Protokoll der Sitzung vom 11.10.2006

Wenn der heutige Bürgermeister den Willen und den Mut hätte, in Bezug auf dieses unmoralische Wahlgesetz Schaden von der Stadt und von der Demokratie abzuwenden, dann müsste er hier die politische Notbremse ziehen.

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Welche denn, Mensch? – Beifall bei der SPD und der GAL)

Keine Verfassung verbietet dem Bürgermeister, sich Ihnen gegenüber durchzusetzen und zu erklären, dass er die Richtlinienkompetenz hat. Diese Kompetenz hat er in der Verfassung, um dafür zu sorgen, dass dieses Gesetz gestoppt wird.

(Unmutsrufe von der CDU)

Das hat er nicht getan, sondern er hat sich weggeduckt und Sie gewähren lassen. Daher trägt er für diese Sache genauso die Verantwortung wie Sie.

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Solche Experten brauchen wir mehr in Hamburg, vielen Dank!)

Er hat sich hiermit ganz klar von dem Anspruch verabschiedet, Bürgermeister für alle in dieser Stadt zu sein und ist nur noch der Diener seiner Partei.

(Beifall bei der SPD)

Die Änderung im Wahlrecht, Ihre Wahlrechtsdemontage, geschehe – so heißt es in Ihrer Gesetzesbegründung – ich zitiere:

"… nicht willkürlich, sondern aus wohlerwogenen Gründen des Gemeinwohls."

Diese Worte muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Man kann natürlich sagen, dass Sie Recht haben. Willkürlich sind Ihre Änderungen tatsächlich nicht, aber Sie haben sie dahingehend manipuliert, dass es der Funktionärskaste am Leinpfad ins Konzept passt. Das ist die Wahrheit.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Wenn Sie dann heute so häufig den Begriff der Organtreue benutzen – Herr Maaß hat diesen Begriff auch schon so schön angebracht –, dann kann man davon ausgehen, dass die Organtreue offenbar nur noch gegenüber dem CDU-Landesvorstand gilt.

(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU)

Dieses rein parteipolitische Hinbiegen des Gesetzes zeigt noch einmal, wie die wahre Begründung für dieses Gesetz lautet und auch das ist ein Grund, der hier noch einmal öffentlich genannt werden muss. Die Wahrheit liegt effektiv tiefer. Ihre absolute Mehrheit scheint Ihnen bei dieser Frage nach zweieinhalb Jahren schon zu Kopfe gestiegen zu sein. Normalerweise passiert so etwas eigentlich immer erst im Endstadium, aber das hat Sie hier schon sehr früh erwischt.

(Gesine Dräger SPD: Das ist vielleicht das End- stadium! – Olaf Ohlsen CDU: Das ist doch platt!)

Aufgrund der Machtversessenheit, die sich hier durch Ihr Gesetz zieht, sind Sie an dieser Stelle einen ganz entscheidenden Schritt zu weit gegangen. Dieses Gesetz, das Sie hier heute in zweiter Lesung beschließen wollen, wird Sie einholen, wird Sie nicht loslassen und das wird mindestens bis zur Wahl Ihre politische Fußfessel bleiben. Darauf können Sie sich gefasst machen.

(Beifall bei der SPD)

Ich wiederhole hier gern noch einmal den Satz des Hamburgischen Verfassungsgerichts, der Ihnen 1993 in das Stammbuch geschrieben worden ist.

(Zuruf von der CDU)

Ich weiß, dass Sie das überhaupt nicht gern hören, wenn man Sie an dieses Urteil erinnert, weil es schwarz auf weiß belegt hat, dass Sie nicht in der Lage sind, demokratische Spielregeln einzuhalten.

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Sie sind doch neuerdings der Experte der SPD-Fraktion! Dann reden Sie doch mal ein Machtwort!)

Ich sage Ihnen noch einmal, was das Verfassungsgericht ausgeführt hat, ich zitiere:

"Die große Mehrheit der wahlberechtigten Bürger wählt nur solche Personen, deren demokratische Glaubwürdigkeit außer Zweifel steht."

Das sollte Ihnen jedenfalls zu denken geben.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Goetsch.

A C

B D

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist schon befremdlich und auch enttäuschend, dass Sie sich, meine Damen und Herren von der CDU – ob das nun Herr Reinert oder ganz besonders auch Herr Voet van Vormizeele ist – entweder in Details verzetteln, die überhaupt nicht die Wichtigkeit dieses Tages und dieser Entscheidung deutlich machen oder aber sich wirklich in polemisch hilfloses, fast "Small Talk"artiges Geschwätz versteifen. Hierbei muss man sich fragen, wie ernst nehmen Sie als Parlament eigentlich diese Entscheidung, bei der es in dieser Bundesrepublik Deutschland wirklich einmalig ist, dass sich eine absolute Mehrheit über einen Volksentscheid gerade im Kontext eines Wahlrechts hinwegsetzt?

Ich könnte einfach aus der Erfahrung als Lehrerin sagen, dass ich sehr oft bei Schülerinnen und Schülern erlebt habe, dass sie lachen – was hier auch passiert ist –, wenn es um ernste Themen geht, mit denen sie ganz schlecht umgehen können oder anscheinend unsicher sind und nicht wissen, wie sie darauf reagieren sollen.

(Olaf Ohlsen CDU: Ach, Frau Goetsch!)

Bei Ihnen habe ich es aber mit erwachsenen Menschen zu tun und das ist schon sehr bedauerlich.

Dann kommen Sie mit dem Vergleich der Witwe Bolte und dem Sauerkraut, der natürlich etwas schräg ist. Hier liegen Sie natürlich vollkommen falsch, denn gerade aufgewärmtes Sauerkraut schmeckt besonders gut oder auch das Choucroutes im Elsass. Man kann hier – glaube ich – dieses Kraut nicht oft genug aufwärmen, um Ihnen deutlich zu machen, wie wichtig und ernsthaft es hier heute Abend um diese Entscheidung geht.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Ob es juristisch rechtens ist, was Sie mit Ihrer absoluten Stimmenmehrheit machen, das wird möglicherweise das Hamburgische Verfassungsgericht entscheiden. Dass es aber nicht redlich ist, einen Volksentscheid mit parlamentarischer absoluter Mehrheit auszuhebeln, steht jetzt schon fest.

Ich möchte Sie nicht aus der Verantwortung entlassen, ohne Ihnen einen Satz von Bertrand Russell mitzugeben, der unterstreicht, dass Sie noch einmal überlegen sollten, was Sie hier eigentlich tun, ich zitiere:

"Ein Demokrat braucht nicht zu glauben, dass eine Mehrheit immer eine weise Entscheidung treffen wird. Woran er aber glauben soll, ist die Notwendigkeit, dass ein Mehrheitsbeschluss, ob klug oder unklug, angenommen werden muss, bis die Mehrheit einen anderen Beschluss gefasst hat."

Die Mehrheit hat einen anderen Beschluss gefasst, Herr Reinert, und nicht die Bewertung dieses Beschlusses. Nicht Ihre Meinung ist wichtig, ob es richtig oder falsch ist, sondern Sie müssen diese Mindestanforderung an demokratischen Spielregeln erfüllen, meine Damen und Herren von der CDU.

(Beifall bei der GAL)

Dass es langsam einsam um Sie wird, haben wir schon gehört. Man hat das Gefühl, dass Sie und der Senat die Einzigen sind, die noch darauf beharren. Es ist nicht nur die parlamentarische Opposition, die deutlich macht, dass es hier um eine schwerwiegende Entscheidung geht, sondern es ist im Augenblick auch ein Bündnis von vielen

Bürgerinnen und Bürgern von verschiedenen Parteien und selbst in Ihrer eigenen Fraktion gibt es auch andere Meinungen, die Sie in irgendeiner Form auf Linie gebracht haben. Es ist von dem Appell der Persönlichkeiten gesprochen worden, die erklären, ich zitiere:

"Das Wahlrecht ist das Fundament unserer Demokratie. Daher darf es nicht von einer Partei allein verändert werden."

Das ist korrekt, meine Damen und Herren von der CDU. Sie handeln in diesem Punkt nicht verantwortungsvoll und nicht im Sinne der Demokratie in Hamburg, wenn Sie das Wahlrecht im Alleingang ändern. Ich kann nur immer wieder betonen, dass Sie das nicht durchführen dürfen, nur um Ihre Machtbasis abzusichern.

Sie isolieren sich und beschädigen Ihre Fraktion sowie Ihre Partei. Sinngemäß von Max Weber, aber auch von Frau Duden heißt das: Sie werden sich für die voraussehbaren Folgen Ihres Handelns verantworten müssen. Überlegen Sie noch einmal und denken Sie nach.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort erhält der Abgeordnete Finck.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben hier nun als CDUFraktion eine Reihe von moralischen Ratschlägen erhalten. Ich denke, ich bin einer der jüngeren Abgeordneten hier im Hause und möchte eigentlich nur drei Dinge zur Wortwahl sagen. Ich weiß, dass wir in der Diskussion teilweise sehr hart miteinander umgehen.

(Glocke)

Herr Abgeordneter, zur Durchdringung des Raumes wäre es hilfreich, das Pult etwas hochzufahren. Dann sind Sie näher am Mikrofon.

Als junger Abgeordneter möchte ich etwas zu dem Umgang sagen. Wir sind als CDU-Fraktion hier heute mehrfach mit Moralin beträufelt worden. Lassen Sie mich einmal drei Dinge zur Wortwahl sagen, die mich als Jungabgeordneten doch irgendwo sehr zum Nachdenken angeregt haben.