Protokoll der Sitzung vom 11.10.2006

Als junger Abgeordneter möchte ich etwas zu dem Umgang sagen. Wir sind als CDU-Fraktion hier heute mehrfach mit Moralin beträufelt worden. Lassen Sie mich einmal drei Dinge zur Wortwahl sagen, die mich als Jungabgeordneten doch irgendwo sehr zum Nachdenken angeregt haben.

(Michael Neumann SPD: Da lacht sogar der Bür- germeister mit dem jungen Abgeordneten!)

Sie haben immer wieder betont, dass wir darüber nachdenken sollen, was Sie ausführen. Lassen Sie uns doch einmal ganz kurz über den Wahlrechtsraub nachdenken. Was unterstellen Sie uns hier eigentlich? Durch unsere Wahlrechtsänderung wird das, was einen Wahlrechtsraub ausmacht, nämlich, dass die Leute nicht mehr wählen können, gerade nicht stattfinden.

(Dr. Mathias Petersen SPD: Nicht so wählen kön- nen, wie Sie wollen!)

Sie haben uns einen Putsch unterstellt. Bisher hören wir in den Nachrichten von einem Putsch immer nur dann, wenn irgendwo Panzer vorfahren und das Militär Parlamente stürmt.

Hier wurde soeben von Betrug am Volk gesprochen. Ein Betrug ist die Täuschung über Tatsachen. Ich kann Ihnen

darauf nur erwidern, dass wir mit dieser Wahlrechtsänderung wirklich ehrlich umgehen. Ob Sie ehrlich sind, sollten Sie sich einmal fragen. Ich glaube, für die Wortwahl – und das sollten Sie mir als Demokraten auch zugestehen – müssten Sie sich eigentlich bei uns entschuldigen.

(Beifall bei Jörg Hamann CDU)

Lassen Sie mich noch ein Wort zur 5-Prozent-Hürde sagen, die wir in den Bezirken wieder einführen. Sie verweigern sich auch an dieser Stelle und das ist nicht gut. Ich habe mal als Abgeordneter im Bezirk Mitte mit Leuten von der DVU im Parlament zu tun gehabt.

(Michael Neumann SPD: Sie haben doch mit Schill koaliert, wo ist das Problem?)

Wenn wir das so belassen und die 5-Prozent-Hürde nicht wieder einführen, dann würden Sie undemokratischen Parteien, wie der NPD und der DVU, Tür und Tor öffnen.

Ihre ganze Inszenierung – gerade durch die Wortwahl wird das auch sehr deutlich – ist sehr populistisch. Ich finde sie – und das sage ich Ihnen als Demokrat und nicht als Parteipolitiker – nicht nur falsch, sondern auch unredlich.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Dr. Maier.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Noch ein Versuch. Es gibt zwei wesentliche Begründungen für Wahlen

(Klaus-Peter Hesse CDU: Nur zwei?)

und zwei Kriterien, die in der Literatur immer wieder eine Rolle spielen.

Das eine Kriterium drückt Popper so aus, dass er sagt: Wahlen sind dazu da, dass man gewaltfrei eine Regierung durch eine andere ablösen kann.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Das bleibt hoffentlich auch so!)

An diesem Punkt "gewaltfrei" hängt, dass das Verfahren, in dem das geschieht, eine sehr hohe Legitimation haben muss. Ansonsten wird die Gewaltfreiheit gefährdet. Und das ist das Thema, das wir hier haben.

Hier hat die Bevölkerung dieser Stadt über ein Wahlverfahren diskutiert und es hat sich die denkbar höchste Legitimation, nämlich die Legitimation des Volksgesetzgebers, für ein Verfahren ausgesprochen. Gleichzeitig nehmen Sie jetzt als Teil des Parlaments dieses legitimierte Verfahren wieder zurück. Hiermit gefährden Sie aber in gewisser Weise die friedensstiftende Rolle von Wahlen. Sie nehmen ein Stück der durch Volksgesetzgebung errungenen Legitimation zurück.

Das ist das erste Mal in der ganzen Geschichte der Bundesrepublik, dass der Volksgesetzgeber in dieser Angelegenheit ein Wahlrecht beschlossen hat. Und das torpedieren Sie. Das ist ein sehr schwerwiegender Eingriff und ist gerade unter solchen Kriterien, wie Poppers friedensstiftender Wirkung, durchaus von Bedeutung. Sie merken es daran, wie wir uns aufregen und wie hoch die Emotionslage ist. Wir werden uns zwar nicht kloppen, aber Sie müssen davon ausgehen, dass das tatsächlich die Legitimation zurückdrängt.

(Beifall bei der GAL)

Das zweite Argument zugunsten von Wahlen ist in der klassischen Formulierung von John Dewey. Das läuft darauf hinaus zu sagen: Wahlen sind vor allen Dingen dazu da, um Öffentlichkeit immer wieder neu zu produzieren, immer wieder Bürgerinnen und Bürger in einen Prozess der Auseinandersetzung und der Diskussion über das Wohl des Gemeinwesens aktiv einzubeziehen.

Die Wahlen, die wir gegenwärtig durchführen, tragen häufig wenig dazu bei, weil sie weitgehend entpolitisierte Veranstaltungen sind, wo zwei oder drei Personen die gesamte Entscheidung an sich ziehen und wir uns wenig mit Sachfragen auseinandersetzen.

Das Wahlrecht, das die Initiative vorgeschlagen hat, führt dazu, dass es zwar um mehr Personen geht, damit aber die Personenfrage als großes Symbol eine viel geringere Rolle spielt

(Karen Koop CDU: Genau das Gegenteil!)

und stattdessen sehr viel mehr eine konkrete Auseinandersetzung vor Ort zwingend ist, wenn man ein Mandat gewinnen will.

(Zuruf von der CDU)

Doch, natürlich.

Sie alle, die Sie da sitzen, können dann nicht mehr mit dem Kopf, der da gerade saß, die Wahlen gewinnen. Denn das haben Sie getan. Sie müssen es mit Ihrem eigenen machen, stellen Sie sich das vor.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Das ist eine erhebliche Erschwernis.

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Das haben wir ge- rade verhindert!)

Schließlich hat dann – das knüpft ein bisschen an das Poppersche Argument an – Herr Reinert gesagt, Sie täten das alles aus Sorge darum, dass auch die nächste Bürgerschaft Politik für die Stadt machen könne.

(Karen Koop CDU: Handlungsfähigkeit!)

Das heißt, Sie unterstellen, das Wahlrecht, das die Initiative durchgesetzt hat, würde möglicherweise ein Parlament hervorbringen, das keine regierungsfähigen Mehrheiten mehr hätte. – Wodurch denn eigentlich?

(Bernd Reinert CDU: Durch systematische Fehler!)

Stellen Sie sich einmal vor, auch das Wahlrecht der Initiative würde nur in seltenen Ausnahmefällen die Möglichkeit schaffen, dass nicht parteilich gebundene Abgeordnete in Wahlkreisen vielleicht einmal – vielleicht wären das ein, zwei oder drei in der gesamten Stadt – durchkämen, ohne von einer Partei nominiert zu sein. Die Rolle der Parteien wäre damit gar nicht angetastet. Die 5-Prozent-Regelung bleibt für die Bürgerschaftswahl erhalten. Das heißt, das Parlament hätte eine ähnliche Zusammensetzung nach der Stärke der Parteien, es könnte nur sein, dass es personell aufgemischt würde, weil die Bürgerinnen und Bürger das eine Gesicht interessanter oder klüger oder besser finden als das, was jetzt hier sitzt. Es ist doch ein legitimes Verlangen, eine solche Möglichkeit zu bekommen. Sie können aber nicht eine Gefahr für die Republik oder die Stadt ausrufen, wenn es passiert, dass Leuten Ihre oder Ihre oder meine Nase nicht mehr gefällt.

Das ist für die Stadt völlig ungefährlich. Die Regierungsfähigkeit der Stadt hängt davon ab, dass tatsächlich Blöcke der Willensbildung existieren. Das wird auch weiterhin der Fall sein. Das wird auch mit dem noch bestehenden Wahlrecht der Fall sein.

(Bernd Reinert CDU: Nein, mit unseren Änderun- gen wird es so!)

Nein, dann wird es nicht mehr der Fall sein, weil Sie dann wieder die Nasen festsetzen. Das ist genau das, was die Bürgerinnen und Bürger nicht wollen, was sie gerade abgeschafft sehen wollten.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Schließlich, um es noch einmal mit einem Bild zu verdeutlichen: Wenn sie sagen, es ginge auch um den Grundsatz der Organtreue, kommt mir da etwas anderes in den Kopf. Ich habe immer die Assoziation "Organspende". Wissen Sie, welches Organ Sie opfern? – Nicht Ihres, nicht unseres, sondern das Organ "Volksgesetzgeber". Den spenden Sie in den Missmut und in die Unlust hinein. Dieses Organ "Volksgesetzgeber" – was soll denn der eigentlich noch für eine Bedeutung haben, wenn er machen kann, was er will und von Ihnen so oder so gewatscht wird. So überzeugend sitzen Sie alle auch nicht da,

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Sie auch nicht!)

dass die dann sagen würden: "Das sind sehr plausible Lehrer, die mich da watschen, und darum nehme ich die Ohrfeige hin."

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Nein, diese Rolle haben Sie nicht. Und weil das so ist, gefährden Sie wirklich etwas von der Legitimationsgrundlage unserer politischen Verfahren. Das ist schlecht.

(Beifall bei der GAL)