den Übergang in die Wirtschaft – sie wurde heute schon oft erwähnt – tatsächlich verbessern, wenn Schule und Wirtschaft aufeinander abgestimmt sind. Das war heute noch nicht Gegenstand. Deshalb ist es notwendig, dass die Inhalte der teilqualifizierenden Berufsfachschulen Elemente direkt anschlussfähig in eine duale Berufsausbildung sind. So wäre es sogar möglich, für Schülerinnen und Schüler zu einer Anrechnung auf die Berufsschulzeit und damit zu einer Entlastung innerhalb der dualen Berufsausbildung zu kommen. Darüber hinaus haben wir die Motivation für die Wirtschaft, da der Schüler dem Betrieb gerade am Anfang verstärkt zur Verfügung steht und das Hineinlernen in die Arbeitswelt für die Jugendlichen sehr viel einfacher ist.

Dieses sind die Elemente, die den Jugendlichen Mut machen und die ihnen vor allem die Perspektive geben, die Sie eben eingefordert haben.

(Wilfried Buss SPD: Was ist mit der Noten- schwelle?)

Ihre Frage, was mit denen geschieht, die diese Schwelle nicht überspringen, war berechtigt. Es ist eindeutig nicht so, dass wir einerseits eine Reform der teilqualifizierenden Berufsfachschulen machen und andererseits alles andere so lassen. Das tun wir auch nicht. Wir reformieren die Ausbildungsvorbereitung. Das bedeutet auch, dass wir die Ausbildungsvorbereitung – auch das ist ein Muss, das erfüllt sein sollte –, nämlich die Hinführung zu einem Ausbildungsplatz, nur mit den Schülerinnen und Schülern schaffen – die ja nicht so leistungsstark sind –, deren Stärken und Schwächen wir mit Hilfe eines Kompetenzschecks erkennen. Wenn wir es in der Hauptschule noch nicht getan haben, dann machen wir es zu Beginn der Ausbildungsvorbereitung. Dann belegen die Schülerinnen und Schüler ihren individuellen Plan, um einerseits in ihren Stärken besser und noch mehr zu arbeiten, denn damit werden sie sich in allererster Linie präsentieren, aber andererseits natürlich auch, um Mut zu machen, um an den Schwächen zu arbeiten.

Diese kombinierte Ausbildungsvorbereitung – das ist ganz besonders auf die Leistungsschwächeren abgestellt – bedeutet dann für die Ausbildungsbetriebe, dass sie hier eine Passung zu ihren jeweiligen Berufsfeldern haben. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir den Jugendlichen durch die Stärkung ihres Selbstbewusstseins durch diese veränderte Form von Ausbildungsvorbereitung Perspektiven geben, um einen Ausbildungsplatz zu erhalten.

Darüber hinaus wird es zu einer Zertifizierung dieser Module kommen, damit sich die Jugendlichen – sie sind häufig nicht mehr jugendlich, sondern schon erwachsen –

(Wilfried Buss SPD: Stimmt ja nicht, sie sind unter 20!)

A C

B D

in der ganzen Republik bewerben können und einen entsprechenden Ausweis in der Hand haben.

Die Neuausrichtung der teilqualifizierenden Berufsfachschule ist nicht nur die Notenschwelle. Das ist ein Element. Die Neuausrichtung basiert auf der Weiterentwicklung der Hauptschule, basierend auf der zentralen Abschlussprüfung, basiert auf einer eindeutigen Qualitätssicherung in den Kernfächern Deutsch, Mathematik und Englisch. Sie soll Abbrecher und Versagenserlebnisse reduzieren. Die Ausbildung soll inhaltlich verändert werden, dass sie passender wird auf den Abschluss einerseits und auf den Anschluss andererseits, flexibler in Bezug auf die Erwartungen der Schülerinnen und Schüler. Mut machen heißt unser Wort, Verknüpfung mit der Wirtschaft. Das sind echte Chancen für alle Beteiligten. Das ist das, was wir für unsere Jugendlichen brauchen. – Danke.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält die Abgeordnete Köncke.

Frau Dinges-Dierig, hier von einer Neuausrichtung oder Reform zu sprechen, ist relativ selbstbewusst. Sie haben zwar einerseits gesagt, dass Ihre Reform nicht nur darauf basieren würde, die Notenschwelle heraufzusetzen, sondern dass sie auch inhaltliche Reformen mit einschließen. Aber, warum muss denn gleichzeitig diese Notenschwelle eingesetzt werden, warum müssen 2000 Schüler tatsächlich von dieser Chance ausgeschlossen werden?

(Wilfried Buss SPD: So ist es!)

Das eine ist nicht unbedingt mit dem anderen gekoppelt. Sie können eine innere Reform machen, eine bessere Ausrichtung auf die Bedürfnisse und Bedarfe der Schüler und müssen nicht unbedingt diese 2000 Schüler außen vor lassen, denn – das stand auch in unserer Großen Anfrage – worauf basiert dieses krasse Instrument der Notenschwelle? Darauf haben Sie bisher keine klare Antwort gefunden und die Untersuchung "ULME", in der Antworten stehen könnten, haben Sie bisher nicht vorgelegt. Wir können aber zumindest davon ausgehen, dass es nicht nur die Lernvoraussetzungen der Schüler sind, sondern dass zum Beispiel gleichermaßen – das ergibt sich auch aus vielfachen Gesprächen mit dort arbeitenden Lehrern – Disziplinprobleme eine Schwierigkeit sein könnten, dass wir in unterschiedlichen Ausbildungsgängen unterschiedliche Abbrecherquoten haben, dass wir bei Jungen eine höhere Abbrecherquote als bei Mädchen haben.

Nach Ihrer Diktion wäre es sinnvoll gewesen, weniger Jungen als Mädchen auf die Schule zu lassen. Das wäre eine gleichermaßen sinnvolle Konsequenz. So bleibt Ihre Notenschwelle auf keinen Fall überzeugend.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Ich möchte aber auch noch auf Herrn Heinemann eingehen, der ein bisschen Schwierigkeiten hatte mit dem Unterschied zwischen Sonderprogramm und Aktionsprogramm. Lassen Sie mich da noch einmal anknüpfen. Vielleicht kann ich versuchen, ein wenig Klarheit in seine Verwirrung zu bringen.

(Robert Heinemann CDU: Ich war nicht verwirrt!)

Es war Ihnen nicht klar, wo die Unterschiede liegen. Ich würde sie Ihnen gern noch einmal deutlich machen.

Heute ist ganz häufig der Ausdruck "Ausbildungskrise" gefallen. Ich glaube, wir haben keine Ausbildungskrise, ich glaube, es ist weit schlimmer, ich glaube, es ist weit gravierender, wir haben eine wesentliche, strukturelle Veränderung in der Ausbildung. Dieser Tatsache muss der Senat, muss das Angebot an die Schüler, an die Schulabgänger endlich gerecht werden.

Woran liegt es eigentlich? Wir haben trotz massiver Appelle immer weniger Betriebe, die tatsächlich ausbilden. Das liegt nicht nur daran, dass wir – das ist auch schon angeklungen –, so viele Abgänger von Berufsfachschulen haben, also die Lehrbetriebe darauf zurückgreifen können, sondern weil wir heute andere Unternehmensarten haben. Wir haben mehr Dienstleistungsbetriebe, wir haben andere Arbeitsabläufe in den Betrieben. In einem Handwerk lohnt es sich noch auszubilden, weil der Auszubildende Arbeitsabläufe übernehmen kann. In hoch qualifizierten Dienstleistungsbetrieben ist es schwieriger. Auch das begründet den Rückgang der Ausbildung.

Die Maßnahmen des Bürgermeisters appellieren letztendlich an den guten Willen der Betriebe. Das ist gut und richtig so, aber einen solchen Appell haben wir doch schon gehabt, wir haben doch das Bündnis für Ausbildung in Hamburg. Dann gibt es vielleicht kurzfristig einige wenige Ausbildungsbetriebe mehr, aber langfristig reicht es nicht. Wir haben schon in diesem Jahr wieder einen Rückgang der Ausbildungsangebote gehabt.

Somit ist es ein Zeichen des guten Willens. Das mag wieder ein Leuchtturmprojekt sein, aber letztendlich bleibt es blind für die Voraussetzungen der Unternehmen und auch für die Bedrängnis der Jugendlichen.

Diese Ausbildungssituation nötigt dazu, dass wir den Jugendlichen wirkliche Alternativen anbieten. Alternativen sind nicht die zahlreichen Maßnahmen, die heute unter anderem auch von der Bundesagentur angeboten werden. Das sind nämlich dann die so genannten Ein-EuroJobs, die für einen Fünfzehnjährigen mit Sicherheit nicht die ersehnte Perspektive in diese Gesellschaft bedeuten. Wir brauchen wirkliche Alternativen und das sind Qualifizierungen. Deswegen fordern wir auf, qualifizierende Angebote zur Verfügung zu stellen.

In der Antwort des Senats auf unsere Große Anfrage sagt der Senat eindeutig, er fordere die Verantwortung der Jugendlichen.

Man muss es sich noch einmal vergegenwärtigen, was es bedeutet, die Verantwortung der Jugendlichen einzufordern. Verantwortung kann nur derjenige übernehmen, der auch Handlungsoptionen hat. Aber in der Verantwortung des Senats liegt es, diese Handlungsoptionen auch zu eröffnen. Das hat der Senat bis heute nicht gezeigt. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort erhält Herr Dees.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Frau Senatorin, das Einzige, was in Hamburg im Augenblick wirklich von Monat zu Monat dramatisch wächst, ist die Langzeitarbeitslosigkeit. Wie planlos der Senat hier agiert, zeigt sich – weil Herr Roock hat das

vorhin in der Debatte angesprochen hat – bei der Kürzung der aktiven Arbeitsmarktmittel um 7,5 Millionen Euro im Bereich der BWA. Nebenbei bemerkt hätte man diese 7,5 Millionen Euro, wenn sie schon nicht in effiziente Maßnahmen hätten gesteckt werden können, möglicherweise in eine Verbesserung des Berufsfachschulsystem investieren können. Dann hätten sie unmittelbar die potenziell künftig von Langzeitarbeitslosigkeit Betroffenen erreicht. Nein, das haben Sie aber nicht getan. Wie planlos Sie agieren, zeigt auch hier die putzige Zusammenkunft, dass Sie auf der einen Seite mit der Anhebung der Notenschwelle und der Altersgrenze den Zugang zur teilqualifizierenden Berufsfachschule erschweren und auf der anderen Seite die CDU-Fraktion einen Antrag einbringt "Neue Job-Perspektive für Jugendliche", in dem sie unmittelbar fordert, junge Menschen, die von der Schule kommen und keinen direkten Anschluss haben, in eine öffentlich geförderte Arbeit zu bringen. Nun sind wir die Letzten, die öffentlich geförderte Arbeit kritisieren würden. Aber wenn Sie hier von 30 bis 50 Prozent Abbrecherquoten bei den teilqualifizierenden Berufsfachschulen sprechen, dann mache ich Sie, liebe CDU-Fraktion, erst einmal darauf aufmerksam, dass die Integrationsquoten von öffentlich geförderter Arbeit – zumindest wie sie im Augenblick betrieben werden – nur bei 20 Prozent liegen. Das heißt, die Quoten sind entsprechend dramatisch schlechter als das, was ein teilqualifizierender Berufsfachschulwerdegang möglicherweise bringen könnte.

Deswegen lohnt es sich noch einmal, sich kurz mit der Sorge zu beschäftigen, die Herr Heinemann hier geäußert hat, denn die muss man ja ernst nehmen,

(Wolfhard Ploog CDU: Das gehört dazu!)

dass möglicherweise durch alternative, qualifizierende …

(Unruhe im Hause – Glocke)

Herr Abgeordneter, ich möchte Sie kurz unterbrechen. Es ist hier so unruhig und ich bitte die Damen und Herren, entweder hinauszugehen oder Platz zu nehmen. – Vielen Dank.

Hören Sie einmal lieber zu.