Protokoll der Sitzung vom 13.12.2006

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Frau Ahrons! Es gehört schon einiges an Chuzpe dazu, an unseren recht ausführlichen wirtschaftspolitischen Anträgen herumzumäkeln.

(Barbara Ahrons CDU: Wir sind an der Regierung, vergessen Sie das nicht!)

Der einzige Antrag, der aus der Feder Ihres wirtschaftspolitischen Verstandes gekommen ist, behandelt die Reparatur von Hafenbarkassen. Das ist zudem eine Initiative, die der Senat schon einige Zeit zuvor angekündigt hat. Das erscheint schon ein bisschen seltsam.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Aber wahrscheinlich handelt es sich um einen dieser Superimpulse zur Wirtschaftsförderung.

Ich möchte mich aber auf die Arbeitsmarktpolitik konzentrieren und hier einen denkwürdigen Satz Senatorin Schnieber-Jastrams von vor ein paar Monaten aus der Debatte zitieren, die wir abgehalten haben über verwahrloste Kinder, Kinderarmut und die schlimmen Vorfälle, die es gegeben hat:

"Beziehen die Eltern Transferleistungen, zum Beispiel nach dem Sozialgesetzbuch II, sind sie davon abhängig. Erst wenn es uns gelingt, wieder mehr arbeitsfähige Eltern in Arbeit zu bringen, können wir diesen Kreislauf durchbrechen."

Wie wahr gesprochen. Heute und in all den vielen Pressemitteilungen zu den Kommentierungen der Arbeitsmarktpolitik der Behörde für Wirtschaft und Arbeit hören wir den Arbeitssenator Uldall sagen, wie toll alles sei, dass die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gestiegen und alles eigentlich heil sei und sich auf einem guten Weg befinde. Dann kommt er auch noch mit dem Bilanzprinzip von Klarheit und Wahrheit – ernsthaft, da lachen ja die Hühner.

Ich will Ihnen ein paar Zahlen nennen, die die letzten Jahre Ihrer Regierungszeit abdecken. Wir haben heute etwa 40 000 offiziell registrierte Langzeitarbeitslose. Das ist fast doppelt so viel als bei Ihrem Regierungsantritt. Wir haben 143 000 Erwerbsfähige, die Arbeitslosengeld II beziehen. Das ist die wahre, durch Hartz IV aufgedeckte Zahl. Für die Höhe dieser Zahl können Sie nichts, da dies erst durch diese Reform aufgedeckt wurde. Aber es zeigt die Größenordnung dieses Problems. Diese Menschen leben in 115 000 Bedarfsgemeinschaften und insgesamt leben in diesen Bedarfsgemeinschaften 199 000 Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt. Das ist die Größe eines Bezirkes, das ist fast so viel, wie Altona Einwohner hat. Diese alle sind direkt oder indirekt von einer aktiven Arbeitsmarktpolitik abhängig, die dieser Senat und dieser Arbeitssenator eigentlich verpflichtet wäre zu verfolgen. Was machen Sie stattdessen? Sie kürzen radikal um 70 Millionen und die Maßnahmen, die Sie ergreifen, führen Sie nach dem Gießkannenprinzip aus. Sie organisieren in Ihrem Verantwortungsbereich die ARGE nicht richtig. Statt rechtzeitig umzusteuern, warten Sie fast zwei Jahre, bis Sie uns jetzt die nächste kleinere Maßnahme ankündigen. Das ist einfach für die Größenordung dieses Problems zu wenig. Es zeigt Ihre falsche Schwerpunktsetzung.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Bei der Kommentierung Ihrer Arbeitsmarktzahlen fällt kein einziges Wort zu den Langzeitarbeitslosen, mithin genau den Personen, über die und deren Probleme sich Senatorin Schnieber-Jastram beklagt hat. Während sich also die eine Senatorin einen weißen Fuß macht und sagt, sie habe ein großes Problem im Hause, das sie geerbt habe und für das sie nichts könne, verschlimmert es der andere, der sich Arbeitssenator nennt, mit seinen Maßnahmen. Aber auch der Bürgermeister erwähnt mit keinem Wort die Langzeitarbeitslosigkeit, obwohl er – in der Debatte direkt angesprochen – noch sagte, er komme gleich noch darauf. Aber mitnichten ist er darauf gekommen. Das kann er auch nicht, denn der gesamte Senat unterliegt dieser falschen Schwerpunktsetzung.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Ohne korrekte Analyse kann es keine richtige Schlussfolgerung geben. Sie haben viele Millionen aus der Arbeitsmarktpolitik herausgezogen. Ich will Ihnen nur zwei Bereiche nennen, in denen Sie sehr viel Gutes hätten tun können, um die soziale Lage der Betroffenen zu stabilisieren. Erstens wissen wir doch inzwischen alle – so wichtig die Orientierung auf den ersten Arbeitsmarkt ist –, dass es in schwierigen Arbeitsmarktsituationen aus ganz bestimmten Lebenslagen immer Personen geben wird, die, obwohl sie qualifiziert sind, obwohl sie engagiert, motiviert und aktiviert sind und obwohl sie einen EinEuro-Job geleistet haben, es nicht schaffen werden, gleich Anschluss im ersten Arbeitsmarkt zu finden.

Wir schlagen für diese Zielgruppe eine gemeinwohlorientierte Bürgerarbeit vor, begrenzt – wir sollten jedoch streng darauf achten, dass wir die Menschen dort nicht einschließen –, aber helfend und in einer guten und würdevollen Arbeit überbrückend, sodass sie dann von dort aus später den Sprung besser schaffen können. Damit ist den Stadtteilen und den Menschen geholfen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Ein zweites Beispiel ist der Übergang von der Schule in den Beruf, die unter 25-Jährigen. Jeder in dieser Stadt, der sich auskennt, sagt Ihnen, dass dieser Bereich institutionell bezüglich dessen, was sich an Behörden vor Ort bis hin zur Bundesagentur tummle, völlig fragmentiert, unkoordiniert und vor allem unproduktiv für die Betroffenen ist. Für viele junge unterstützungsbedürftige Menschen – als Risikoschüler schon auf der Schule ohne richtige Perspektive allein gelassen – sind die gesamten Maßnahmen, die sich anschließen könnten und die diesen eigentlich helfen sollten, oft ein undurchsichtiger Dschungel. Manches Mal schlecht beraten, beginnen sie so ihre Maßnahmenkarrieren. Manche werden in ihren Karrieren noch einmal von A bis Z beraten und es beginnt alles noch einmal neu. Nirgendwo anders könnte man besser und frühzeitiger – in der Schule angefangen – die Intention von Hartz IV – die einer besseren Betreuung – mit der Bereitstellung eines persönlichen Ansprechpartners umsetzen, der jemanden schon früh bei der Kompetenzfeststellung oder Berufsorientierung in der Schulzeit bis später hin zu Maßnahmen, die den jungen Menschen helfen, sich weiter zu qualifizieren, und bis hin zum Einstieg in das Arbeitsleben begleitet. Dies wäre möglich, wenn dafür Ressourcen bereitgestellt würden und ein Verbund geschaffen würde, in dem diese vielen einzelnen Akteure endlich einmal konzertiert zusammengefasst würden. Doch dieser Bereich ist von Ihnen, Ihrer Sozialsenatorin und Ihrer Schulsenatorin völlig brach liegen gelassen. Das ist ein schwerer struktureller Fehler.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Nehmen wir nur einmal an, Sie hätten Recht mit der These, dass diese ganzen Arbeitsmarktmaßnahmen, die Sie bisher durchgeführt haben, nichts bringen und dass man deswegen kürzen sollte. Wenn man sich dann ansieht, wie man sinnvoll Politik gestalten und auch gerade eben bei diesem Kernproblem der Stadt sinnvoll ansetzen wollte, wäre es doch ein Leichtes, sich ressortübergreifend zusammenzusetzen, um in diesem weiten Feld der unter 25-Jährigen, die noch eine Chance brauchen, endlich besser zu werden und die Mittel endlich umzulenken. Aber was tun Sie stattdessen? Sie schichten die Mittel um in Wirtschaftsförderung, in dubiose Mittelstandsprogramme, die Ihnen selbst so dubios erscheinen, dass Sie sie darauf erneut umschichten und dann in Barkassenreparaturprogramme stecken. Das ist wirklich der Gipfel der Absurdität und hat nichts mit Arbeitsmarktpolitik zu tun.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Ich zitiere noch einmal Sozialsenatorin SchnieberJastram:

"Menschen in die Lage zu versetzen, ein Leben ohne staatliche Leistungen führen zu können, muss unser Ziel sein."

Sie haben eben genau jenen Menschen eben jene Mittel genommen, die zu deren Fördern und Fordern notwendig wären. Ihr Handeln spricht diesen Worten Hohn.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Das Wort erhält die Abgeordnete Köncke.

Meine Damen und Herren und vor allen Dingen natürlich Frau Ahrons und Herr Uldall! Ich darf seit gut zweieinhalb Jahren in diesem Parlament mitarbeiten. Ich frage mich, wann wir hier endlich einmal über Arbeitsmarktpolitik diskutieren. Ihr Mitläufertum mit der allgemeinen Konjunkturentwicklung zeigt doch nur eines, nämlich genau das, was Herr Dees ausgeführt hat, dass Sie kein Ziel und keinen Plan haben.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Sie spielen ständig die Wirtschaftspolitik gegen die Arbeitsmarktpolitik aus. Genau das zeigt die große Kluft zwischen grüner und schwarzer Politik. Dies ist der Politikbereich, in dem wir wirklich keine Annäherung finden. Das möchte ich Ihnen beispielhaft an drei Politikbereichen deutlich machen.

Zunächst die soziale Stadtentwicklung, die Sie, die CDU, inzwischen auch entdeckt haben.

(Erste Vizepräsidentin Barbara Duden übernimmt den Vorsitz.)

Ihr Haushaltsantrag dazu nennt sich "lebenswerte Stadt" und Herr Reinert, der jetzt gerade so langsam vor sich hin schläft, und Herr Peiner, die ganz großen Strategen, haben einiges genannt und ich, aufmerksam, wie ich bin, habe brav mitgeschrieben. Da wurde gesagt, ein Bündel von Benachteiligungen gebe es in der Stadt. Die wirtschaftlichen Umstrukturierungen hätten zu sozialen Differenzierungen geführt. Der Anspruch auf soziale Integration sei zu fördern. Kein Wort darüber, dass im Wesentlichen natürlich Arbeitslosigkeit Armut und Ausgrenzung befördert und begründet, dass sich genau in denjenigen Stadtteilen die Arbeitslosigkeit konzentriert, dass bessere Betreuungsangebote und Bildung für Kinder die Schlüsselworte sind, aber eben nur die halbe Wahrheit, wenn die Eltern weiterhin ohne Beschäftigung und ohne Perspektive bleiben. In Ihrem sogenannten Konzept findet sich kein Satz, der die Mitwirkung der Behörde für Wirtschaft und Arbeit erkennen ließe, der auf Beschäftigung ausgerichtet wäre. Was heißt dann Hilfe zur Selbsthilfe, wenn Sie diesbezüglich keine Angebote machen?

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Wir meinen, dass benachteiligte Stadtteile gerade eine konzentrierte arbeitsmarktpolitische Förderung benötigen. Dort gibt es nicht nur die höchste Arbeitslosigkeit, sondern auch die meiste Arbeit, die zu leisten ist: in der sozialen Infrastruktur und beim Quartiersmanagement zum Beispiel oder in den Schulküchen.

Dort müssen Sie die arbeitsmarktpolitischen Instrumente und eine zusätzliche Beschäftigung ansetzen. Hören Sie doch endlich mit Ihrer ideologischen Verunglimpfung auf. In Dänemark und Großbritannien gibt es diese zusätzliche Beschäftigung und aus diesem Grunde ist dort auch die Arbeitslosigkeit zurückgegangen.

Für ein breites Instrumentarium – hierzu gehören auch der Ein-Euro-Job, aber auch AB-Maßnahmen und der Kombilohn – stehen doch immerhin 170 Millionen Euro allein aus Bundesmitteln zur Verfügung. Denken Sie doch endlich einmal zwei Gedanken zusammen. Sie verteilen

mit der Gießkanne. Wir fordern Ankoppeln anstatt Abhängen.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Der zweite Bereich, den ich nennen möchte, betrifft das Zusammenspiel von Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Grundsätzlich ist es eine richtige Entscheidung, Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik zusammenzuführen, da schließlich hier Angebot und Nachfrage zusammenspielen. Aber was haben Sie gemacht? Sie haben diesen Zugriff dafür genutzt, die Arbeitsmarktpolitik gen Null zu fahren.

Gut 30 Millionen Euro beträgt der Restbetrag in Hamburg. Sie haben in die Kasse der Arbeitsmarktpolitik gegriffen, um den Hafen zu subventionieren. Das ist nicht nur einfach unfair, sondern schadet auch der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, weil Sie Qualifizierungen von dringend benötigten Fachleuten vernachlässigen.

In einer ewig wiederkehrenden Litanei gelten bei Ihnen nur Hafen und Airbus sowie die hierzu bekannten Industriebetriebe. Bezeichnend ist es doch, Herr Uldall, dass die BWA im Kulturwirtschaftsbericht an keiner Stelle mit einer Anmerkung erwähnt ist. Sie haben keine Idee, wie sich der Arbeitsmarkt entwickeln wird, welche Branchen zukunftsfähig sind und worin hier staatliche Aufgaben liegen.

Nehmen wir beispielsweise die Existenzgründer. Besonders in Hamburg gibt es eine steigende Anzahl von sogenannten Alleinunternehmerinnen, Designer, Lektoren oder Journalisten, die sich selbständig dem Markt stellen, und zwar teilweise in prekären Arbeitsverhältnissen. Sie bleiben im Hamburger Regen stehen, ohne dass die Wirtschaftsbehörde sie überhaupt wahrgenommen hätte.

Wir fordern gezielte Beratungsangebote, Möglichkeiten für Qualifizierung und Weiterbildung sowie Unterstützung der vorhandenen Vernetzung. Greifen Sie hier doch bitte einmal ein.

Der dritte Punkt, den ich erwähnen möchte, ist die Steuerung oder vielmehr das Schlingern der ARGE oder teamarbeit-hamburg. Sie haben natürlich Recht, die Umsetzung einer solchen komplexen Reform und die Installierung einer neuen Behördenstruktur gehen nicht von heute auf morgen. Zwei Jahre mögen dafür auch knapp bemessen gewesen sein. Wenn aber überhaupt keine Fahrt aufgenommen wird und wenn Rechtsbeugung und ich sage ausdrücklich Rechtsbeugung –

(Dr. A. W. Heinrich Langhein CDU: Ist strafbar!)

das sind nämlich die fehlenden Eingliederungsvereinbarungen – ungeahndet im Alltag bleibt sowie statt der Einzelfallbetreuung, die Grundlage des Förderns und Forderns, immer mehr Massenabfertigung die Oberhand gewinnt, dann zeigt sich hier ein grundsätzlicher Handlungsbedarf.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Wir sind daher der Meinung, dass sich gerade die Zusammenarbeit zwischen der Arbeitsagentur und der Wirtschaftsbehörde nicht bewährt hat und von gegenseitiger Schuldzuweisung und von blockierender Konkurrenz geprägt bleibt. Wir fordern, den Vertrag zwischen der Hansestadt Hamburg und der Agentur für Arbeit nicht fortzusetzen, damit Hamburg als Optionskommune in

Eigenverantwortung die Arbeitsmarktpolitik ausführen kann.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Wir fordern nicht nur eine Umsteuerung, sondern eine Steuerung der Hamburger Arbeitsmarktpolitik. Herr Uldall, Frau Ahrons, lassen Sie uns endlich über Arbeitsmarktpolitik diskutieren, die sich nicht im Ausbau des Hamburger Hafens erschöpft. – Vielen Dank.