Protokoll der Sitzung vom 17.01.2007

(Barbara Ahrons CDU: Das ist das Problem der Gewerkschaften!)

Nein. Nun begreifen Sie doch einmal, dass die Gewerkschaften eine Rolle wahrgenommen haben, die für die Republik wichtig war und nach wie vor ist.

(Gesine Dräger SPD: Nein!)

Sie haben gar nicht mitbekommen, dass wir eigentlich nur vorgeschlagen haben, einen Mechanismus, der in dieser Republik eigentlich Gesetzeskraft hat, wieder zu installieren. Das halten Sie für ein Bürokratiemonster.

Wir haben gesagt, dass die branchentariflichen Abschlüsse gemacht werden und Gesetzeskraft haben sollen. Diese Regelungsmöglichkeit gibt es jetzt schon durch Allgemeinverbindlichkeitserklärungen. Das soll aber flächendeckend gemacht werden. Wir haben im Moment die Situation, dass immer häufiger darauf verzichtet wird, die Allgemeinverbindlichkeitserklärungen auszusprechen.

(Gesine Dräger SPD: Warum wohl?)

Das heißt also, dass das gar kein prinzipiell neues Instrument ist. Das ist keinerlei Bürokratiemonster, sondern Gesetzeslage. Das kann man machen, man kann beschließen, dass das gemacht wird. Dann sind auch die regionalen und branchenmäßigen Unterschiede berücksichtigt und man hätte von Seiten der öffentlichen Hand etwas getan, um die Schwäche, die in bestimmten Sektoren des Arbeitsmarktes auf der Seite der Verhandlungspartner Arbeitskräfte besteht, auszugleichen, weil sie das zu einem beträchtlichen Teil aus eigener Kraft durch eigene Organisiertheit nicht mehr so hinbekommen. Das Privatfernsehen ist zum Beispiel für viele viel interessanter geworden, als sich auf Gewerkschaftsversammlungen zu begeben. Da haben wir tatsächlich auch von uns aus etwas organisiert, was die Organisationsmöglichkeiten im Interessenzusammenhang untergraben hat. Das muss man sehen und darum müssen wir da handeln.

Herr Uldall hat das Vollzugsdefizit angesprochen. Wenn es ein Vollzugsdefizit gibt, dann muss man wiederum doppelt denken. Dann muss man einerseits überlegen, dass dafür zum Teil natürlich die Organisationen zuständig sind. Klassischerweise ging man zum Vertrauensmann, zum Betriebsrat oder zum Gewerkschaftssekretär und sagte: Hör einmal, bei mir läuft das so und so. Unternimm etwas. – Vor dem Hintergrund der relativ hohen Organisiertheit konnte der auch etwas unternehmen. Der hatte ein Drohpotenzial.

Wenn das heute nicht mehr so flächendeckend funktioniert, muss man sich ein neues Instrument überlegen, um dieses Vollzugsdefizit zu bekämpfen. Man wird nicht hinter jeden Arbeitnehmer Polizisten stellen können, man kann aber zum Beispiel eine öffentliche Ombudsstelle schaffen, bei der eine anonyme Meldung möglich ist, wo man Fälle melden kann, in denen keine Tariflöhne gezahlt werden und wie es da aussieht. Dann kann die öffentliche Hand tätig werden, weil das tatsächlich ein Gesetzesverstoß ist, wenn die Tariflöhne nicht gezahlt werden, obwohl sie vereinbart wurden. Da kann man ausgleichend wirken, wenn man will, dass die schwächste Seite im Arbeitsmarkt stärkere Kraft hat, indem man sie kollektiv vertritt. Dafür sollten wir eintreten. Da sind auch Sie gefragt. Sie haben doch immerhin die Tradition christlicher Gewerkschaften. Warum wird dann von Bürokratiemonstern geredet?

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort bekommt Herr Dees.

Frau Ahrons, Sie haben uns hier den makroökonomischen Kurzvortrag gehalten. Ich würde das gerne noch einmal auf das Praktische zurückführen. In der Sprache der Ökonomen ist das die Mikroökonomie. Weil hier die Floristen immer so gerne als Beispiel genommen werden, schauen wir uns doch einmal ganz einfach die Kostenseite eines Floristen an. Ich bin da kein Insider, aber viele Dinge erschließen sich einem mit dem gesunden Menschenverstand und dann lohnt es sich, einfach einmal darüber nachzudenken. Da gibt es vermutlich drei große Kostenblöcke. Das eine sind die Personalkosten, das Zweite ist die Infrastruktur, also in welcher Lage zahle ich welche Miete, und das dritte sind die Materialkosten.

(Ingrid Cords SPD: Blumen!)

Die Blumen, genau.

Die Materialkosten, da verwette ich mit Ihnen einen großen Blumenstrauß, machen bestimmt je nach Lage des Geschäftes 30 bis 50 Prozent des Gesamtanteils der Kosten aus. Denn wir wissen alle, wie teuer diese Blumen sind, die wir einkaufen, und was für ein großer Logistikprozess vorgelagert ist, um sie in den Laden zu bringen.

Jetzt nehmen wir einmal einen einfachen Verkäufer, der vielleicht in einer Stunde zehn Blumensträuße à 15 oder 20 Euro verkauft. Der kommt pro Stunde auf einen Umsatz von 150 bis 200 Euro, lassen Sie es etwas weniger oder mehr sein. Darauf kommt es bei diesen Größenordnungen, die ich Ihnen gleich darstellen werde, überhaupt nicht an. Dieser Verkäufer soll jetzt möglicherweise statt 5,80 Euro meinetwegen 7,50 Euro bekommen. Das sind 1,70 Euro mehr pro Stunde bei einem Umsatz,

(Barbara Ahrons CDU: Plus Zusatzkosten für den Arbeitgeber!)

der bei guten Lagen vermutlich weit über 100 Euro liegt und liegen muss, damit all die anderen Nebenkosten auch hereingeholt werden können.

Nun gibt es verschiedene ökonomische Situationen, in die man geraten kann. Es ist ein sehr harter Wettbewerb und mein Nachbargeschäft spart an allen Ecken und Enden und auch an den Personalkosten. Dann wird es möglicherweise eintreten, dass dieser geringe Satz schon zu einem leichten bis deutlichen Vorteil für das Nachbargeschäft führen kann.

Dem können wir mit einem Mindestlohn entgehen, weil auch das Nachbargeschäft die gleiche Personalkostenstruktur wird für sich beanspruchen müssen. Damit ist eben nicht mehr der Lohn das entscheidende Merkmal, mit dem ich – über Lohndruck – einen Wettbewerbsvorteil erziele.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Der zweite entscheidende ökonomische Faktor für das Geschäft ist der Preis und der Kunde. Wenn ich den Umsatz nehme, den ich Ihnen eben gerade beschrieben habe und die 1,70 Euro ins Verhältnis zu 100 oder 200 Euro setze, dann ist die Preissteigerung, der Anteil dieser Lohnkosten am Umsatz, außerordentlich gering. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass jemand, der einen Blumenstrauß, der sowieso ein Luxusgut ist, für 20 Euro kaufen will und dann vielleicht 20,20 Euro dafür bezahlen muss, deswegen vor dem Kauf zurückschreckt. Das glaube ich Ihnen nicht.

Ich glaube, dieses einfache Beispiel und die geringen Größenordnungen, über die wir hier beim Mindestlohn in Wahrheit reden, um Menschen zu helfen, einen etwas besseren, würdigeren und gerechteren Lohn zu bekommen, dass diese geringen Unterschiede, die im Markt selber nicht herstellbar sind, aber durch eine solche einfache Regelung herstellbar wären, mit Sicherheit nicht den Effekt haben werden, dass all die Floristen, die Sie hier anführen, plötzlich ihre Blumen nicht mehr verkaufen würden. Ich halte das für ein gedankenloses, vorgeschobenes Argument.

Sie kommen mit volkswirtschaftlichen Gesamtzahlen. Das sind aggregierte Gesamtgrößen, große Summen, die Ökonomen aufsummieren. Dann kommen sie am Ende

auch auf große Summen, wenn Sie den Mittelwert bilden und sagen, dass das unter- oder oberhalb der Linie der Wirtschaftlichkeit sei. Ich sage Ihnen: Diese Beträge machen im realen Leben nicht den entscheidenden Faktor aus. Die anderen Länder – wir haben Ihnen, glaube ich, genug aufgezählt – haben es uns auch bewiesen. Deswegen ist es, glaube ich, der richtige Weg, den Schutzriegel vorzuschieben, den die Menschen, die Betroffenen brauchen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort bekommt Herr Dr. Mattner.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich meine, das Thema ist nicht geeignet, hier nur auf Emotionen zu machen. Insbesondere Frau Köncke oder Herr Kerstan, Sie machen Sich hier Gedanken über das Lächeln des Senators oder über das Strahlen seiner Zähne. Wo leben Sie denn?

(Zurufe von der GAL)

Das sind keine Argumente. Sie selber sind zahnlos, das ist alles nur heiße Luft, was Sie hier gebracht haben, und dient den Menschen nicht.

(Beifall bei der CDU)

Wir brauchen wirklich branchen- und lokalspezifische Lösungen und nicht die Brechstange, die hier immer wieder vorgetragen wird.

(Zurufe von der GAL)

Wir werden diese Lösungen nur finden, wenn wir genau das machen, was Sie Senator Uldall vorgeworfen haben, nämlich eben nicht ideologisch zu denken. Sie denken nur ideologisch. Das war der Hauptgegenstand fast aller Beiträge hier.

Ich will in dem Zusammenhang einmal auf ein paar Themen eingehen. Vieles von dem, was gesagt worden ist, gerät ganz schnell in die Schieflage. Herr Dees hat seine Ausflüchte ins Ausland getätigt, Frankreich und Großbritannien erwähnt. Ja, dort gibt es Mindestlöhne, aber in Frankreich gibt es 50 Prozent mehr Jugendarbeitslosigkeit. Ja, die Situation in England ist viel besser, aber die haben ein ganz flexibles Arbeitsmarktsystem. Die haben kaum Kündigungsschutz. Deswegen ist es anders. Sie vergleichen hier dauernd Äpfel mit Birnen.

(Beifall bei der CDU)

Dann sprechen Sie die Bauwirtschaft an. Ja, dort gibt es Mindestlöhne über die Entsendung. Aber die Baukonjunktur ist ungeheuer schlecht gewesen über die ganze Zeit. Seit zehn Jahren sind 45 Prozent der Arbeitsplätze in diesem Bereich trotz Mindestlöhnen abgebaut worden. Jetzt ziehen sie gerade wieder an. Was schließen wir daraus? Das hat nichts mit Mindestlöhnen zu tun.

Frau Köncke hat sich hier für Branchenlohn ausgesprochen und von Herrn Kerstan ist unterstellt worden, Herr Uldall hätte zu dem Thema nichts gesagt. Da hätten Sie genau zuhören müssen. Natürlich hat er etwas zu dem Thema gesagt. Wenn man den Weg geht, den er geht, kann man natürlich Ihren Weg überhaupt nicht mehr beschreiten. Sie sollten die Tarifparteien auch ein wenig mehr wertschätzen. Es ist in der Verantwortung der Tarifparteien, diese Dinge miteinander zu regeln. Sie können

natürlich am besten branchenspezifische und lokale Lösungen finden. Und dann, Herr Maier, muss man auch sagen, gibt es keine Schwächen in dem System, weil sich dort zwei gleichwertige Partner gegenübertreten.

Meines Erachtens hat Herr Uldall sehr viel zu dem System gesagt. Er hat selber aktuelle Lösungsansätze vorgestellt. Die Sache mit dem Gütesiegel ist angesprochen worden. Die Innungen werden so etwas entwickeln. Dann werden wir und vor allen Dingen auch die Kunden von Firmen erkennen, wer sich tariftreu verhält und wer nicht. Ich halte das für eine sehr gute Lösung. Ich finde, dafür hat Senator Uldall Lob verdient.

(Beifall bei der CDU)

Man kann es auch so auf den Punkt bringen: Die Gesamtpolitik des Senats und von Senator Uldall hat Arbeitsplätze geschaffen, die Senatspolitik korrigiert maßvoll und mit Augenmaß Fehlentwicklungen. Oder man kann es anders ausdrücken: Sie sprechen sich hier für Aktionismus aus und er steht für die Tat.

(Beifall bei der CDU)

Und so, meine Damen und Herren und Herr Maier, löst man auch das sogenannte Vollzugsdefizit, das Sie angesprochen haben. Wir brauchen keine Ombudsstellen oder sonstige staatliche Stellen, die sich damit beschäftigen, wir brauchen eine adäquate Lösung, die nur in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, der Innung und den Verbänden gemacht werden kann. Insofern gibt es einen Vorschlag des Senats und wir brauchen nicht schon wieder den Staat an dieser Stelle, Herr Maier.

(Farid Müller GAL: Unternehmen Sie etwas gegen die Gesetzesverstöße!)

Dann stellt sich Herr Dees hin und versucht sich als Mikroökonom. Ich habe das Beispiel, offen gestanden, überhaupt nicht verstanden.

(Ingo Egloff SPD: Sie sind ja auch Jurist, Herr Mattner!)

Er rechnet sich mit seinen Preisen für Blumen schön, denn entweder vergisst oder übersieht er schlicht, dass eine Steigerung von 25 Prozent bei den Lohnkosten gar nicht zu machen ist, oder er hat unterstellt – das war die andere Variante –, dass die Kunden darauf eingehen. Da kann ich auch wieder nur sagen: Wo leben Sie denn? Haben Sie den Spruch "Geiz ist geil" schon einmal gehört? Die Kunden verhalten sich eben nicht so und sie verhalten sich nicht so, wie Sie es gerne haben würden. Deswegen müssen wir gute Rahmenbedingungen schaffen und dann klappt das auch.

Frau Dräger und auch andere haben immer wieder erzählt, wir hätten die Zeit nutzen müssen, bestimmte Maßnahmen einzuleiten. Es wird aber vergessen, dass Sie in Berlin unter Rotgrün lange Zeit hatten, das Thema auf Bundesebene anzugehen.