Meine Damen und Herren! Ich darf Sie bitten, auf den frisch aufbereiteten, bequemen Sitzen Platz zu nehmen.
Herr Präsident, Herr Staatsrat! Die Schulsenatorin hat bei einer Pressekonferenz am 16. August 2006, Mittwoch vergangener Woche, als Hauptgrund für die großen Grundschulklassen ein Gerichtsurteil vom Februar 2006 benannt und sich mit der Entwicklung der Klassengrößen in den sozial schwierigen Gebieten höchst unzufrieden gezeigt.
Die Frage deshalb: Wann wurde das Gerichtsurteil genau gefällt und um welche Schulform und Klassenstufe ging es bei diesem Urteil?
Herr Präsident, Frau Abgeordnete Goetsch! Zunächst eine kurze Richtigstellung. In der Pressekonferenz zum Schuljahresbeginn hat Frau Senatorin Dinges-Dierig den genannten Gerichtsbeschluss als einen von verschiedenen Faktoren benannt, die zur Einrichtung großer Eingangsklassen in Grundschulen zum Schuljahr 2006/2007 beigetragen haben, nicht als den Hauptgrund.
Mit dem Beschluss des Hamburgischen OVG vom 29. August 2005 wurde die Beschwerde der Freien und Hansestadt gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts vom August 2005 zurückgewiesen und damit im Kern festgestellt, dass die Tochter der Antragsteller in die fünfte Klasse der Julius-Leber-Gesamtschule zum Schuljahr 2005/2006 aufzunehmen ist.
Dieser Beschluss ist in der Tat von ganz außerordentlicher Bedeutung für das Elternrecht auf freie Schulwahl in Hamburg und für die Definition der klassen- und schulbezogenen Aufnahmekapazität für alle allgemein bildenden Schulen, also nicht nur für diese Schulform. Insoweit hat der Beschluss auch das Aufnahmeverfahren für die Eingangsklassen der Grundschulen zu diesem Schuljahr wesentlich beeinflusst.
Mit dem Beschluss wird zunächst festgestellt, dass sich aus Paragraph 42 Hamburgisches Schulgesetz ein materiell-rechtlicher Anspruch auf Aufnahme, in diesem Fall in die fünfte Klasse, der Wunschschule ergibt. Der Aufnahmewunsch ist nicht von vorneherein auf eine ermessensfehlerfreie Auswahl beschränkt, vielmehr können Schülerinnen und Schüler nur im Falle erschöpfter Aufnahmefähigkeit auf den Zweit- oder Drittwunsch verwiesen werden.
Zu eben dieser Frage der Aufnahmefähigkeit führt das OVG aus, dass weder das Erreichen der Basisfrequenz noch der Organisationsfrequenz, sondern erst das Überschreiten der Organisationsfrequenz zuzüglich kaufmännisch gerundeter 10 Prozent dazu führt, dass die Kapazität der Schule erschöpft ist. Das OVG tut dieses in An
wendung und in Auslegung der geänderten Regelung nach Paragraph 87 Hamburgisches Schulgesetz, die am 29. Dezember 2004 in Kraft getreten ist.
"Werden in eine Klasse zusätzliche Schülerinnen und Schüler aufgenommen, soll diese Schülerzahl nicht um mehr als 10 vom Hundert …"
Diese Sollvorschrift für die Aufnahme zusätzlicher Schüler ist vom Gericht in die Nähe einer Regel gerückt worden, nach der eine Schule bereits im Anmeldeverfahren den Erstwunsch von Eltern nur dann abweisen kann, wenn die Organisationsfrequenz plus 10 Prozent – auf die Grundschule hin, Klasse 1, heißt das 27 plus drei, gerundet 30 – erschöpft ist.
Diese veränderte Rechtslage hat nach Einschätzung der Schulaufsicht im Rahmen des Anmeldeverfahrens zu diesem Schuljahr an einer ganzen Reihe von Standorten zur Bildung von Eingangsklassen mit einer Frequenz von größer als 28 beigetragen. Die Schulleitungen haben in der Konferenz der Anmeldeverbünde bei Vorliegen der entsprechenden Erstwünsche größere Klassen eingerichtet, schon um spätere Widerspruchsverfahren zu vermeiden.
Allerdings wird auf der anderen Seite bei diesem Urteil auch erkennbar, dass eine Stärkung des Elternrechts zustande gekommen ist. Das kann man sehr schön daran ablesen, dass die Zahl abgelehnter Erstwünsche mit 3 Prozent insgesamt noch einmal deutlich unter der Jahreszahl von 2005 geblieben ist, wo es 4,7 Prozent waren.
Herr Staatsrat, Sie haben gerade von dem Beschluss berichtet. Wie haben die über 230 Grundschulleiter von dem Beschluss erfahren? Sie haben weiter ausgeführt, dass es Grundschulen gibt, in denen es zu größeren Klassen kam. In welchen Grundschulen hat dieser Beschluss zu der Bildung von großen Klassen geführt?
Auf die letzte Frage werden Sie sicherlich nicht erwarten, dass ich Ihnen jetzt die Liste von Grundschulen mitgebracht habe, in denen das passiert ist.
Der Beschluss selber ist auch nicht an die Anmeldekonferenzen verteilt worden, aber die Schulaufsicht, die in diesem Jahr eine moderierende Funktion bei den Anmeldekonferenzen hatte, hat in Kenntnis dieses Beschlusses dafür gesorgt, dass direkt an der Organisationsfrequenz entlang organisiert wird und dass ein Wissen darüber besteht, dass plus 10 Prozent einen Korridor nach oben ausmacht, der bei gerichtlichem Anfechten auf jeden Fall erfolgreich sein würde.
Herr Staatsrat, in der Pressekonferenz, die Sie eben erwähnt haben, hat Senatorin Dinges-Dierig gesagt, Zitat:
"Weil in dem Moment, in dem einem so etwas aus der Hand genommen wird, ist es dann schwierig, das dann zu kompensieren."
Dies vorangesetzt, möchte ich fragen: Warum kommt die Schulsenatorin zu der Ansicht, dass die Schulleiter aus Angst vor Gerichtsurteilen oder -beschlüssen die Klassen so voll gestopft hätten?
Wir haben mit dem letzten Schuljahr, also dem zurückliegenden Schuljahr das erste Mal das Anmeldeverfahren vollständig geändert. Zum ersten Mal haben Anmeldekonferenzen stattgefunden, bei denen die Schulleitungen nicht nur dabei waren, sondern mit denen sie ganz erheblich die Organisation von Eingangsklassen betrieben haben.
Damit sind aus meiner Sicht das erste Mal auch standortspezifische Gesichtpunkte stärker zum Tragen gekommen als es der Fall war, als die Behörde noch selber Eingangsklassen organisiert hat. Im Rahmen dieser standortbezogenen Überlegungen, die ein Schulleiter trifft, in Kenntnis dessen, was er normalerweise auch an Schwund oder an Weggang von Schülern von hier nach da im Rahmen der Grundschule zu verarbeiten hat, in Kenntnis einer solchen Standortspezifität hat dieses Gerichtsurteil aus unserer Beobachtung eine Rolle gespielt. Auch weil es deutlich macht, dass dann, wenn Organisationsfrequenzen unterschritten sind und wenn dies zweimal hintereinander passiert, keine Eingangsklassen mehr an diesem Standort eingerichtet werden.
Aber vor dem Hintergrund, dass wir jetzt unglaublich hohe Klassenfrequenzen haben, dass die Klassen unglaublich voll sind, hätten Sie nicht auch trotz dieser Rechtslage den Schulen einfach verbieten können, die Klassen so voll zu machen, und andere Wege finden können?
Angesichts dieser Rechtslage können wir dies nicht tun. Ich darf auch daran erinnern, dass im Schulgesetz tatsächlich in Paragraph 87 ausdrücklich geregelt ist, dass die Organisationsfrequenz plus 10 Prozent schon eine Leitlinie darstellt. Für das letzte Jahr haben wir das im Grunde als eine Art Reserve-10-Prozent begriffen, wo sozusagen Nachrücker, Spätkommer oder Widersprüche eine Rolle spielen.
Das Oberverwaltungsgericht hat eine neue Situation geschaffen, indem diese 10 Prozent regelhaft schon zur Erhöhung der Aufnahmekapazität führen. Darauf konnten wir bislang noch nicht reagieren. Aber in Auswertung der Verfahren in den beiden letzten Schuljahren, die wir jetzt hinter uns haben, zu diesem und zum letzten Schuljahr,
kann es gut sein, dass die Behörde organisatorische Vorschläge unterbreitet, um dieses für künftige Anmeldeverfahren anders zu gestalten.
Wie kommt denn die Schulsenatorin auf die Aussage, dass der Beschluss, man kann ja auch sagen die bösen Richter des Verwaltungsgerichtes, daran Schuld seien, dass die Klassen so groß sind?
Es ist einfach eine Rechtslage. Ich war nicht anwesend und ich kann mich hier auch schlecht zu konkreten Äußerungen in dieser Pressekonferenz äußern. Es ist einfach eine Feststellung, dass mit dem richterlichen Beschluss des OVG eine neue Lage da war, die Einfluss auf die Bildung von Eingangsklassen genommen hat, und zwar in der Richtung, dass eher größere Eingangsklassen an verschiedenen Standorten eingerichtet werden mussten.