Protokoll der Sitzung vom 11.10.2006

(Dr. Mathias Petersen SPD: Das hat doch gar nichts mit dem Thema zu tun! – Dr. Andreas Dressel SPD: Lesen Sie es doch einmal zu Ende!)

Liebe Kollegen, hätten Sie vielleicht Herrn Voscherau einmal vorher informiert, hätten Sie ihm vorher gesagt, dass, wenn wir keinen Wahlstift oder ähnliche Methoden einsetzen, wir fast 50 000 Wahlhelfer in dieser Stadt brauchen würden. Dann, glaube ich, hätte Herr Voscherau vieles von dem nicht mehr erzählt, was er in diesem "Hamburger Abendblatt"-Artikel vorher klargemacht hatte. Aber er geht ja noch weiter. Er sagt nämlich auch noch – das finde ich bemerkenswert:

"… hätte ich schwere Bedenken gegen den Stift."

Den müssen wir einsetzen, darüber herrscht in diesem Hause – bisher zumindest – über alle Fraktionen Einigkeit.

"Denn damit würde die Aufhebung des Wahlgeheimnisses technisch möglich, …"

Das heißt, Sie, liebe Kollegen der SPD, benutzen einen Kronzeugen, der Ihnen vorwirft, dass Sie, wenn Sie diesen digitalen Wahlstift einsetzten, das Geheimnis der Wahl aufheben. Damit würden Sie bewusst gegen elementare Grundsätze des Wahlrechts, nämlich gegen das Wahlgeheimnis, verstoßen. Das nehmen Sie hin, da haben Sie keine Bedenken. Da bleibt Herr Voscherau Ihr Kronzeuge. Da ist er mit einem Mal nicht mehr relevant. Ich glaube, liebe Kollegen:

(Dr. Mathias Petersen SPD: Das nehmen Ihnen die Bürger nicht ab, was Sie da sagen!)

Herr Voscherau hat wenig gewusst, was er eigentlich erzählt. Herr Voscherau hätte sich lieber vorher über das informieren sollen, was eigentlich angesagt ist.

Das gilt auch noch für einen zweiten Punkt, den ich bemerkenswert finde. Herr Voscherau sagte heute Morgen, er würde erwarten, dass der Bürgermeister jetzt die Notbremse zieht. Ich kann verstehen, dass Herr Voscherau das denkt, weil es ein solches Instrumentarium einmal in unserer Verfassung gab. Nun weiß ich, die Kollegen der SPD brauchen ein paar Jahre länger, bis sie "up to date" sind. Aber zehn Jahre sind auch für Sie verdammt viel. Denn dieses Instrument der Verfassung haben wir 1996 gestrichen.

(Dr. Mathias Petersen SPD: Er muss es nicht unterschreiben!)

Übrigens, der Bürgermeister, der damals diesen Akt unterschrieben hat, hieß Voscherau. Wahrscheinlich war er so überlastet bei seinen nächtlichen Sitzungen in seinem Büro, dass er nicht mehr in der Lage war, wahrzunehmen, was er gerade unterschreibt. Aber tatsächlich war er es.

(Beifall bei der CDU)

Es fällt mir schon ein bisschen schwer, zu akzeptieren, dass einer der prominentesten Hamburger Notare – also ein Institut für die Rechtswahrung dieser Stadt – offensichtlich die geltende Verfassung kaum oder gar nicht kennt. Das ist schon bedenklich, aber es gibt genug Leute, die Ihn aufklären können, allen voran in der SPDFraktion. Da haben wir – wie wir heute Morgen gelesen haben – unseren großen Staatsrechtler Dressel. Der hat heute Morgen ein Institut erfunden, von dem ich immer noch so beseelt und so begeistert bin und das wirklich etwas ganz Tolles ist. Heute Morgen in der "Hamburger Morgenpost" verkündet Herr Dressel, dass der Bürgermeister hier jetzt endlich handeln müsse, dass der Bürgermeister seine Richtlinienkompetenz ausnutzen solle.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Genau!)

Mensch. Da muss ich sagen – nun bin ich schon seit ein paar Jahren Mitglied der Bürgerschaft –, dass der Bürgermeister uns gegenüber eine Richtlinienkompetenz hat, ist mir neu. Aber ich lerne ja noch.

(Beifall bei der CDU)

Nach dem ersten Schreck muss ich sagen: Das hat auch etwas für sich. Ich kann für meine Fraktion deutlich sa

gen: Wenn wir eine solche Richtlinienkompetenz des Bürgermeisters gegenüber dem Parlament haben, fordere ich hiermit den Bürgermeister im Namen meiner Fraktion auf: Herr von Beust, üben Sie diese Kompetenz aus. Bringen Sie die SPD-Fraktion im Rahmen dieser Kompetenz dazu, Ihre Verantwortung für diese Stadt wahrzunehmen und heute Abend gemeinsam mit uns zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU)

Ich gewinne zunehmend den Eindruck, dass die Kollegen der SPD dieser Aufforderung heute wahrscheinlich nicht Folge leisten werden, was ich bedaure. Aber vielleicht wird uns der Kollege Dressel nachher noch einmal erklären, wo denn die Richtlinienkompetenz des Bürgermeisters gegenüber dem Parlament liegt.

Ich sage es hier ganz deutlich, liebe Kollegen der SPD: Von solchen Verfassungsexperten, wie Sie es sind – Sie haben es uns immer wieder vorgeworfen und uns als moralische Verfassungsbrecher bezeichnet –, sind wir nicht bereit, uns das vorwerfen zu lassen. Sie haben bewiesen, dass Sie von der hamburgischen Verfassung wahrlich keine Ahnung haben, Sie haben sich aus diesem Rennen nun wirklich selbst herausgeworfen.

Lassen Sie mich noch einmal ganz kurz zu dem kommen, was wir eigentlich heute Abend hier debattieren.

(Beifall und Lachen bei der SPD und Zurufe von der SPD: Oh,oh!)

Ich weiß: Das hören sie ungern.

Liebe Kollegen, es muss natürlich möglich sein, die vielen Äußerungen, die sie hier im Parlament relativ selten loslassen, noch einmal kurz zu kommentieren. Ich will das sehr deutlich tun.

Wenn wir schon bei der Verfassung sind, haben wir nicht nur das Vetorecht des Senats, das wir gar nicht mehr haben, oder gar die schon eben zitierte Richtlinienkompetenz des Bürgermeisters. Wir haben auch den Artikel 24 unserer Verfassung. Der sagt sehr deutlich, was die Aufgaben der Opposition in diesem Staate sind. Liebe Kollegen der SPD, darin steht nicht, dass Sie sich vor der Verantwortung in der Stadt drücken dürfen oder gar sollen. Sie tragen genauso viel Verantwortung in diesem Hause wie jeder andere Abgeordnete auch.

(Manuel Sarrazin GAL: Hätten Sie einmal vorher zugehört!)

Wir haben in den vielen Debatten, die wir in den letzten Wochen zum Thema Wahlrecht geführt haben, mehr als einmal deutlich gemacht, dass es viele Dinge in diesem Wahlrecht gibt, die zweifelhaft sind. Es gibt einige Dinge, die schlichtweg rechtswidrig und verfassungswidrig sind.

(Jürgen Schmidt SPD: Welche denn, welche denn?!)

Wer das erkennt – das wissen Sie ganz genau, das erkennen auch viele Kollegen der SPD-Fraktion –, und nicht handelt, handelt verantwortungslos. Genau das tun Sie.

(Beifall bei der CDU – Olaf Ohlsen CDU: Sehr richtig!)

Wir machen es uns mit dieser Verantwortung nicht leicht. Natürlich wäre es viel einfacher, es genau so zu machen wie die Kollegen der SPD und zu sagen: "Prima, durch

tauchen, abtauchen, wir fahren die Sache gegen die Wand."

Wir reden hier über die Stadt Hamburg. Wir alle haben gemeinsam die Verpflichtung, für das Wohl dieser Stadt zu sorgen. Genau diese Verpflichtung sagt uns auch, dass wir dieses Wahlrecht nicht einmal eben an die Wand fahren lassen dürfen.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Sie fahren es an die Wand!)

Wir haben die Verpflichtung, für diese Stadt ein Wahlrecht zu schaffen, das einer Stadt ermöglicht, weiterhin agieren zu können und handlungswürdig zu sein. In diesem Sinne fordere ich Sie heute auf, gerade die Kollegen der SPD – es gibt bei Ihnen sehr viele, das wissen sie ganz genau, die ganz anders denken, als sie öffentlich bekunden –,

(Gerhard Lein SPD: Was ist dann mit Ihrer Frak- tion?)

wenn Sie heute Mut haben, dann halten Sie sich heute einmal nicht an Ihre Fraktionsdisziplin. Wir sind da offensichtlich viel offener als Sie. Sie haben diesen Mut nicht, Sie bekennen sich nicht zu Ihrer Verantwortung. Sie ducken sich weg, während wir hier in dem Argumentenhagel stehen. Haben Sie den Mut, bekennen Sie sich zu Ihrer eigenen Meinung. Dann, liebe Kollegen der SPD, kann man Sie wieder ernst nehmen.

(Beifall bei der CDU – Werner Dobritz SPD: Hau ab! – Glocke)

Herr Dobritz, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf. – Das Wort erhält der Abgeordnete Neumann.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen, meine Herren! Mann kann der Fraktionsführung der CDU nicht immer bei allen Entscheidungen Weisheit bescheinigen. Aber, ich glaube, es war eine weise Entscheidung Ihrer Fraktionsführung, Sie heute als ersten Redner reden zu lassen, weil ich glaube, dass kein anderer Ihrer Fraktion das Stichwort "Arroganz der Macht" so wundervoll glaubwürdig hätte darstellen können, wie Sie es in Ihrem Debattenbeitrag getan haben.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und der GAL)

Wir debattieren heute zum ich weiß nicht wievielten Male die Änderungsvorschläge der CDU-Fraktion zum Hamburger Wahlrecht. In vielen Sitzungen des Verfassungsausschusses, in Bürgerschaftsdebatten und zuletzt auch vor 14 Tagen bei der ersten Lesung war das ein Thema. Keines der zahlreichen Argumente gegen die Änderungen haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, wirklich aufgenommen, geschweige denn entkräftet.

(Harald Krüger CDU: Die werden von Mal zu Mal nicht besser!)

Im Gegenteil, Sie reduzieren Ihre Argumentation

(Präsident Berndt Röder übernimmt den Vorsitz.)

das hat Ihr Redner gerade, glaube ich, deutlich gemacht – im Kern auf eine zentrale Botschaft: Mehrheit ist Wahrheit.

Das ist die einzige Begründung, die Sie als CDU in Wirklichkeit geben. Sie sagen, Sie haben die Mehrheit hier im

Hause und deswegen sind Sie von einem höheren Wissen, von einer höheren Einsicht geprägt. Deshalb glauben Sie zu wissen, was gut für die Stadt ist. Ich glaube, die Menschen wissen sehr wohl selbst, was für Hamburg und für sie selbst gut ist.