Protokoll der Sitzung vom 27.09.2006

(Dr. Diethelm Stehr CDU: Seltsames Parlaments- verständnis! – Gerhard Lein SPD: König Teflon!)

Nehmen Sie sich die Zeit, wägen Sie genau ab und entscheiden Sie dann erst. Lassen Sie sich nicht vorschicken und lassen Sie nicht den Fraktionszwang über Ihren Respekt gegenüber den Hamburgerinnen und Hamburgern entscheiden. Machen Sie sich diese Entscheidung nicht leicht, sondern machen Sie sie zu einer verantwortlichen Entscheidung über Demokratie hier in Hamburg.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort erhält der Abgeordnete Reinert. Herr Abgeordneter Hesse, ich würde mich freuen, Sie von vorn zu sehen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Aus Sicht der CDU-Fraktion ist eine Reihe von Änderungen dieses gegenwärtigen Wahlgesetzes notwendig. Lassen Sie mich mit zwei Beispielen beginnen: Wir haben in einigen Punkten ganz erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, wenn es in einem Wahlkreis eintreten kann, dass die Wähler einen Kandidaten einer Partei A wählen, aber aufgrund zu geringer Kanndidatenzahl dann der Sitz nach dem Wahlgesetz auf Partei B umverteilt wird.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das ist Ihnen jetzt ein- gefallen, ganz spontan?)

Das verstößt meiner Überzeugung nach gegen den elementaren Grundsatz von Klarheit und Wahrheit.

(Beifall bei der CDU)

Einen zweiten Punkt möchte ich anführen, der ebenfalls höchst bedenklich ist: Da wird durch das geltende Wahlgesetz die laufende Wahlperiode der sieben Hamburger Bezirksversammlungen um 15 Monate verlängert. Als die Menschen am 28. Februar 2004 zur Wahl zur Bezirksversammlung gingen, …

(Dr. Till Steffen GAL: Herr Reinert, Sie wissen doch, warum dies so gekommen ist!)

Es ist völlig egal, warum es so gekommen ist. Der Zustand, den Sie beibehalten wollen, ist aus unserer Sicht hochgradig bedenklich.

(Beifall bei der CDU)

Demokratie heißt, dass durch Wahlen das Recht auf Zeit übertragen wird, Beschlüsse zu fassen, und zwar auf eine vorher feststehende Höchstzeit. Diese darf in keinem Falle verlängert werden.

Ein weiterer Punkt: Dieses Wahlgesetz verfehlt einige seiner selbst gesteckten Ziele. So heißt es zum Beispiel im Paragrafen 3 des Wahlgesetzes, dass die 121 Sitze nach dem Verhältnis der Parteistimmen verteilt würden. Es handelt sich also um ein Verhältniswahlrecht. Paragraf 5 unterläuft genau diesen Paragrafen 3, wenn er wiederum festlegt, von den 121 zu vergebenden Sitzen seien diejenigen wieder abzuziehen, die bereits durch Einzelbewerber in den Wahlkreisen gewonnen worden seien.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das haben Sie alles erst jetzt festgestellt, Herr Reinert? – Christian Maaß GAL: Das ist Demokratie!)

Wozu kann das führen, Herr Maaß? Es kann dazu führen

(Zuruf von Michael Neumann SPD)

es könnte in 20, 30 Jahren, Herr Neumann, vielleicht sogar auf die SPD zutreffen –,

(Beifall bei der CDU)

dass eine Partei zwar die absolute Mehrheit der Stimmen erreicht, aber nicht die Mehrheit der Sitze. Damit ist das Prinzip der Verhältniswahl durchbrochen. Das wollen wir korrigieren.

(Beifall bei der CDU – Dr. Till Steffen GAL: Da spricht die blanke Angst. Berlusconi lässt grüßen!)

Nach dem gegenwärtig geltenden Recht ist die von einer Partei vorgeschlagene Reihenfolge der Kandidaten praktisch ohne Belang, denn nur Personenstimmen sollen darüber entscheiden, wer ins Parlament einzieht.

Eine kleine Frage an Herrn Dr. Petersen: Wie wollen Sie eigentlich den Wählern klar machen – ich unterstelle, Sie werden tatsächlich Bürgermeisterkandidat –, dass eine Stimme für die SPD nicht zugleich eine Stimme für Dr. Petersen ist? Ich kann mir vorstellen, dass einige Ihrer Genossen darin eine Chance sehen.

(Beifall bei der CDU – Dr. Till Steffen GAL: Das ist wirklich billig!)

Das kann es aber eigentlich nicht sein. Sollen wirklich im Extremfall kleinste Stimmenzahlen den Ausschlag über die Zusammensetzung einer Fraktion geben, die im Landesparlament erhebliche Verantwortung zu tragen hat? Man könnte auch die Frage stellen, ob ein so stark personalisiertes Wahlrecht in einer Stadt wie Hamburg sinnvoll ist

(Uwe Grund SPD: Ja wann denn wo sonst? – Zu- rufe von der GAL)

Herr Grund, hören Sie weiter zu, jetzt kommt es nämlich –, wo doch Ihr Spitzenkandidat, von uns einfachen Abgeordneten ganz zu schweigen, über den sagenhaften Bekanntheitsgrad von 13 Prozent verfügt. Da frage ich mich doch, nach welchen Kriterien denn der Wähler seine personelle Auswahl treffen soll,

(Uwe Grund SPD: Das zeigt, wes Geistes Kind Sie sind!)

wenn so gut wie niemand bekannt ist. Da könnte ich auch ganz locker sagen, die besten Bekanntheitswerte in der Stadt habe der Bürgermeister, also komme uns das zugute.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Daran sieht man doch, dass das alles vorgeschoben ist!)

Nein, dies ist ein Systemfehler in diesem Wahlrecht und deshalb muss es geändert werden.

(Beifall bei der CDU)

Das passt in sehr viel kleineren Gemeinden, wo die meisten Wähler auch die meisten Kandidaten kennen.

Allerdings besteht diese Chance, sich bekannt zu machen, am ehesten im Wahlkreis. Deswegen soll es dort, in den Wahlkreisen dabei bleiben: fünf Stimmen und es kann kumuliert und panaschiert werden, aber mit der Einschränkung, dass es schon eine nennenswerte Zahl von Wählern sein muss, die von den Möglichkeiten des

Kumulierens und Panaschierens Gebrauch machen. Damit können die Wähler sehr wohl die Vorschläge einer Partei verändern. Die Abstrafung eines allgemein bekannten, anerkannten, beliebten Politikers

(Farid Müller GAL: Märchen, Märchen!)

durch seine Partei wird damit unmöglich. Mit anderen Worten: Dieses Kernelement des Wahlrechtes bleibt auch.

(Beifall bei der CDU)

Gerade nach den Kommunalwahlen in Niedersachsen, wo der erfolgreiche SPD-Kandidat für den Oberbürgermeisterposten in Hannover gesagt hat, das niedersächsische Wahlsystem sei eigentlich zu kompliziert, deswegen gebe es viele ungültige Stimmen und eine geringe Wahlbeteiligung, sollten Sie einmal darüber nachdenken, ob nicht mit unserer Vereinfachung – dass wir sagen, eine Stimme für die Landesliste – für Klarheit und einfaches, transparentes Wählen gesorgt wird. Dazu sind Sie offenkundig nicht bereit.

(Beifall bei der CDU)

Genauso wenig sind Sie bereit, darüber zu reden, ob eigentlich eine Kopplung der Hamburger Bezirksversammlungswahlen an die Wahlen zum Europaparlament irgendeinen sachpolitischen Sinn macht.

(Christa Goetsch GAL: Das ist wirklich eine alte Leier!)

Die Wahlen zum Europaparlament haben erfahrungsgemäß eine deutlich niedrigere Wahlbeteiligung als die Wahlen zum Landesparlament. Wenn ich mir ansehe, wie die Wahlbeteiligung in Mecklenburg-Vorpommern bei der Landtagswahl war, dann war sie deutlich niedriger als hier in Hamburg.

(Vizepräsidentin Dr. Verena Lappe übernimmt den Vorsitz.)

Wenn ich mir dann ansehe, mit welchen Wahlbeteiligungsquoten in Niedersachsen Stadtparlamente gewählt wurden, dann, das muss ich wirklich sagen, sollten wir alle gemeinsam ein Interesse daran haben, die Wahlen zu unseren kommunalen Vertretungen in den Stadtteilen an einem Tag durchzuführen, an dem es eine möglichst hohe Wahlbeteiligung gibt und wo sie sachlich mit der Landespolitik hingehören. Also: Bürgerschaft und Bezirksversammlung an einem Tag wählen.

(Beifall bei der CDU)

Einen weiteren Punkt, der unmittelbar mit der niedrigen Wahlbeteiligung zusammenhängt, wollen Sie schlicht und ergreifend nicht wahrhaben. Niedrige Wahlbeteiligung stärkt die extremen Parteien.

(Jörg Lühmann GAL: Da haben Sie ja Erfahrung!)

Deshalb treten wir für die Wiedereinführung der Fünfprozentklausel bei der Wahl zu den Bezirksversammlungen ein.